TE OGH 1993/2/25 2Ob71/92

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.02.1993
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf W*****, vertreten durch Dr.Josef Lechner und Dr.Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in Steyr, wider die beklagten Parteien 1. Mag.Klaus P*****, und 2. W***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Ewald Schmidberger ua Rechtsanwälte in Steyr, wegen 60.886,70 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 14.Oktober 1992, GZ 1 R 212/92-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 25.Juni 1992, GZ 3 Cg 185/91-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 4.783,68 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 797,28 S an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 27.November 1990 kam es gegen 19,40 Uhr auf der V*****-Bundesstraße Nr.***** zu einem Verkehrsunfall, bei dem der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Citroen XB ***** von hinten auf den vom Kläger gelenkten und gehaltenen PKW Audi 80 ***** auffuhr. Dabei wurde der Kläger verletzt, beide Fahrzeuge wurden beschädigt.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger von den Beklagten unter Einräumung eines Mitverschuldens von 2/3 am Zustandekommen dieses Unfalls die Bezahlung eines Betrages von 60.886,70 S sA als Drittel des ihm bei diesem Unfall entstandenen Gesamtschadens. Der Erstbeklagte habe den Unfall dadurch schuldhaft mitverursacht, daß er mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und auf sein Einfahren in die Bundesstraße erheblich verspätet reagiert habe.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger durch Verletzung des Vorranges des Erstbeklagten den Unfall allein verschuldet habe. Da der Kläger sein Fahrzeug vor der Bundesstraße angehalten habe, habe der Erstbeklagte darauf vertrauen können, daß der Kläger seinen Vorrang wahren werde. Als der Kläger aus dem Stillstand losfuhr, habe er trotz sofortiger Bremsung den Zusammenstoß nicht mehr verhindern können.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch folgende für das Revisionsverfahren bedeutsame Feststellungen traf:

