Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.Andrea J*****, 2.Monika J*****, 3.Verlassenschaft nach Karoline R*****, 4.Monika K*****, und
5. Brigitte R*****, alle vertreten durch Dr.Hans G.Mondel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.Manfred W*****, und 2.Theresia W*****, beide vertreten durch Dr.Robert Eder, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Aufkündigung einer Wohnungsmiete, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das zum Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 10.August 1992, GZ 10 C 180/92-9, ergangene Berufungsurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 23. November 1992, AZ 21 R 410/92 (ON 14), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht stattgegeben.
Die Kläger sind zur ungeteilten Hand schuldig, den Beklagten die mit 3.768,96 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 628,16 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Auf dem in einer Stadtrandsiedlung gelegenen 958 m2 großen Eckgrundstück wurde etwa 1958 ein Einfamilienhaus errichtet. Im Keller des nur teilweise unterkellerten Gebäudes befinden sich lediglich ein Heizraum und zwei Lagerräume, das Erdgeschoß umfaßt Diele, Wohnraum, Schlafraum, Wohnküche, Speisekammer, Bad und WC, das Dachgeschoß ist nur teilweise mansardenartig ausgebaut. Das beklagte Ehepaar hält seit 1967 sämtliche im Erdgeschoß gelegenen Räume mit dem Recht zur Benützung der zur Beheizung des Hauses dienenden Kellerräume, des südlichen Teiles des Dachgeschoßes sowie des Hausgartens in Bestand.
Die Streitteile regelten das Mietverhältnis im Sinn der mit 4. September 1980 datierten Vertragsurkunde neu. Nach dem Inhalt dieser Urkunde sollte das ab 1.Juli 1979 auf die Dauer von 5 Jahren begründete (erneuerte) Mietverhältnis ohne Kündigung mit Ablauf des 30. Juni 1984 enden. Ungeachtet dieser Regelung sollte den Mietern die Kündigung zum Ende eines jeden Monats unter Einhaltung einer halbjährigen Kündigungsfrist offenstehen. Die Vermieterinnen sollten berechtigt sein, das Mietverhältnis sofort für aufgehoben zu erklären und die Räumung des Mietobjektes zu begehren, wenn die Mieter länger als ein Monat mit dem Mietzins oder den von ihnen zu tragenden Betriebskosten im Rückstand sind oder wenn die Mieter zahlungsunfähig werden oder über ihr Vermögen das Konkurs- oder Ausgleichsverfahren eröffnet wird.
Als monatlicher Mietzins wurde ein nach dem Verbraucherpreisindex 1976 wertgesicherter Betrag von 2.000,-- S zuzüglich 8 % Mehrwertsteuer vereinbart; daneben hatten die Mieter "die durch die Benützung der Mieträume verbundenen Betriebskosten, insbesondere für Strom, Müllabfuhr, Beheizung und Wasser sowie Kanalgebühren zu bezahlen".
Nach Ablauf der schriftlich festgelegten Fünfjahresfrist unternahmen die Klägerinnen nichts gegen die fortdauernde Benützung der Bestandsache durch die Beklagten.
Infolge Anwendung der vereinbarten Wertsicherung beträgt der zuletzt vorgeschriebene Monatsmietzins 3.014,-- S zuzüglich Umsatzsteuer und Betriebskosten.
Die Kläger behaupteten eine Nutzfläche des Mietgegenstandes von 137,68 m2 sowie das Vorhandensein aller nach § 16 Abs 2 Z 1 MRG erwähnten Ausstattungskriterien der Kategorie A. Der im Sinne der Wertsicherungsvereinbarung entrichtete monatliche Mietzins von 3.014,-- S ist höher als 2/3 des sich nach den (von den Beklagten bestrittenen) Behauptungen der Kläger gemäß § 16 Abs 2 MRG ergebenden Kategoriemietzinses (§ 45 Abs 1 Z 1 MRG).
