TE OGH 1993/3/30 10ObS60/93

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Veröffentlicht am 30.03.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Wolfgang Dorner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dipl.-Ing.Raimund Tschulik (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helga B*****, vertreten durch Dr.Raimund Mittag, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.November 1992, GZ 34 Rs 65/92-17, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19.Dezember 1991, GZ 13 Cgs 174/91-10, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten der Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist als Arbeiterin in einem Betrieb in 1230 Wien, G*****-Gasse beschäftigt. Sie wohnt in 1220 Wien, A*****gasse. Von Montag bis Freitag legt sie den Weg zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte mit einem firmeneigenen Bus zurück. Am 23.2.1991, einem Samstag, an dem sie Überstunden leisten sollte, hätte sie diesen Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen müssen, wofür sie 1 1/4 bis 1 1/2 Stunden gebraucht hätte. Deshalb übernachtete sie vom 22. auf den 23.2.1991 in der Wohnung ihrer Tochter in 1120 Wien, T*****gasse, von der sie ihre Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln in nur 20 bis 30 Minuten erreichen kann. Vor dem 23.2.1991 übernachtete die Klägerin in der Wohnung ihrer Tochter, in der sie nicht polizeilich gemeldet ist und keine privaten Gegenstände aufbewahrt, nur aus privaten Gründen und äußerst selten. Am genannten Tag machte sie sich um ca 7.20 Uhr von der Wohnung ihrer Tochter aus auf den Weg zur Arbeitsstätte, wo sie zwischen 8.00 und 9.00 Uhr die Arbeit aufnehmen sollte. Sie wollte bei der Reschgasse in die U 6 einsteigen, mit dieser bis zur Philadelphiabrücke und dann mit der Badner-Bahn zur G*****-Gasse fahren. Vor dem Haus T*****gasse 4-6 stürzte sie wegen Glatteises. Dadurch erlitt sie einen Bruch beider linken (Fuß-)Knöchel mit Teilverrenkung des Sprungbeines und Eindellung der Gelenksfläche des Schienbeines sowie eine Zerreißung der Bandverbindung zwischen Schien- und Wadenbein.

Mit Bescheid vom 7.8.1991 lehnte die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Entschädigung aus Anlaß des Unfalles vom 23.2.1991 ab, weil es sich um keinen Arbeitsunfall iS des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG handle.

Die dagegen fristgerecht erhobene Klage richtet sich auf Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfalles und Gewährung der Entschädigung im gesetzlichen Ausmaß, womit die Versehrtenrente gemeint war. Sie vertritt die Ansicht, daß sich der Unfall auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur Arbeitsstätte ereignet habe und daher ein Arbeitsunfall iS des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Klägerin den Weg zur Arbeitsstätte nicht von ihrer Wohnung angetreten habe.

Das Erstgericht stellte fest, "daß die Gesundheitsstörung der Klägerin nicht Folge eines von ihr am 23.2.1991 erlittenen Arbeitsunfalles im Sinne des Gesetzes sei" und wies das auf eine Entschädigung im gesetzlichen Ausmaß aus Anlaß dieses Unfalles gerichtete Begehren ab.

Weil die Klägerin den Weg zur Arbeitsstätte weder von ihrem ständigen Aufenthaltsort (Wohnung in 1220 Wien) noch von einer wegen der Entfernung ihres ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeitsstätte in deren Nähe gelegenen Unterkunft angetreten habe, habe sich der Unfall nicht auf einem nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG versicherten Weg ereignet. Von einer Unterkunft iS dieser Gesetzesstelle könnte allenfalls auch bei einer Unbenützbarkeit der ständigen Wohnung während eines nicht unbeträchtlichen Zeitraumes gesprochen werden, nicht aber schon bei jeder zur Abkürzung des Weges zur Arbeitsstätte gewählten beliebigen Nächtigungsstelle.

Das Berufungsgericht gab der ua wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil auf, trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist.

