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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde der Energie Ried Gesellschaft mbH in Ried im Innkreis, vertreten durch Schneider's Rechtsanwalts-KEG in 1170 Wien, Hormayrgasse 7A Top 18, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 3. Juni 2005, Zl. BMWA-551.600/0055-IV/1/2005, betreffend Übergang der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit betreffend Ausgleichszahlungen nach dem ElWOG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 7. Jänner 2004 beantragte die Wels Strom Gesellschaft mbH als Netzbetreiberin auf den Netzebenen 3, 4, 5, 6 und 7 im Bereich Oberösterreich im Sinne des § 25 ElWOG bei der Energie-Control GmbH die Festsetzung von Ausgleichszahlungen gemäß § 3 Abs. 2 der Ausgleichszahlungsverordnung (AGZ-VO), Zl. G AGZ 01/02), weil eine einvernehmliche Lösung der Netzbetreiber des Netzbereiches Oberösterreich nicht zustande gekommen sei. Dieses Verfahren ist bei der Energie-Control GmbH unter AGZ 01/04 bzw. AGZ 01/04a anhängig.
Mit Schreiben vom 25. Mai 2004, zugestellt am 27. Mai 2004, forderte die Energie-Control GmbH die Beschwerdeführerin zur Abgabe einer Stellungnahme zum Antrag der Wels Strom GmbH auf.
In ihrer Stellungnahme vom 9. Juni 2004 schloss sich die Beschwerdeführerin dem Antrag der Wels Strom GmbH an und beantragte, die Energie-Control GmbH möge die erforderlichen Ausgleichszahlungen gemäß § 3 Abs. 2 AGZ-VO festsetzen.
Am 1. Oktober 2004 fand bei der Wirtschaftskammer Oberösterreich in Linz eine mündliche Verhandlung statt, an der neben der Beschwerdeführerin und der Wels Strom GmbH weitere neun im Netzbereich Oberösterreich tätige Netzbetreiber teilnahmen. Das Protokoll über diese Verhandlung wurde dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin per e-Mail am 26. Jänner 2005 übermittelt.
Die Beschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 30. März 2005 den Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung auf die belangte Behörde gemäß § 73 Abs. 2 AVG beantragt.
Mit Schreiben vom 28. April 2005 wurde die Energie-Control GmbH von der belangten Behörde aufgefordert, zu dem von der Beschwerdeführerin aufgezeigten Sachverhalt Stellung zu nehmen und die darauf Bezug habenden Verwaltungsakten vorzulegen.
Nach Einholung von Stellungnahmen der Energie-Control GmbH und der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid den Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin abgewiesen. In der Begründung hiezu führte die belangte Behörde aus, in der dem Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin zu Grunde liegenden Verwaltungssache betrage die Entscheidungsfrist sechs Monate. Da der Antrag der Beschwerdeführerin auf Festsetzung von Ausgleichszahlungen gemäß § 3 Abs. 2 Ausgleichszahlungsverordnung (AGZ-VO) am 9. Juni 2004 bei der Energie-Control GmbH gestellt worden sei, lägen die formalen Voraussetzungen für die Einbringung eines Devolutionsantrages gemäß § 73 AVG vor. In seinem Erkenntnis vom 7. Juli 1980, Slg. N.F. Nr. 10.199/A, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass eine Verzögerung bei der Erledigung eines Antrages im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG dann nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückgehe, wenn diese offene Entscheidungen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, die Beschwerden anderer Parteien desselben Verwaltungsverfahrens beträfen, wegen ihres rechtserheblichen Zusammenhanges abwarte. Diese Überlegungen gelten auch für den Beschwerdefall. Die Beschwerdeführerin habe nämlich die Gesetzmäßigkeit der Systemnutzungstarife-Verordnung der Energie-Control Kommission beim Verfassungsgerichtshof in Beschwerde gezogen. Werde in diesem Verfahren gemäß Art. 139 B-VG diese Verordnung vom Verfassungsgerichtshof wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben, so hätte dies zur Folge, dass die Vorgangsweise bei der Ermittlung der Kostenbasis für die Bestimmung der Systemnutzungstarife rechtswidrig gewesen sei; dies hätte auch Auswirkungen auf die von der Beschwerdeführerin beantragte Festsetzung der Ausgleichszahlungen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 23. April 1992, Zl. 92/12/0076). Im Zeitpunkt der Antragstellung auf Festsetzung von Ausgleichszahlungen gemäß § 3 Abs. 2 Ausgleichszahlungsverordnung (AGZ-VO) durch die Wels Strom GmbH bzw. die Beschwerdeführerin seien mehrere Verfahren beim Verfassungsgerichtshof anhängig gewesen, in denen von den Antragstellern die Rechtswidrigkeit der Ermittlung der Kostenbasis bei der Systemnutzungstarife-Verordnung 2003 für den Netzbereich Oberösterreich betreffend die Netzebenen 4, 5, 6 und 7 behauptet worden sei. Davon sei bereits ein Verfahren (V 120/03) entschieden. Zwei weitere Verfahren (V 135/03 und V 17/04) seien gegenwärtig noch beim Verfassungsgerichtshof anhängig. Im Verfahren V 17/04 sei die Beschwerdeführerin selbst Antragstellerin gemäß Art. 139 B-VG. Würde der Verfassungsgerichtshof die Rechtsansicht der Beschwerdeführerin bejahen, wären die Ausgleichszahlungen in einem anderen Ausmaß festzusetzen als in jenem Fall, in dem der Verfassungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit der Systemnutzungstarife-Verordnung bestätigt. Die Energie-Control GmbH habe trotz der beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren V 120/03, V 135/03 und V 17/04, deren Hauptfrage eine Vorfrage zu dem über Antrag der Beschwerdeführerin eingeleiteten Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Ausgleichszahlungs-Verordnung (AGZ-VO) bilde, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Gehe man von der Bindung der Energie-Control GmbH an die derzeit geltende Systemnutzungstarife-Verordnung aus, hätte eine Entscheidung vor Abschluss des beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahrens V 17/04 zur Folge, dass die Energie-Control GmbH ihrer Entscheidung eine Verordnung zu Grunde gelegt hätte, deren Rechtmäßigkeit von der Devolutionswerberin bekämpft werde. Konsequenterweise hätte auch diese Entscheidung, da sie auf einer rechtswidrigen Grundlage basiere, von der Devolutionswerberin angefochten werden müssen. Jedenfalls wäre im Falle einer Stattgebung des Antrages der Beschwerdeführerin durch den Verfassungsgerichtshof das Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG wieder aufzunehmen, was letztlich zu einer noch größeren Verfahrensverzögerung führen würde, als wenn die Energie-Control GmbH die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes abwarte. Ein Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin als Devolutionswerberin an einer Entscheidung, die - folge man ihren Ausführungen als Antragstellerin im Verfahren gemäß Art. 139 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof - jedenfalls rechtswidrig wäre und konsequenterweise von ihr oder einer anderen am Verfahren beteiligten Partei angefochten werden müsste, sei jedoch zu verneinen. Damit könne auch nicht von einem Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin an der Einhaltung der Entscheidungsfrist gemäß § 73 AVG ausgegangen werden. Daran ändere auch der Einwand nichts, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein anhängiges Normenprüfungsverfahren keine Vorfrage gemäß § 38 AVG darstelle. Dadurch würde lediglich dargetan, dass die Behörde in diesem Fall nicht berechtigt sei, das Verfahren nach § 38 AVG auszusetzen. Es werde jedoch nichts darüber ausgesagt, ob in diesem Fall überhaupt ein Rechtsschutzinteresse der Partei an der Einhaltung der Entscheidungsfrist des § 73 AVG bestehe. Ausgehend von diesen Überlegungen komme die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass - obwohl die formellen Voraussetzungen für die Anwendung des § 38 AVG in dem devolutionsgegenständlichen Verfahren nicht vorgelegen seien - die Verfahrensverzögerung durch ein dem Tatbestand des § 38 AVG vergleichbares Vorfragenproblem bewirkt worden sei. Der Energie-Control GmbH könne deshalb nicht der Vorwurf einer rechtswidrigen schuldhaften Verfahrensverzögerung gemacht werden. Da sohin die Energie-Control GmbH an der behaupteten Verzögerung bei der Erledigung des Antrages der Beschwerdeführerin vom 9. Juni 2004 kein ausschließliches Verschulden treffe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Sachentscheidung durch die belangte Behörde als der gemäß § 73 Abs. 2 AVG allein zuständigen Behörde verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Die beschwerdeführende Partei replizierte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 73 AVG hat folgenden Wortlaut:
"4. Abschnitt Entscheidungspflicht
§ 73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.
