TE OGH 1993/3/11 2Ob521/93

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Veröffentlicht am 11.03.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Monika A*****, geboren am 23.September 1991, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Karim A*****, vertreten durch Dr.Hans Werderitsch, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 26.November 1992, GZ 1 R 483/92-14, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Deutschlandsberg vom 8. Oktober 1992, GZ P 101/91-10, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem außerodentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen weden aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Monika A***** wurde am 23.September 1991 im Landeskrankenhaus Deutschlandsberg von ihrer ehelichen Mutter Dorothea A***** geboren. Diese zeigte bereits im Krankenhaus ein derart auffälliges Verhalten, daß das Kind nach Entlassung der Mutter auf der Säuglingsstation verblieb.

Mit Beschluß vom 29.Oktober 1991 übertrug das Bezirksgericht Deutschlandsberg gemäß § 176 a ABGB der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg als Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge über das Kind. Ein sachliches Gespräch sei mit der Kindesmutter nicht zu führen gewesen. Festzustellen sei, daß deren häusliche Verhältnisse auffallend unordentlich seien und sie daher keineswegs geeignet sei, ein minderjähriges Kind unter diesen Bedingungen aufzuziehen. Der Kindesvater habe der Obsorgeübertragung zugestimmt, weil er - wie sich aus seiner vor der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg aufgenommenen Niederschrift ergibt - "derzeit" nicht in der Lage sei, das Kind selbst zu betreuen.

Das Kind wurde in der Folge auf einem Pflegeplatz untergebracht, weil durch die schon einige Wochen andauernde Stationierung Hospitalisierungsschäden zu befürchten gewesen seien.

Am 10.August 1992 stellte der Kindesvater den Antrag auf Übertragung der Obsorge an ihn. Er verwies dabei auf einen bereits am 11.Februar 1992 an das Jugendamt Deutschlandsberg gerichteten gleichlautenden Antrag. Seine Situation habe sich dahin geändert, daß er seine Tochter in die Wohnung aufnehmen und für diese sorgen könne; als er der Übertragung der Obsorgerechte an den Jugendwohlfahrtsträger zugestimmt habe, habe er die Tragweite seiner Erklärung nicht erfaßt, er wolle diese daher zurücknehmen.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Es stellte fest, daß der Kindesvater nunmehr mit einer aus Bosnien stammenden Lebensgefährtin in einer frisch möblierten Wohnung eines angemieteten Hauses wohne. Es hielt fest, daß unter den derzeit gegebenen Verhältnissen der Kindesvater noch keine gleichgute Pflege anzubieten vermöge wie auf dem Pflegeplatz. Während der Kindesvater sehr gut deutsch spreche und in einem festen Arbeitsverhältnis stehe, sei seine noch minderjährige Lebensgefährtin kaum der deutschen Sprache mächtig. Sie sei als Küchenhilfe in einem Gasthof in H***** beschäftigt, doch sei ihre Arbeitsbewilligung bis zum 31.Dezember 1992 und ihre Aufenthaltsbewilligung bis Februar 1993 befristet. Obgleich dem Kindesvater zuzugestehen sei, sich sehr um sein Kind zu bemühen, werde er sich schon aufgrund seiner Berufstätigkeit der Hilfe anderer Personen bedienen müssen. Seine Lebensgefährtin sei wegen ihres jugendlichen Alters nicht in der Lage, dem Kindesvater bei der Pflege und Betreuung des Kindes in dem Maß beizustehen, daß eine qualitativ gleichwertige Betreuung und Pflege bei den Pflegeeltern erreicht werden könne. Der Antrag sei daher derzeit abzuweisen.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Vater habe selbst keine Möglichkeit gesehen, die Betreuung der Minderjährigen unmittelbar nach ihrer Geburt zu gewährleisten. Es sei nicht ausdrücklich geregelt, unter welchen Voraussetzungen Anordnungen nach § 176 a ABGB wieder aufzuheben seien. Selbstverständlich sei, daß Voraussetzung für eine solche Maßnahme die Endigung der Gefährdung des Wohles des minderjährigen Kindes sein müsse. Es müsse auch mit großer Wahrscheinlichkeit klargestellt sein, daß nunmehr die ordnungsgemäße Pflege und Erziehung durch den antragstellenden Elternteil gewährleistet sei und keine Gefahr mehr bestehe, daß wiederum eine Maßnahme nach § 176 a ABGB angeordnet werden müßte. Es habe daher eine Interessenabwägung dahin stattzufinden, ob die Pflege und Erziehung bei einem Elternteil oder bei den Pflegeeltern besser gewährleistet sei. Auf Wiederherstellung der vollen Obsorgerechte könne nur dann entschieden werden, wenn feststehe, daß dies dem Kindeswohl diene. Über dem elterlichen Interesse stehe das Kindeswohl, das auch durch einen mehrfachen Wechsel der Pflege und Erziehung gefährdet sein könne. Die Minderjährige sei bei ihren Pflegeeltern gut untergebracht und nehme eine günstige Entwicklung. Dem Kindesvater seien seine Bemühungen um das Kind zuzubilligen, doch sei eine ordnungsgemäße Betreuung der Minderjährigen auf Dauer nicht gewährleistet, weil zufolge seiner Berufstätigkeit dessen noch minderjährige Lebensgefährtin, die die deutsche Sprache nur unzureichend beherrsche und deren Aufenthaltsbewilligung mit Februar 1993 befristet sei, die Betreuung des Kindes übernehmen müsse. Eine Rückführung des Kindes in die Obsorge des Vaters sei noch nicht zu verantworten.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Vater dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Gemäß § 176 a ABGB darf das Gericht dem Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge für das Kind nur dann ganz oder teilweise übertragen, wenn das Wohl des Kindes gefährdet und deshalb die gänzliche Entfernung aus seiner bisherigen Umgebung gegen den Willen des Obsorgeberechtigten (vgl hiezu Schwimann in Schwimann, ABGB § 176 a Rz 2) notwendig und seine Unterbringung bei Verwandten oder anderen geeigneten Personen nicht möglich ist. Gemäß § 176 b ABGB, der Ausdruck des Grundsatzes der Familienautonomie ist (1 Ob 602/91; 7 Ob 585/90; Schwimann aaO § 176 b Rz 2), darf das Gericht jedoch die Obsorge durch eine Verfügung nach den §§ 176 und 176 a ABGB nur soweit beschränken, als dies zur Sicherung des Wohls des Kindes erforderlich ist. In Entsprechung des Grundsatzes der Familienautonomie soll daher den Familienmitgliedern die Obsorge so lange gewahrt bleiben, als sich das mit dem Kindeswohl verträgt, sodaß die Beschränkung der Obsorge nur das letzte Mittel sein und nur insoweit angeordnet werden darf, als dies zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist. Das Gericht darf also nur aus schwerwiegenden Gründen davon Gebrauch machen.