Es vertrat unter Bezugnahme auf die Lehre und Rechtsprechung zur vergleichbaren Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsmeinung, daß der versicherte Weg zur Arbeitsstätte nicht von der Wohnung aus angetreten werden müsse. Entscheidend sei, ob dieser Weg - nicht der Aufenthalt am Ausgangspunkt - mit der versicherten Tätigkeit in einem inneren Zusammenhang stehe. Versicherte, die sich vor Arbeitsbeginn außerhalb ihrer Wohnung zur Freizeitgestaltung - gleich welcher Art - aufhielten und sich von dort aus zur Arbeitsstätte begeben, seien auf einem solchen Weg, wenn er keine Gefahrenerhöhung mit sich bringe, ebenso schutzwürdig wie auf einem von ihrer Wohnung angetretenen Weg. Der vorliegende Fall sei dem eines Dienstnehmers ähnlich, der wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltes von der Arbeitsstätte in deren Nähe eine Unterkunft habe. Es könne für den Versicherungsschutz keinen

Unterschied machen, ob die objektiv zweckmäßige Verkürzung keinen

Unterschied machen, ob die objektiv zweckmäßige Verkürzung des Weges zur Arbeitsstätte durch eine solche Unterkunft oder durch die Übernachtung bei einem Angehörigen erreicht werde.

Weil das Erstgericht noch keine Feststellungen über "Dauer und Grad der Verletzungsfolgen" getroffen habe, sei die Sache noch nicht entscheidungsreif.

Gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Die Klägerin erstattete eine Rekursbeantwortung, in der sie beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO iVm den §§ 45 Abs 4 letzter Halbsatz und 47 Abs 2 ASGG zulässige Rekurs ist nicht berechtigt.

Nach dem zur Arbeiterversicherung gehörenden § 176 Abs 1 des als Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz 1938 (GSVG 1938) wiederverlautbarten österreichischen Bundesgesetzes betreffend die gewerbliche Sozialversicherung BGBl 1935/107 idF der I. und II. Nov galten als Arbeitsunfälle alle bei der Berufsarbeit oder im Zusammenhang mit ihr sich ereignenden Unfälle. Als Arbeitsunfälle galten insbesondere auch: ... 2. Unfälle, die sich auf dem Weg von der Wohnung zur Arbeit und von der Arbeit zur Wohnung ereigneten, sofern dieser Weg nicht in eigener Sache des Versicherten oder sonst ohne Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis unterbrochen wurde. Eine im wesentlichen gleiche Regelung fand sich im zur Angestelltenversicherung zählenden, die Dienstunfälle definierenden § 241 Abs 2 leg cit, dessen Z 2 sich vom oben zit Text nur dadurch unterschied, daß "Arbeit" und "Arbeitsverhältnis" durch "Beschäftigung" und "Dienstverhältnis" ersetzt waren.

Diese österreichischen Bestimmungen wurden durch § 543 Abs 1 aF RVO abgelöst, wonach als Arbeitsunfälle auch Unfälle auf einem mit der Tätigkeit in dem Unternehmen zusammenhängenden Weg nach und von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte galten, wobei der Umstand, daß der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von der Arbeitsstätte (Ausbildungsstätte) auf dieser oder in ihrer Nähe eine Unterkunft hatte, die Versicherung des Weges von und nach der Familienwohnung nicht ausschloß.

Der Versicherungsschutz für Wegeunfälle wurde im Deutschen Reich erstmals durch den mit dem 2. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 14.7.1925 RGBl I S 97 in die RVO eingefügten § 545 a eingeführt. Aus der diesbezüglichen Reichstagsdrucksache III. Wahlperiode 1924 ergibt sich, daß dabei die Festlegung von Beginn und Ende des von der Unfallversicherung erfaßten Weges der Rechtsprechung überlassen wurde (Lauterbach, Unfallversicherung3 270 Rz 9 zu § 550 RVO). Der andere Endpunkt wurde also vom damaligen Gesetzgeber bewußt nicht umschrieben, weil eine kasuistische Regelung im Gesetz "doch nur Stückwerk wäre und zu neuen Zweifelsfragen führte" (so auch Bundestagsdrucksache 758/ 3. Wahlperiode, Änderungsvorschlag Nr 11, zit von Mehrtens-Valentin-Schönberger, Arbeitsunfall und Berufskrankheit3 67).

