TE OGH 1993/3/31 9ObA51/93

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Veröffentlicht am 31.03.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Ignaz Gattringer und Dr.Alfred Hoppi als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Michael B*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Manfred Merlicek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei protokollierte Firma Z***** T*****, vertreten durch Dr.Gunter Granner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 50.982 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. November 1991, GZ 31 Ra 93/92-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20. Dezember 1991, GZ 20 Cga 179/90-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 7,246 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (davon S 1,207,60 Umsatzsteuer) und die mit S 10.348,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 724,80 Umsatzsteuer und S 6.000 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 1987 bei der Beklagten als Filialleiter angestellt. Am 22.4.1988 schlossen die Streitteile folgende Prämienvereinbarung (Beilage A):

"Betrifft: Umsatzprämie

Sie erhalten ab 1.Mai 1988 eine Prämie von 0,5 % nach dem gesamten Jahresumsatz. Es gilt der errechnete mehrwertsteuerfreie Umsatz. Die Jahresprämie wird immer zwischen dem 15.Jänner und 31.Jänner ausbezahlt. Für die erstmalige Prämie wird aber ausnahmsweise der Umsatz vom 1.Mai 1988 bis 31.12.1988 verrechnet. Beim eventuellen Ausscheiden aus der Firma, auf welche Art und Weise auch immer, kann mindestens ein 1/2 Jahr Leistung prämiert werden.

Die Prämie fällt weg:

1. Bei Nichterreichen des Vorjahresumsatzes

Diese Prämienvereinbarung gilt bis 31.12.1989".

Ab Mai 1988 war der Kläger in der Filiale Graben und ab September 1988 bis März 1990 in der neu eröffneten Filiale Kärntnerstraße und April 1990 in der Filiale Mariahilferstraße beschäftigt.

Die Filiale Kärntnerstraße erzielte von September 1988 bis März 1990 folgende Umsätze (Beilage B):

            1988         1989       1990

Jänner                  766.905     1,251.035

Februar                 564.202       692.111

März                    743.459       865.010

April                   738.793

Mai                     868.055

Juni                  1,034.900

Juli                    936.878

August                  752.045

September  663.178      771.433

Oktober  1,263.508      986.310

November 1,120.812      937.450

Dezember 1,135.612    1,095.973

         4,183.110   10,196.403

Für die Zeit vom 1.5. bis 31.12.1988 gewährte der Beklagte dem Kläger die Umsatzprämie.

Mit Schreiben vom 5.2.1990 (Beilage 1) teilte der Beklagte dem Kläger mit:

"Wir haben Ihnen 2 Jahre lang die Prämie gewährleistet. Da Sie voriges Jahr, ohne Ihr Verschulden keine Möglichkeit hatten, die Prämie zu erreichen, verlängern wir für die Zeit vom 1.September 1989 - 1.September 1990.

Nach diesem Datum ist keine Verlängerung mehr möglich."

Dieses Schreiben wurde auch vom Kläger unterfertigt. Die Prämie für das Jahr 1990 hat der Kläger ausgezahlt erhalten.

Der Kläger begehrt vom Beklagten für 1989 eine Prämie im Ausmaß von S

50.982 (= 0,5 % des Jahresumsatzes von S 10,196.403). Mit der Vereinbarung vom 5.2.1990 habe der Kläger auf die Prämie für 1989 nicht verzichtet.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe 1989 die Umsatzziffern des Vorjahres nicht erreichen können, weil die Filiale Kärntnerstraße erst im September 1988 (laut Beilage 2 am 7.9.1988) eröffnet worden sei. Als Ausgleich dafür sei die Prämienvereinbarung bis 1.9.1990 verlängert worden. Ein Anspruch 1989 bestehe nicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zweck der Vereinbarung sei es gewesen, einen Anreiz zur Umsatzsteigerung zu schaffen. Die Prämie sollte dem Kläger nur dann gebühren, wenn der Vorjahresumsatz "überschritten" wurde. Da der Kläger 1989 keine Umsatzsteigerung erzielt habe, sei die Bedingung für die Prämiengewährung nicht eingetreten. Der Beklagte habe aber dem Kläger 1988 und 1989 (richtig: 1990) die Prämie vom Jahresumsatz der Filiale, in der der Kläger gearbeitet hatte, freiwillig gezahlt.