Mit anwaltlichem Schreiben vom 14.Oktober 1991 behaupteten die Vermieterinnen unter Anschluß entsprechender Kostenvoranschläge, daß für heranstehende Reparaturen 465.211,-- S veranschlagt werden müßten, und zwar im einzelnen
für eine vollständige Dacherneuerung
einschließlich Dachspenglerarbeiten 244.830,-- S,
für die Erneuerung von 14 Fenstern 106.512,-- S,
für die Erneuerung von 3 Natursteinpfeilern
der Garteneinfahrt einschließlich Fundament-
erneuerung 48.240,-- S
und für die Erneuerung des Gartentürls und
die Reparatur des Gartentores 43.476,-- S
zuzüglich 5 % Überwachung 22.153,--S.
Als verrechenbare Mietzinsreserve sei nur
ein Betrag von 26.013,--S
vorhanden; daraus ergäbe sich ein Felbetrag von 439.198,--S
zuzüglich Kreditbeschaffungskosten von 39.528,--S
und daher ein ungedeckter Betrag von 478.726,--S.
Das erfordere einen monatlichen Tilgungsbetrag
von 6.743,25 S
zuzüglich verschiedener Ausgaben der Vermie-
terinnen von monatlich 833,-- S
und daher einen Monatsbetrag von 7.576,25 S.
Die Kläger setzten den Beklagten für den Abschluß einer "verbindlichen Vereinbarung über die Tragung der Kosten durch die Mieter" eine Frist bis 30.Oktober 1991 und stellten für den Fall des fruchtlosen Verstreichens der gesetzten Frist eine Änderungskündigung in Aussicht.
Für heranstehende Erhaltungsarbeiten bietet eine Mietzinsreserve keine Deckung.
Die Klägerinnen kündigten den Beklagten die Wohnungsmiete zum 31. August 1992 gerichtlich auf. Als Kündigungsgründe führten sie wörtlich aus: "Das Bestandobjekt ist ein Einfamilienhaus, das gem. § 1 (4) Z 2 MRG nicht nur den Bestimmungen des Kündigungsschutzes unterliegt. Der derzeitige monatliche Mietzins beträgt S 3.315,46. Wenn ein Erhaltungsbeitrag bei Anwendung des § 45 MRG vorgeschrieben würde, beträgt dieser bei einer Wohnfläche von 137,68 m2, ausgehend von Kategorie A, weniger als der derzeit vorgeschriebene Hauptmietzins. Es müssen dringend erforderliche Reparaturen, nämlich Dachreparatur, Fensterreparatur, Gartentorreparatur, Reparatur der Fundamente und Gartentorpfeiler vorgenommen werden, Mietzinsreserve ist keine vorhanden, da die kündigende Partei zwischenzeitig die Kosten für den Kanalanschluß an die Stadtgemeinde Salzburg bezahlen mußte. Wir haben die Gekündigten aufgefordert, einen angemessenen Hauptmietzins zur Deckung der notwendigen Erhaltungarbeiten zu bezahlen, die Gekündigten haben sich dazu nicht bereiterklärt. Es liegen daher die Voraussetzungen für eine Änderungskündigung vor (Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht MGA19 Rz 11 zu § 30 MRG, OGH 21.11.1989, 5 Ob 619/89). Da demnach der Pauschalmietzins nicht die Erhaltungskosten deckt, sprechen wir die Kündigung aus (MietSlg 39.414/38)."
Der über diese Kündigung ergangene Gerichtsbeschluß wurde den Beklagten am 23.Januar 1992 zugestellt.
Die Beklagten bestritten das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Das Instrument der Änderungskündigung nach der Art des § 19 Abs 2 Z 15 MG sei vom Gesetzgeber des MRG bewußt nicht übernommen worden. Für Altverträge bestünde nur die Anpassungsmöglichkeit durch Einhebung von Erhaltungsbeiträgen unter den Voraussetzungen und mit den Rechtsfolgen des § 45 MRG.
Die Kläger erachteten dagegen in Fällen der vorliegenden Art eine Kündigung im Sinn des § 30 Abs 1 MRG deshalb für zulässig, weil ein auffallendes Mißverhältnis zwischen dem (monatlichen) Mietwert von 15.000,-- S bis 18.000,-- S und dem vereinbarten Mietzins von knapp über 3.000,-- S bestünde.
Das Prozeßgericht erster Instanz hob die Aufkündigung auf und wies das auf diese gestützte Räumungsbegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil in der Hauptsache. Dazu sprach es aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.