Der Kläger fuhr mit seinem Fahrzeug bei eingeschaltetem Abblendlicht auf der S***** Landesstraße von S***** kommend in Richtung Bundesstraße; es war dunkel und es herrschte leichter Nieselregen, sodaß die Fahrbahn naß war. An der Fluchtlinie der Kreuzung mit der Bundesstraße - es ist dort das Vorschriftszeichen "Halt" angebracht - hielt er seinen PKW an. Zur gleichen Zeit fuhr der Erstbeklagte mit seinem PKW, an dem Fernlicht eingeschaltet war, auf der Bundesstraße von B***** H***** kommend in Richtung St*****. Da der Kläger den von rechts herankommenden PKW des Erstbeklagten nicht wahrgenommen hatte, fuhr er mit geringer Beschleunigung von etwa 1,0 m/sec2 in die Bundesstraße ein. Ab Erreichen der Mitte der etwa 10,6 m breiten Fahrbahn der Bundesstraße schaltete er auf den zweiten Gang, um mit einer Beschleunigung von etwa 1,5 m/sec2 weiterzufahren. Ein von der S***** Landesstraße in die Bundesstraße einfahrender Verkehrsteilnehmer hat nach rechts - also in die Richtung, aus der der Erstbeklagte kam - eine objektive Sicht von mindestens 250 bis 300 m; die Sicht nach links beträgt mindestens 150 bis 200 m. Die Bundesstraße B ***** weist - in Fahrtrichtung des Erstbeklagten betrachtet - im Kreuzungsbereich in der Mitte zunächst einen Fahrstreifen mit Richtungspfeilen zum Linksabbiegen in die S***** Landesstraße und in weiterer Folge einen sogenannten Beschleunigungsstreifen mit Richtungspfeilen nach rechts auf, in den sich von der S***** Landesstraße kommend nach links in Richtung St***** einbiegende Fahrzeuge einordnen können, sodaß diese Fahrzeuge trotz des von rechts - also von B***** H***** - auf dem rechts neben der Abbiegespur in die S***** Landesstraße bzw rechts neben dem sogenannten Beschleunigungsstreifen befindlichen Fahrstreifen herannahenden Verkehrs in die Bundesstraße einfahren können, um auf dem Beschleunigungsstreifen weiterfahrend die "Vorbeifahrt" dieses von rechts herannahenden Verkehrs abzuwarten. Der Erstbeklagte näherte sich mit seinem PKW der Kreuzung mit der S***** Landesstraße mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 km/h; als der Kläger in die Bundesstraße einzufahren begann, war der Erstbeklagte ca 236 m entfernt. Da der Erstbeklagte der Meinung war, der Kläger werde mit seinem PKW zunächst die Beschleunigungsspur benützen, verminderte er seine Fahrgeschwindigkeit nicht. Der Kläger, der den Erstbeklagten jedoch nicht wahrgenommen hatte, wollte nicht in den Beschleunigungsstreifen, sondern unmittelbar auf die rechte Fahrspur in Richtung St***** gesehen einbiegen. Als der Erstbeklagte bemerkte, daß der Kläger nicht die Beschleunigungsspur benützen werde, leitete er ein Bremsmanöver ein, wobei er vorerst leichter und sodann verstärkter bremste. Nachdem der Kläger vom Beginn des Einfahrens eine Wegstrecke von 40 m zurückgelegt hatte, kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge, wobei die Frontseite des PKWs des Erstbeklagten gegen das Heck des Fahrzeuges des Klägers stieß. Die Geschwindigkeit des Kraftfahrzeuges des Klägers betrug im Moment der Kollision etwa 36 km/h, jene des Erstbeklagten etwa 70 km/h. Die Zeitspanne vom Beginn des Einfahrens des PKWs des Klägers in die Bundesstraße bis zur Kollision betrug 8,77 Sekunden. Das Einfahren des Klägers in die Bundesstraße war für den Erstbeklagten erkennbar, nachdem dieser etwa eine Wegstrecke von 1 m zurückgelegt hatte. Von diesem Zeitpunkt bis zur Kollision vergingen 7,36 Sekunden. Hätte der Erstbeklagte in diesem Zeitpunkt bereits reagiert, so hätte eine Bremsung von knapp unter 2 m/sec2 ausgereicht, um die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges bis auf jene des vor ihm fahrenden PKWs des Klägers zu reduzieren, sodaß es zu keiner Kollision gekommen wäre. Tatsächlich hat der Kläger jedoch erst 2,87 Sekunden vor der späteren Kollision aus einer Geschwindigkeit von etwa 100 km/h eine Reaktion eingeleitet. Im Zeitpunkt der Reaktionseinleitung war er noch 73 m von der Kollisionsstelle entfernt und befand sich der Kläger mit seinem PKW etwa im Bereich der Fahrbahnmitte der Bundesstraße. Der Erstbeklagte hat somit seine Reaktion in einem Zeitpunkt eingeleitet, als ihm erstmals erkennbar war, daß der Kläger nicht den Beschleunigungsstreifen benützen werde. Hätte er in diesem Zeitpunkt sofort eine Vollbremsung eingeleitet, anstatt zunächst nur etwas leichter zu bremsen, so wäre es ihm nur mehr möglich gewesen, die Kollisionsgeschwindigkeit auf 60 km/h - anstatt der tatsächlichen 70 km/h - zu verringern. Dabei wäre es aber zu gleichen Schäden gekommen; der Zeitunterschied beträgt lediglich 0,14 Sekunden. Eine Kollision hätte der Erstbeklagte lediglich dann vermeiden können, wenn er eine Bremsreaktion in dem Zeitpunkt eingeleitet hätte, als der Kläger mit seinem PKW eine Wegstrecke von etwa 12 m vom Beginn des Wegfahrens an zurückgelegt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war aber eine Fahrweise über den Beschleunigungsstreifen noch nicht gegeben. Wenn der Kläger mit einer durchaus erzielbaren Beschleunigung von 2 m/sec2 aus dem Stillstand weggefahren wäre, wäre es ebenfalls nicht zur Kollision gekommen.

Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes ging das Erstgericht davon aus, daß der Erstbeklagte die Benützung des Beschleunigungsstreifens durch den Kläger hätte erwarten können und daher mit einer Reaktion erst in dem Zeitpunkt beginnen mußte, in dem er bemerkte, daß der Kläger die vorhandene Beschleunigungsspur nicht benützt. In diesem Zeitpunkt aber habe der Erstbeklagte ohnedies eine Bremsreaktion eingeleitet. Der Kläger habe daher den Unfall allein verschuldet.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Zu der in der Berufung vorerst erhobenen Rechtsrüge, wonach dem Erstbeklagten ein Reaktionsverzug anzulasten sei, weil für den Kläger eine Verpflichtung zur Benützung des Beschleunigungsstreifens nicht bestanden habe und der Erstbeklagte daher sogleich bei erster objektiver Wahrnehmbarkeit des Einfahrens des Klägers in die Vorrangstraße hätte reagieren müssen, nahm das Berufungsgericht im wesentlichen wie folgt Stellung:

Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs 1 Z 6c StVO verstehe man unter einem Beschleunigungsstreifen einen Fahrstreifen, der bei Einfahrten zum Einordnen in den fließenden Verkehr diene. Es treffe zu, daß eine ausdrückliche Verpflichtung zur Benützung des Beschleunigungsstreifens lediglich bezüglich Autobahnen nach § 46 Abs 2 StVO, nicht aber hinsichtlich anderer Bundesstraßen bestehe (Haupfleisch "Die 10.StVO Novelle" ZVR 1983, 168). Obwohl eine derartige ausdrückliche Vorschrift nicht vorhanden sei, könne ein die Vorrangstraße benützender Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, daß von dem in die Vorrangstraße einfahrenden Verkehrsteilnehmer der Beschleunigungsstreifen ebenfalls benützt wird. Dafür spräche auch, daß gemäß § 2 Abs 1 Z 29 StVO das Vorbeibewegen an einem auf dem Beschleunigungsstreifen fahrenden Fahrzeug nicht als Überholmanöver gelte. Daraus folge in Übereinstimmung mit dem Erstgericht, daß für den Erstbeklagten eine Verpflichtung zu einer Reaktionseinleitung erst in dem Zeitpunkt bestanden habe, als für ihn erkennbar gewesen sei, daß der Kläger den Beschleunigungsstreifen nicht benützen werde. Daß er in diesem Zeitpunkt nicht sofort eine Vollbremsung gesetzt habe, könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil zeitmäßig dies nur eine Differenz von 0,14 Sekunden ergäbe, die so gering wäre, daß sie zu vernachlässigen sei. Überdies wäre es auch bei einer sofort eingeleiteten Vollbremsung zu vergleichbaren Schäden gekommen. Aber auch der Vorwurf der überhöhten Geschwindigkeit sei nicht gerechtfertigt. Zum Unfallszeitpunkt habe zwar Dunkelheit und leichter Nieselregen geherrscht, es habe allerdings keine Sichtbehinderung bestanden. Die eingehaltene Geschwindigkeit von 100 km/h sei daher angesichts der Fahrbahnbreite sowie der ungehinderten Sicht über mehrere hundert Meter unter Verwendung des Fernlichtes durchaus zulässig gewesen. Im übrigen würde ein geringfügiger Verstoß gegen § 20 StVO gegenüber dem schwerwiegenden Verschulden des Klägers, dem eine Vorrangverletzung und ein schwerer Beobachtungsfehler zur Last lägen, so weit in den Hintergrund treten, daß er vernachlässigt werden könnte.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß zum Problem des Beschleunigungsstreifens eine Judikatur des Obersten Gerichtshofs fehle.

