TE Vwgh Erkenntnis 2006/3/2 2003/20/0317

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Veröffentlicht am 02.03.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AsylG 1997 idF 2002/I/126;
AVG §67d idF 2001/I/137;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des N (auch H), geboren 1980 (alias K, geboren 1980), in L, vertreten durch Dr. Friedrich Fromherz, Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. Juni 2003, Zl. 237.351/0- VII/43/03, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 15. Februar 2002 über den Flughafen Wien-Schwechat von Beirut über Zypern kommend in das Bundesgebiet ein und stellte (unter falscher Identität) einen Asylantrag, den er zunächst nur mit der schlechten Wirtschaftslage im Libanon begründete. In der (wegen der zweimaligen Weiterreise des Beschwerdeführers nach Deutschland) erst am 4. Februar 2003 durchgeführten Vernehmung vor dem Bundesasylamt wurden der Name und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers, eines diesen Angaben zufolge aus dem Südlibanon stammenden libanesischen Staatsangehörigen arabischer Volksgruppenzugehörigkeit, richtig gestellt. Zur Begründung des Asylantrages brachte der Beschwerdeführer nunmehr vor, er habe im Juli/August 2001 einen etwa 30-jährigen Palästinenser bei einem Verkehrsunfall mit seinem Auto niedergestoßen. Das Unfallopfer sei einige Tage danach im Krankenhaus an seinen Verletzungen verstorben. Die Familie des Getöteten habe 90.000,-- US-Dollar gefordert und "verlange nach Rache". Deshalb werde sie den Beschwerdeführer verfolgen und könnte ihn töten, sodass ihn sein Vater im Februar 2002 ins Ausland geschickt habe.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 29. April 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Libanon fest. Es hielt das Vorbringen des Beschwerdeführers aus näher dargestellten Gründen primär für nicht glaubwürdig. Das Bundesasylamt stützte die negative Asylentscheidung aber auch auf das Bestehen staatlichen Schutzes vor den behaupteten "Übergriffen durch Privatpersonen", auf die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative (insbesondere in Beirut) und auf das Fehlen eines Zusammenhanges mit einem Konventionsgrund.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine - im Begründungsteil von ihm selbst handschriftlich verfasste - Berufung, in der die Fluchtgründe wiederholt wurden.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen (ohne mündliche Verhandlung erlassenen) Bescheid vom 27. Juni 2003 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und sie traf neuerlich einen Zulässigkeitsausspruch nach § 8 AsylG. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung einerseits durch Verweisung auf die "umfassende und schlüssige" Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid und andererseits mit mehreren eigenen Beweiswürdigungsargumenten - anders als die Erstbehörde - nunmehr ausschließlich mit der mangelnden Glaubwürdigkeit des vor dem Bundesasylamt erstatteten Vorbringens des Beschwerdeführers.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde bekämpft die Beweiswürdigung und kritisiert in diesem Zusammenhang auch mehrfach, die belangte Behörde habe zu Unrecht die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung unterlassen. Damit ist sie im Recht:

Das Absehen von einer Berufungsverhandlung begründete die belangte Behörde damit, dass die Erstbehörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ausreichend ermittelt und die Beweise schlüssig gewürdigt habe. Das Vorbringen in der Berufung decke sich zur Gänze mit jenem vor der Erstbehörde, ein darüber hinausgehendes Vorbringen sei nicht erstattet worden. Eigene Ermittlungen der Berufungsbehörde seien daher "wegen geklärter Sachlage" nicht mehr erforderlich gewesen.

Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG kann im Verfahren vor der belangten Behörde eine mündlichen Verhandlung (nur) unterbleiben, "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint". Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann der Fall, wenn der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird. Die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes im Sinne der genannten Bestimmung ist auch dann nicht erfüllt, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird (vgl. etwa das Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zlen. 2002/20/0417, 0418, mit weiteren Nachweisen). In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Judikatur u.a. ausgesprochen, die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes sei nicht erfüllt, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. das Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533; zur hier maßgeblichen Rechtslage nach der Verwaltungsverfahrens-Novelle 2001 und vor der AsylG-Novelle 2003 siehe auch grundlegend das Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336).

Der belangten Behörde ist zwar einzuräumen, dass der Berufung eine konkrete Bekämpfung der Beweiswürdigungsargumente der Erstbehörde nicht zu entnehmen ist und somit von daher nicht die Durchführung einer Verhandlung geboten war. Die belangte Behörde hat es aber für erforderlich gehalten, ergänzend zu der (von ihr zwar auch übernommenen) Beweiswürdigung der Erstbehörde weitere Überlegungen zur Begründung der Unglaubwürdigkeit der Aussage des Beschwerdeführers anzustellen und diese eigenen Argumente zum tragenden Inhalt ihrer Entscheidung zu machen, ohne dass der Beschwerdeführer Gelegenheit gehabt hätte, zu diesen erstmals herangezogenen Begründungselementen Stellung zu nehmen und die von der belangten Behörde gesehenen Widersprüche allenfalls aufzuklären. Hielt es die belangte Behörde aber für notwendig, die Beweiswürdigung der Erstbehörde um zusätzliche (über bloße Zusatzbemerkungen oder Eventualausführungen hinausgehende) eigene Argumente zu ergänzen, dann widersprach dies der Annahme eines hinreichend "geklärten Sachverhaltes" im oben angeführten Sinn, weshalb die belangte Behörde von einer mündlichen Verhandlung nicht hätte Abstand nehmen dürfen (siehe dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2004, Zl. 2001/20/0427, mit dem Hinweis auf die Erkenntnisse vom 16. April 2002, Zl. 2002/20/0003, und vom 26. Mai 2004, Zl. 2001/20/0738; vgl. an die erstgenannte Entscheidung anknüpfend auch das Erkenntnis vom 30. September 2004, Zl. 2001/20/0140). Dazu kommt, dass die belangte Behörde auch eine Passage des Berufungsvorbringens in ihre Würdigung einbezogen hat, was auch nur nach vorhergehender Vernehmung des Beschwerdeführers zulässig gewesen wäre (vgl. etwa nur das zitierte Erkenntnis vom 26. Mai 2004).

Das hat die belangte Behörde verkannt und den angefochtenen Bescheid schon deshalb mit einem Verfahrensmangel belastet, ohne dass es einer Auseinandersetzung mit den auch die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung in Frage stellenden Beschwerdeausführungen bedarf. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde nach einer persönlichen Anhörung des Beschwerdeführers im Rahmen einer Berufungsverhandlung zu einem anderen (für ihn günstigen) Ergebnis gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 2. März 2006

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen BerufungsbehördeBesondere Rechtsgebiete"zu einem anderen Bescheid"

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003200317.X00

Im RIS seit

04.04.2006

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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