Beide Vorinstanzen legten ihrer rechtlichen Beurteilung zugrunde, daß das aufgekündigte Wohnmietverhältnis im Sinne des § 1 Abs 4 Z 2 MRG nur den kündigungsrechtlichen, nicht aber auch den mietzinsbildenden Vorschriften des MRG unterworfen sei, daß eine Anpassung eines Altvertrages in Ansehung des Hauptmietzinses grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 45 MRG möglich wäre und daß eine Änderungskündigung deshalb ohne Rücksicht darauf ausgeschlossen bleibe, ob im Einzelfall die Vorschreibung eines Erhaltungsbeitrages zulässig wäre oder nicht. Dazu erklärte das Berufungsgericht, aus den in SZ 60/59 dargelegten Erwägungen einer teilweise abweichenden jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Sinne der E WoBl 1990/81 nicht folgen zu wollen.
Die Klägerinnen fechten das bestätigende Berufungsurteil wegen qualifiziert unrichtig gelöster Frage nach der Zulässigkeit einer Änderungskündigung im Fall eines ungedeckten Erfordernisses zur Durchführung notwendiger Erhaltungsarbeiten bei Abgang der Voraussetzungen für die Einhebung eines Erhaltungsbeitrages und damit einer Unanwendbarkeit der Mietzinserhöhung nach § 18 MRG mit einem auf Wirksamerklärung der Aufkündigung gerichteten Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.
Die Beklagten streben die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.
Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung der Rechtssache von der Schließung einer Gesetzeslücke abhängt, die im Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung darüber zu erblicken ist, ob und wie ein kündigungsrechtlich geschützter Bestandvertrag mit frei vereinbartem Mietzins, der aber nicht einmal notwendige Erhaltungsarbeiten abzudecken in der Lage wäre, den gegebenen Verhältnissen anzupassen wäre. Diese Frage wurde bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur in einem obiter dictum behandelt.
Die Revision ist im Ergebnis nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Das Mietverhältnis beruht auf einem vor dem Inkrafttreten des MRG geschlossenen Altvertrag. Gemäß § 43 Abs 1 MRG unterliegt es dennoch grundsätzlich den Regelungen des 1.Hauptstückes des MRG. Mietgegenstand ist eine Wohnung in einem Einfamilienhaus, sodaß die Kündigungsschutzbestimmungen der §§ 14 sowie 29 bis 36 und die Übergangsregelungen der §§ 45, 46 und 49 MRG zu gelten haben. Die Parteien hatten eine im Sinne des § 16 Abs 1 Z 4 MG zulässige freie Zinsvereinbarung getroffen. Der vertraglichen Bindung an die Zinsvereinbarung unter Beschränkung der einseitigen Vertragsauflösung auf die Fälle eines gesetzlich anerkannten wichtigen Grundes trug seinerzeit der Gesetzgeber des MRÄG durch die Einführung des Kündigungsgrundes nach § 19 Abs 2 Z 15 MG Rechnung. Mit der Einführung des MRG blieb die vertragliche Bindung an die Zinsvereinbarung aufrecht; ein dem § 19 Abs 2 Z 15 MG entsprechender Kündigungsgrund ("Änderungskündigung") fand aber in den Katalog des § 30 Abs 2 MRG nicht Aufnahme.
Soweit es sich um die Beseitigung einer allgemeinen, nicht besonders qualifizierten Äquivalenzstörung handelt, schafft § 45 MRG zwar keine volle, aber eine teilweise Anpassungsmöglichkeit durch das Instrument des Erhaltungsbeitrages; macht der Vermieter von dieser Möglichkeit einer Einhebung des Erhaltungsbeitrages Gebrauch, unterliegt das Mietverhältnis über ein in einem Einfamilienhaus gelegenen Mietgegenstand mit Ausnahme der Kategoriemietzinsregelungen des § 16 Abs 2 MRG auch den Zinsbildungsvorschriften des MRG und damit auch einer Mietzinserhöhung im Sinne des § 18 MRG.
