TE OGH 1993/3/3 7Ob6/93

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Veröffentlicht am 03.03.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stephan D*****, vertreten durch Dr.Gerhard Winterstein, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Fachverband der Versicherungsunternehmungen Österreichs, ***** vertreten durch Dr.Hans Kreinhöfner, Rechtsanwalt in Wien, wegen restlicher S 75.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6.Oktober 1992, GZ 11 R 144/92-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27.Februar 1992, GZ 18 Cg 743/88-24, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das Berufungsurteil dahingehend abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.528,80 (darin S 1.414,80 USt. und S 40,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 10.348,80 (darin S 724,80 Umsatzsteuer und S 6.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 16.6.1986 wurde der Kläger als Autostopper (im Bereich der Autobahnauffahrt Graz-Liebenau) von einem rückwärtsfahrenden PKW zu Boden gestoßen. Er erlitt dadurch einen Bruch des rechten Kahnbeines und eine Schädelprellung mit leichter Gehirnerschütterung. Der Lenker des Fahrzeuges blieb kurz stehen und fuhr dann ohne Bekanntgabe seiner Identität und ohne Erstattung einer Unfallsanzeige bei der Polizei bzw. Gendarmerie davon. Der Kläger begab sich am 17.6.1986 um 13,43 Uhr in die Unfallsambulanz des Allgemeinen Krankenhauses in Wien. Er erlitt durch die Verletzungen insgesamt einen Tag starke, 15 Tage mittelstarke und 50 Tage leichte Schmerzen. Das Berufungsgericht stellte ergänzend fest: In seiner am 8.9.1986 beim Verkehrsunfallkommando Graz erstatteten Anzeige gab der Kläger an, daß er sich vor wenigen Tagen in Dornbirn in seiner Wohnung befunden habe und vom dortigen Gendarmerieposten aufgefordert worden sei, den Verkehrsunfall bei der Polizei in Graz zu melden.

Der Kläger begehrt die Bezahlung von letztlich S 80.000,-- an Schmerzengeld sowie die Feststellung, daß die beklagte Partei ihm sämtliche Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 16.6.1988 zu ersetzen habe. Im Krankenblatt des AKH Wien sei darauf hingewiesen worden, daß die Verletzungen des Klägers auf einen Verkehrsunfall zurückzuführen sind. Der Kläger habe darauf vertrauen können, daß die Klinik eine Pflichtanzeige bei der zuständigen Behörde erstatten werde. Der Kläger habe nach Behandlung seiner Verletzung bei der Bundespolizeidirektion Graz eine Anzeige gegen unbekannte Täter erstattet. Die Nachforschungen seien jedoch ergebnislos geblieben. Den Kläger treffe an der späten Unfallsmeldung bei der Polizei weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit. Er habe durch das Unterlassen der Anzeige den Schaden nicht vergrößert, auch bei einer sofortigen Schadensfeststellung wäre derselbe Schaden eingetreten.

Die Beklagte wendete ein, daß der Kläger den behaupteten Unfall erstmals am 8.9.1986 angezeigt und sohin eine sofortige Anzeige - die möglicherweise zu einer Ausforschung des Täters geführt haben könnte - vorsätzlich unterlassen habe. Bestritten werde, daß ein Unfall wie behauptet stattgefunden habe; an der behaupteten Stelle sei das Autostoppen verboten; dies begründe ein erhebliches Mitverschulden des Klägers.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgerte rechtlich, daß die Vorgangsweise des Klägers nur dahin gewertet werden könne, daß er eine sofortige Anzeigeerstattung vorsätzlich unterlassen habe.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung teilweise dahin ab, als daß es dem Kläger S 75.000,-- s.A. zusprach, das Leistungsmehrsowie das Feststellungsbegehren abwies. Der abweisende Teil dieses Urteiles erwuchs in Rechtskraft. Nach einer Beweisergänzung durch Verlesung des Aktes des Verkehrsunfallskommandos Graz folgerte das Berufungsgericht aus diesen ergänzend und aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen rechtlich, daß sich der Kläger darauf verlassen habe dürfen, daß das ihn behandelnde AKH Wien eine Pflichtanzeige bei der Polizei erstatten werde; zumindest könne die unterlassene Anzeigeerstattung des Klägers unter diesen Umständen nicht als grob fahrlässig gewertet werden. Dem nach § 2 Abs.1 Z 2 VerkehrsopferG anspruchsberechtigten Kläger stehe mangels grob fahrlässiger Verletzung seiner gesetzlichen Obliegenheiten ein angemessenes Schmerzengeld von S 75.000,-- zu.

Rechtliche Beurteilung

Die ao. Revision der beklagten Partei ist zulässig und auch berechtigt.

