TE Vwgh Erkenntnis 2006/2/27 2002/10/0191

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Veröffentlicht am 27.02.2006
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Index

L55007 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Tirol;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NatSchG Tir 1997 §1 Abs1;
NatSchG Tir 1997 §27 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Köhler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der Österreichische Bundesforste AG in Purkersdorf, vertreten durch die Finanzprokuratur in 1011 Wien, Singerstraße 17-19, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 26. September 2002, Zl. U- 13.524, betreffend naturschutzrechtliche Bewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Spruchpunkt II. des Bescheides vom 25. Jänner 2002 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Schwaz (BH) der Beschwerdeführerin die naturschutzrechtliche Bewilligung zum Bau der Forststraße "Stümmlerweg" auf näher genannten Grundstücken der KG E. gemäß den vorliegenden Projektsunterlagen unter Einhaltung bestimmter Nebenbestimmungen.

Nur gegen diesen Bescheidabspruch hat der Landesumweltanwalt mit Schreiben vom 7. Februar 2002 Berufung erhoben.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 26. September 2002 wurde der Berufung Folge gegeben und der Antrag auf Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung unter Berufung auf die §§ 6 lit. d, 7 Abs. 1 lit. b, 10 Abs. 1 sowie 27 Abs. 2 lit. b Z. 2 und Abs. 5 des Tiroler Naturschutzgesetzes 1997, LGBl. Nr. 33/1997 (in der Folge: Tir NatSchG), in Verbindung mit § 4 Abs. 1 lit. c der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 20. Dezember 1988 über die Erklärung eines Teiles des Karwendelgebirges im Gebiet der Gemeinde Eben am Achensee zum Landschaftsschutzgebiet (Landschaftsschutzgebiet Falzthurntal-Gerntal), LGBl. Nr. 27/1989, und den §§ 1, 2, 3 und 5 der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 20. Dezember 1988 zum Schutz wild wachsender Pflanzen und frei lebender, nicht jagdbarer Tiere im Gebiet des "Alpenpark Karwendel" (Pflanzen- und Tierschutzverordnung "Alpenpark Karwendel"), LGBl. Nr. 32/1989, abgewiesen.

Nach der Begründung habe die naturkundliche Amtssachverständige im Verfahren vor der BH nach befundgemäßer Beschreibung des Vorhabens in ihrem Gutachten Folgendes ausgeführt:

"Der zu erschließende Hang nimmt eine exponierte Lage innerhalb des Landschaftsschutzgebietes ein und ist sehr gut vom Achensee, von Pertisau oder von der Mautstraße Richtung Pletzach einsehbar. Aufgrund der sehr gut einsehbaren Lage des zu erschließenden Hanges ergeben sich zwangsläufig durch die geplante Forststraße Beeinträchtigungen für die Schutzgüter Landschaftsbild und Erholungswert.

Aufgrund der durchwegs hohen Steilheit des zu querenden Geländes werden trotz des weitestgehend geschlossenen Waldbestandes der Trassenverlauf und die Schneise sehr gut erkennbar sein. In Teilbereichen (insbes. Kahlschlagfläche, Kehrenbereich, Lichtungen, offene Schneisen) wird die Trasse direkt einsehbar sein. Aufgrund des steilen Geländes werden hohe Böschungen entstehen und der Eingriff ins Gelände stark sein. Im übermittelten Projekt wurden keine Angaben bzgl. erforderlicher Kunstbauten gemacht. Aufgrund der durchwegs hohen Neigung des Hanges werden jedoch - wie auch im Vorprojekt erwähnt wurde - Böschungssicherungen nötig sein.

Die Beeinträchtigungen sind auch deshalb als stark zu werten, da sich der geplante Weg im Landschaftsschutzgebiet 'Falzturntal-Gerntal' und damit im Alpenpark Karwendel befindet. Ziel der Erklärung zum Landschaftsschutzgebiet ist der Erhalt der Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Landschaft sowie des naturnahen Charakters. Durch die Zerschneidung der Landschaft mit der geplanten Wegtrasse würde den Zielsetzungen der Verordnung zum Landschaftsschutzgebiet widersprochen.

