TE Vwgh Erkenntnis 2006/2/28 2005/21/0055

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Veröffentlicht am 28.02.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
MRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs1 Z2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z4;
StbG 1985 §10 Abs1 Z5;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §10 Abs1 Z7;
StbG 1985 §10 Abs1 Z8;
StbG 1985 §10 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2005/21/0056

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde 1. des M, und

2. der J, beide in Amstetten, beide vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 17. Jänner 2005, Zl. 3327/04 (ad 1.), und vom 26. Jänner 2005, Zl. 3326/04 (ad 2.), jeweils betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je EUR 1.171,20 (insgesamt daher EUR 2.342,40) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer, ein mazedonischer Staatsangehöriger, befindet sich seit 12. April 1992 in Österreich, zuletzt auf Grund einer bis 20. Mai 2012 gültigen weiteren Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck. Seine Ehegattin, die Zweitbeschwerdeführerin, eine kroatische Staatsangehörige, hält sich - nach Voraufenthalt 1999 und 2000 - seit Oktober 2001 ununterbrochen im Inland auf und verfügte über eine bis 18. Februar 2005 gültige weitere Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft - ausgenommen Erwerbstätigkeit". Die beiden Kinder der Beschwerdeführer wurden am 12. Juli 2000 bzw. am 6. April 2004 in Österreich geboren.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 10. Mai 2004 wurden die beiden Beschwerdeführer je zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten verurteilt; der Erstbeschwerdeführer wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahles im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach den §§ 127 und 130 erster und zweiter Fall StGB sowie wegen des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs. 1 StGB, die Zweitbeschwerdeführerin wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahles im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4 und 130 erster und zweiter Fall StGB sowie wegen des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs. 1 StGB. Dem liegt zugrunde, dass die Beschwerdeführer - im Folgenden auszugsweise der Schuldspruch des Strafurteils - "zumindest seit 2002 bis 30.11.2003 gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung eines anderen Mitgliedes dieser Vereinigung fremde bewegliche Sachen in einem EUR 2.000,--, nicht jedoch EUR 40.000,-- übersteigenden Wert in zahlreichen Angriffen mit dem Vorsatz weggenommen (haben), sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern" und dass sie gemeinsam mit drei weiteren Personen "zumindest seit 2002 bis 30.11.2003 in Dimbach eine kriminelle Vereinigung gegründet bzw. sich an einer solchen als Mitglied beteiligt" haben.

Mit den angefochtenen, jeweils im Instanzenzug ergangenen Bescheiden verhängte die belangte Behörde gegen die beiden Beschwerdeführer im Hinblick auf die erwähnte strafgerichtliche Verurteilung jeweils gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot.

Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Der Erstbeschwerdeführer macht u.a. geltend, dem ihn betreffenden Aufenthaltsverbot stehe § 38 Abs. 1 Z 3 FrG entgegen. Zufolge dieser Bestimmung darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 kann die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat (Z 1) und wenn die in den Z 2 bis 8 dieses Absatzes umschriebenen Verleihungsvoraussetzungen erfüllt sind. Vor dem Hintergrund der Verleihungsvoraussetzung der Z 6 einerseits - demnach muss der Fremde nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bieten, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet - und der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes andererseits, wonach bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes nach § 38 Abs. 1 Z 3 FrG zu prüfen ist, ob der Fremde vor Verwirklichung des ersten von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstandes bereits mehr als zehn Jahre seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen in Österreich hatte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2004, Zl. 2003/21/0039), kommt es im vorliegenden Fall darauf an, ob der Erstbeschwerdeführer bei Beginn seines strafbaren Verhaltens bereits über einen zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügte.