Das Berufungsgericht erkannte den Beklagten mit Zwischenurteil dem Grunde nach schuldig, dem Kläger die Prämie für 1989 zu zahlen. Es erledigte die Beweisrüge des Klägers, die sich gegen die Feststellung des Erstgerichtes richtete, daß ihm die Umsatzprovision nur im Falle einer Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr gebühre, nicht, weil es auf diese Frage nicht ankomme. Die Parteien hätten bei Abschluß der Prämienvereinbarung am 22.4.1988 die Möglichkeit der Verwendung des Klägers in einer neuen Filiale und damit das Fehlen eines Vorjahresumsatzes nicht bedacht. In einem solchen Fall könne nach Treu und Glauben nicht als hypothetischer Parteiwille angenommen werden, daß dem Kläger keine Prämie gebühre. Die Verlängerungsvereinbarung vom 5.2.1990 sei eine bloße Wissenserklärung über die Rechtslage; sie enthalte keinen Verzicht des Klägers auf die Prämie für 1989.

Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung; er beantragt, das Ersturteil wiederherzustellen.

Der Kläger beantragt, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der Kläger hat dem Schreiben des Beklagten über die Prämiengewährung und deren Verlängerung durch Unterfertigung zugestimmt. Über die Auslegung des unstrittigen Wortlautes dieser Vereinbarungen hinausgehende Feststellungen der Vorinstanzen liegen - mit Ausnahme der (bekämpften) Feststellung des Erstgerichtes, daß die Umsatzprovision nur bei Überschreiten des Vorjahresumsatzes gebühren sollte - nicht vor. Das festgestellte Motiv der Vereinbarung, einen Anreiz zur Umsatzsteigerung zu schaffen, ist evident und steht mit dem Wortlaut der Urkunden nicht in Widerspruch. Bei der Auslegung einer urkundlich niedergelegten Willenserklärung nach den §§ 914 f ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen; dabei ist aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, nämlich die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden zu erforschen (JBl 1986, 173). Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (Koziol-Welser, Grundriß9 I 91; ZAS 1977/19; JBl 1988, 38 ua).

Nach der Vereinbarung vom 22.4.1988 sollte der Kläger ab 1.5.1988

eine Prämie von 0,5 % des gesamten Jahresumsatzes erhalten. Die erste

Prämie sollte "ausnahmsweise" aus dem Umsatz vom 1.5. bis 31.12.1988

berechnet werden. Da sich die Aliquotierung ohnehin schon aus dem

ersten Satz der Vereinbarung sinngemäß ergibt, wollten die Parteien

mit dem Worte "ausnahmsweise" offenbar klarstellen, daß die Prämie

für das erste Rumpfjahr ohne die einschränkende Bedingung des

Erreichens des Vorjahresumsatzes gebühren sollte. Im Jahr 1989 - die

Vereinbarung vom 22.4.1988 war bis 31.12.1989 begrenzt - sollte aber

die Prämie bei "Nichterreichen" des Vorjahresumsatzes "wegfallen"

(nach den Feststellungen des Erstgerichtes sogar bei

Nichtüberschreiten des Vorjahresumsatzes). Bei der Vereinbarung

dieser Bedingung haben die Parteien nicht auf die - erst später

eingetretene - Situation Bedacht genommen, daß der Kläger im

September 1988 die Leitung einer damals neu eröffneten Filiale

übernahm, so daß für die Beurteilung der Frage, ob ihm im Jahre 1989

die Prämie gebührte (- für 1988 hat er sie ohnehin erhalten -) nur

die Monate September bis Dezember 1988 als Vergleichswerte zur

Verfügung standen. Ein Vergleich mit dem "Vorjahresumsatz" war daher nur beschränkt möglich.

Die vom Berufungsgericht vorgenommene Vertragsergänzung beruht aber

darauf, daß ein Vergleich mit dem Vorjahr überhaupt nicht möglich

war; diese Vertragsergänzung durch die zweite Instanz widerspricht

dem aus der Vereinbarung klar hervorgehenden Parteiwillen, die

Prämiengewährung vom Erreichen eines bestimmten Filialerfolges

abhängig zu machen und damit einen Anreiz zur Umsatzsteigerung (oder

jedenfalls zur Vermeidung von Umsatzeinbrüchen) zu schaffen. Da

Vertragsbestimmungen so zu verstehen sind, daß sie nicht zur

einseitigen Interessendurchsetzung führen, sondern eine angemessene

Berücksichtigung der Interessen beider Seiten ermöglichen (1 Ob

683/88), entsprach es dem Parteiwillen besser, bei der Frage, ob die

Bedingung des Erreichens (Überschreitens) des Vorjahresumsatzes

eingetreten sei, auch eine beschränkte Vergleichsmöglichkeit zu

berücksichtigen, als diese Bedingung überhaupt als nicht beigesetzt zu betrachten.

