TE OGH 1993/2/25 6Ob504/93

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Veröffentlicht am 25.02.1993
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 15. Jänner 1973 geborenen Ulrike V*****, infolge deren Revisionsrekurses gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgerichtes vom 4.September 1991, GZ R 535/91-100, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Tulln vom 20.Juni 1991, GZ P 33/90-94, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die inzwischen volljährig gewordene Ulrike V***** entstammt der am 12. Mai 1977 geschiedenen Ehe zwischen Theresia und Josef V*****. Zum Vormund war nach § 213 ABGB die Bezirkshauptmannschaft Gmünd bestellt. Die Mutter steht unter Sachwalterschaft und betreut die jüngere Schwester der Rechtsmittelwerberin. Der Vater zahlte Geldunterhalt.

Am 10.Oktober 1989 beantragte der Vater mit der Begründung, seine Tochter Ulrike sei eine Lebensgemeinschaft eingegangen, ihn von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben. Der Vormund stimmte diesem Enthebungsantrag zu. Mit Beschluß vom 30.Oktober 1989 enthob das Pflegschaftsgericht den Vater ab 1.11.1989 von seiner Unterhaltsverpflichtung. Nach Mitteilung des Vormundes, Ulrike V***** sei mit ihrem Freund Marek P***** nach Tulln verzogen, wurde die Bezirkshauptmannschaft Tulln zum neuen Vormund bestellt. Diese beantragte, den Vater ab 1.11.1990 wiederum zu einer Unterhaltsleistung von S 2.500 zu verpflichten. Die Minderjährige sei am 16.Oktober 1989 von einem Knaben entbunden worden und beziehe nach Ablauf des Karenzjahres ab 17.Oktober 1990 nur eine Sondernotstandsunterstützung von täglich S 70,70, ab 1.1.1991 von S 71,70; mit diesem Einkommen sei die Minderjährige nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Vater beantragte die Abweisung dieses Unterhaltsfestsetzungsantrages und verwies vor allem darauf, daß seine Tochter mit dem Vater ihres Kindes in Lebensgemeinschaft lebe und dieser für sie aufkommen könne. Im übrigen sei er noch zum Unterhalt für seine jüngere Tochter verpflichtet.

Das Erstgericht setzte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters antragsgemäß fest. Ausgehend von einem Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters von rund S 14.000 und einer weiteren Sorgepflicht sei dieser Betrag angemessen. Die unter Sachwalterschaft stehende Mutter der Minderjährigen betreue deren jüngere Schwester und sei zu Unterhaltsleistungen außerstande. Die alleinige Unterhaltspflicht treffe daher den Vater. Ulrike verfüge über ein monatliches Einkommen von nur rund 2.150 S und sei, da sie ihr Kleinkind zu betreuen habe, auf die Unterhaltsleistungen ihres Vaters angewiesen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Im Hinblick auf die Enthebung des Vaters von seiner Unterhaltsverpflichtung seit 1.November 1989 sei davon auszugehen, daß die Minderjährige zum damaligen Zeitpunkt selbsterhaltungsfähig gewesen sei. Bei unverschuldetem Verlust der einmal erlangten Selbsterhaltungsfähigkeit lebe die Unterhaltspflicht der Eltern wieder auf. So auch, wenn eine Minderjährige nach einer Entbindung keiner Arbeit nachgehen könne, weil sie mangels einer entsprechenden Betreuungsperson ihr Kind selbst pflegen müsse. Sei eine Minderjährige mit dem Vater des Kindes verheiratet, so bedeute dies zwar nicht grundsätzlich den Verlust des Unterhaltsanspruches gegenüber den Eltern, jedoch gehe der Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehepartner jenem gegenüber den Eltern vor; diese müßten also nur subsidiär zum Unterhalt ihres Kindes beitragen. Da Ulrike V***** nicht verheiratet sei, sondern - zumindest nach den Behauptungen im Rekurs - mit dem Vater ihres Kindes in Lebensgemeinschaft lebe, sei zu erwägen, ob die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches gegenüber dem Vater sittenwidrig sei. Die Unterhaltsverpflichtung eines geschiedenen Ehegatten ruhe, wenn der unterhaltsberechtigte geschiedene Teil eine Lebensgemeinschaft eingehe. Eine in dieser Gewichtung ähnliche Situation sei gegeben, wenn eine Minderjährige unter Berufung auf den durch die Betreuungssituation nach der Geburt eines Kindes hervorgerufenen Verlust der Selbsterhaltungsfähigkeit einen Anspruch gegen ihre Eltern geltend mache und mit dem Vater des Kindes in Lebensgemeinschaft lebe. Hätte sie den Vater ihres Kindes geheiratet, käme nur eine subsidiäre Unterhaltsverpflichtung der Eltern dann in Betracht, wenn die Einkünfte ihres Ehemannes nicht ausreichten, um ihren Unterhaltsanspruch zu befriedigen. Durch das Eingehen - bloß - einer schlichten Lebensgemeinschaft hätte es ein Kind in der Hand, den Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern auf längere Zeit zu perpetuieren, so insbesondere dann, wenn es in regelmäßigen Abständen seinerseits von Kindern entbunden werde und so durch Jahre hindurch einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen könne. Eine sachliche Begründung, warum ein verheiratetes Kind nur einen subsidiären Unterhaltsanspruch gegenüber seinen Eltern habe, während dem in Lebensgemeinschaft lebenden Kind ein primärer Unterhaltsanspruch zukommen solle, auch wenn der Lebensgefährte für den Unterhalt aufkommen könnte, sei nicht zu finden. Die Geltendmachung eines solchen Anspruches sei aus Gleichheitserwägungen als sittenwidrig anzusehen.

