TE Vwgh Erkenntnis 2006/3/21 2006/01/0028

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Veröffentlicht am 21.03.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §3;
AsylG 1997 §7;
AVG §45 Abs2;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des AD in E, geboren 1981, vertreten durch Mag. Wulf Sieder, Rechtsanwalt in 4470 Enns, Stadlgasse 5, gegen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. August 2005, Zl. 233.220/2-IV/12/05, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Nachdem ein erster Asylantrag mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der belangten Behörde vom 9. Dezember 2002, dem Beschwerdeführer zugestellt am 16. Dezember 2002, rechtskräftig abgewiesen worden war, beantragte er am 10. März 2005 neuerlich die Gewährung von Asyl. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 15. März 2005 gab er an, Ende März 2004 freiwillig in den Kosovo zurückgekehrt zu sein und diesen am 9. März 2005 wieder Richtung Österreich verlassen zu haben. Seinen Fluchtgrund schilderte er wie folgt (V/F = Vorhalt/Frage des einvernehmenden Beamten, A = Antwort des Beschwerdeführers):

"F: Warum stellen Sie einen neuerlichen Antrag ?

A: ... Mein Vater wurde telefonisch bedroht von unbekannten Personen, die Geld von ihm verlangt haben. Mein Vater ist Lehrer, anfangs nahm er die Drohungen nicht so ernst und hat niemanden informiert. Man verlangt von ihm 20.000,- Euro, sonst wird man die ganze Familie umbringen. Vor ca. 1 Monat war der 1. Anruf. Mein Vater war mit den Schulkindern unterwegs auf einem Ausflug und da wurde er am Handy angerufen. Man hat ihm auch genau den Ort gesagt, wo er sich befindet und was er zu diesem Zeitpunkt genau gemacht hat.

F: Wer bedroht Ihren Vater und warum?

A: Die Leute gaben an, dass sie Angehörige der AKSH (Albanische Nationalarmee) sind. Mein Vater hat Fragen gestellt, warum er dieses Geld zahlen müsse, weil er hat nicht soviel Geld. Mein Vater verlangte sogar ein Treffen mit denen. Wieso diese Leute Geld verlangten, weiß ich nicht.

...

V: Es ist unglaubwürdig, dass zwar Ihr Vater bedroht wird, aber Ihr Vater weiterhin im Kosovo ist, Sie jedoch hier sind. Was sagen Sie dazu?

A: Die Drohungen waren so, dass wenn mein Vater das Geld nicht bezahlt, werden sie seine Söhne umbringen.

F: Sie haben noch 2 Brüder, warum sind die nicht auf der Flucht?

A: Ich hätte das Gegenteil behaupten können, dass man mich bedroht, aber ich sage ihnen die Wahrheit. Mein ältester Bruder arbeitet beim Polizeiinspektorat und er wohnt auch in Pristina. Er hat fast keine Kontakte mehr mit uns. Der zweite Bruder ist noch minderjährig, und man wird ihm nichts antun, solange er minderjährig ist.

..."

Mit Bescheid vom 29. März 2005 wies das Bundesasylamt den neuerlichen Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Der Beschwerdeführer habe keinen neuen Sachverhalt glaubwürdig vorbringen können. Dies ergebe sich auf Grund folgender - nachstehend wörtlich wiedergegebener - Beweiswürdigung (ASt. = Beschwerdeführer):

"Der ASt. gab an, dass sein Vater zur Zahlung von 20.000,- Euro erpresst wurde. Erst nach Rückfrage gab der ASt. an, dass ansonsten bei Nichtbezahlung die Söhne des Vaters umgebracht werden würden.

Laut eigenen Angaben wurde der ASt. selbst nie bedroht.

Das neue Vorbringen des ASt. war allein schon deshalb unglaubwürdig, da zwar angeblich sein Vater telefonisch bedroht und erpresst wurde, jedoch der ASt. sein Heimatland verließ.

Außer den erwähnten telefonischen Bedrohungen gab es keine Vorfälle."

Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Berufung, in der die erstinstanzliche Beweiswürdigung gerügt wurde, wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG ab. Dabei verwies sie auf den erstinstanzlichen Bescheid, dessen beweiswürdigenden Erwägungen sie ergänzend hinzufügte, dass es den Erfahrungen bei Asyleinvernahmen entspreche, dass Gefährdungsmomente, die sich gegen die eigene Person richteten, zuallererst und nicht erst über Nachfrage vorgebracht werden würden. Es spreche also im Sinn der erstinstanzlichen Erwägungen gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers, wenn er zunächst nur von der Erpressung des Vaters gesprochen, eine Bedrohung des eigenen Lebens aber erst über Nachfrage bzw. Vorhalt anzunehmender Unglaubwürdigkeit angegeben habe. Im Ergebnis sei die Erstbehörde daher zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass dem zweiten Asylvorbringen ein glaubwürdiger Kern fehle.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat zutreffend (vgl. grundlegend das hg. Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0391) geprüft, ob dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem zweiten Asylantrag ein "glaubwürdiger Kern" zukomme. Ihre Überlegungen, dass es an einem derartigen "glaubwürdigen Kern" fehle, vermögen einer nachprüfenden Kontrolle allerdings nicht standzuhalten.

Wie die Beschwerde richtig aufzeigt, hat der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behauptung, sein Vater sei mit einer unberechtigten Geldforderung konfrontiert worden, angegeben, man habe dem Vater bei Nichtentsprechung mit dem Umbringen der "ganzen Familie" gedroht. Diese Drohung, von der der Beschwerdeführer ohne jegliche Zwischenfrage berichtete, erfasste auch den Beschwerdeführer. Wenn in der Folge von einem "Umbringen der Söhne" die Rede war, so stellte sich das mithin nur als Einschränkung des zuvor genannten Personenkreises dar, weshalb sich nicht sagen lässt, der Beschwerdeführer habe erst über Nachfrage bzw. Vorhalt von einer Bedrohung des eigenen Lebens gesprochen.

Im Hinblick auf die aufgezeigte Unschlüssigkeit erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, welche beweiswürdigenden Überlegungen den Rahmen der Prüfung eines "glaubhaften Kerns" sprengen. Der bekämpfte Bescheid ist jedenfalls mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 21. März 2006

Schlagworte

Zurückweisung wegen entschiedener Sache freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006010028.X00

Im RIS seit

08.05.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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