Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Egon G*****, vertreten durch Dr.Georg Hahmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ***** B***** GmbH, ***** D-5600 Wuppertal 11, vertreten durch Dr.Roland Deissenberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 500.000 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 10. September 1992, GZ 5 R 119/92-14, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 3.Februar 1992, GZ 31 Cg 142/91-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben, die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gleich Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.
Text
Begründung:
Der Kläger macht Ansprüche nach § 25 HVG geltend. Er brachte hiezu vor, ab dem 1.August 1986 für die beklagte Partei in Österreich als Handelsvertreter tätig und vorwiegend mit der Zuführung von Neukunden beschäftigt gewesen zu sein. Das Vertragsverhältnis sei mit Wirkung vom 30.September 1990 gekündigt worden. Während der Dauer des Vertragsverhältnisses seien provisionspflichtige Aufträge in der Höhe von S 21,156.687 getätigt worden, der Provisionsanspruch habe S 2,115.668,70 betragen. Ihm stehe daher ein Ausgleichsanspruch zumindest in Höhe des Klagebegehrens zu.
Die beklagte Partei wendete zunächst die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ein, führte weiters aus, daß auf den Vertrag deutsches Recht anzuwenden sei, weil die Streitteile einen in Deutschland üblichen, von der deutschen Wirtschaftsvereinigung Groß- und Außenhandel herausgegebenen Formularvertrag unterfertigt und dadurch konkludent zum Ausdruck gebracht hätten, daß der Vertrag deutschem Recht unterstellt werde. Das Vertragsverhältnis sei wegen Auflassung einer von der beklagten Partei hergestellten und vom Kläger vertriebenen Kollektion aufgelöst worden. Der beklagten Partei seien keine Vorteile aus den vom Kläger vermittelten Geschäften erwachsen.
Das Verfahren wurde zunächst auf die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes eingeschränkt. Nach Rückziehung dieser Einrede und Aufhebung der Einschränkung des Verfahrens erklärte der Klagevertreter, nicht vortragen zu können, wie das Verhältnis der Zahl der Abschlüsse mit neuen Kunden zu solchen mit den bisherigen Kunden sei und welche Umsätze mit den zugeführten Kunden getätigt worden seien. Er könne nur vorbringen, daß die Umsätze überwiegend mit den neu zugeführten Kunden getätigt worden seien; Urkunden könne er dazu nicht vorlegen; er könne auch nicht angeben, wie die Umsatzzahlen mit den neu zugeführten Kunden in den letzten drei Jahren gewesen seien, ebenso nicht, welche Umsätze die beklagte Partei nach Beendigung des Handelvertretervertrages mit neu zugeführten Kunden getätigt habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der in Wien wohnende Kläger von der in Wuppertal ansässigen beklagten Partei mit einem von ihr am 12.September 1986 in Wuppertal und am 9. Oktober 1986 vom Kläger in Wien unterfertigten Vertrag als selbständiger Handelsvertreter mit der Vermittlung von Geschäften in Österreich gegen Provision betraut wurde. Bei dem Vertrag handelte es sich um einen von deutschen Wirtschaftsverbänden herausgegebenes Handelsvertretervertragsformular, das keinen Hinweis auf Normen des deutschen Rechtes, sowie keine Rechtswahl enthält. Das Vertragsverhältnis konnte nach Ablauf des ersten Jahres mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten jeweils zum Schluß eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Die beklagte Partei kündigte diesen Vertrag zum 30.9.1990, ohne daß der Kläger hiezu Anlaß gegeben hätte.
