TE OGH 1993/3/18 10ObS41/93

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Veröffentlicht am 18.03.1993
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Karl Dirschmied (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Nikola K*****, derzeit ohne Beschäftigung,***** vertreten durch Dr.Hermann Sperk, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.November 1992, GZ 33 Rs 101/92-68, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20.Jänner 1992, GZ 13 Cgs 1230/88-63, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 7.Oktober 1988 wurde der Anspruch des Klägers auf Leistungen gemäß § 173 ASVG aus Anlaß einer Lungenerkrankung und einer Urogenitaltuberkulose, die er mit seiner beruflichen Beschäftigung in Zusammenhang brachte, abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß nach dem Ergebnis des Feststellungsverfahrens beim Kläger keine Berufskrankheit gemäß § 177 ASVG vorliege.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab dem 30.Oktober 1974 und Feststellung, daß die Gesundheitsstörung Folge einer von ihm erlittenen Berufskrankheit im Sinn des Gesetzes sei, nämlich einer solchen nach Nr 26a oder 26b der Anlage 1 zum ASVG. Er sei in Österreich durch ständiges Einatmen von Zementstaub im Zuge der von ihm verrichteten Arbeiten an Staublunge erkrankt. Diese Berufskrankheit sei bereits 1974 aufgetreten.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Eine beruflich verursachte Staublungenerkrankung liege beim Kläger nicht vor.

Das Erstgericht stellte fest, daß die Gesundheitsstörung des Klägers nicht Folge einer von ihm erlittenen Berufskrankheit im Sinne des Gesetzes sei und wies das Klagebegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab dem 30.Oktober 1974 ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger war ab 1967 in Österreich beschäftigt, zunächst ungefähr drei Jahre lang bei der Firma H***** in Villach. In dieser Zeit versah er vor allem eine Tätigkeit an der Mischmaschine, bei welcher auch eine Zementstaubexposition vorlag. In weiterer Folge war er bei der Firma K***** in Villach etwa ein Jahr lang als Maurer und Straßenarbeiter beschäftigt. Dabei mußte er Schalungsarbeiten in Kanälen vornehmen, wobei er ebenfalls staubexponiert war. Die Untersuchung des Klägers durch einen Sachverständigen für Lungenheilkunde am 5.September 1991 ergab einen verkalkten Hiluslymphknoten links und zystische Veränderungen in beiden Oberfeldern, jedoch keine Hinweise auf intrapulmorale Herde und keinen Hinweis auf eine Funktionsbeeinträchtigung von Atmung und Kreislauf. Beim Vorliegen einer Silikose oder Silikotuberkulose kommt es zu knötchenförmigen Veränderungen in der Lunge; im Lauf der Erkrankung kann sich eine Funktionsbeeinträchtigung von Atmung oder Kreislauf entwickeln. Sowohl die Röntgenuntersuchung der Lunge als auch der Tomographiebefund der Lunge ergaben beim Kläger keinen Hinweis auf das Vorliegen von Herden, die Knötchen entsprechen könnten, hervorgerufen durch Siliziumstaub. Die genauen Schichtaufnahmen ergaben lediglich verkalkte Veränderungen im linken Hilus mit zystischen Veränderungen in beiden Oberlappen, also einen Befund, der einer früher durchgemachten Tuberkulose entsprechen kann, der aber nicht bei Exposition mit Siliziumstaub auftritt. Es findet sich beim Kläger kein Hinweis auf eine Beeinträchtigung der Funktion der Bronchien, der Lunge oder des Herzens. Insbesondere besteht kein Hinweis auf das Vorliegen einer Silikose oder einer Silikotuberkulose.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß nach den Tatsachenfeststellungen beim Kläger eine Berufskrankheit im Sinn des § 177 ASVG, Nr 26a oder 26b der Anlage 1 zum ASVG (Staublungenerkrankungen in Form von Silikose oder Silikatose bzw Silikotuberkulose) nicht vorliege. Demgemäß sei festzustellen, daß die Gesundheitsstörung des Klägers nicht Folge einer von ihm erlittenen Berufskrankheit im Sinn des Gesetzes sei und sein Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen der gerügten Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, erachtete die erstgerichtlichen Feststellungen, die auf einem nachvollziehbaren und unbedenklichen Gutachten des lungenfachärztlichen Sachverständigen basierten, als schlüssig und übernahm sie als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer zutreffenden Beweiswürdigung. Zur Rechtsrüge des Klägers führte das Berufungsgericht aus, der Kläger wiederhole im wesentlichen seine Ausführungen zur Beweisrüge und Mangelhaftigkeit des Verfahrens, sodaß die Rechtsrüge insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt sei. Das Erstgericht sei ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß weder eine Staublungenerkrankung (Silikose oder Silikatose) mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf (Nr 26a) noch eine Staublungenerkrankung in Verbindung mit aktiv-fortschreitender Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose, Nr 26b) vorliege. Auch für eine andere Berufskrankheit gebe es keinen Anhaltspunkt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO liegt nicht vor. Aus diesem Grund kann die Revision begehrt werden, wenn dem Urteil des Berufungsgerichtes in einem wesentlichen Punkte eine tatsächliche Voraussetzung zugrunde gelegt erscheint, die mit den Prozeßakten im Widerspruch steht. Es muß ein Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und der darauf beruhenden wesentlichen Tatsachenfeststellung vorliegen, der nicht das Ergebnis eines richterlichen Werturteils ist (Fasching ZPR2 Rz 1771). Ist das Abweichen der Urteilsfeststellungen von den tatsächlichen Angaben des Prozeßaktes das Ergebnis eines richterlichen Werturteils über die Wahrheit und Richtigkeit dieser Tatsachen, dann ist die Bekämpfung des Abweichens eine im Revisionsverfahren unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung (Fasching aaO Rz 1914). Die Beweiswürdigung der Vorinstanzen kann nämlich im Revisionsverfahren nicht überprüft werden. In der Übernahme der erstgerichtlichen Feststellungen durch das Berufungsgericht kann schon begrifflich eine Aktenwidrigkeit nicht liegen (10 Ob S 200/92).