Vom Pletzachtal führt bereits eine sehr breite, geschotterte Zufahrtsstraße, die vor ca. 18 Jahren errichtet wurde, zur Feilalm, sodass diese Alm schon durch eine LKW-befahrbare Straße erschlossen ist. Insbesondere im Bereich des Alpenparkes Karwendel sollte auf eine Doppelerschließung von Almen zum Erhalt einer möglichst naturnahen Landschaft mit dem entsprechenden Erholungswert verzichtet werden.

Von der gegenständlichen Trasse werden unterschiedlich strukturierte und ausgeprägte Waldbereiche gequert. Neben weniger wertvollen Fichtendickungen werden auch naturnahe Abschnitte, wasserführende Gräben, kleinräumige Feuchtgebiete und Standorte geschützter Pflanzenarten gequert. Durch die geplante Forststraßentrasse wird das Gebiet zerschnitten, sodass es auch zu Beeinträchtigungen der Lebensgemeinschaft heimischer Tiere und Pflanzen sowie des Naturhaushaltes kommen wird."

Der forstfachliche Amtssachverständige habe im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens dargelegt, dass die zu errichtende Forststraße einerseits ein Hangunterteilungsweg, andererseits ein lawinensicherer Winterwanderweg zur bewirtschafteten Feilalm sei. Der Weg beginne in einer Seehöhe von 1.020 m und ende auf einer Seehöhe von 1.280 m. Bis zur ersten Kehre bei hm 11,5 solle der Weg mit einer Planumbreite von 4 m ausgeführt werden. Die Maximalsteigung des Weges überschreite plangemäß 16 % nicht. Die vier Grabenquerungen der dauernd wasserführenden Gräben, wobei sowohl der innere als auch der äußere Feilgraben jeweils zwei Mal gequert würde, seien mit Stahlrohrdurchlässen versehen. Die Grabenquerungen würden auch furtartig ausgeführt werden. Wegbeginn sei beim Weiderost Pletzach. Faktisch diene die gesamte Wegtrasse zur Erschließung der pflegebedürftigen Bestände, wobei bis dato Pflegemaßnahmen auf Grund der fehlenden Erschließung großteils unterblieben seien. Außerdem sei das gesamte Gebiet ein Rotwildeinstandsgebiet und es fänden sich Schäden in den Beständen. Als Baumart dominiere die Fichte, jedoch seien zahlreiche Mischbaumarten lokal unterschiedlicher Intensität beigemischt, wie insbesondere Lärche, aber auch Buche, Ahorn, Esche, Tanne und Ulme. Zu Wegbeginn im untersten Teil seien letztes Jahr die ersten Waldpflegemaßnahmen gesetzt worden. Einzelne Schadholzbäume bzw. -gruppen durch Käferbefall seien anzutreffen. Die gesamte erschlossene Waldfläche betrage ca. 30 ha. Durch die Wegtrassenführung bis hm 11,5 könnten sämtliche in diesem Bereich befindlichen Bestände in einem Gesamtausmaß von ca. 30 ha als erschlossen bezeichnet werden, da von den bereits bestehenden Wegen und dem geplanten Hangunterteilungsweg mittels Bergauf- und Bergabseilung sämtliche Bestände erschlossen seien. Dies bedeute, dass ab hm 11,5 keine unbedingte forstliche Notwendigkeit mehr für die Errichtung dieses Weges bestehe, obwohl selbstverständlich auch dadurch Bringungserleichterungen in diesem Waldkomplex entstehen würden. Ab hm 11,5 diene die Forststraße in erster Linie nicht forstlichen Interessen, sondern der wintersicheren Wanderwegerschließung der Feilalm.

