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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §42 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des C, geboren 1970 (alias S auch Z, geboren 1974), in E, vertreten durch Mag. Dieter Helbok, Rechtsanwalt in 6973 Höchst, Kirchplatz 11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. September 2003, Zl. 240.081/6-IV/44/03, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 27. Juni 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers, eines chinesischen Staatsangehörigen, gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach China fest.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer an der damals aktenkundigen Adresse in G., Sch.-straße 15, "zu eigenen Handen" zuzustellen versucht. Nachdem der erste Zustellversuch am 30. Juni 2003 erfolglos geblieben war, wurde der zweite Zustellversuch für den 1. Juli 2003 (so der Vermerk auf dem Kuvert AS 105 in den erstinstanzlichen Akten) bzw. für den 3. Juli 2003 (so die von der belangten Behörde eingeholte Auskunft des zuständigen Zustellstützpunktes in OZl. 1 der Akten des Berufungsverfahrens) angekündigt. Tatsächlich wurde der zweite Zustellversuch dann erst am 4. Juli 2003 durchgeführt. Dieser blieb wieder erfolglos, weshalb die Sendung beim Postamt hinterlegt wurde.
Gegen den eingangs erwähnten Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine am 25. Juli 2003 zur Post gegebene Berufung, welche die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid - ausgehend von einer rechtswirksamen Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides durch Hinterlegung am 4. Juli 2003 - als verspätet zurückwies.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
§ 21 ZustG lautet:
"Zustellung zu eigenen Handen
§ 21. (1) Dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellende Sendungen dürfen nicht an einen Ersatzempfänger zugestellt werden.
(2) Kann die Sendung beim ersten Zustellversuch nicht zugestellt werden, so ist der Empfänger schriftlich unter Hinweis auf die sonstige Hinterlegung zu ersuchen, zu einer gleichzeitig zu bestimmenden Zeit an der Abgabestelle zur Annahme des Schriftstückes anwesend zu sein. Dieses Ersuchen ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Zur angegebenen Zeit ist ein zweiter Zustellversuch durchzuführen. Ist auch dieser erfolglos, ist nach § 17 zu hinterlegen."
In Fällen, in denen eine Zustellung zu eigenen Handen erfolgen soll, darf eine Hinterlegung nach § 17 ZustG somit nicht schon dann vorgenommen werden, wenn die Sendung beim ersten Zustellversuch nicht zugestellt werden kann. § 21 Abs. 2 ZustG fordert vielmehr weitergehende Bemühungen mit dem Ziel, dass die Sendung wirklich demjenigen zukommt, für den sie persönlich ("zu eigenen Handen") bestimmt ist. Dementsprechend ist in der zuletzt genannten Gesetzesstelle - zwingend - angeordnet, dass nach einem erfolglosen ersten Zustellversuch dem Empfänger schriftlich ein zweiter Zustelltermin bekannt zu geben und er zu ersuchen ist, zu diesem Termin an der Abgabestelle zur Annahme der Sendung anwesend zu sein. Erst wenn der Empfänger auch zu diesem Termin (zweiter Zustellversuch) nicht angetroffen wird, darf gemäß dem letzten Satz des § 21 Abs. 2 ZustG eine Hinterlegung nach § 17 ZustG mit den dort vorgesehenen Rechtsfolgen stattfinden. Der Zweck des im ersten Satz des § 21 Abs. 2 ZustG genannten schriftlichen Ersuchens an den Empfänger, zu einer gleichzeitig zu bestimmenden Zeit an der Abgabestelle zur Annahme der Sendung anwesend zu sein, ist erkennbar der, dem Empfänger tatsächlich die Möglichkeit der persönlichen Empfangnahme des für ihn bestimmten Schriftstückes zu bieten. Mit dem gesetzlich vorgesehenen zweimaligen Zustellversuch soll somit gewährleistet werden, dass der Empfänger der Sendung in der Regel von der beabsichtigten Zustellung Kenntnis erhält (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1995, Zl. 95/14/0067, mwN; daran anschließend siehe etwa auch die Erkenntnisse vom 2. Juni 1999, Zl. 98/04/0111, und vom 19. Juli 2001, Zl. 95/12/0206).
Im gegenständlichen Fall wurde der zweite Zustellversuch nicht am angekündigten Tag, sondern erst am 4. Juli 2003 vorgenommen. Nachdem der Beschwerdeführer an diesem Tag nicht angetroffen wurde, erfolgte die Hinterlegung der Sendung beim Zustellpostamt. Diese Vorgangsweise bemängelt die Beschwerde zu Recht.
Dem dargestellten Zweck dieser Bestimmung widerspricht es nämlich, den zweiten Zustellversuch nicht zur "angegebenen Zeit", sondern an einem anderen als dem in der (mit dem Ersuchen um Anwesenheit verbundenen) Ankündigung genannten Tag vorzunehmen. Erfolgt der zweite Zustellversuch nicht an jenem Tag, für den er angekündigt worden war, und wird der Empfänger beim ankündungswidrigen Zustellversuch nicht angetroffen, ist die danach ohne weiteres vorgenommene Hinterlegung unwirksam (in diesem Sinn auch Stumvoll in Fasching/Konecny, ZPO2 (2003) Rz 11 zu § 21 ZustG (Anh. zu § 87); Walter/Mayer, Zustellrecht, 117, Anm. 17 zu § 21 ZustG; Stoll, BAO, Band 1, 1138; vgl. auch Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 2019, Anm. 14 zu § 21 ZustG).