Die neue österreichische Sozialgesetzgebung knüpfte im seit der Stammfassung nicht veränderten § 175 Abs 2 Z 1 ASVG hinsichtlich des Versicherungsschutzes auf dem Weg zur oder von der Arbeitsstätte nicht an die alte österreichische Rechtslage der §§ 176 Abs 1 und 241 Abs 2 GSVG 1938 an, sondern übernahm die Regelung des § 543 Abs 1 aF RVO ohne wesentliche inhaltliche Änderungen. Die Regierungsvorlage zur Stammfassung des ASVG enthält diesbezüglich keine Begründung.

§ 543 Abs 1 aF RVO wurde durch § 550 Abs 1 und 3 RVO ersetzt. Danach gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 bezeichneten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Umstand, daß der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, schließt die Versicherung auf dem Weg von und nach der Familienwohnung nicht aus. Abgesehen davon, daß als ein Grenzpunkt nunmehr der "Ort der Tätigkeit" und nicht mehr die "Arbeits- oder Ausbildungsstätte" bestimmt ist, wurde der Versicherungsschutz durch § 550 nF RVO gegenüber § 543 Abs 1 aF weder erweitert noch eingeengt (Brackmann, Handbuch der SV 72. Nachtrag 485k mwN).

Als Ergebnis der bisherigen Darlegung ist daher festzuhalten, daß der Versicherungsschutz auf den Wegen zur und von der Arbeits(Ausbildungs)stätte seit der Einführung der RVO in Österreich hier gesetzlich im wesentlichen gleich geregelt war und ist wie zunächst im Deutschen Reich und nunmehr in der Bundesrepublik Deutschland.

Daraus, daß in den in beiden Staaten geltenden gesetzlichen Bestimmungen nur ein Grenzpunkt des Weges, nämlich der "Ort der Tätigkeit" (BRD) bzw die "Arbeits- oder Ausbildungsstätte" (Österreich) genannt ist, hat die dt Lehre und Rechtsprechung - wie schon vom Berufungsgericht dargelegt wurde - abgeleitet, daß der Hinweg weder von der Wohnung des Versicherten aus angetreten, noch der Rückweg in dieser Wohnung enden muß (vgl etwa Brackmann aaO 72. Nachtrag 485r, 485rI). Entscheidend müsse sein, ob der Weg - nicht der Aufenthalt am Ausgangspunkt - zum Ort der Tätigkeit mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang steht. Versicherte, die sich vor Arbeitsbeginn außerhalb ihrer Wohnung zur Freizeitgestaltung gleich welcher Art aufhalten und sich von dort aus zum Ort der Tätigkeit begeben, seien auf diesem Weg im allgemeinen in gleichem Maß schutzbedürftig wie auf dem Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte.

Schieckel meinte in SGb 1959, 132, es sei mit den Anschauungen in einer Demokratie unvereinbar, bei einem Wegeunfall darauf abzustellen, wo der Verunglückte die Zeit vor Beginn seiner Berufsarbeit verbracht und von wo aus er den Weg zu seiner Arbeitsstätte angetreten habe. Hievon solle, wie die Reichstagsprotokolle auswiesen, bewußt abgesehen werden. Es solle und dürfe keine Rolle spielen, ob der Arbeitnehmer in seiner eigenen Wohnung oder in einer fremden genächtigt habe. Entscheidend sei einzig und allein, ob er sich, als der Unfall geschah, auf dem Weg zur Arbeitsstätte befunden habe und wenn ja, ob dieser Weg mit der Betriebstätigkeit im Zusammenhang gestanden sei.

Die österreichische Rechtsprechung hat hingegen den Standpunkt vertreten, daß grundsätzlich nur Wege zwischen der Wohnung des Versicherten und dessen Arbeitsstätte geschützt seien, wobei der Begriff "Wohnung" nach rein tatsächlichen Gesichtspunkten als jener Ort verstanden wurde, an dem der Versicherte wohnt, ißt, schläft, Wäsche und Kleidung verwahrt, reinigt und instandhält (zB SSV-NF 2/23; weitere Nachweise ua bei Tomandl in Tomandl, SV-System 5. ErgLfg 294). Dies wurde meistens damit begründet, daß § 175 Abs 2 Z 1

2. Halbsatz ASVG, nach dem die Versicherung des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen wird, wenn der Versicherte wegen der Entfernung des ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeits(Ausbildungs)stätte auf dieser oder in ihrer Nähe eine Unterkunft hat, darauf hinweise, daß der Gesetzgeber vom ständigen Aufenthaltsort als Ausgangs- bzw Endpunkt des Weges zur bzw von der Arbeitsstätte ausgehe.