Daß bei einem beschränkten Vergleich nicht der Umsatz der Monate September bis Dezember 1988 (S 4,183.110) dem Gesamtumsatz des Jahres 1989 (S 10,196.403) gegenüberzustellen ist, wie es der Kläger in seiner Berufung gefordert hatte, ist selbstverständlich, weil sonst Ungleiches gleichgesetzt würde. Der Vergleich der Monate September bis Dezember 1988 mit den Monaten September bis Dezember 1989 zeigt, daß der Umsatz in diesen Monaten des zweiten Geschäftsjahres beträchtlich hinter den Vergleichswerten des Vorjahres zurückgeblieben ist. Nur im September 1988 ergab sich ein Plus, das aber darauf zurückzuführen sein dürfte, daß die Filiale Kärntnerstraße - wie sich aus der Beilage 2 ergibt - erst am 7.9.1988 eröffnet worden sein dürfte. Auch bei Außerachtlassung dieses (in den Tatsacheninstanzen nicht aufgeklärten) Umsatzes ergibt sich bei einer Hochrechnung der fiktiven Monatsumsätze für Jänner bis August 1988 nach den Erfolgsrelationen des Jahres 1989 ein weit hinter dem Jahr 1988 zurückbleibendes Ergebnis. Ein Vorbringen, das gegen die annähernde Richtigkeit dieser linearen Hochrechnung spräche, hat der Kläger nicht erstattet.

Wenn die Parteien in dieser Situation davon ausgegangen sind, daß der Kläger im Jahre 1989 ohne sein Verschulden keine Möglichkeit gehabt habe, die Prämie zu erreichen und daher die Vereinbarung gerade für jenen Zeitraum, bis zu dem ein vollständiger Vergleich mit einem Vorjahresumsatz möglich gewesen wäre, nämlich bis "1.September 1990" (gemeint wohl: 31.8.1990) verlängerten, so kann darin nur die Absicht gelegen sein, dem Kläger die Chance zu geben, im Zeitraum zwischen 1.9.1989 und 31.8.1990 den Umsatz des Vorjahres zu erreichen (bzw nach der Beweiswürdigung des Erstgerichtes in dieser Zeit einen Mehrumsatz gegenüber dem Vorjahr zu erzielen). Diese mit der Verlängerung der Geltungsdauer des Prämienübereinkommens verbundene Absicht schließt aber aus, daß dem Kläger für 1989 unabhängig vom Erreichen des Vorjahresumsatzes Umsatzprovision gebühren sollte. Die Parteien haben mit der Vereinbarung vom 5.2.1990 die Unklarheiten, die bei der Auslegung der Vereinbarung vom 22.4.1988 infolge Übernahme einer neuen Filiale durch den Kläger entstanden waren, dadurch beseitigt, daß dem Kläger ein Ausgleich für die nicht erzielbare Prämie 1989 geboten wurde. Damit bleibt aber für die vom Berufungsgericht vorgenommene Vertragsergänzung kein Raum. Für das Jahr 1990 hat der Kläger in der Folge die Umsatzprovision erhalten. Für das Jahr 1989 gebührte sie ihm nicht, so daß sich das Problem, ob er mit der Unterfertigung des Schreibens vom 5.2.1990 darauf Verzicht geleistet hat, gar nicht stellt.

Ob der Kläger den Umsatz des Vorjahres nur zu erreichen oder (wie das Erstgericht annahm) zu übertreffen hatte, ist ohne Belang, da ihm im Jahr 1989 weder das eine noch das andere gelungen ist. Die Erledigung der vom Berufungsgericht offen gelassenen Beweisrüge, die nur diesen Punkt betrifft, ist daher entbehrlich.

Die Entscheidung des Erstgerichtes ist wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E32371

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:009OBA00051.93.0331.000

Dokumentnummer

JJT_19930331_OGH0002_009OBA00051_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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