Ausdrückliche Vorschriften, ob und wann eine nach § 176 a ABGB getroffene Verfügung aufzuheben ist, enthält das Gesetz nicht. Der erste Senat des Obersten Gerichtshofes (RZ 1990/123) hat bereits ausgesprochen, daß Verfügungen nach § 176 a ABGB nur dann aufzuheben seien, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung nicht mehr gegeben seien. Es komme nicht darauf an, ob die Erziehung bei einer dritten Person für das Kind besser wäre als die ordnungsgemäße Erziehung bei den Eltern (vgl ÖA 1988, 84; 1 Ob 646/87); maßgeblich sei nur, ob bei Übertragung der Obsorge an ein Familienmitglied die Gefährdung des Kindeswohles zu befürchten sei.

Auch der erkennende Senat vertritt die Rechtsmeinung, daß grundsätzlich den Familienmitgliedern primär die Obsorge so lange gewahrt bleiben muß, als sich dies mit dem Kindeswohl verträgt und daß ferner ein Vergleich, ob die Erziehung bei einer dritten Person für ein Kind besser wäre als beim leiblichen Vater, so lange zu unterbleiben hat, als bei Übertragung der Obsorge an diesen eine Gefährdung des Kindeswohles nicht zu befürchten ist.

Nach diesen Grundsätzen hat daher ein Vergleich darüber, ob die Betreuung und Pflege des Minderjährigen durch den ehelichen Vater im gleichen Ausmaß wie bei den Pflegeeltern gewährleistet ist, zu unterbleiben. Es ist daher lediglich darauf abzustellen, ob durch die Rückführung der Obsorge über das eheliche Kind an den ehelichen Vater eine Gefährdung des Kindeswohles zu besorgen ist.

Ausgehend von der vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsmeinung hat aber das Erstgericht Feststellungen darüber unterlassen, ob durch die Übertragung der Obsorge über die minderjährige Monika A***** an ihren Vater eine Gefährdung des Kindeswohls zu befürchten ist, sondern sich darauf beschränkt, festzustellen, daß "derzeit" der Antrag des Vaters auf Übertragung der Obsorgerechte abzuweisen sei, weil eine gleichwertige Pflege und Betreuung nicht erreicht werden könne. Im fortgesetzten Verfahren werden daher konkrete Feststellungen über die Umstände, die zur Übertragung der Obsorge geführt haben und über die nunmehrige Situation des Vaters zu treffen sein. Dabei ist lediglich darauf abzustellen, ob durch die Übertragung der Obsorge des Kindes an den Vater eine Gefährdung des Kindeswohles zu befürchten ist. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß der Vater unmittelbar nach der Geburt erklärte, zwar "derzeit" für sein Kind nicht sorgen zu können, aber bereits im Februar 1992 den Antrag auf Übertragung der Obsorge stellte, sich laufend um das Kind kümmerte, es häufig besuchte und bestrebt war, eine geeignete Wohn- und Betreuungsmöglichkeit zu schaffen.

Diese Feststellungen wird das Erstgericht nach Durchführung geeigneter Erhebungen nachzutragen und danach neuerlich zu entscheiden haben.

Anmerkung

E30715

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:0020OB00521.93.0311.000

Dokumentnummer

JJT_19930311_OGH0002_0020OB00521_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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