TE Vwgh Erkenntnis 2006/3/1 2005/21/0064

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Veröffentlicht am 01.03.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §34 Abs1 Z1;
FrG 1997 §38 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Klaus Rieger, Rechtsanwalt in 8572 Bärnbach, Telepark 1/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 18. Februar 2005, Zl. Fr 449/2004, betreffend die Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf folgende rechtskräftige Verurteilungen des Beschwerdeführers und die diesen zu Grunde liegenden (auszugsweise wiedergegebenen) Tathandlungen:

1. Urteil des Jugendgerichtes Graz vom 31. Jänner 2001 wegen § 50 Abs. 1 Z. 2 und § 17 Abs. 1 Z. 6 Waffengesetz (Besitz einer verbotenen Waffe), Schuldspruch ohne Strafe;

2. Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 18. Juli 2002 wegen Diebstahls durch Einbruch und Hehlerei, Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe (Probezeit von 3 Jahren);

3. Urteil des Jugendgerichtes Graz vom 27. Februar 2003 wegen Diebstahls und Urkundenunterdrückung, Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe (Probezeit von 3 Jahren);

4. Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 29. April 2003 wegen §§ 27 Abs. 1 und 28 Abs. 1, 2 und 3 Suchtmittelgesetz - SMG (in zahlreichen Tathandlungen wiederholtes, zum Teil versuchtes gewerbsmäßiges Inverkehrsetzen von insgesamt rund 14.000 Ecstasytabletten sowie von 1013 Gramm Amphetaminen in den Jahren 2001 und 2002), Freiheitsstrafe von 36 Monaten.

Der Beschwerdeführer sei erstmals im Jahr 1990 (also im Alter von 6 Jahren) gemeinsam mit seinen Eltern, die gleichfalls bosnische Staatsangehörige seien, in das Bundesgebiet eingereist und sei seither hier legal aufhältig. Er sei seit 5. Juni 2004 mit einer bosnischen Staatsangehörigen verheiratet, die im Juni 2004 bei ihm in Österreich nur zu Besuch geweilt habe. Nach Scheitern des Abschlusses einer Berufsausbildung sei er als Hilfskraft bei einem kärntner Bauunternehmen aufrecht beschäftigt.

Der Beschwerdeführer stelle eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit, die körperliche Unversehrtheit und das Vermögen anderer sowie - insbesondere infolge der in zahlreichen Tathandlungen wiederholten Suchtgiftdelikte - eine Gefahr für die Volksgesundheit dar. Wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen (zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Gesundheit) notwendig und gemäß § 37 Abs. 1 FrG zulässig.

Es treffe zu, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 39 SMG iVm § 6 des Strafvollzugsgesetzes der Aufschub des Vollzuges der 36-monatigen Freiheitsstrafe unter der Bedingung bewilligt worden sei, dass er sich einer notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme (der Behandlung seiner Sucht) zu unterziehen habe. Dies ändere jedoch nichts an der Tatsache der Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe. Die hiermit abgeurteilten, in hohem Maße sozialschädlichen Suchtgiftdelikte stünden auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen. Auch die familiären Bindungen des Beschwerdeführers könnten angesichts der erheblichen Delinquenz zu keinem anderen Ergebnis führen. Er müsse deshalb einen schwer wiegenden und relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben in Kauf nehmen.

Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes sei unter Bedachtnahme auf § 39 Abs. 1 FrG für jenen Zeitraum festzulegen, nach dessen Ablauf vorhersehbarer Weise der Grund für seine Erlassung weggefallen sein werde. Auf Grund der starken sozialen Bindungen in Österreich (Mutter, Vater und beide Geschwister lebten im Bundesgebiet) könne davon ausgegangen werden, dass es nach Ablauf von 10 Jahren zu einer Änderung der Einstellung gegenüber den Gesetzen der Republik Österreich kommen werde. Dafür spreche auch die gemäß § 39 SMG begonnene Suchtgifttherapie.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und nach einer weiteren Eingabe des Beschwerdeführers eine Gegenäußerung mit dem erkennbaren Antrag eingebracht, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt u.a. vor, er habe gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 22. Juni 2004 (rechtzeitig) zwei Berufungsschriften eingebracht, wobei die belangte Behörde einen dieser Schriftsätze unberücksichtigt gelassen habe. Darin habe er geltend gemacht, es sei ihm am 18. Juni 2004, also vor Erlassung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes, ein Aufenthaltstitel "in Form einer Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck gemäß § 13 Abs. 2 Fremdengesetz erteilt" worden. Schon auf Grund der im Bescheid der belangten Behörde berücksichtigten Strafregisterauskunft sei es eindeutig, dass der Niederlassungsbehörde zum Zeitpunkt der Erlassung der "Aufenthaltsbewilligung" (Niederlassungsbewilligung) sämtliche strafgerichtlichen Verurteilungen bekannt gewesen seien bzw. bekannt gewesen sein müssten. Offensichtlich habe sie die Verurteilungen jedoch als nicht so gravierend angesehen, dass sie einer Verlängerung der Niederlassungsbewilligung entgegengestanden wären. Da sich die belangte Behörde mit diesen Berufungseinwendungen nicht auseinander gesetzt habe, habe sie eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu verantworten.

Mit diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer im Recht:

Vorauszuschicken ist, dass das in § 63 AVG begründete Berufungsrecht einer Partei auch die Möglichkeit einräumt, innerhalb offener Berufungsfrist mehrere Schriftsätze, mit denen Berufung gegen denselben Bescheid erhoben wird, einzubringen. Diese sind als eine Berufung anzusehen, die Berufungsbehörde hat darüber in einem zu entscheiden. Bereits dadurch, dass die belangte Behörde - wie vom Beschwerdeführer richtig dargestellt - auf das Vorbringen eines Berufungsschriftsatzes nicht inhaltlich eingegangen ist, erweist sich ihr Berufungsverfahren als fehlerhaft (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. November 1985, Zl. 83/05/0134 = Slg. Nr. 11.943/A).

In der Sache darf ein Aufenthaltsverbot gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG dann nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder Z. 2 leg. cit. wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre.

Gemäß § 34 Abs. 1 FrG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn (unter anderem)

1. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre oder

2. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht.

Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (685 BlgNR 20. GP, 74) wird mit § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG dem Umstand Rechnung getragen, dass entweder die Behörde - aus welchem Grund auch immer - vom Bestehen eines Versagungsgrundes (erst nachträglich) Kenntnis erlangt hat, der der Erteilung eines Aufenthaltstitels bereits zum Zeitpunkt der ursprünglichen Erteilung entgegengestanden wäre, oder nachträglich ein Versagungsgrund eintritt, der die Versagung des Aufenthaltstitels rechtfertigt.

Die von der belangten Behörde als Grundlage für das Aufenthaltsverbot herangezogenen Verurteilungen könnten zweifellos einen Grund für die Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG darstellen. Dieser Versagungsgrund ist jedoch bereits vor Erteilung der weiteren Niederlassungsbewilligung eingetreten. Zudem ergeben sich aus dem Akteninhalt (Strafregisterauskunft vom 28. Mai 2004) Anhaltspunkte dafür, dass sämtliche einleitend dargestellten Verurteilungen der Niederlassungsbehörde bekannt gewesen sein könnten, zumal sie über eine entsprechende Abfragemöglichkeit verfügt. Ob diese tatsächlich genutzt wurde, entzieht sich - mangels diesbezüglicher Feststellung seitens der belangten Behörde - einer abschließenden Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieses Versäumnis der belangten Behörde ist wesentlich, weil für den Fall, dass der Versagungsgrund nach § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG weder nachträglich eingetreten noch der Niederlassungsbehörde erst nachträglich (nach Erteilung der Niederlassungsbewilligung) bekannt geworden ist, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer aus dem Grund des § 38 Abs. 1 Z. 2 (iVm § 34 Abs. 1 Z. 1) FrG unzulässig wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. August 2000, Zl. 99/18/0259, und vom 27. Februar 2003, Zl. 2002/18/0179).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Ob darüber hinaus auch § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes entgegengestanden wäre, braucht bei diesem Ergebnis nicht geprüft zu werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 1. März 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005210064.X00

Im RIS seit

02.05.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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