Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gabriel H*****, vertreten durch Dr.Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.Birgit O*****, 2.Monika K*****, 3.Helga L*****, und 4. Maria A*****, alle vertreten durch Dr.Josef Trenker, Rechtsanwalt in St.Johann in Tirol, wegen Unterlassung einer Schneeräumungsart, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das zum Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 2.März 1992, GZ 18 Cg 287/90-26, ergangene Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 16.Juni 1992, AZ 1 R 138/92 (ON 31), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Soweit die außerordentliche Revision der klagenden Partei nicht bereits mit Beschluß vom 25.November 1992 zurückgewiesen wurde, wird ihr stattgegeben. Das angefochtene Berufungsurteil wird, soweit es die Abweisung des die Schneeräumung betreffenden Klagebegehrens (Punkt 1 Buchstabe c des Urteiles erster Instanz) bestätigt sowie im Kostenpunkt, aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht rückverwiesen.
Die Revisionsbeantwortung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Im übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens der zu fällenden Endentscheidung vorbehalten.
Text
Begründung:
Über das im Alleineigentum des Klägers stehende Grundstück führt ein Weg, an dem den Beklagten als den Eigentümern eines in der Nachbarschaft gelegenen Grundes ein grundbücherlich einverleibtes Geh- und Fahrrecht zusteht. Nach dem Dienstbarkeitsbestellungsvertrag verpflichteten sich "die Anrainer bezw Wegbenützer ..., den Weg selbst in fahrbarem Zustand zu erhalten". Die erste Beklagte und deren Ehemann betrauen seit Jahren einen Schneeräumunternehmer mit der Schneeräumung auf dem rund 3 m breiten, beiderseits mit einem Holzzaun eingefriedeten Dienstbarkeitsweg. Der Unternehmer setzt zur Schneeräumung einen Radlader ein, der den Schnee von der Wegfläche wegbringt und auf dem Grund der Beklagten ablädt. Im Jahre 1988 kam es anläßlich der Schneeräumung zu einer Beschädigung des Holzzaunes. Der Schade wurde dem Kläger im Wege einer Versicherungsleistung ersetzt. Eine derartige Beschädigung hat sich nicht wiederholt. Der Schnee wird nicht bloß seitlich an den Zaun des Klägers geschoben, sondern abtransportiert.
Der Kläger stellte unter anderem das Begehren, die Beklagten zu verpflichten, die Schneeräumung auf dem Dienstbarkeitsweg so vorzunehmen, daß der Zaun nicht an den die Dienstbarkeitsfläche seitlich begrenzenden Zaun angepreßt werde.
Dazu behauptete der Kläger, sein Zaun leide dadurch Schaden, daß im Zuge der Schneeräumung der Schnee gegen den Zaun gedrückt werde.
Die Bekllgten bestritten jede den Zaun des Klägers beeinträchtigende Art der Schneeräumung und wendeten ein, dem Schneeräumunternehmer jeweils ausdrücklich aufgetragen zu haben, die Schneeräumung so schonend wie möglich durchzuführen.
Das Prozeßgericht erster Instanz wies das sich auf die Schneeräumung beziehende Klagsteilbegehren ab.
Der Kläger bekämpfte mit seiner Berufung die erstrichterliche Negativfeststellung, daß im Zuge der Schneeräumung kein Schnee seitlich an den Zaun des Klägers gepreßt würde, als Ergebnis einer bedenklichen Beweiswürdigung nach einem mangelhaften Verfahren.
Im Berufungsverfahren wurden keine Beweise aufgenommen.
Das Berufungsgericht legte in tatsächlicher Hinsicht zugrunde, es wäre zwar eine offenkundige Erfahrungstatsache, daß ein (Holz-)Zaun durch das seitliche Andrücken von zusammengeschobenem Schnee Schaden leiden könne, dies hinge aber von der Intensität des Schneeandrückens ab. Das Berufungsgericht legte dazu weiters zugrunde, es wäre davon auszugehen, daß die Schneeräumung im ortsüblichen Ausmaß durchgeführt werde. Aus den Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung leuchtet die Ansicht des Berufungsgerichtes hervor, ein durch die ortsübliche Art und Weise der Schneeräumung bedingtes Anpressen von Schnee an Begrenzungszäune in einem das Ortsübliche nicht überschreitenden Ausmaß müsse jeder Weg- und Straßenanrainer hinnehmen; als Standard der Ortsüblichkeit seien die Schneeräumungsmaßnahmen der Gemeinde Maßstab. Aufgrund dieser Rechtsansichten erachtete das Berufungsgericht die in der Berufung ausgeführten Bemängelungen der Beweiswürdigung sowie die Verfahrensrüge des Klägers in Ansehung des hier noch streitverfangenen Begehrens als gegenstandslos.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil auch im Ausspruch über das sich auf die Schneeräumung beziehende Begehren. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, auch in Ansehung dieses Teilbegehrens 50.000,-- S übersteigt. Weiters sprach das Berufungsgericht aus, daß die Revisionszulässigkeitsvoraussetzungen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben wären.
Der Kläger erhebt eine außerordentliche Revision. Er stellt einen Abänderungsantrag im Sinne seines Klagebegehrens. In seiner Zulassungsbeschwerde macht er geltend, daß das Berufungsgericht seine Entscheidung über das die Schneeräumung auf dem Dienstbarkeitsweg betreffende Teilbegehren zu Unrecht über die Frage der Ortsüblichkeit zu lösen versucht habe.