Im Rahmen eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens vor der belangten Behörde habe der forstfachliche Amtssachverständige weiters dargelegt, dass wegen der fehlenden Erschließung bis dato aus wirtschaftlichen Gründen weitestgehend die bereits erwähnten Arbeiten unterblieben seien. Ohne die nunmehr geplante Erschließung seien die Erntekosten sehr hoch, sodass diese höher als die Erträge seien. Der Hangunterteilungsweg bis hm 11,5 sei notwendig, um sowohl Durchforstungen als auch Schadholzaufbereitungen wirtschaftlich vertretbar durchführen zu können. Für die anstehenden Schadholzaufbereitungen sowie insbesondere die Durchforstungsmaßnahmen seien bei wirtschaftlicher Durchführung die Pletzachtalstraße und auch die Feilalmstraße nicht ausreichend. Bei diesen beiden Wegen bestünde zusätzlich das Problem, dass sie auf Grund des hohen touristischen Aufkommens sowie der Almbewirtschaftung während jener Zeit, während der eine Holzernte im Jahresverlauf möglich sei, nur erschwert genutzt werden könnten bzw. gesperrt werden müssten. Würden die aus Bestandsstabilitätsgründen notwendigen Durchforstungen nicht durchgeführt, so werde sich mittelfristig gesehen ein instabiler Waldzustand einstellen, der zur Minderung der Schutzwirkung des Waldes beitrage. Bei nicht rechtzeitiger bzw. ausreichender Schadholzaufbereitung bestehe außerdem die Gefahr der Vermehrung von Forstschädlingen.

In einer weiteren forstfachlichen Stellungnahme sei ausgeführt worden, dass durch das geplante Wegeprojekt überwiegend Wirtschaftswald mit mittlerer Schutzfunktion, aber auch Schutzwald im Ertrag im oberen Erschließungsbereich sowie reiner Wirtschaftswald im untersten Bereich erschlossen werde. Gerade aus dem Grund, dass es sich um einen relativ einheitlich strukturierten Wald handle, seien Pflegemaßnahmen erforderlich. Zu der bereits bestehenden Erschließung durch Langstreckenbahnen habe der forstfachliche Amtssachverständige ausgeführt, dass in diesem Bereich eine Waldpflege mittels Einsatz von Langstreckenkränen wirtschaftlich nicht durchführbar sei. Deshalb sei für die Durchführung bzw. auch Intensivierung der Waldpflege und wirtschaftliche Durchführung derselben ein Wegebau und die Möglichkeit des Einsatzes von Kurzstreckenseilkränen unbedingt erforderlich. Nur diese Voraussetzungen könnten zu einer wirtschaftlich durchführbaren Waldpflege führen.

Da der gegenständliche Weg in einem als Natura 2000- Schutzgebiet ausgewiesenen Bereich liege, sei im Rahmen des Berufungsverfahrens auch abzuklären gewesen, ob durch das gegenständliche Vorhaben Standorte nach der Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Richtlinie bzw. der Vogelschutzrichtlinie betroffen seien. Hiezu habe der naturkundliche Amtssachverständige ausgeführt, dass es sich bei der erschlossenen Fläche um einen relativ einheitlich strukturierten Wirtschaftswald handle. Dieser werde derzeit durch Langstreckenbahnen bewirtschaftet. Sonderwaldstandorte, wie totholzreiche Abschnitte der Zerfallsphase, lichte, für das Rauhfußhuhn relevante Bereiche etc. seien im Trassenbereich nicht festzustellen gewesen. Durch die Errichtung des Forstweges werde es daher nicht zu einer Intensivierung der forstlichen Bringung kommen. Es werde eher eine kleinflächigere Bewirtschaftung durchgeführt werden. Es werde sich daher wahrscheinlich keine wesentliche Intensivierung in der Holznutzung und somit in der Habitatsstruktur durch die Errichtung des Forstweges ergeben. Somit würden sich auch nur geringe Beeinträchtigungen für Anhang I-Arten nach der Vogelschutzrichtlinie, wie beispielsweise den Schwarzspecht, ergeben. Viele Arten, wie beispielsweise das Haselhuhn, ebenfalls eine Anhang I-Art, sei an spezielle Habitatstrukturen wie hohes Grenzlinienangebot etc. gebunden. Ob nun eine Bewirtschaftung mit Langstreckenbahnen erfolge oder durch einen Forstweg, sei daher unerheblich. Weiters seien bei der Begehung keine besonderen Habitatsstrukturen im Waldbereich festgestellt worden, die auf eine besondere Eignung für andere Anhang I-Arten hinweisen würden. Ausgeprägte FFH-Standorte hätten bei der Begehung nicht festgestellt werden können.