Das Berufungsgericht wies bei Behandlung der Mängelrüge darauf hin, daß dem lungenfachärztlichen Sachverständigen bei seiner Untersuchung und Gutachtenserstattung sämtliche vom Kläger vorgelegten Befunde zur Verfügung gestanden seien und er sich auch damit im Gutachten auseinandergesetzt habe; ein Teil dieser Befunde sei dem Gutachten angeschlossen. Die Behauptung des Revisionswerbers, diese Begründung des Berufungsgerichtes sei unzutreffend, ist nicht die Darlegung einer Aktenwidrigkeit im oben bezeichneten Sinn, sondern eine Bekämpfung der Beweiswürdigung.

Auch der weitere Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO ist nicht gegeben. Der Revisionswerber meint, das Berufungsgericht habe sich nicht ausreichend mit seiner Mängel- und Beweisrüge auseinandergesetzt, es habe insbesondere keinen weiteren Sachverständigen beigezogen, die behandelnden Ärzte nicht als Zeugen vernommen und insbesondere auch keine weiteren Untersuchungen durchgeführt. Dabei wird übersehen, daß eine mangelhafte oder unzureichende Beweiswürdigung unter dem Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO nur angefochten werden kann, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge überhaupt nicht befaßt hat. Schon eine knapp gehaltene Begründung, die noch erkennen läßt, daß eine Überprüfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung stattgefunden hat, genügt (SSV-NF 1/49 u.a.). Das angefochtene Urteil wird diesen Ansprüchen an die Begründungspflicht gerecht; es hat sich insbesondere mit dem prozeßentscheidenden Gutachten des lungenfachärztlichen Sachverständigen Prim.Dr.V***** eingehend auseinandergesetzt. Ob ein Sachverständigengutachten die getroffenen Feststellungen rechtfertigt, gehört in das Gebiet der irrevisiblen Beweiswürdigung (SSV-NF 3/160). Ob die Vorinstanzen verpflichtet gewesen wären, weitere Beweise aufzunehmen, ist gleichfalls als Frage der Beweiswürdigung vom Revisionsgericht nicht zu untersuchen (10 Ob S 232/92, 10 Ob S 257/92, 10 Ob S 333/92 u.a.).

Ausgehend von den das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen muß auch die Rechtsrüge versagen. Als Berufskrankheiten gelten die in der Anlage 1 zum ASVG bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind (§ 177 Abs 1 ASVG). Der Kläger behauptet, berufsbedingt an einer Staublungenerkrankung zu leiden, also entweder an einer Staublungenerkrankung (Silikose oder Silikatose) mit objektiv feststellbarer Leistungsminderung von Atmung oder Kreislauf (laufende Nr 26a der Anlage) oder an einer Staublungenerkrankung in Verbindung mit aktiv-fortschreitender Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose, laufende Nr 26b der Anlage). Ob eine solche Erkrankung vorliegt, ist eine unter Berücksichtigung medizinischer Erkenntnise zu beantwortende Tatfrage (vgl Funk, Versicherungsrechtliche Probleme zur Berufskrankheit Staublungenerkrankung SozSi 1962, 254). Nach den Feststellungen finden sich beim Kläger keinerlei Hinweise für das Vorliegen einer derartigen Staublungenerkrankung. Den umfangreichen Ausführungen zur Rechtsrüge ist nicht zu entnehmen, inwieweit die Vorinstanzen diesen Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt hätten. Eine Anfechtung der Ergebnisse von Sachverständigengutachten, die die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrunde legten, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung ist nur insoweit möglich, als dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze und zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdruckes unterlaufen ist und daß die Unrichtigkeit des Gutachtens zur Folge hat (SSV-NF 2/74 u.v.a.). Derartige Mängel des lungenfachärztlichen Gutachtens werden in der Revision nicht aufgezeigt. Daß der Sachverständige trotz einer angenommenen mehrjährigen Staubexposition keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Silikose finden konnte, bedeutet keinen Verstoß gegen zwingende Denkgesetze, sondern läßt sich vielmehr damit erklären, daß nicht alle Staubexpositionen zu Staublungenerkrankungen führen müssen. Im übrigen stellen die Rechtsausführungen des Revisionswerbers neuerlich den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger nach Billigkeit sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht dargetan.

Anmerkung

E32260

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00041.93.0318.000

Dokumentnummer

JJT_19930318_OGH0002_010OBS00041_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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