Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Karl Dirschmied (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf H*****, vertreten durch Dr.Eduard Pranz, Dr.Oswin Lukesch und Dr.Anton Hintermeier, Rechtsanwälte in St.Pölten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. November 1992, GZ 34 Rs 77/92-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 13.März 1992, GZ 7 Cgs 147/91-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Berufung und der Revision sind weitere Verfahrenskosten
Text
Begründung:
Der am 25.6.1955 geborene Kläger hat innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1.11.1990) 67 Versicherungsmonate in verschiedenen Branchen erworben. Er war als Hilfsarbeiter und Baggerfahrer beschäftigt. Einen Beruf erlernte er nicht. Seit 18.11.1986 geht er keiner pflichtversicherten Tätigkeit nach. Er begehrt die Gewährung einer Invaliditätspension.
Mit Bescheid vom 10.4.1991 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mangels Invalidität ab.
Die dagegen erhobene Klage wies das Erstgericht ab und stellte fest:
Der Kläger kann bei einer Allergie gegen Kobaltchlorid und Nickelsulfat leichte und mittelschwere Arbeiten in der normalen Arbeitszeit in jeder Körperhaltung verrichten. Ausgeschlossen sind Arbeiten, die ein dauerndes oder häufiges Bücken oder ein dauerndes Stehen verlangen sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Einordenbarkeit, Unterweisbarkeit sowie die Möglichkeit des Tages- und Wochenpendelns ist gegeben. Übersiedeln scheidet aus. Der Anmarschweg ist nicht eingeschränkt.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Kläger, der keinen Beruf erlernt oder angelernt habe, könne noch auf zahlreiche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, beispielsweise auf Sortier- und Verpackungsarbeiten, Adjustier- und Klebearbeiten oder auf Kontrollarbeiten verwiesen werden. Deshalb seien die Voraussetzungen des § 255 Abs 3 ASVG nicht erfüllt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Der Kläger könne im Rahmen seines Leistungskalküls die von ihm auch tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des Staplerfahrers verrichten. Berufsschutz komme ihm nicht zu. Der qualifiziert vertretene Kläger habe nicht nachgewiesen, daß er Fähigkeiten und Kenntnisse erworben habe, die denen eines Lehrberufes entsprechen. Das Vorbringen, als Raupen-, Bagger- und LKW-Fahrer gearbeitet zu haben, ließe nicht auf Kenntnisse eines KFZ-Elektrikers, KFZ-Mechanikers, Landmaschinenmechanikers, Motorenschlossers oder Berufskraftfahrers schließen.
Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist berechtigt.
Der Kläger brachte in der Klage vor, über 25 Jahre als Bagger- und Raupenfahrer mit diesem Gerät schwierigste Aufgaben verrichtet zu haben, sodaß er aufgrund des Umstandes, daß er in einem sogenannten angelernten bzw erlernten Beruf tätig war, Berufsschutz genieße. In seiner Parteienvernehmung führte er aus, als Raupen-, Bagger- und LKW-Fahrer gearbeitet zu haben. Erst in der Berufung wies er darauf hin, auch Wartungsarbeiten durchgeführt zu haben, während er nach den Revisionsausführungen darüberhinaus auch Reparaturarbeiten verrichtet haben will.
Ob Berufsschutz vorliegt, gehört zur rechtlichen Beurteilung. Die Feststellung der Kenntnisse und Fähigkeiten über die der Versicherte verfügt, zur Tatfrage (SSV-NF 1/48, 3/70, 4/80).
Die Fähigkeiten und Kenntnisse eines Bagger- und Raupenfahrers wie auch eines Lenkers eines LKW sind im weitesten Sinne Tätigkeiten, die auf die gleiche Art auszuführen sind, wobei unterschiedliche Manipulations- und Geschicklichkeitsanforderungen gestellt sind.