Die angeführten Stellungnahmen der mit dem Projekt befassten Amtssachverständigen - so heißt es in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiter - würden von der belangten Behörde als schlüssig und widerspruchsfrei angesehen. Da der geplante Forstweg in einem Gebiet liege, welches in die nationale Vorschlagsliste zur Schaffung eines kohärenten europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete im Sinne des Art. 3 der FFH-Richtlinie aufgenommen worden sei, sei im Sinne des Art. 6 Abs. 3 der angeführten Richtlinie zu prüfen gewesen, ob das Projekt, welches nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehe oder hiefür notwendig sei, dieses Gebiet einzeln oder im Zusammenhang mit anderen Projekten erheblich beeinträchtigen könne. Im Rahmen der durchgeführten Verträglichkeitsprüfung habe sich nach dem oben wiedergegebenen naturkundlichen Gutachten herausgestellt, dass im Vergleich zum Ist-Zustand (Bewirtschaftung mit Langstreckenbahnen) mit der Errichtung des Forstweges keine Lebensraumtypen bzw. Arten im Sinne der FFH-Richtlinie beeinträchtigt würden. Im Bereich des geplanten Forstweges seien keinerlei Habitat-Strukturen im Waldbereich vorhanden, die auf eine besondere Eignung für andere Anhang I-Arten hinweisen würden. Hinsichtlich von Anhang I-Arten nach der Vogelschutzrichtlinie, wie beispielsweise den Schwarzspecht oder viele Anhang I-Arten nach der FFH-Richtlinie, wie beispielsweise das Haselhuhn, würden sich durch die Errichtung des Forstweges keine Beeinträchtigungen ergeben. Im Trassenbereich würden auch keinerlei lichte Waldbereiche betroffen, die für das Rauhfußhuhn relevant seien. Auf Grund dieser Verfahrensergebnisse sei von einer positiven Verträglichkeitsprüfung auszugehen und das beantragte Projekt anhand der weiteren, innerstaatlichen Bestimmungen zu prüfen.

Im Hinblick auf die naturkundliche Stellungnahme im erstinstanzlichen Verfahren, wonach mit dem gegenständlichen Projekt starke Beeinträchtigungen der Schutzgüter Landschaftsbild und Erholungswert sowie mittelstarke Beeinträchtigungen der Lebensgemeinschaften heimischer Tier- und Pflanzenarten sowie des Naturhaushaltes verbunden seien, sei zu prüfen, ob die im Verfahren angeführten, für die Verwirklichung des Vorhabens sprechenden Interessen als langfristige öffentliche Interessen im Sinne des § 27 Abs. 2 lit. b Z. 2 Tir NatSchG angesehen werden könnten, und ob diese die festgestellten und im Verfahren unwidersprochen gebliebenen Beeinträchtigungen der Schutzgüter im Sinne des § 1 Abs. 1 Tir NatSchG überwiegen würden. In diesem Zusammenhang gehe die belangte Behörde davon aus, dass die angeführten forstfachlichen Ausführungen das Vorhandensein eines derartigen öffentlichen Interesses nicht rechtfertigten. Entsprechend der forstfachlichen Stellungnahme, dass für die notwendige Bewirtschaftung des zu erschließenden Waldbereiches im Hinblick auf Durchforstungsmaßnahmen bzw. Schadholzaufbereitungsmaßnahmen und damit im Zusammenhang stehende Schädlingsvorbeugungsmaßnahmen die Wegtrassenführung bis einschließlich hm 11,5 ausreiche, sei im Rahmen der Interessenabwägung eine entsprechende Differenzierung vorzunehmen. Im Wegebereich bis hm 11,5 sei davon auszugehen, dass sich dieser Forstwegeteil als idealer Hangunterteilungsweg darstelle und eine Erleichterung der Bewirtschaftung von 30 ha Wald darstelle. Der Weg diene nach den Ausführungen der forstfachlichen Amtssachverständigen lediglich dazu, notwendige Durchforstungen sowie Schadholzaufbereitungen, die bereits durch die bestehenden Langstreckenseilkräne durchgeführt werden könnten, auf eine ökonomischere, d.h. wirtschaftlich günstigere Weise durchzuführen. Nach den forstfachlichen Stellungnahmen sei jedoch nicht davon auszugehen, dass bei Versagung der naturschutzrechtlichen Bewilligung notwendige Maßnahmen nicht mehr oder nur mehr auf eine die Existenz des Forstbetriebes gefährdende Art und Weise durchgeführt werden könnten. Selbst wenn man in der wirtschaftlicheren Durchführung von Waldbewirtschaftungsmaßnahmen neben dem offensichtlich hauptsächlich rein privatwirtschaftlichen Interesse auch ein gewisses öffentliches Interesse, welches an der Waldbewirtschaftung an sich bestehe, als gegeben ansehe, sei demgegenüber bei der Entscheidung zunächst auf die im Verfahren festgestellten, teilweise starken, teilweise mittelstarken Beeinträchtigungen von Schutzgütern im Sinne des § 1 Abs. 1 Tir NatSchG Rücksicht zu nehmen. Hinzu komme, dass der gegenständliche Forstweg in einem Landschaftsschutzgebiet liege, dessen besonderes Ziel in der Erhaltung des Gebietes in seiner besonderen landschaftlichen Eigenart und Schönheit und dessen naturnahen Charakters bestehe. Als weiterer Aspekt der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass die Tiroler Landesregierung in ihrer Pflanzen- und Tierschutzverordnung "Alpenpark Karwendel" die spezifische Bedeutung dieses Lebensraumes für bestimmte Tier- und Pflanzenarten zum Ausdruck gebracht habe. Dem gegenüber könne die belangte Behörde bloß in der Sicherstellung einer wirtschaftlich gesehen günstigeren Waldbewirtschaftungsform kein ausreichend gewichtiges, langfristiges öffentliches Interesse erkennen, welches im vorliegenden Fall die Beeinträchtigung der genannten Schutzgüter überwiegen würde.