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In seiner Revision hält der Kläger an seiner Rechtsansicht fest, den Erstbeklagten träfe wegen einer massiven Reaktionsverspätung sowie Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit ein Mitverschulden an dem Unfall im Ausmaß eines Drittels.

Die Reaktionsverspätung sei dem Erstbeklagten deshalb anzulasten, weil er auf das Einfahren seines, Klägers, PKW nicht bereits nach Erkennbarkeit dieses Verkehrsvorganges reagiert habe. Eine Berufung auf den Vertrauensgrundsatz dahin, der Erstbeklagte habe mit einem Einfahren des Fahrzeuges in seinen "Fahrkanal" nicht rechnen müssen, scheide aus, weil die Beklagten in der Klagebeantwortung behauptet hätten, der Erstbeklagte habe sofort beim Einfahren des Fahrzeuges in die Bundesstraße eine Reaktion gesetzt, und darüber hinaus eine Verpflichtung zur Benützung des Beschleunigungsstreifens nicht bestehe. Im übrigen weise die Bundesstraße in diesem Bereich eine leichte Fahrbahnkuppe auf, sodaß die Bodenmarkierungen schon bei Tag schwer erkennbar, bei Nacht jedoch für einen aus Richtung S***** kommenden, in die Bundesstraße einbiegenden Fahrzeuglenker aufgrund der geradeaus strahlenden Scheinwerfer ohnedies nicht zu sehen seien, zumal Hinweiszeichen darauf nicht bestünden. Da er, Kläger, unter diesen Umständen sein Fahrzeug sofort auf den rechten Fahrstreifen habe lenken müssen, hätte sein Einfahren in die Bundesstraße vom Erstbeklagten sofort als bedenkliche Verkehrssituation gewertet werden müssen und wäre dieser verpflichtet gewesen, darauf sofort zu reagieren. Dem ist folgendes zu entgegnen:

