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E000 EU- Recht allgemein;Norm
31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art10;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der A, geboren 1941, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 30. August 2005, Zl. 143.441/2- III/4/05, betreffend Versagung einer Erstniederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom 30. August 2005 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, vom 26. Jänner 2001 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit einem österreichischen Staatsbürger, ihrem Stiefsohn" gemäß § 14 Abs. 2 und § 10 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin sei mit einem vom 14. Dezember 2003 bis zum 10. März 2003 (richtig: 2004) gültigen, von der österreichischen Botschaft in Ankara ausgestellten Visum C eingereist und seit dem 23. Dezember 2003 (mit einer viermonatigen Unterbrechung) in Wien gemeldet. Sie berufe sich auf eine Familiengemeinschaft mit ihrem Stiefsohn, einem österreichischen Staatsbürger. Von diesem könne gemäß § 47 FrG nicht die Eigenschaft einer begünstigen Drittstaatsangehörigen abgeleitet werden. Gemäß § 14 Abs. 2 FrG seien Anträge (von nicht iSd § 49 Abs. 1 FrG begünstigten Drittstaatsangehörigen) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Die Beschwerdeführerin habe ihren Antrag zwar korrekt vom Ausland aus gestellt, sie habe jedoch die Entscheidung darüber nicht im Ausland abgewartet. Wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 FrG vorlägen, könne der Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland gestellt (und die Entscheidung darüber im Inland abgewartet) werden. Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, an massivem Übergewicht und an Bewegungsbeschwerden zu leiden. Sie wäre körperlich nicht in der Lage, aus dem Bundesgebiet auszureisen. Einer ärztlichen Bestätigung des Dr. A. vom 3. September 2004 sei zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin an Wirbelsäulen-, Knie- und Beinschmerzen leiden würde und infolge ihres Übergewichtes große Bewegungsbeschwerden hätte. Aus einem medizinischen Befund von Univ.-Doz. Dr. B. vom 3. Juni 2005 gehe hervor, dass bei der Beschwerdeführerin Fettleibigkeit mit Schmerzen im Lendenwirbelbereich und krankhaften Veränderungen bzw. Abnutzungen des Kniegelenkes sowie der Knochen und Knorpel bestehen würde. Der Befund gebe keinen Aufschluss darüber, ob die Beschwerdeführerin in medizinischer Behandlung stehe und ob eine solche notwendig sei. Über die Schwere ihres gesundheitlichen Zustandes und einer eventuell daraus resultierenden Invalidität oder einen Grad an Behinderung seien keine Aussagen getroffen worden. Die Mutmaßungen des Vertreters der Beschwerdeführerin, dass sie körperlich nicht in der Lage wäre, aus dem Bundesgebiet auszureisen, fänden in den beiden vorgelegten medizinischen Befunden keine Deckung. Den medizinischen Diagnosen sei "kein tatsächlich ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt zu entnehmen". Die Anwesenheit des Stiefsohnes der Beschwerdeführerin in Österreich stelle ebenfalls keinen besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Grund dar. Die materiellen Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 FrG würden nicht vorliegen. Der Antrag der Beschwerdeführerin sei daher gemäß § 14 Abs. 2 FrG abzuweisen. Überdies sollte der angestrebte Aufenthaltstitel zeitlich an ein Visum anschließen, weswegen seine Erteilung auch gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG zu versagen sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie sei die Stiefmutter des österreichischen Staatsbürgers S. Dessen Vater, ihr früherer Ehegatte, sei verstorben. Ihr Stiefsohn habe es "entsprechend seiner rechtlichen und sittlichen Pflicht" übernommen, sie bei sich aufzunehmen. Im Dezember 2003 sei sie nach Österreich eingereist, ohne die Erledigung ihres Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung abzuwarten. Dazu sei sie berechtigt, denn ihr Stiefsohn sei einem leiblichen Sohn gleichzusetzen. "Ein Sohn, der in einem Familienverband aufwächst ist rechtlich der Sohn seiner (Stief-)Mutter, wenn er rechtlich und sittlich zur Unterhaltsleistung verpflichtet ist, gleichgültig ob formal eine Obsorgeentscheidung oder Adoption erfolgt ist."