Die österreichische Lehre ist dieser Rechtsprechung im Ergebnis gefolgt (Tomandl in Tomandl, Grenzen der Leistungspflicht 147ff; ders, Leistungsrecht der Unfallversicherung 40f; ders, SV-System aaO mwN; Grillberger, österreischisches Sozialversicherungsrecht 46). Tomandl lehnt zwar - im Gegensatz zu Grillberger - den 2.Halbsatz des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG als taugliches Begründungselement ab, weil damit nur klargestellt werde, daß die Versicherung in einem solchen Fall auch auf dem Weg von und nach dem ständigen Aufenthaltsort besteht, meint aber, als zweiter Endpunkt des Weges (zur oder von der Arbeitsstätte) werde neben der ständigen Wohnung auch jeder andere Ort anzuerkennen sein, den der Versicherte aufgesucht habe, weil er die ständige Wohnung nicht benutzen konnte, oder deren Benutzung nicht zumutbar ist, oder wenn er außerplanmäßig zur Arbeit gerufen wird. Ständiger Aufenthalt iS dieser Lehre und Rechtsprechung ist der Ort, den der Versicherte tatsächlich zum Mittelpunkt seiner privaten Lebensinteressen macht und an dem er sich tatsächlich häufig und regelmäßig aufhält (Tomandl aaO 295; Grillberger aaO; SSV-NF 2/23 und 38).

Der erkennende Senat hat schon in der Entscheidung SSV-NF 6/144 darauf hingewiesen, daß der Versicherungsschutz auf dem Weg zur und von der Arbeitsstätte in der deutschen Rechtsprechung und Lehre weiter gesehen wird als in der österreichischen. So führte das BSG in der Entscheidung 10.12.1964 SozR Nr 56 zu § 543 RVO aF aus, an die Stelle der Wohnung könne ein anderer Anfangs- oder Endpunkt treten. Dieser Weg dürfe allerdings nicht wesentlich länger sein als der normale Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, weil der Versicherte das Unfallrisiko nicht beliebig vergrößern dürfe. Das BSG hält an dieser Rechtsprechung weiterhin grundsätzlich fest, mißt allerdings der größeren Entfernung des anderen Endpunktes von der Arbeitsstätte wegen der modernen Verkehrsmittel nicht mehr die allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Als entscheidend wird zunehmend gewertet, ob ein innerer Zusammenhang des Weges mit der versicherten Tätigkeit besteht. Ausschlaggebend sei, ob der nicht zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zurückgelegte Weg von dem Vorhaben geprägt gewesen sei, sich - lediglich von einem anderen Ort als der Wohnung aus - zur Arbeit zu begeben (siehe die Zusammenfassung bei Krasney, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 1989, 369ff [371]). (Ricke im Kasseler Kommentar § 550 RVO Rz 41 will allerdings als einziges Kriterium die Risikovergrößerung durch die Wegverlängerung gelten lassen.)

Der erkennende Senat konnte in seiner schon zit Entscheidung SSV-NF 6/144 unerörtert lassen, ob auf einem nicht von der Wohnung des Versicherten ausgehenden oder dorthin führenden Weg zur oder von der Arbeitsstätte Unfallversicherungsschutz besteht, wenn dieser Weg nicht wesentlich länger ist als der übliche, oder ob dies iS der bisherigen österreichischen Rechtsprechung und Lehre nur bei objektiven Gründen der Fall ist, die den Versicherten veranlassen, seine Wohnfunktionen außerhalb der ständigen Wohnung auszuüben. Wohnung und Arbeitsstätte des damaligen Klägers lagen nämlich im selben Gebäude, weshalb ein Weg iS des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG begrifflich ausgeschlossen war.

Die Beantwortung dieser Frage kann auch im vorliegenden Rechtsstreit dahingestellt bleiben, weil der Unfall der Klägerin vom 23.2.1991 sowohl nach der deutschen als auch nach der österreichischen Lehre und Rechtsprechung als Arbeitsunfall zu qualifizieren ist, der sich auf einem mit der Beschäftigung zusammenhängenden Weg zur Arbeitsstätte ereignet hat.