Fehlt es jedoch - wie in dem zur Entscheidung vorliegenden Fall - an den Voraussetzungen für die Einhebung eines Erhaltungsbeitrages, weil der tatsächlich entrichtete Hauptmietzins höher ist als 2/3 des sich für die Wohnung errechnenden Kategoriemietzinses nach § 16 Abs 2 bis 4 MRG (oder aber auch weil kein Altvertrag vorliegt), kann § 18 MRG nicht im Wege des § 45 Abs 5 MRG anwendbar werden.
Es besteht aber kein Zweifel daran, daß die Anerkennung eines bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit privatautonom vereinbarten Mietzinses in den Fällen des § 1 Abs 4 Z 2 MRG über die Beschränkung der Auflösbarkeit des Mietvertrages durch die kündigungsschutzrechtlichen Regelungen einen Anspruch des Vermieters auf angemessene Mietzinserhöhung in den Fällen des § 18 MRG nicht ausschließen sollte. In einem solchen Ausschluß läge nicht nur ein eindeutiger gesetzesimmanenter Wertungswiderspruch, sondern auch eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung der Vermieter von Objekten in einem Ein- oder Zweifamilienhaus.
Deshalb ist in Ansehung des auch einem Vermieter eines nach § 1 Abs 4 Z 2 MRG qualifizierten Mietgegenstandes unter den Voraussetzungen des § 18 MRG nicht zu verwehrenden Mietzinserhöhungsanspruches eine Gesetzeslücke anzunehmen.
Das bedeutet aber noch nicht, daß eine solche Lücke durch das erst mit dem MRÄG in den Tatbestandskatalog der Kündigungsgründe nach § 19 Abs 2 MG aufgenommene Institut der Änderungskündigung, welches das MRG nicht mehr kennt, zu schließen wäre.
Viel näher und systemgerechter liegt vielmehr trotz positiv-rechtlich
angeordneter Nichtgeltung der §§ 18 und 19 MRG im § 1 Abs 4 MRG die
analoge Anwendung dieser Regelungen, weil der Anspruch auf
Mietzinserhöhung im Falle nicht gedeckter Erhaltungsarbeiten auch in
diesen Fällen nicht verneint werden darf und mangels Einigung der
Mietvertragsparteien der zulässige Hauptmietzins erst durch
gerichtliche Entscheidung festgestellt werden sollte, ehe
kündigungsrechtliche Folgerungen zu erwägen wären, deren
Rechtfertigung erst nachträglich an Hand der materiellrechtlichen
Lage nach § 18 MRG aber im streitigen und nicht im sonst vorgesehenen
außerstreitigen Verfahren erfolgen müßte. Vor allem stellt aber
grundsätzlich die bloße Mietzinsanpassung gegenüber der
vorweggenommenen Beendigung des Mietverhältnisses den geringeren
Eingriff dar und die gesetzlich geregelte Mietzinserhöhung im Sinne
der §§ 18 und 19 MRG bietet auch eine bessere Gewähr für die
widmungsgemäße Verwendung der erhöhten Zinse.
Das bloße Zurückbleiben eines zulässigerweise frei vereinbarten
Hauptmietzinses unter dem nach den Zinsbildungsvorschriften des MRG
zulässigen Zinsmaß rechtfertigt - außerhalb der Regelung des § 45 MRG
- keine Vertragsanpassung, wohl aber eine nach § 18 MRG qualifizierte
Unzulänglichkeit des vereinbarten Hauptmietzinses zur Deckung
notwendiger Erhaltungsarbeiten. Eine derartige Anpassung ist nicht
mittelbar im Wege der dem MRG nicht mehr bekannten
Änderungskündigung, sondern vielmehr unmittelbar durch Antragstellung
im Sinn des § 19 MRG, der ebenso wie § 18 analog zur Lückenfüllung
heranzuziehen ist, zu erreichen. Erst eine qualifizierte Säumnis mit
der Zahlung eines solcherart erhöhten Mietzinses erfüllte dann einen Kündigungs- oder Vertragsaufhebungsgrund.
Aus diesen Erwägungen liegt in der Aufhebung der im Sinn einer
Änderungskündigung gemäß § 30 Abs 1 MRG ausgesprochenen Aufkündigung als rechtsunwirksam kein Rechtsirrtum.
Der Revision war ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf
den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E33043European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:0060OB00516.93.0311.000Dokumentnummer
JJT_19930311_OGH0002_0060OB00516_9300000_000