Die belangte Behörde, die der Nichteinhaltung des angekündigten Termins beim zweiten Zustellversuch offenbar keine rechtliche Relevanz beigemessen und darauf weder im Verspätungsvorhalt an den Beschwerdeführer noch im angefochtenen Bescheid eingegangen ist, vertritt in der Gegenschrift die Auffassung, daraus ergebe sich keine "Fehlerhaftigkeit und damit Unwirksamkeit des Zustellvorganges". Der Beschwerdeführer sei nämlich seinen Angaben zufolge zu den Zeitpunkten des ersten, des angekündigten und des tatsächlich durchgeführten zweiten Zustellversuches an der Abgabestelle "aufhältig" gewesen und habe daher vom Zustellversuch und von der in weiterer Folge vorgenommenen Hinterlegung - offenbar gemeint: aufgrund der zurückgelassenen Verständigungen - Kenntnis erlangen können.
Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden, läuft sie doch darauf hinaus, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften nur in Bezug auf den ersten Zustellversuch zu verlangen. Das widerspräche aber der - erwähnten - Intention des Gesetzgebers, bei zu eigenen Handen zuzustellenden Sendungen durch die zwingend angeordnete Vornahme eines zweiten, vorweg anzukündigenden Zustellversuches in erhöhtem Maß zu gewährleisten, dass der Empfänger von der beabsichtigten Zustellung Kenntnis erhält und ihm dadurch die Möglichkeit geboten wird, das für ihn bestimmte Schriftstück persönlich zu übernehmen (vgl. die schon erwähnten Erkenntnisse vom 19. Juli 2001, Zl. 95/12/0206, und vom 2. Juni 1999, Zl. 98/04/0111, sowie das Erkenntnis vom 3. April 1990, Zl. 89/11/0152, jeweils betreffend unterlassene zweite Zustellversuche). Diesem Zweck wäre im hier gegebenen Zusammenhang nur Rechnung getragen, wenn der Beschwerdeführer bei dem ankündigungswidrigen Zustellversuch tatsächlich angetroffen und ihm die Sendung ausgehändigt worden wäre.
Die belangte Behörde hat sich zur Stützung ihrer Ansicht in der Gegenschrift auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes berufen, wonach im Falle der Zustellung zu eigenen Handen die Hinterlegung der Sendung auch dann die Wirkung der Zustellung habe, wenn der Empfänger auch nur am Tag des ersten Zustellversuches, nicht jedoch am Tag des zweiten Zustellversuches ortsanwesend gewesen ist. Der Adressat könne nämlich bereits durch die Verständigung vom erfolglosen ersten Zustellversuch und die Aufforderung, in der für die Vornahme des zweiten Zustellversuches bestimmten Zeit zur Annahme des Schriftstückes anwesend zu sein, Kenntnis davon erlangen, dass ihm ein behördliches Schriftstück zugestellt werden soll, und er könne sich durch entsprechende Dispositionen in die Lage versetzen, das Schriftstück beim angekündigten zweiten Zustellversuch zu übernehmen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1998, Zl. 96/18/0210, mwN.) Bei dieser Argumentation wird aber gerade von dem - hier eben nicht gegebenen - Fall eines gesetzmäßigen zweiten Zustellversuches zum angekündigten Termin ausgegangen, sodass aus dieser Rechtsprechung für die gegenständliche Frage nichts zu gewinnen ist. Im Übrigen übersieht die belangte Behörde, dass dieser Judikatur auch die - auf die vorliegende Konstellation ebenfalls nicht übertragbare - Überlegung zugrunde liegt, es würde dem Sinn des Gesetzes widersprechen, hätte der Adressat die Möglichkeit, die Rechtswirksamkeit einer Zustellung dadurch hinauszuschieben, dass er seine Abgabestelle am Tage des zweiten Zustellversuches verlässt (vgl. auch dazu das zuletzt erwähnte Erkenntnis vom 15. Oktober 1998).
Aus der dargestellten Rechtslage folgt somit für den vorliegenden Fall, dass die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides durch Hinterlegung - im Hinblick auf den davor gesetzwidrig vorgenommenen zweiten Zustellversuch - nicht wirksam war. Die Berufungsfrist hat daher - entgegen der Meinung der belangten Behörde - nicht mit dem Beginn der Abholfrist für die hinterlegte Sendung am 4. Juli 2003, sondern erst mit der in der Folge (an der nunmehrigen Abgabestelle des Beschwerdeführers) vorgenommenen Zustellung am 25. Juli 2003 begonnen. Die noch am selben Tag zur Post gegebene Berufung erweist sich somit als rechtzeitig und hätte von der belangten Behörde daher nicht als verspätet zurückgewiesen werden dürfen.
Da die belangte Behörde insoweit die Rechtslage verkannte, war der angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003 und erfolgte im ziffernmäßig verzeichneten Umfang.
Wien, am 2. März 2006
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003200461.X00Im RIS seit
04.04.2006