1.2. § 47 Abs. 2 und 3 und § 49 Abs. 1 FrG 1997 lauten (auszugsweise):
"§ 47. ...
...
(2) Sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind, genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs. 3) Niederlassungsfreiheit; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. ...
(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:
1.
Ehegatten;
2.
Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird;
3. Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt gewährt wird.
...
§ 49. (1) Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen. ..."
In den Erläuterungen zum FrG 1997 (RV 685 BlgNR 20. GP) heißt
es:
"Zu § 47:
... In Abs. 2 wurden lediglich terminologische Anpassungen in Hinblick auf den Begriff der Aufenthaltstitel vollzogen. In Abs. 3 Z 2 wurde analog zur Verordnung EG 1612/68 das Alter der begünstigten drittstaatsangehörigen Kinder auf 21 Jahre hinaufgesetzt und normiert, dass sonstige Verwandte in absteigender Linie (entweder Enkelkinder oder ältere Kinder) aufenthaltsrechtlich dann privilegiert sind, wenn ihnen Unterhalt gewährt wird. Die Bestimmung des Abs. 3 Z 3 umfasst nunmehr auch alle Verwandten, wie sie in der Verordnung 1612/68 genannt sind, und erweitert den begünstigten Personenkreis im Einklang mit den Bestimmungen der Verordnung. ..."
Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) 1612/68 lautet:
"Artikel 10
(1) Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:
a) sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;
b) seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt."
Gemäß § 47 Abs. 3 Z. 3 FrG sind Verwandte und Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers in aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt gewährt wird, begünstigte Drittstaatsangehörige. Unter Verwandtschaft im Sinn dieser Bestimmung ist nur die leibliche Verwandtschaft (Blutsverwandtschaft) zu verstehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2005, Zl. 2003/09/0051, mit Hinweis auf Art. 10 der Verordnung (EWG) 1612/68). Die Beschwerdeführerin ist daher mit ihrem Stiefsohn nicht verwandt iSd § 47 Abs. 3 Z. 3 FrG. Dass sie mit einer Ehegattin des Stiefsohnes verwandt (und sie somit als "Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie" anzusehen) wäre, wurde im Verfahren nicht behauptet. Der Beschwerdeführerin kommt daher die von § 49 Abs. 1 FrG vorausgesetzte Stellung einer begünstigten Drittstaatsangehörigen nicht zu.
2.1. Gemäß § 14 Abs. 2 FrG sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat; dies gilt nach Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels dann nicht, wenn der weitere Aufenthaltstitel eine Erwerbstätigkeit zulassen soll, für die der zuletzt erteilte Aufenthaltstitel nicht hätte erteilt werden können (§ 13 Abs. 3 FrG).
2.2. Liegen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 FrG vor, kann der Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland gestellt werden. § 10 Abs. 4 FrG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn des § 10 Abs. 4 FrG auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch auf Familiennachzug besteht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Dezember 2004, Zl. 2004/21/0195, und vom 8. Dezember 2005, Zl. 2005/18/0512).
2.3. Ein beeinträchtigter Gesundheitszustand stellt für sich genommen keinen besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Grund iSd § 10 Abs. 4 FrG dar. Die Beschwerdeführerin zeigt auch keinen einer Notlage oder einer besonderen Gefährdung gleichzuhaltenden Umstand auf. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die materiellen Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 FrG nicht vorliegen, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.
3. Da die belangte Behörde den Antrag mangels Berechtigung zur Inlandsantragstellung gemäß § 14 Abs. 2 FrG in unbedenklicher Weise abgewiesen hat, braucht nicht darauf eingegangen zu werden, ob auch der Versagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. vorliegt.
4. Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 15. März 2006
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Gemeinschaftsrecht Verordnung unmittelbare Anwendung EURallg5/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006180011.X00Im RIS seit
11.04.2006Zuletzt aktualisiert am
27.10.2008