Hinsichtlich des restlichen Weges ab hm 11,5 seien im Verfahren ebenso keine derartigen langfristigen öffentlichen Interessen hervorgekommen, die die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Bewilligung im konkreten Fall rechtfertigen könnten. Die Tatsache, dass die ursprünglich zu erschließende Feilalm bereits mit dem bestehenden, wenn auch nicht ganzjährig lawinensicheren Feilkopfweg erreichbar sei, lasse die Errichtung eines weiteren Weges als unnotwendig erscheinen. Weiters sei zu berücksichtigen, dass Doppelerschließungen in Landschaftsschutzgebieten einer besonderen Rechtfertigung bedürften und entsprechend der Stellungnahme der naturkundlichen Amtssachverständigen weitestgehend zu vermeiden seien. Das Argument der Beschwerdeführerin, dass nur durch die Errichtung des "Stümmlerweges" ab hm 11,5 bis zur Feilalm die Existenz des Almbesitzers gesichert sei, sei im Verfahren nicht belegt worden und sei offensichtlich als aus rein privatwirtschaftlichem Interesse herrührend anzusehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 1 Abs. 1 der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 20. Dezember 1988 über die Erklärung eines Teiles des Karwendelgebirges im Gebiet der Gemeinde Eben am Achensee zum Landschaftsschutzgebiet (Landschaftsschutzgebiet Falzthurntal-Gerntal), LGBl. Nr. 27/1989, wird das in der Anlage dargestellte rot umrandete Gebiet zum Landschaftsschutzgebiet erklärt.

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unbestritten, dass das beabsichtigte Vorhaben in dem genannten Landschaftsschutzgebiet liegt.

Gemäß § 10 Abs. 2 lit. b Tir NatSchG iVm § 4 Abs. 1 lit. c der zitierten Verordnung bedarf im Landschaftsschutzgebiet, sofern im Abs. 2 nicht anderes bestimmt ist, der Neubau, der Ausbau und die Verlegung von Straßen und Wegen einer Bewilligung.

Die Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 20. Dezember 1988 zum Schutz wild wachsender Pflanzen und frei lebender, nicht jagdbarer Tiere im Gebiet des "Alpenparks Karwendel" LGBl. Nr. 32/1989 umfasst unter anderem das Landschaftschutzgebiet Falzthurntal-Gerntal (§ 1 Z. 7).

In dem nach § 1 dieser Verordnung umgrenzten Gebiet sind gemäß § 2 Abs. 1 alle Arten von wild wachsenden Pflanzen gänzlich geschützt.