Das Erstgericht erörterte rechtlich, daß der zwischen den Streitteilen geschlossene Handelsvertretervertrag nach österreichischem Recht zu beurteilen sei, weil eine ausdrückliche Rechtswahl nicht getroffen worden sei. Aus der Verwendung eines deutschen Formularvertrages, der auf deutschen Normen nicht Bezug nehme, lasse sich ein Rechtswahlwille der Parteien zweifelsfrei nicht erschließen und kein zureichender Grund für eine Geltungsannahme deutschen Rechtes finden. Die formularmäßige Erfüllungs- und Gerichtsstandsklausel sei für eine derartige Geltungsannahme nicht ausreichend. Da sich die vertragliche Tätigkeit des Klägers ausschließlich auf Österreich bezogen habe, sei österreichisches Recht anzuwenden. Der vom Kläger geltend gemachte Entschädigungsanspruch setze aber voraus, daß der Handelsvertreter ausschließlich oder vorwiegend mit der Zuführung von Kunden beschäftigt gewesen sei. Ob der Kläger vorwiegend mit der Zuführung von Kunden beschäftigt gewesen sei, hänge von der Zahl der Abschlüsse mit neuen Kunden im Verhältnis zu solchen mit den bisherigen Kunden des Geschäftsherrn ab. Der Handelsvertreter habe die Umstände, aus denen erschlossen werden könne, daß er vorwiegend mit der Kundenzuführung beschäftigt gewesen sei, darzulegen und im Bestreitungsfall zu beweisen. Ein schlüssiges Vorbringen sei dazu nicht erstattet worden.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Von der beklagten Partei sei nicht zugestanden worden, daß der Kläger vorwiegend mit der Zuführung von Neukunden beschäftigt gewesen sei. Für die Auslegung dieses Rechtsbegriffes stelle die Rechtsprechung auf das Verhältnis des Umsatzes zwischen den neu zugeführten und den zugewiesenen Kunden ab. Man müsse verlangen, daß mindestens an die 70 % der Umsätze mit vom Handelsvertreter zugeführten Kunden getätigt worden seien, damit von einer vorwiegenden Beschäftigung der Kundenzuführung gesprochen werden könne. Hiezu hätte es entsprechender Behauptungen des Klägers bedurft, die er aber trotz richterlicher Anleitung nicht aufstellen konnte. Mangels substantiierten Vorbringens sei daher die Klage zu Recht abgewiesen worden.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu, weil Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht zu entscheiden gewesen seien.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die beklagte Partei hat von ihrem eingeräumten Recht zur Einbringung einer Revisionsbeantwortung Gebrauch gemacht und beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Vorweg ist von Amts wegen - auch wenn dieser Umstand in den Rechtsmittelverfahren nicht mehr erörtert wird - auf die Frage des anzuwendenden Rechts einzugehen, weil ein Sachverhalt mit Auslandsbeziehung vorliegt (Sitz der beklagten Partei in Deutschland; vgl Schwimann in Rummel2 Rz 3 zu § 2, Rz 3 zu § 35 IPRG; SZ 62/82). Schuldverhältnisse sind gemäß § 35 Abs 1 IPRG in erster Linie nach dem Recht zu beurteilen, das die Parteien ausdrücklich oder schlüssig bestimmt haben. Eine ausdrückliche Rechtswahl wurde nicht behauptet, von der beklagten Partei vielmehr vorgebracht, daß durch die Unterfertigung eines in Deutschland herausgegebenen Formularvertrages schlüssig die Wahl deutschen Rechtes erfolgte.
Eine schlüssige Rechtswahl liegt aber erst dann vor, wenn nach den Umständen kein vernünftiger Grund übrig bleibt, am Rechtswahlwillen der Parteien zu zweifeln (Schwimann aaO Rz 5 zu § 35 IPRG; EvBl 1987/2). Nur zur Lokalisierung bestimmter Umstände des Schuldverhältnisses getroffene Vereinbarungen, wie Gerichtsstandsklausel und vereinbarter Erfüllungsort, rechtfertigen aber nur dann einen Schluß auf die Geltungsannahme einer bestimmten Rechtsordnung, wenn diese Lokalisierungsindizien in überwältigender, jede andere Anknüpfung als zufällig deklarierender Mehrheit auf eine bestimmte Rechtsordnung hinweisen. Dies ist aber hier nicht der Fall, weil in dem zwischen den Streitteilen geschlossenen Vertrag lediglich auf den Gerichtsstand und Erfüllungsort in Wuppertal verwiesen wurde, und auch die Verwendung eines in Deutschland herausgegebenen Formulars, das keinen Verweis auf deutsche Bestimmungen enthält, kein ausreichendes Indiz dafür bietet, daß zwischen den Parteien schlüssig die Rechtswahl deutschen Rechtes vereinbart werden sollte. Damit ist aber nach § 36 IPRG wegen des im Inland gelegenen gewöhnlichen Aufenthaltes des Klägers auf die Geschäftsbeziehung der Streitteile österreichisches Recht anzuwenden (vgl RdW 1988, 423).
In der Sache selbst wird die Rechtsmeinung, dem Klagebegehren mangle es an der erforderlichen Schlüssigkeit, nicht geteilt. Gemäß § 226 ZPO hat die Klage ein bestimmtes Begehren zu enthalten und die Tatsachen, auf welche sich der Anspruch des Klägers gründet, im einzelnen kurz und vollständig anzugeben. Das Klagebegehren ist daher rechtlich schon dann schlüssig, wenn es als Rechtsfolge aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen abgeleitet werden kann (RdW 1986, 272).
Der Kläger hat bereits in der Klage unter Angabe der mit der beklagten Partei erzielten Umsätze der letzten Jahre ausdrücklich vorgebracht, "vorwiegend" mit der Zuführung neuer Kunden beschäftigt gewesen zu sein. In der mündlichen Streitverhandlung vom 14.November 1991 vermochte er zwar das Verhältnis zwischen den von ihm neu zugeführten und zugewiesenen Kunden nicht angeben, verwies aber neuerlich darauf, daß die Umsätze überwiegend mit den neu zugeführten Kunden getätigt worden seien. Damit hat der Kläger die Tatsachenbehauptung aufgestellt, daß mehr als die Hälfte des Umsatzes mit von ihm neu zugeführten Kunden erzielt worden sei. Aus einer derartigen Tatsachenbehauptung läßt sich daher der Klagsanspruch durchaus ableiten, ohne daß es dazu der Angabe konkreter Umsatz- bzw Verhältniszahlen bedurft hätte. Der Kläger hat aber seine Behauptung im Bestreitungsfall unter Beweis zu stellen.