Nach § 4 Abs.1 Z 1 VerkehrsopferG ist die anspruchsberechtigte Person verpflichtet, das Schadenereignis ohne unnötigen Aufschub der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu melden. Laut Abs.2 leg. cit. hat die vorsätzliche Verletzung dieser Verpflichtung den Verlust des Anspruches zur Folge. Bei grob fahrlässiger Verletzung dieser Verpflichtung bleibt der Anspruch nur insoweit bestehen, als der Umfang des Schadens auch bei gehöriger Erfüllung nicht geringer gewesen wäre. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (506 EBzRV NR XIV.GP, 4) sind diese Pflichten des Anspruchsberechtigten denen der Versicherungsnehmer gemäß Art.8 Abs.2 AKHB 1967, die Rechtsfolgen ihrer Verletzung dem § 6 Abs.3 VersVG nachgebildet. Der § 4 Abs.1 Z 1 VerkehrsopferG trägt schon seinem Wortlaut nach dem Umstand Rechnung, daß durch die Umstände des Unfalls ein Aufschub der Meldung gerechtfertigt sein kann. Durch die Anordnung des Gesetzes wird aber klargestellt, daß unbeschadet des Regelungszweckes, der mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen vorzubeugen, nur gerechtfertigte Aufschiebungsgründe beachtlich sind. Ein gerechtfertigter Aufschiebungsgrund ist zweifellos eine schwere Verletzung des Anspruchsberechtigten. Da die Meldung des Schadenereignisses aber ohne unnötigen Aufschub zu erfolgen hat, ist sie jedenfalls dann zu erstatten, wenn der Verletzte die erforderliche ärztliche Versorgung erhalten hat und in der Lage ist, die Meldung selbst zu erstatten oder durch einen Dritten zu veranlassen (vgl. VR 1991, 257 = ZVR 1992/56, zuletzt 7 Ob 1017/92 vom 21.5.1992). Die vom Kläger erlittenen Verletzungen hätten diesem ohne weiteres erlaubt, die erforderliche Meldung schon am Schadenstag zu erstatten. Dem Kläger wurde bei seiner ärztlichen Behandlung in Wien am Unfallsfolgetag weder zugesagt, daß vom Spital eine Pflichtanzeige und damit auch in seinem Namen eine polizeiliche Anzeige erstattet werde, noch hat er plausible Gründe dafür angegeben, daß er nach den gegebenen Umständen dies annehmen durfte. Daß die Meldung nicht ohne unnötigen Aufschub erfolgte, ist objektives Tatbestandserfordernis der Obliegenheitsverletzung und daher vom Leistungspflichtigen zu beweisen. Dem Anspruchsberechtigten wäre daher im vorliegenden Fall der Beweis oblegen, daß ihm weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt (vgl VR 1991, 257 = ZVR 1992/56 mwN). Dieser Beweis ist dem Kläger nicht gelungen. Entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes im ersten Rechtsgang stellt die behauptete Unkenntnis der zitierten Bestimmung des § 4 VerkehrsopferG keinen Entlastungsbeweis für den Säumigen dar, weil nicht einsichtig ist, daß die einem Anspruchsberechtigten nach dem zitierten Gesetz auferlegte Obliegenheit anderer Natur sein sollte als jene, die einen Versicherungsnehmer trifft (vgl. MGA VersVG3 § 6/59 sowie Prölss-Martin VVG25, 128). Für den Vorsatz genügt das allgemeine Bewußtsein, an der Aufklärung des Sachverhalts nach Kräften mitwirken zu müssen. Dieses Bewußtsein ist bei einem Verkehrsopfer wie bei einem Versicherungsnehmer vorauszusetzen. Sieht man davon ab, daß die Erstattung einer Anzeige bei der Polizei oder Gendarmerie bei einem Unfall mit doch schwereren Verletzungsfolgen und Flucht des schuldtragenden Lenkers nach allgemeinem Rechtsgefühl als verpflichtend angesehen wird, durfte sich der Kläger ohne ausdrückliche Zusage auch nicht darauf verlassen, daß vom Krankenhaus tatsächlich eine Pflichtanzeige erstattet wird, da es hiezu nur bei einem ihm eindeutig erscheinenden Fremdverschulden verpflichtet ist, ein solches aber den Angaben des Klägers nicht unbedingt zu entnehmen ist. Ganz anders war der Sachverhalt der in vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ZVR 1980/30 gelagert, weil der Versicherte dort aus der Mitteilung des Krankenpflegers mit Grund annehmen durfte, daß durch dessen Mitteilungen und Vorgehen seine eigene Anzeigeerstattung entbehrlich geworden ist. Letztlich ist der Kläger den Beweis schuldig geblieben, warum es tatsächlich erst am 8.9.1986 zur Anzeigeerstattung gekommen ist. Auch die ergänzende Feststellung des Berufungsgerichtes führt nicht zur erforderlichen Aufklärung. Hat das Spital, wie unbestritten ist, keine Pflichtanzeige erstattet, so bleibt es mysteriös, wieso der Gendarmerieposten Dornbirn den Kläger vorlädt und ihn zu einer Anzeigeerstattung in Graz auffordert, zumal der Kläger auch in Dornbirn die Anzeige erstatten hätte können. Obwohl das Berufungsgericht bei dieser ergänzenden Feststellung die weiteren Angaben des Klägers, von dem Rechtsanwalt Dr.Ö***** in Dornbirn (der den Klagsanspruch auch vorprozessual geltend gemacht hat) angeblich erstmals auf das VerkehrsopferG und die Verpflichtung zur Anzeigeerstattung aufmerksam gemacht worden zu sein (vgl. AS 61), übergangen hat, bleibt auch danach ungeklärt, wann dies war. Letztlich ist dem Kläger entgegenzuhalten, daß der Sinn des § 4 Abs.1 Z 1 VerkehrsopferG darin liegt, daß durch die möglichst rasche Einschaltung der Behörde doch noch der schuldtragende Lenker ausgeforscht werden kann und andererseits verhindert werden soll, daß mit Angaben zu einem Zeitpunkt, in dem eine Unfallsrekonstruktion nicht mehr möglich ist bzw. sich der Anspruchsberechtigte durch nicht mehr überprüfbare Angaben eine Beweissituation in seinem Sinn verschaffen kann, Leistungen mißbräuchlich in Anspruch genommen werden können. Der Kläger blieb damit den ihn treffenden Nachweis schuldig, daß die Vernachlässigung seiner Verpflichtung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig erfolgt ist. Das Klagebegehren war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E33180

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0070OB00006.93.0303.000

Dokumentnummer

JJT_19930303_OGH0002_0070OB00006_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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