In dem nach § 1 umgrenzten Gebiet sind gemäß § 3 Abs. 1 alle Arten von frei lebenden, nicht jagdbaren Tieren, sofern im Abs. 2 nicht anderes bestimmt ist, geschützt.

Nach § 6 lit. d Tir NatSchG bedürfen außerhalb geschlossener Ortschaften, sofern hiefür nicht nach einer anderen Bestimmung dieses Gesetzes, einer Verordnung auf Grund dieses Gesetzes oder einem der in der Anlage zu § 46 Abs. 1 genannten Gesetze einer naturschutzrechtlichen Bewilligung der Neubau von Straßen und Wegen oberhalb einer Seehöhe von 1.700 m oder mit einer Länge von mehr als 500 m, mit Ausnahme von Straßen, für die in einem Bebauungsplan die Straßenfluchtlinien festgelegt sind, und von Güterwegen nach § 4 Abs. 1 des Güter- und Seilwege-Landesgesetzes.

Nach § 7 Abs. 1 lit. b Tir NatSchG bedürfen außerhalb geschlossener Ortschaften im Bereich von fließenden natürlichen Gewässern und von stehenden Gewässern mit einer Wasserfläche von mehr als 2.000 m2 die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen einer naturschutzrechtlichen Bewilligung.

Gemäß § 10 Abs. 1 Tir NatSchG kann die Landesregierung außerhalb geschlossener Ortschaften gelegene Gebiete von besonderer landschaftlicher Eigenart oder Schönheit durch Verordnung zu Landschaftsschutzgebieten erklären.

Nach § 27 Abs. 2 lit. b Tir NatSchG darf eine naturschutzrechtliche Bewilligung für Vorhaben, für die in Verordnungen nach den §§ 10 Abs. 1 oder 11 Abs. 1 einer Bewilligungspflicht festgesetzt ist, nur erteilt werden,

1. wenn das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt wird, die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht beeinträchtigt oder

2. wenn andere langfristige öffentliche Interessen an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 überwiegen. In Naturschutzgebieten darf außerdem ein erheblicher, unwiederbringlicher Verlust der betreffenden Schutzgüter nicht zu erwarten sein.

Nach § 1 Abs. 1 Tir NatSchG hat dieses Gesetz zum Ziel, die Natur als Lebensgrundlage des Menschen so zu erhalten und zu pflegen, dass

a)

ihre Vielfalt, Eigenart und Schönheit,

b)

ihr Erholungswert,

c)

der Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und deren natürliche Lebensräume und

              d)              ein möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger Naturhaushalt

bewahrt und nachhaltig gesichert oder wieder hergestellt werden. Die Erhaltung und die Pflege der Natur erstrecken sich auf alle ihre Erscheinungsformen, insbesondere auch auf die Landschaft, und zwar unabhängig davon, ob sie sich in ihrem ursprünglichen Zustand befindet oder durch den Menschen gestaltet wurde. Der ökologisch orientierten land- und forstwirtschaftlichen Nutzung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Die Natur darf nur so weit in Anspruch genommen werden, dass ihr Wert auch für die nachfolgenden Generationen erhalten bleibt.

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, dass mit dem gegenständlichen Projekt starke Beeinträchtigungen der Schutzgüter Landschaftsbild und Erholungswert sowie mittelstarke Beeinträchtigungen der Lebensgemeinschaften heimischer Tier- und Pflanzenarten sowie des Naturhaushaltes verbunden sind. Die belangte Behörde hat sich dabei im Wesentlichen auf das im Verfahren vor der Behörde erster Instanz eingeholte Gutachten der naturkundlichen Amtssachverständigen gestützt.

Dem hält die Beschwerde zunächst entgegen, die belangte Behörde habe verabsäumt, eine großräumige und umfassende Beschreibung des Landschaftsbildes einzuholen. Auch hinsichtlich des Erholungswertes beschränkten sich die Feststellungen der belangten Behörde - aufbauend auf dem Gutachten der naturkundlichen Amtssachverständigen - praktisch darauf, dass diesbezüglich eine starke Beeinträchtigung stattfinde.

