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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des SE in J, geboren 1957, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. März 2005, Zl. 238.716/0-XI/33/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein mazedonischer Staatsangehöriger, reiste gemäß seinen Angaben am 20. März 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag begründete er bei seiner Einvernahme vom 5. Juni 2003 - zusammengefasst - damit, dass er der albanischen Volksgruppe angehöre und mit der UCK gegen die mazedonische Armee gekämpft habe. Im Jänner 2003 sei er (zu ergänzen: nach Beendigung der Kampfhandlungen zwischen UCK und mazedonischem Militär) von einer neuen Partei, der ASHK, aufgefordert worden, erneut zu kämpfen. Da er das nicht gewollt habe und die Gefahr bestehe, dass die Leute der ASHK "einen umbringen, wenn man nicht hingeht", habe er (Beschwerdeführer) die Heimat verlassen. Außerdem sei er wegen seiner Mitgliedschaft bei der UCK von der mazedonischen Polizei verfolgt worden; bei einer Fahrzeugkontrolle am 10. Jänner 2003 sei ein - seither noch immer inhaftierter - Freund verhaftet worden, ihm selbst sei die Flucht gelungen.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Mazedonien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Dieser Entscheidung legte die belangte Behörde zugrunde, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründe nicht festgestellt werden könnten. Beweiswürdigend verwies sie in erster Linie auf die von ihr wörtlich wiedergegebenen Überlegungen der erstinstanzlichen Behörde, die sich - soweit sie fallbezogene Ausführungen enthalten - auf folgende Passage beschränken:
"Ihre Behauptung einer konkreten Verfolgung durch die Polizei kann nur als eine in den Raum gestellte Behauptung gewertet werden, der aufgrund der mangelnden Plausibilität und Nachvollziehbarkeit, wie nachstehend begründet, keine Glaubwürdigkeit geschenkt werden kann. Aufgrund der Tatsache, dass sich die UCK bereits am 27.09.2001 aufgelöst und die mazedonische Regierung am 09.10.2001 eine Amnestie angeordnet hat, vermochten Sie mit ihrer Behauptung, von der Polizei verhaftet zu werden, weil Sie für die UCK gekämpft haben, dem oben angeführten Glaubwürdigkeitsanspruch nicht gerecht zu werden.
Mit Ihrer Behauptung, dass Sie im Falle einer Rückkehr verhaftet werden könnten, vermochten Sie dem vom Gesetz geforderten Glaubhaftigkeitsanspruch aus den oben angeführten Gesichtspunkten nicht gerecht zu werden, zumal die mazedonische Regierung - wie bereits erwähnt - am 09.10.2001 eine Amnestie und damit einen wesentlichen Teil des Mitte August in Ohrid vereinbarten Friedensabkommens erfüllt hat. Da nach der Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen im ganzen mazedonischen Staatsgebiet nicht davon ausgegangen werden kann, dass Rückkehrer einer Gefahrenlage ausgesetzt wären, kann Ihren Befürchtungen nicht gefolgt werden."
Ergänzend argumentierte die belangte Behörde damit, dass der Beschwerdeführer die Kampfhandlungen zwischen UCK und mazedonischer Armee zunächst zeitlich falsch eingeordnet und erst über Vorhalt den Zeitrahmen (Frühjahr 2001 statt Frühjahr 2002) mit der Erklärung richtig gestellt habe, er habe "sich geirrt". Die zeitliche Differenz in seiner Schilderung von einem Jahr könne nur bedeuten, dass er das Geschilderte nie selbst erlebt habe. Außerdem sei es nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer bei der Polizeikontrolle "einfach davonlaufen" habe können und dass er als Fliehender die fortdauernde Inhaftierung seines Freundes in Erfahrung gebracht habe.
Da der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können, seien sowohl Asylgewährung als auch die Einräumung von Refoulement-Schutz ausgeschlossen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Die belangte Behörde hat sich primär der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes angeschlossen und dessen diesbezügliche Ausführungen wörtlich wiederholt. Zentraler Gesichtspunkt der Überlegungen der belangten Behörde ist daher (siehe die obige Wiedergabe) die Tatsache, dass die mazedonische Regierung am 9. Oktober 2001 eine Amnestie angeordnet habe, weshalb die Behauptung des Beschwerdeführers, Verhaftung durch die Polizei zu befürchten, weil er für die UCK gekämpft habe, nicht glaubwürdig sei.
Dem ist Folgendes zu entgegnen: Die belangte Behörde hat (ebenso wenig wie das Bundesasylamt) keine Feststellungen zur von der Regierung "angeordneten" Amnestie vom 9. Oktober 2001 getroffen. Feststellungen finden sich lediglich zu einem am 8. März 2002 in Kraft getretenen Amnestiegesetz, demzufolge Kämpfern der UCK, die gemäß den Bestimmungen des Ohrider Friedensvertrages vom 13. August 2001 ihre Waffen bis zum 26. September 2001 der von der NATO geführten Friedenstruppe abgegeben haben, Straffreiheit gewährt werde. Wie die Beschwerde richtig aufzeigt, wären die Erwägungen der belangten Behörde zur Amnestie bzw. im Hinblick auf diese Amnestie zur Unplausibilität der Angaben des Beschwerdeführers, er sei von der mazedonischen Polizei noch im Jänner 2003 "verfolgt" worden, demnach nur dann tragfähig, wenn der Beschwerdeführer angegeben hätte, er hätte bis zum 26. September 2001 seine Waffen abgegeben. Mit dieser Frage haben den Beschwerdeführer - er behauptet in der Beschwerde, seine Waffen behalten zu haben - aber weder das Bundesasylamt noch die belangte Behörde konfrontiert.
Die aufgezeigte Unschlüssigkeit des "Amnestiearguments" belastet nicht nur per se die Beweiswürdigung der belangten Behörde, sie führt auch dazu, dass die belangte Behörde zur Durchführung der vom Beschwerdeführer in seiner Berufung beantragten Berufungsverhandlung verpflichtet gewesen wäre, weil von einem "geklärten Sachverhalt" im Sinn des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG - die erstinstanzliche Behörde hat sich wie schon erwähnt im Ergebnis ausschließlich auf das besagte "Amnestieargument" gestützt - nicht die Rede sein konnte (vgl. grundsätzlich das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533). Von daher braucht nicht näher darauf eingegangen werden, ob die über die erstinstanzliche Beweiswürdigung hinausgehenden Erwägungen der belangten Behörde zutreffend sind. Der Vollständigkeit halber ist jedoch anzumerken, dass es jedenfalls auch einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit den Angaben des Beschwerdeführers über seine Befürchtungen bezüglich der ASHK bedurft hätte.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet ist, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 21. März 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005010307.X00Im RIS seit
14.04.2006