(2) Wird der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
(3) Für die Oberbehörde (den unabhängigen Verwaltungssenat) beginnt die Entscheidungsfrist mit dem Tag des Einlangens des Devolutionsantrages zu laufen."
Da in der der Beschwerde zu Grunde liegenden Verwaltungsrechtssache nicht anderes bestimmt ist, hatte die Energie-Control GmbH über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Festsetzung der Ausgleichszahlungen gemäß § 3 Abs. 2 Ausgleichszahlungs-Verordnung (AGZ-VO) vom 9. Juni 2004 innerhalb von sechs Monaten zu entscheiden. Die Energie-Control GmbH ist ihrer Entscheidungspflicht nicht fristgerecht nachgekommen, weshalb der nach Verstreichen dieser Frist bei der belangten Behörde eingebrachte Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin zulässig war.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde ein Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin abgewiesen, weil die Verfahrensverzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
Der Begriff der Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs. 2 AVG ist nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern "objektiv" zu verstehen, als ein solches "Verschulden" dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005, Zl. 2004/10/0218).
Unter welchen Voraussetzungen ein Verfahren ausgesetzt werden darf, wird im § 38 AVG geregelt. Erfolgt keine förmliche Aussetzung durch Bescheid, so ist bei einem Antrag nach § 73 Abs. 2 AVG keine schuldhafte Verletzung der Entscheidungspflicht anzunehmen, wenn die Behörde zu einer Aussetzung nach § 38 AVG berechtigt war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2005, Zl. 2003/05/0061, m. w. N.).
Im Beschwerdefall geht jedoch selbst die belangte Behörde davon aus, dass die im § 38 AVG geforderten Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nicht vorlagen. In ständiger Rechtsprechung führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, das eine Verwaltungsbehörde anzuwenden hat, sowie die Gesetzmäßigkeit einer Verordnung keine Vorfragen darstellen, weil die Verwaltungsbehörde an ein gehörig kundgemachtes Gesetz sowie an eine gehörig kundgemachte Verordnung gebunden ist. Die Klärung der Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit stellen keine notwendige Grundlage für die Hauptfragenentscheidung dar. Ein anhängiges Normprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof stellt somit keinen Grund für eine Aussetzung im Sinne des § 38 AVG dar (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, bei § 38 AVG, Seite 508 wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Die hg. Erkenntnisse vom 7. Juli 1980, VwSlg. Nr. 10.199/A, und vom 23. April 1992, Zl. 92/12/0076, welche die belangte Behörde zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogen hat, sind auf den Beschwerdefall nicht übertragbar, weil sie sich auf die Frage der Zulässigkeit des Abwartens mit der Erledigung in einem Verwaltungsverfahren wegen ihres rechtserheblichen Zusammenhanges mit dem Ausgang eines beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Bescheidbeschwerdeverfahrens, nicht jedoch eines bei diesem Gerichtshof anhängigen Normenprüfungsverfahrens bezogen haben.
Für die Energie-Control GmbH gab es sohin keinen Grund zur Aussetzung des Verfahrens über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Festsetzung der Höhe der Ausgleichszahlungen gemäß Ausgleichszahlungs-Verordnung. Sie war daher zur Entscheidung innerhalb der im § 73 Abs. 1 AVG genannten Frist verpflichtet. Der Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin war somit auch berechtigt und die belangte Behörde zur Entscheidung in der Sache zuständig.
Da somit die Voraussetzungen für die Abweisung des Devolutionsantrages durch die belangte Behörde nicht vorlagen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 17. März 2006
Schlagworte
VerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005050247.X00Im RIS seit
20.04.2006Zuletzt aktualisiert am
26.06.2017