Der Beruf eines Kraftfahrers ist nur dann ein angelernter Beruf, wenn die erworbenen Kenntnisse über die für jeden Kraftfahrer notwendigen Kenntnisse undFähigkeiten hinausgehen und damit Kenntnisse und Fähigkeiten erworben wurden, die jenen in dem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Die in der Praxis erworbenen Kenntnisse müssen zwar nicht jene eines bestimmten gesetzlich geregelten Lehrberufes sein, sondern den in einem Lehrberuf erworbenen besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten an Qualität und Umfang nur entsprechen. Es reicht aber nicht aus, wenn die Kenntnisse und Fähigkeiten nur ein Teilgebiet eines Tätigkeitsbereiches umfassen, der von gelernten Arbeitern in viel weiterem Umfang beherrscht wird (SSV-NF 1/70, SSV-NF 1/48, SSV-NF 2/66).
Das Erstgericht traf keine Feststellungen über den Inhalt der Berufstätigkeit des Klägers. Es ist zwar richtig, daß der Kläger nur vorbrachte, "mit solchen Geräten" schwierigste Aufgaben verrichtet zu haben, was keinen Hinweis auf qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zuläßt. Er behauptete aber bereits in der Klage Berufsschutz zu haben.
Aus der Feststellung Bagger-, Raupen- und LKW-Fahrer läßt sich ohne Kenntnis der Inhalte der Berufstätigkeit nichts über eine berufliche Qualifikation ableiten.
Die Klärung der Frage, ob ein Versicherter Berufsschutz genießt, ist in allen Fällen, in denen ausgehend vom Bestehen eines Berufsschutzes die Verweisbarkeit in Frage gestellt ist, unabdingbare Entscheidungsvoraussetzung. Wenn nach dem Inhalt des Prozeßvorbringens hierüber keine Klarheit besteht und nach der Aktenlage nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden kann, daß der Kläger als einfacher Hilfsarbeiter tätig war, hat das Gericht aufgrund der Bestimmungen des § 87 Abs 1 ASGG diese Frage von Amts wegen zu überprüfen, mit den Parteien zu erörtern und hierüber Feststellungen zu treffen (SSV-NF 4/119, 6/46 ua). Nur dann, wenn jeglicher Anhaltspunkt dafür fehlt, daß ein Versicherter eine angelernte Tätigkeit ausgeübt hat, bedarf es keiner weiteren Erhebungen und Feststellungen über die genaue Art der Hilfsarbeitertätigkeit (SSV-NF 6/46).
Der Kläger hat die Tätigkeit eines Raupen-, Bagger- und LKW-Fahrers bewiesen und darüber hinaus behauptet, Berufsschutz zu genießen. Über den Inhalt der Tätigkeit wurde er nicht befragt, sodaß er seine aufgestellten Behauptungen über den erworbenen Berufsschutz gar nicht nachweisen konnte. Was er unter Berufsschutz versteht, ist daher nicht aufgeklärt worden. Sein Vorbringen erst in den Rechtsmittelschriften, auch Wartungs- und Reparaturarbeiten verrichtet zu haben, kann nicht als Verstoß gegen das auch in Sozialrechtssachen herrschende Neuerungsverbot erblickt werden, weil die Frage des Berufsschutzes eine auch von Amts wegen zu überprüfende unabdingbare Entscheidungsvoraussetzung für den vom Kläger behaupteten Berufsschutz ist (SSV-NF 4/119).
Ob der Kläger daher nur Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die über jene, die von jedem Raupen-, Bagger- und LKW-Fahrer schon auf Grund der erworbenen Berechtigung diese Fahrzeuge zu lenken allgemein verlangt und in der Praxis erworben werden (wozu durchaus auch kleinere Wartungs- und Reparaturarbeiten gehören können), nicht wesentlich hinausgehen, oder er weitergehende Kenntnisse und Fähigkeiten aufweist, wie sie etwa von einem Kraftfahrzeugelektriker, Kraftfahrzeugmechaniker, Landmaschinenmechaniker, Motorenschlosser oder Berufskraftfahrer verlangt werden (SSV-NF 2/66), wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren festzustellen haben. Es fehlen auch Feststellungen, ob der Kläger die bisher ausgeübte Tätigkeit auf Grund seines Leistungskalküls weiterhin verrichten könnte.
Wegen der dargestellten Feststellungsmängel waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Berufung und der Revision beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E32526European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00044.93.0318.000Dokumentnummer
JJT_19930318_OGH0002_010OBS00044_9300000_000