TE OGH 1993/2/24 9ObA315/92

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Veröffentlicht am 24.02.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Manfred Dafert und AR Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Salzburg, Salzburg, Dr.Franz-Rehrl-Platz 5, vertreten durch Dr.*****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei Emil Sch*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr.*****, Rechtsanwalt *****, wegen S 334.823 sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.September 1992, GZ 5 Ra 171/92-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 23.April 1992, GZ 42 Cga 151/91-17, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 17.022,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.837,10 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob den Beklagten am Zustandekommen des Arbeitsunfalles des bei der klagenden Partei unfallversicherten Arbeitnehmers grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 Abs 1 ASVG anzulasten ist, zutreffend verneint. Es reicht daher insoweit aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin folgendes entgegenzuhalten:

Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanzen war der Beklagte für die Durchführung von Abschaltvorgängen unmittelbar verantwortlich. Ihm wurde Richard M*****, ein ihm als äußerst erfahren, verläßlich und vorsichtig bekannter ausgebildeter Kabelmonteur, der die örtlichen Verhältnisse kannte, genannt, der den Endverschluß an der Kupplung anbringen würde. Dieser war zu all jenen Abschaltungen in der Lage, die im konkreten Fall erforderlich waren. Mit ihm besprach der Beklagte, daß die 25 KV-Leitung nicht abgeschaltet würde, und daß er nicht hinter die Trafostation treten dürfe. Er ersuchte M***** die Sicherungen herauszunehmen und zeigte ihm die zwei voneinander getrennten Schaltkreise mit den je drei getrennt herauszunehmenden Sicherungen. M***** sagte zu, diese Arbeiten zu erledigen. Da die Sicherheitsmaßnahmen in Gegenwart des Partieführers N***** besprochen wurden, eine Übertragung des Abschaltvorganges durch den Ortsstellenleiter (Beklagten) an entsprechend qualifizierte Personen - entgegen den Ausführungen der Revisionswerberin - auch ohne Verständigung des Partieführers zulässig war und M***** auch zusagte, die Arbeiten zu erledigen, bedurfte es keines weiteren Auftrages durch den Parteiführer. M***** war daher mit der Durchführung dieser Abschaltarbeiten im Sinne des § 10 Punkt 1.3. ÖVE betraut (= beauftragt), wenn auch der Beklagte der unmittelbar Verantwortliche blieb. M***** waren auch im Sinne dieser Bestimmung die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen bekannt.

Der unmittelbare Arbeitsbereich, an dem M***** den Endverschluß und die Muffe anzubringen hatte, war nicht spannungsführend. M***** entfernte zwar die drei Sicherungen des linken Schaltkreises, unterließ es jedoch aus unterklärlichen Gründen, beim rechten Schaltkreis auch die dritte Sicherung herauszunehmen. Der 25 KV-Kreis stand daher einpolig unter Spannung. M***** nahm auch keine Arbeitserdung vor, was jedenfalls seine Aufgabe gewesen wäre und ihm auch bekannt war. Das Unterlassen der Überprüfung der Erdung durch den Beklagten verstieß daher gegen keine Schutzvorschriften. Ohne daß es erforderlich war, stieg M***** in den Schaltkasten und hielt sich beim Heraussteigen an der linken Sammelschiene fest, die infolge der unvollständigen Entfernung der Sicherungen noch unter Strom stand. Dies führte zu seinem Tod.

Bei diesem Sachverhalt fällt dem Beklagten als unmittelbar Verantwortlichen keine ungewöhnliche Verletzung seiner Sorgfaltspflichten zur Last.

Der Begriff der groben Fahrlässigkeit als Voraussetzung der Ersatzpflicht gemäß § 334 Abs 1 ASVG ist im Sinne der herrschenden Lehre und Rechtsprechung mit einer ungewöhnlichen und auffallenden Sorgfaltsvernachlässigung zu definieren, die den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich voraussehen läßt. Der Begriff der groben Fahrlässigkeit erfordert, daß ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (Arb 10.087 ua). Nach herrschender Rechtsprechung reicht das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme einer groben Fahrlässigkeit nicht aus (SZ 40/55; ZVR 1970/55; Arb 10.087; Ind 1988 H 3, 20; RdW 1988, 323 ua).

Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades ist vielmehr die Schwere des Sorgfaltsverstoßes und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes, wobei diese Beurteilung stets nur nach den Umständen des Einzelfalles vorgenommen werden kann (Arb 9835 mwN). Im wesentlichen ist dabei zu prüfen, ob der Betreffende ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (Arb 10.087; Ind 1976 H 5, 5; Ind 1988 H 3, 20 ua).