Tomandl leitet in Tomandl, Grenzen der Leistungspflicht 149 aus den zur Einführung des § 545a Abs 2 RVO durch das 5. UV-Änderungsgesetz RGBl 1939 I S 267 führenden Motiven zutreffend ab, diese Sondernorm mache deutlich, daß der Gesetzgeber schon bei der Wahl der Endpunkte Zumutbarkeitsgesichtspunkte eingeführt habe. Die Unfallversicherung habe für Unfälle auf Arbeitswegen von und zu allen Orten einzustehen, die gewählt wurden, weil der Versicherte seine Wohnung nicht benutzen konnte oder weil ihm deren Benutzung nicht zumutbar war (so auch Tomandl, Leistungsrecht der Unfallversicherung 41).

IS der in SSV-NF 6/144 dargestellten österreichischen Lehre und Rechtsprechung müssen allerdings objektive Gründe vorliegen, die den Versicherten veranlassen, seine Wohnfunktionen an einem anderen Ort als der "ständigen" Wohnung auszuüben. Diese sind jedenfalls dann beachtlich, wenn ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung besteht (sa Gitter, Sozialrecht3, 128).

Diese Voraussetzungen treffen beim Unfall der Klägerin vom 23.2.1991 zu:

Nach den rechtlich zu beurteilenden Feststellungen schlief die Klägerin vom 22. auf den 23.2.1991 nur deshalb in der Wohnung ihrer Tochter, weil sie am Unfallstag ausnahmsweise nicht mit einem firmeneigenen Bus zur Arbeit fahren konnte. Während sie für die Fahrt von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte vier Massenverkehrsmittel (Straßenbahn, U-Bahn und zwei Autobuslinien) hätte benützen müssen, mit denen sie 1 1/4 bis 1 1/2 Stunden unterwegs gewesen wäre, hätte sie für die Fahrt von der Wohnung ihrer Tochter zur Arbeitsstätte mit nur zwei Massenverkehrsmitteln (U-Bahn und Badner Bahn) nur 20 bis 30 Minuten gebraucht.

Daß die Klägerin ihren Weg zur Arbeitsstätte am Unfallstag nicht von ihrer "ständigen" Wohnung sondern von der Wohnung ihrer Tochter antrat, war unter diesen Umständen objektiv begründet und stand mit der versicherten Beschäftigung auch in einem inneren Zusammenhang. Die Klägerin ersparte sich nämlich dadurch an einem Samstag, an dem sie nur ausnahmsweise Überstunden leistete, eine mangels Benützbarkeit des an normalen Arbeitstagen eingesetzten Firmenbusses durch dreimaliges Umsteigen wesentlich beschwerlichere und etwa dreimal längere Fahrt zur Arbeitsstätte. Der von der Wohnung der Tochter angetretene Weg zur Arbeitsstätte war nach der allgemeinenkundigen Lage der Wohnung der Klägerin und der Wohnung ihrer Tochter sowie der Arbeitsstätte auch nach Kilometern erheblich kürzer als der Weg von der Wohnung der Klägerin. Es ist auch anzunehmen, daß der nach Kilometern und Zeit erheblich längere, ein dreimaliges Umsteigen erfordernde Weg von der "ständigen" Wohnung auch mit einem höheren Unfallsrisiko verbunden gewesen wäre, als der tatsächlich begonnene.

Der Unfall der Klägerin wurde daher vom Berufungsgericht zutreffend als Arbeitsunfall iS des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG beurteilt.

Der angefochtene Aufhebungsbeschluß war daher zu bestätigen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht eine Präzisierung des Klagebegehrens auch hinsichtlich des Beginnes der begehren Leistung anzuregen und dann die für den Anspruch auf Versehrtenrente, deren Anfall und deren Bemessung wesentlichen Voraussetzungen zu erörtern und festzustellen haben. In einem allfälligen Feststellungsurteil über das nach § 82 Abs 5 ASGG eingeschlossene Eventualbegehren wären die Gesundheitsstörungen auch im Spruch anzuführen.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E32534

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00060.93.0330.000

Dokumentnummer

JJT_19930330_OGH0002_010OBS00060_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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