In diesem Sinne kann auch den Ausführungen des Berufungsgerichtes, der Kläger hätte behaupten müssen, zumindest 70 % seines Umsatzes mit neu zugeführten Kunden erzielt zu haben, nicht geteilt werden.
Der Anspruch auf Entschädigung nach § 25 HVG gebührt dann, wenn der Handelsvertreter ausschließlich oder doch vorwiegend mit der Zuführung von Kunden beschäftigt war. Durch diesen Anspruch soll der Vertreter dafür entschädigt werden, daß dem Geschäftsherrn oder dessen Rechtsnachfolger aus der Geschäftsverbindung mit der vom Handelsvertreter zugeführten Kundschaft Vorteile erwachsen, die nach Lösung des Vertragsverhältnisses fortbestehen. In der Entscheidung SZ 44/96 vertrat der Oberste Gerichtshof die Auffassung, daß nur dann, wenn der Umsatz mit neu zugeführten Kunden jenen mit zugewiesenen Kunden eindeutig übersteigt, die Anspruchsvoraussetzung, daß der Handelsvertreter "ausschließlich oder vorwiegend" mit der Zuführung von Kunden beschäftigt war, erfüllt sei. In der Entscheidung SZ 49/83 wurde der Ausdruck "vorwiegend" dahin präzisiert, daß ein Entschädigungsanspruch auch dann gebühre, wenn nur 50,4 % der Umsätze, die aufgrund der Tätigkeit des Handelsvertreters erzielt wurden, mit Kunden erfolgten, die von diesem ausfindig gemacht und der beklagten Partei neu zugeführt worden sind. Es sei nämlich unbillig, dem Handelsvertreter, der zahlreiche neue Kunden zuführe und damit den Wert des Unternehmens des Geschäftsherrn wesentlich erhöhte, nur deswegen einen Entschädigungsanspruch zu versagen, weil der Handelsvertreter auch einen nicht unerheblichen weiteren Kundenstock vom Geschäftsherrn übernommen habe. Der Oberste Gerichtshof sieht sich auch durch die Ausführungen Jaborneggs (HVG, 502), wonach verlangt werden müsse, daß mindestens an die 70 % der Umsätze mit den vom Handelsvertreter zugeführten Kunden getätigt worden seien, damit von einer "vorwiegenden" Beschäftigung mit der Kundenzuführung gesprochen werden könne, nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Einerseits wird das Erfordernis des "eindeutigen Übersteigens" auch dann erreicht, wenn mehr als die Hälfte des Umsatzes mit neu vom Handelsvertreter zugeführten Kunden erreicht wird; andererseits kann bei Bemessung der Entschädigung der vom Geschäftsherrn zugewiesene Kundenstock im Rahmen der Angemessenheit berücksichtigt werden, weil die Entschädigung verschieden hoch sein muß, ob der Handelsvertreter dem Geschäftsherrn durch seine Tätigkeit nur teilweise neue Kunden zuführte oder aber ausschließlich. Die Angemessenheit der Entschädigung ist daher innerhalb des gesetzlichen Rahmens danach zu beurteilen, inwieweit dem Geschäftsherrn aus der Geschäftsverbindung mit der zugeführten Kundschaft Vorteile erwachsen sind, die nach Lösung des Vertragsverhältnisses fortbestehen. Vorteil ist dabei alles, was der Geschäftsherr nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge erwarten kann. Das Gesetz geht dabei von der Annahme aus, daß der Geschäftsherr Vorteile aus den Geschäftsbeziehungen mit den neuen Kunden über die Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses hinaus zu nützen imstande ist. Deshalb trifft den Geschäftsherrn die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß die ihm durch den Handelsvertreter geschaffenen Verdienstchancen im Einzelfall über die Beendigung des Vertragsverhältnisses hinaus keine Bestand haben oder haben werden (RdW 1991, 323).
Im fortgesetzten Verfahren werden daher vom Erstgericht Feststellungen darüber zu treffen sein, in welchem Ausmaß der Kläger mit der Zuführung neuer Kunden beschäftigt war und ob dem Geschäftsherrn aus der Geschäftsverbindung mit der zugeführten Kundschaft Vorteile erwachsen sind, die nach der Lösung des Vertragsverhältnisses fortbestehen. Für die Behauptung, die beklagte Partei habe keine Vorteile aus den vom Kläger für sie vermittelten Geschäften gezogen, ist allerdings diese beweispflichtig.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E31128European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:0020OB00525.93.0325.000Dokumentnummer
JJT_19930325_OGH0002_0020OB00525_9300000_000