Der Beklagte durfte den Abschaltvorgang einem anderen übertragen, so daß es ausreichte, den erfahrenen, verläßlichen, vorsichtigen und sachkundigen Kabelmonteur M***** über die Art des Abschaltvorganges und das Entfernen der Sicherungen zu informieren. Es genügte infolge der Sachkunde M*****s auch, daß der Beklagte mit ihm über das Erden und Kurzschließen nur allgemein gesprochen hat. Die Information war so ausreichend, daß der Kabelmonteur den Abschaltvorgang selbst vornehmen konnte, zumal der Beklagte wußte, daß M***** als sach- und fachkundiger Kabelmonteur, der überdies die örtlichen Verhältnisse kannte, mit den nötigen Sicherheitsmaßnahmen vertraut war. Den Beklagten trifft aber der Vorwurf, daß er die Freischaltung bestätigt hat, ohne sich selbst davon zu überzeugen, obM***** dem erteilten Auftrag (Entfernen aller Sicherungen) nachgekommen war, oder diesen ausdrücklich zu fragen, ob er die aufgetragenen Arbeiten durchgeführt hat.

Trotz der, wegen der großen Gefährlichkeit der Arbeit gebotenen Vorsicht war aber diese Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten anläßlich der Freigabe der Arbeit nicht ungewöhnlich. M***** war nämlich bei der Freigabe der Arbeit durch den Beklagten dabei und erhob trotz Kenntnis von den erforderlichen Sicherungsmaßnahmen und der Kenntnis, nicht alle Sicherungen entfernt zu haben, keine Einwände. Durch ein Hineinschauen in den Schaltkasten wäre das Nichtentfernen der letzten Sicherung nicht festzustellen gewesen, da sich die Sicherungen nicht dort befanden. Der Vorwurf der Oberflächlichkeit des Beklagten ist daher insofern unbegründet.

Im übrigen ist dem Berufungsgericht auch darin beizupflichten, daß M***** ein erhebliches Mitverschulden zu Lasten fällt, weil der unter Spannung stehende Bereich nicht zu seinem Arbeitsbereich gehörte, so daß der Beklagte nicht damit rechnen mußte, daß M***** mit der Sammelschiene in Berührung kommen werde. Daß der Kabelmonteur zur Anbringung des Endverschlusses in den Schaltkasten hineinsteigen werde, obwohl dies nicht erforderlich war und daß er sich beim Heraussteigen an der Sammelschiene festhalten werde, war objektiv nicht vorhersehbar, so daß auch aus diesem Grunde mit einer Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes nicht zu rechnen war. Darauf, ob diese Handlungsweise M*****s gänzlich unsinnig war, kommt es nicht an; dieser Umstand hätte nur für die Untersuchung der Frage, ob ein Arbeitsunfall vorlag und ob M*****s Handlungsweise den Zusammenhang zu den betriebsbedingten Verhältnissen bei Bewertung der Unfallursachen zu unterbrechen geeignet war (SSV-NF 2/102), Bedeutung.

Entgegen der Meinung der Revisionswerberin ist der der Entscheidung 2 Ob 214/83 zugrundeliegende Sachverhalt mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar, weil dort von vornherein eine stromführende Sammelschiene eindeutig erkennbar war, diese Tatsache aber dem Verantwortlichen nur nicht bewußt gewesen ist. Das Revisionsgericht sah darin wegen der grundsätzlich großen Gefährlichkeit der Situation in Umspannanlagen eine außergewöhnliche Außerachtlassung der erforderlichen Vorsicht. Im vorliegenden Fall war aber die Erkennbarkeit der Spannungsfreiheit nur bei weiteren Kontrollmaßnahmen möglich, die der Beklagte unterließ, weil er ohnedies Vorkehrungen getroffen hatte, bei deren Einhalten ein Schadenseintritt unterblieben wäre. Das Vertrauen auf die Einhaltung dieser Vorkehrungen ohne Vornahme weiterer Kontrollen ist im konkreten Fall kein ungewöhnlicher Sorgfaltsverstoß, der dem Beklagten auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen wäre, weil M***** als ausgebildeter Kabelmonteur mit solchen gefährlichen Arbeiten vertraut war und die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen und die örtlichen Gegebenheiten kannte. Es lag auch kein Umstand vor, der zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit M*****s Anlaß gegeben hätte.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO sowie § 58 Abs 1 erster Satz ASGG.

Anmerkung

E32428

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:009OBA00315.92.0224.000

Dokumentnummer

JJT_19930224_OGH0002_009OBA00315_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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