Bei Beurteilung der Frage, welches Fahrverhalten für die beiden an dem Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeuglenker geboten war, ist von den tatsächlich vorhandenen Verkehrsleiteinrichtungen auszugehen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen weist die Bundesstraße im Bereich der bzw nach der Einmündung der S***** Landesstraße - in der beabsichtigten Fahrtrichtung des Klägers, also Richtung St***** betrachtet - zwei Fahrstreifen auf, von welchen der linke mit Richtungspfeilen nach rechts versehen ist (vgl auch die im Strafakt des Bezirksgerichtes Steyr [6 U 6/91] erliegenden Aufnahmen der Unfallsstelle, und zwar drittes Bild S.31 und erstes und zweites Bild S.33). Der linke mit Richtungspfeilen versehene Fahrstreifen dient zum Einordnen eines von der Querstraße Richtung St***** in die Bundesstraße einfahrenden Fahrzeuges in den von rechts, also aus Richtung B***** H***** kommenden den rechten Fahrstreifen benützenden fließenden Verkehr, dem jedenfalls gegenüber aus der S***** Landesstraße einbiegenden Fahrzeugen im Hinblick auf das im Bereich der S***** Landesstraße angebrachte Vorrangzeichen "Halt" (§ 52 Z 24 StVO) der Vorrang zukommt (§ 19 Abs 4 StVO). Dem Revisionswerber ist wohl darin beizupflichten, daß für einen in eine nicht zur Autobahn erklärte Bundesstraße einfahrenden Fahrzeuglenker keine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung zur Benützung eines vorhandenen Beschleunigungsstreifens im Sinne des § 2 Abs 1 Z 6c StVO besteht, weil die im § 46 Abs 2 StVO normierte Verpflichtung nur für Autobahnen gilt und eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf andere Straßen wegen der Verschiedenheit der Verkehrseinrichtungen und Verkehrsverhältnisse (insbesondere das Bestehen höhengleicher Überschneidungen mit anderen Verkehrswegen und der mangelnden Eignung für den Schnellverkehr) nicht in Frage kommt. Es gelten damit die allgemeinen Fahrregeln der StVO, somit in erster Linie die Bestimmungen deren § 7. Nach § 7 Abs 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges grundsätzlich so weit rechts zu fahren, wie ihm dies unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und dies ohne Gefährdung, Behinderung oder Belästigung anderer Straßenbenützer und ohne Beschädigung von Sachen möglich ist. Wenn es die Verkehrssicherheit erfordert, hat der Lenker eines Fahrzeuges am rechten Fahrbahnrand zu fahren (§ 7 Abs 2 leg cit). § 7 Abs 3 StVO bestimmt für Straßen außerhalb des Ortsgebietes weiters, daß der Lenker eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges auf Straßen mit wenigstens zwei Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung neben einem anderen Fahrzeug fahren darf, wenn es die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs erfordert. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich bei der hier vorhandenen besonderen Ausgestaltung der Kreuzung, daß der Kläger, der ja den Vorrang des Erstbeklagten zu wahren hatte, nach dem Einbiegen in die Bundesstraße nicht in den rechten, vom Erstbeklagten benützten Fahrstreifen einfahren durfte. Aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt sich weiters, daß - in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen - links neben dem dem geradeaus flutenden Verkehr Richtung St***** dienenden Fahrstreifen ein weiterer für den Linksabbiegerverkehr markierter Fahrstreifen vorhanden war, der sich nach der Einmündung der S***** Landesstraße als der bereits beschriebene Beschleunigungsstreifen fortsetzt (vgl auch das erste Bild auf S.31 des Strafaktes). Ausgehend von diesen Verkehrsleiteinrichtungen wäre der Kläger verpflichtet gewesen, aufgrund des herannahenden Fahrzeuges des Erstbeklagten nach dem Einfahren in die Kreuzung in den linken mit den Richtungspfeilen nach rechts versehenen Fahrstreifen einzubiegen, um in der Folge das - nicht als Überholen geltende (§ 2 Abs 1 Z 29 StVO) - Vorbeibewegen des im rechten Fahrstreifen herannahenden Fahrzeuges abzuwarten und sodann ohne Behinderung dieses Verkehrsteilnehmers den notwendig werdenden Wechsel des Fahrstreifens vorzunehmen. War der Kläger aber aufgrund der hier gegebenen Gestaltung der Kreuzung berechtigt, trotz des herannahenden im Vorrang befindlichen Fahrzeuges des Erstbeklagten vorsichtig, also in entsprechend langsamer Fahrweise in die Kreuzung einzufahren und sein Fahrzeug ohne Gefährdung oder Behinderung des im ersten Fahrstreifen herannahenden Kraftfahrzeuges auf dem linken mit Pfeilen nach rechts versehenen Fahrstreifen einzuordnen, so muß dem Erstbeklagten auch zugebilligt werden, daß er im Sinne des § 3 StVO auf ein solches Verhalten des einfahrenden Fahrzeuglenkers vertrauen durfte, zumal er ohnedies den der Geradeausfahrt dienenden Fahrstreifen benutzte und ein Einfahren in die Bundesstraße bis auf Höhe der Verlängerung des Linksabbiegestreifens zu keiner Behinderung seiner Fahrweise führen konnte. Da der Erstbeklagte im Hinblick auf die an der Kreuzung bestehenden Sichtverhältnisse weiters davon ausgehen konnte, der Lenker des einbiegenden Fahrzeuges werde das mit eingeschaltetem Fernlicht herannahende Fahrzeug bemerken, mußte der Erstbeklagte nicht schon das langsame Einfahren (Beschleunigung von 1,0 m/sec2) des Fahrzeuges in den Kreuzungsbereich als verkehrswidriges Verhalten oder als unklare Verkehrslage erkennen, er durfte vielmehr davon ausgehen, der Fahrzeuglenker werde sein Fahrzeug ohne Behinderung des bevorrangten Fahrzeuges auf den linken Fahrstreifen einordnen und erst später ohne seine Fahrt zu behindern den Fahrstreifen wechseln (§ 11 Abs 1 StVO). Ein Vertrauen auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des einbiegenden Kraftfahrzeuglenkers kam für den Erstbeklagten dann nicht mehr in Frage, als es für ihn bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennbar war, der einbiegende Kraftfahrzeuglenker werde nicht den linken Fahrstreifen benützen, sondern in den Bereich des dem bevorrangten Verkehr dienenden Fahrstreifen einfahren. Nach den für die rechtliche Beurteilung der vorliegenden Rechtssache maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen hat der Erstbeklagte in diesem Zeitpunkt durch eine Bremsung seines Fahrzeuges reagiert. Aus der Tatsache, daß der Erstbeklagte in diesem Zeitpunkt bloß eine leichte Bremsung vorgenommen hat, obwohl ihm 0,14 Sekunden früher eine (sofortige) Vollbremsung möglich gewesen wäre, läßt sich allerdings für den Kläger nichts gewinnen, weil dadurch die Kollisionsgeschwindigkeit bloß von 70 auf 60 km/h hätte verringert werden können und es trotzdem im wesentlichen zu den gleichen Unfallsschäden gekommen wäre. In der Ablehnung der Annahme einer relevanten Reaktionsverspätung des Erstbeklagten durch die Vorinstanzen kann somit kein Rechtsirrtum erblickt werden.