Die belangte Behörde führte aus, "dass die erstmalige Durchführung von Straftaten mit dem Beginn des Jahres 2002 festzusetzen ist, wobei vereinzelt Straftaten auch schon im Jahr 2001 ausgeübt wurden" und dass der Erstbeschwerdeführer "die Zehnjahresfrist des § 38 Abs. 3 Fremdengesetz 1997 ... nur relativ knapp um cirka dreieinhalb Monate verfehlt" habe. Sie legte ihrer Beurteilung damit erkennbar zugrunde, dass der Erstbeschwerdeführer seit seiner Einreise nach Österreich am 12. April 1992 über einen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Inland verfüge. Was ihre Annahme anlangt, der Erstbeschwerdeführer habe ab Beginn des Jahres 2002 Straftaten verübt, so stützte sie sich auf den strafgerichtlichen Schuldspruch und die "niederschriftlichen Einvernahmen" der Mittäter des Erstbeschwerdeführers. Aus dem oben auszugsweise wiedergegebenen strafgerichtlichen Schuldspruch lässt sich indes nicht ableiten, der Erstbeschwerdeführer habe bereits "mit dem Beginn des Jahres 2002" (und damit jedenfalls vor dem 12. April 2002) Straftaten begangen. Wenn in diesem Schuldspruch davon die Rede ist, der Erstbeschwerdeführer habe "zumindest seit 2002 bis 30.11.2003" sein deliktisches Verhalten gesetzt, so heißt das nämlich nur, dass er jedenfalls 2002 (wann auch immer) Tathandlungen begangen hat, eine zeitliche Aussage dahingehend, diese seien bereits mit Jahresanfang anzusetzen, kann darin jedoch nicht erblickt werden. Dass die Umschreibung des Tatzeitraumes auch offen lässt, dass möglicherweise bereits vor 2002 die ersten deliktischen Handlungen verwirklicht wurden, ändert daran nichts. Insoweit trifft der fragliche Urteilsspruch keine definitive Aussage, er legt aber ebenso wenig deutlich fest, wann im Laufe des Jahres 2002 (insbesondere: vor oder nach dem 12. April 2002?) von einer erstmaligen Deliktsverwirklichung auszugehen ist.

Soweit die belangte Behörde ergänzend "niederschriftliche Einvernahmen" der Mittäter ins Treffen geführt hat, ist sie jegliche Präzisierung schuldig geblieben. Daraus lässt sich mithin nichts gewinnen, weshalb der Annahme, der Erstbeschwerdeführer habe bereits vor dem 12. April 2002 und daher vor Ablauf der zehnjährigen Wohnsitzfrist des § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 strafbare Handlungen begangen, im Ergebnis eine tragfähige Grundlage fehlt. Im Hinblick darauf kann das gegen den Erstbeschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot im Grunde des § 38 Abs. 1 Z 3 FrG keinen Bestand haben. Angesichts dessen erübrigt sich aber eine nähere Auseinandersetzung mit den weiteren Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot gegen den Erstbeschwerdeführer bzw. mit den darauf bezugnehmenden Beschwerdeausführungen.

2. Dem Aufenthaltsverbot gegen die Zweitbeschwerdeführerin steht § 38 Abs. 1 Z 3 FrG nicht entgegen. Die belangte Behörde hat dieses Aufenthaltsverbot allerdings nicht nur im Zuge der Beurteilung nach § 37 FrG, sondern überdies im Rahmen ihrer Überlegungen zur Ausübung des ihr nach § 36 Abs. 1 FrG offen stehenden Ermessens u.a. damit begründet, dass auch der Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin, der Erstbeschwerdeführer, auf Grundlage des gegen ihn verhängten Aufenthaltsverbots Österreich verlassen müsse. Dieser Einschätzung ist nach den obigen Ausführungen zu 1. der Boden entzogen. Konsequenz ist, dass auch das gegen die Zweitbeschwerdeführerin erlassene Aufenthaltsverbot der Kassation verfallen muss, ist es doch - ohne auf die Frage der Maßgeblichkeit dieses Umstandes vor dem Hintergrund des § 37 FrG näher einzugehen - nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde unter der Annahme, gegenüber dem Erstbeschwerdeführer könne kein Aufenthaltsverbot verhängt werden, bei ihrer Ermessensübung bezüglich der Zweitbeschwerdeführerin zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

3. Nach dem Gesagten waren beide bekämpften Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Februar 2006

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005210055.X00

Im RIS seit

30.03.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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