Den Beklagten wurde die Erstattung einer Revisionsbeantwortung zur Anfechtung des Berufungurteiles über das mehrfach erwähnte Teilbegehren freigestellt. Der entsprechende Beschluß wurde dem Vertreter der Beklagten am 28.Dezember 1992 durch das Revisionsgericht zugestellt. Die vierwöchige Frist zur Erstattung der Revisionsbeantwortung lief mit 4.Februar 1993 ab. Die Beklagten brachten am 4.Februar 1993 einen Schriftsatz an das Prozeßgericht erster Instanz zur Postaufgabe, bei dem dieser am 5.Februar 1993 einlangte und den es an das Revisionsgericht weitersandte, wo die Revisionsbeantwortung erst am 12.Februar 1993 einlangte. Die gemäß § 508a Abs 2 ZPO beim Revisionsgericht einzubringende Revisionsbeantwortung ist verspätet. Sie ist aus diesem Grunde zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist, soweit sie nicht bereits mit dem Beschluß vom 25.November 1992 zurückgewiesen wurde, berechtigt.
Die Rechtsbeziehungen der Streitteile bestimmen sich in Ansehung des über den Grund des Klägers führenden Weges nach dem Dienstbarkeitsbestellungsvertrag. Dieser trifft über die Art der den Wegeberechtigten obliegenden Schneeräumung keine ausdrückliche Regelung. Dem hypothetischen Parteiwillen darf das Verständnis und die Rücksichtnahme auf die wechselseitigen Interessen von Grundeigentümern in Nachbarschaftslage unterstellt werden, wie sie tendentiell in den nachbarschaftsrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes Niederschlag gefunden haben. Auf dieser Grundlage besteht kein grundsätzlicher Einwand, mittelbar und dem Vertragszweck angepaßt § 364 Abs 2 ABGB zur Lückenfüllung bei der Auslegung des Dienstbarkeitsbestellungsvertrages heranzuziehen. Gerade diese gesetzliche Regelung knüpft aber die Zulässigkeit "unmittelbarer Zuleitung" an einen besonderen Rechtstitel. Ortsüblichkeit allein könnte daher niemals als Rechtfertigung - und nur in Ausnahmefällen als Entschuldigung - anerkannt werden.
Es kann im gegebenen Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Straßenanlieger nach § 53 Abs 1 Buchstabe c TirStG, "die Ablagerung des im Zuge der Schneeräumung von der Straße entlang ihrer Grundstücke entfernten Schnees und Abräummaterials auf ihren Grundstücken zu dulden", so weit geht, auch Räummaterial gegen die am Straßenrand stehenden Einfriedungen und Bauwerke anpressen lassen zu müssen.
Den Eigentümer eines mit einem Wegerecht belasteten Grundes trifft eine derartige Duldungspflicht mangels ausdrücklicher oder schlüssiger bestimmter Übernahme wegen der typisch grundsätzlich andersgelagerten Interessen nicht.
Ein durch die Schneeräumung des Wegeberechtigten auf einem Dienstbarkeitsweg bewirktes Anschieben zusammengepreßten Schnees an Einfriedungen und Baulichkeiten derart, daß Druck und Feuchtigkeitseinwirkung gegenüber natürlich gefallenem Schnee erheblich verstärkt würden, muß der dienstbarkeitsbelastete Eigentümer ohne vertragliche Sonderregelung nicht hinnehmen. Denn eine derartige Einwirkung wäre im Sinne des § 364 Abs 2 ABGB als unmittelbare Zuleitung zu werten, die unabhängig von ihrer Üblichkeit vom Eigentümer nicht zugelassen werden müßte.
Das vom Berufungsgericht unterstellte Ausmaß der vom Kläger behaupteten Schneeanpressung an den Holzzaun rechtfertigte die behaupteten schädigenden Einwirkungen bloß deshalb, weil sich diese im Rahmen der ortsüblichen Folgen einer im Zuge einer ortsüblichen Schneeräummethode einzustellen pflegen, noch nicht.
Häufigkeit der Schneeräummethode, durchschnittliche Höhe der natürlichen Schneelage ohne Räumung, der Schneehöhe am Zaun nach durchgeführter Schneeräumung, Auswirkungen des Schneedruckes und der Schneeschmelzwässer des angeschobenen Schnees im Verhältnis zur natürlichen Schneelage und das Ausmaß der schädlichen Einwirkungen sind im Rahmen des Parteienvorbringens zu erörtern und im Rahmen der Beweisanträge zu erheben. Erst danach wird festgestellt werden können, mit welcher Art von Einwirkung auf seinen Zaun der Kläger bei Fortsetzung der bisher gepflogenen Schneeräumungsart zu rechnen haben wird. Erst dies erlaubte die wertende Beurteilung, ob Vertragsparteien in der Lage der Rechtsvorgänger der Streitteile in verständnisvoller Einschätzung der Interessen der Wegeberechtigten einerseits und des dienstbarkeitsbelasteten Eigentümers andererseits diesem zugemutet hätten, Einwirkungen auf den Zaun in der festgestellten Art und Intensität hinzunehmen.
Aus diesen rechtlichen Erwägungen durfte sich das Berufungsgericht nicht der sachlichen Erledigung der vom Kläger in seiner Berufung ausgeführten Verfahrens- und Beweisrüge entziehen.
Die Rechtssache ist daher in Stattgebung der vom Kläger erhobenen außerordentlichen Revision in Ansehung des zu Buchstabe c der Klage formulierten Teilbegehrens an das Berufungsgericht rückzuverweisen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E33044European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:0060OB00517.93.0225.000Dokumentnummer
JJT_19930225_OGH0002_0060OB00517_9300000_000