Bereits mit diesem Vorwurf ist die Beschwerdeführerin im Recht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, die Behörde habe in einem Verfahren über eine Bewilligung nach § 27 Abs. 2 Tir NatSchG in einem ersten Schritt zu prüfen, welches Gewicht der Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 Tir NatSchG (Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Natur, Erholungswert, Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und deren natürliche Lebensräume, möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger Naturhaushalt) durch das Vorhaben zukommt. Dem hat sie die langfristigen öffentlichen Interessen, denen die Verwirklichung des Vorhabens dienen soll, gegenüber zu stellen. Den Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung entspricht ein auf Grund einer Interessenabwägung ergangener Bescheid nur dann, wenn er in qualitativer und quantitativer Hinsicht nachvollziehbare Feststellungen über jene Tatsachen enthält, von denen Art und Ausmaß der verletzten Interessen im Sinne des § 1 Abs. 1 Tir NatSchG abhängt, über jene Auswirkungen des Vorhabens, in denen eine Verletzung dieser Interessen zu erblicken ist und über jene Tatsachen, die das langfristige öffentliche Interesse ausmachen, dessen Verwirklichung die beantragte Maßnahme dienen soll (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. Mai 2000, Zl. 98/10/0343, mit weiteren Hinweisen).

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt ferner in ständiger Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Verletzung von Interessen des Landschaftschutzes in landschaftsbildlicher Hinsicht die Auffassung, dass erst eine auf hinreichenden Ermittlungsergebnissen - insbesondere auf sachverständiger Basis - beruhende, großräumige und umfassende Beschreibung der verschiedenartigen Erscheinungen der Landschaft es erlaubt, aus der Vielzahl jene Elemente herauszufinden, die der Landschaft ihr Gepräge geben und daher vor einer Beeinträchtigung bewahrt werden müssen. Für die Lösung der Frage, ob das solcherart ermittelte Bild der Landschaft durch das beantragte Vorhaben nachteilig beeinflusst wird, ist dann entscheidend, wie sich dieses Vorhaben in das vorgefundene Bild einfügt (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 18. Februar 2002, Zl. 99/10/0188, mit weiteren Hinweisen).

Die Feststellung, ein Vorhaben beeinträchtige das Landschaftsbild, bedarf einer so ausführlichen Beschreibung des Bildes der Landschaft, dass die Schlussfolgerung der Störung dieses Bildes durch das Vorhaben nachvollziehbar gezogen werden kann (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. Jänner 1998, Zl. 95/10/0101).

In Ansehung der von der belangten Behörde angenommenen Beeinträchtigung des Erholungswertes bedarf es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nachvollziehbar begründeter Feststellungen, inwieweit in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht für den Erholungswert der betroffenen Landschaft maßgebende Umstände durch das Vorhaben beeinträchtigt würden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. November 2004, Zl. 2002/10/0029).

In dieser Hinsicht ist der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich zu entnehmen, dass der zu erschließende Hang eine "exponierte Lage" innerhalb des Landschaftschutzgebietes einnehme und sehr gut vom Achensee, von Pertisau und von der Mautstraße Richtung Pletzach einsehbar sei. Aufgrund der sehr gut einsehbaren Lage des zu erschließenden Hanges würden sich "zwangsläufig durch die geplante Forststraße Beeinträchtigungen für die Schutzgüter Landschaftsbild und Erholungswert" ergeben.

Soweit die belangte Behörde Beeinträchtigungen der Lebensgemeinschaften heimischer Tier- und Pflanzenarten sowie des Naturhaushaltes angenommen hat, ist der Begründung ihres Bescheides überhaupt nur zu entnehmen, dass durch die geplante Forststraße "das Gebiet zerschnitten" werde, sodass es auch zu "Beeinträchtigungen der Lebensgemeinschaften heimischer Tiere und Pflanzen sowie des Naturhaushaltes kommen" werde.

Damit entspricht der angefochtene Bescheid nicht den oben dargelegten Anforderungen an die gesetzmäßige Begründung eines im Grunde des § 27 Abs. 2 Tir NatSchG ergangenen Bescheides.

Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind auch relevant im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG, weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 27. Februar 2006

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2002100191.X00

Im RIS seit

28.03.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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