Da das Bestehen einer Lebensgemeinschaft und die Möglichkeiten des Lebensgefährten, der Antragstellerin und dem gemeinsamen Kind Unterhalt zu gewähren, nicht geprüft seien, sei eine Verfahrensergänzung erforderlich.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zu der hier erörterten erheblichen Rechtsfrage eine Rechtsprechung des Obersten Gerichshofes fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der von der inzwischen volljährig gewordenen Ulrike V***** erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Den Ausführungen des Rekursgerichtes ist zuzustimmen: Dieses ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Unterhaltsverpflichtung der Eltern für ein verheiratetes Kind gegenüber der Ehegattenunterhaltspflicht nur subsidiär ist, also nur dann und insoweit zum Tragen kommt, als der in erster Linie unterhaltspflichtige Ehepartner nicht in der Lage ist, seiner Unterhaltsverpflichtung nachzukommen (vgl Pichler in Rummel ABGB2 Rz 12 zu § 140; Schwimann Rz 110 zu § 140). Selbst der unterhaltsverpflichtete geschiedene Ehegatte haftet nach § 71 EheG vor den Verwandten des Berechtigten. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Grundsatzentscheidung SZ 27/134 = SpR Nr 38 das Ruhen des Unterhaltsanspruches gegenüber dem geschiedenen Ehegatten bei Eingehen einer Lebensgemeinschaft damit begründet, daß eine solche Rechtsfolge nach dem gegenwärtigen Rechtszustand sowohl dem Gesetz als auch der allgemeinen sittlichen Auffassung entspreche. Wenn auch dem Eingehen einer Lebensgemeinschaft an sich (nach den sich wandelnden gesellschaftlichen Auffassungen) nichts Sittenwidriges anhafte, so liege die Sittenwidrigkeit im Sinne des § 879 ABGB im Unterhaltsbegehren während der Dauer der Lebensgemeinschaft. Unterließen es die Lebensgefährten, den tatsächlichen Zustand der Lebensgemeinschaft in den rechtlichen Zustand der Ehe umzuwandeln, so entspreche es dem Gebot der Billigkeit, daß sie für die Dauer dieses Zustandes die rechtlichen Folgen der unterlassenen Ausnützung der ihnen gegebenen Möglichkeiten einer Eheschließung in Kauf nehmen; andernfalls bestünde geradezu der Anreiz, die Form einer Lebensgemeinschaft jener der Ehe vorzuziehen, um auf diese Weise den Unterhaltsanspruch zu wahren. Diese Argumente sind auch für ein Unterhaltsbegehren eines in Lebensgemeinschaft lebenden Kindes gegenüber seinen Eltern (oder Großeltern) zutreffend, wenn dieses Kind seine Selbsterhaltungsfähigkeit dadurch verloren hat, daß es nach der Entbindung von einem Kind mit dem gemeinsamen Lebensgefährten dieses betreuen muß und seinen Unterhalt aus der Lebensgemeinschaft zieht. Wie sehr eine Ungleichbehandlung von verheirateten Kindern und solchen, die nur eine Lebensgemeinschaft eingegangen sind, einen Anreiz für letztere Lebensform darstellen können, zeigt gerade der vorliegende Fall. Nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin in ihrem Revisionsrekurs hat diese am 21. September 1991 ein zweites Kind von ihrem Lebensgefährten, mit dem sie mit den gemeinsamen Kindern in einer eigenen Mietwohnung lebt und der als Schlosserhelfer über ein regelmäßiges Einkommen verfügt, geboren und befindet sich neuerlich im Mutterschaftskarenzurlaub. Schließlich hat auch der Gesetzgeber den sich wandelnden gesellschaftlichen Anschauungen und Verhältnissen dadurch Rechnung getragen, daß er an eine bestehende Lebensgemeinschaft - bisher meist allerdings zu Gunsten der Lebensgefährten - Rechtsfolgen geknüpft hat (es sei hier nur beispielsweise auf das Eintrittsrecht nach § 14 Abs 3 MRG, § 20 Abs 3 WGG oder § 152 StPO hingewiesen), sodaß es durchaus billig erscheint, die Unterhaltsansprüche eines in Lebensgemeinschaft lebenden Kindes, das seinen Unterhalt aus der Lebensgemeinschaft tatsächlich erhält (wofür der Anschein einer aufrechten Lebensgemeinschaft spricht) gegenüber seinen Eltern (§ 140 ABGB) oder Großeltern (§ 141 ABGB) auf jenes Ausmaß zu beschränken, wie sie einem verheirateten Kinde zustünden. Ein entgegen diesen Grundsätzen gestelltes Unterhaltsbegehren ist als sittenwidrig anzusehen.

Das Erstgericht wird daher den Aufträgen des Rekursgerichtes entsprechend nach Verfahrensergänzung im Sinne der obigen Ausführungen neuerlich zu entscheiden haben.

Anmerkung

E33034

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0060OB00504.93.0225.000

Dokumentnummer

JJT_19930225_OGH0002_0060OB00504_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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