Der Revisionswerber beharrt weiters auf seinem Vorwurf, dem Erstbeklagten sei eine überhöhte Fahrgeschwindigkeit anzulasten. Auch hier kann dem Revisionswerber nicht gefolgt werden.

Nach § 20 Abs 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges - daß der Erstbeklagte gegen die Bestimmung des § 20 Abs 2 StVO verstoßen hätte, wurde ihm vom Kläger nicht zum Vorwurf gemacht und ist im Verfahren auch nicht hervorgekommen - die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen so anzupassen, daß er in der Lage ist, sein Fahrzeug zu beherrschen und einer - erkennbaren - Unfallgefahr entsprechend zu begegnen. Die Bundesstraße gewährt im Bereich der Unfallskreuzung, in dem die Fahrbahn etwa 10,6 m breit ist, eine objektive Sicht von 400 bis 500 m. Die Kreuzung selbst ist so gebaut, daß der im Verlauf der Bundesstraße flutende Verkehr durch von der Bundesstraße abbiegende Fahrzeuge nicht behindert wird. Besondere Umstände im Bereich des Straßenverlaufes, die den Verkehr beeinträchtigen könnten, wurden nicht festgestellt. Wenngleich die Fahrbahn infolge leichten Nieselregens naß war, so sind im Verfahren doch keine Umstände hervorgekommen, die die Einhaltung einer geringeren Fahrgeschwindigkeit hätten angezeigt erscheinen lassen. Insoweit der Revisionswerber in seiner Rechtsrüge davon ausgeht, die Bodenmarkierungen seien bei Dunkelheit und Regen wohl kaum erkennbar, bringt er seine Rechtsrüge - von einem nicht festgestellten Sachverhalt ausgehend - nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen dem Erstbeklagten als bevorrangten Verkehrsteilnehmer einer Bundesstraße die Ausschöpfung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht als Mitverschulden anlasteten, so kann darin somit kein Rechtsirrtum erblickt werden, zumal die an den Tag gelegte Fahrweise des Erstbeklagten gegenüber der krassen Vorrangverletzung des Klägers derart in den Hintergrund tritt, daß ein allenfalls darin zu erblickendes Fehlverhalten bei der Verschuldensabwägung zu vernachlässigen wäre.

Die Revision erweist sich damit als unberechtigt, weshalb ihr kein Erfolg beschieden sein konnte.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E30699

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0020OB00071.92.0225.000

Dokumentnummer

JJT_19930225_OGH0002_0020OB00071_9200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten