TE Vfgh Erkenntnis 2002/2/25 B357/00

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Veröffentlicht am 25.02.2002
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
BundesvergabeG §115
BundesvergabeG §41, §42
EG Art234
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge Art1, Art2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Zurückweisung von Anträgen betreffend die Nachprüfung eines Vergabeverfahrens hinsichtlich Bauaufträgen beim Lainzer Tunnel; vertretbare Annahme der mangelnden Antragslegitimation der beschwerdeführenden Gesellschaft; vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren kein Instrument zur Berichtigung eines selbst gelegten Angebots; keine Vorlagepflicht

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken AG (im folgenden Auftraggeberin) hat Bauarbeiten an der Verbindungsstrecke zwischen West-, Süd- und Donauländebahn "Lainzer Tunnel", Teilbereich "Verknüpfung Westbahn" und "Hadersdorf" Baulos LT 23, ausgeschrieben. Die beschwerdeführende Gesellschaft hat sich an dieser Ausschreibung beteiligt und ein Angebot gelegt.

Bei Erstellung dieses Angebotes ist der beschwerdeführenden Gesellschaft ihren eigenen Angaben zufolge ein Kalkulationsirrtum in der Form unterlaufen, daß sie übersehen habe, bei einer wesentlichen Position die Kosten betreffend Hebegeräte zu kalkulieren. Im Zuge eines Aufklärungsgespräches habe sie deshalb der Auftraggeberin angekündigt, nach einer allfälligen Zuschlagserteilung im Zivilrechtsweg eine "Anpassung des Preises gemäß §872 ABGB" verlangen zu wollen. Durch den Kalkulationsirrtum wäre der Preis um etwa 35 Mio. S zu gering veranschlagt worden.

In der Folge stellte die beschwerdeführende Gesellschaft bei der Bundes-Vergabekontrollkommission (B-VKK) einen Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens, in dem darauf hingewiesen wurde, daß die Auftraggeberin verpflichtet sei, unter Beiziehung eines Sachverständigen die Angemessenheit des angebotenen Preises zu prüfen. Da eine gütliche Einigung zwischen der beschwerdeführenden Gesellschaft und der Auftraggeberin in der Folge aber nicht zustandekam, erstattete die B-VKK eine Empfehlung dahin, daß nicht entschieden werden könne, ob ein Unterpreis vorliege. Hiezu bedürfe es einer weiteren eingehenden Angebotsprüfung, allenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen.

Mit Eingabe vom 2. Dezember 1999 stellte die beschwerdeführende Gesellschaft folgende Anträge:

"Das Bundesvergabeamt möge

a) die Entscheidung der vergebenden Stelle, das Vorliegen eines sogenannten 'Unterpreises' nur durch Vergleich mit von uns bei anderen Baulosen angebotenen Preisen zu prüfen, für nichtig erklären;

b) die Entscheidung der vergebenden Stelle, bei der Prüfung des Vorliegens eines Unterpreises keinen unabhängigen Sachverständigen iSd §27 BVergG beizuziehen, für nichtig erklären;

c) sofern uns nicht die Möglichkeit der Vertragsanpassung gegeben wird, die Entscheidung der vergebenden Stelle, unser Anbot trotz der Tatsache, daß bei der Kalkulation die Hebegeräte zur Gänze und/oder weitere Personal- und Gerätekosten vergessen wurden, entgegen Teil A.2.5 der Ausschreibungsunterlagen nicht auszuscheiden, für nichtig erklären;

d) die Entscheidung der vergebenden Stelle Teil D.1.1 der Ausschreibungsunterlagen (Allgemein rechtliche Vertragsbestimmungen) vorletzter Absatz sei so zu interpretieren, daß auch eine Anpassung des Anbotes bzw. des daraufhin zustandegekommenen Vertrages vertraglich ausgeschlossen sei, für nichtig erklären."

Mit Bescheid vom 11. Jänner 2000, Z N-47/99-10, wies das BVA alle genannten Anträge gemäß §115 Abs1 BVergG zurück und begründete dies wie folgt:

"Gemäß §115 Abs1 BVergG kann ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes unterliegenden Vertrages behauptet, die Nachprüfung einer Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, sofern im durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Aus dem Vorbringen der Antragstellerin geht eindeutig hervor, dass diese das Ausscheiden ihres Anbotes durch den Auftraggeber begehrt. Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass sie an einem Zustandekommen des Vertrages auf Grundlage ihres Angebotes nicht mehr interessiert ist. Die Antragstellerin behauptet zwar, ein Interesse am Abschluss des gegenständlichen Bauvertrages zu haben, allerdings nur unter gleichzeitiger Anpassung der Angebotssumme an den 'hypothetischen Parteiwillen'.

Aus §54 Abs1 BVergG ergibt sich, dass das Vertragsverhältnis während der Zuschlagsfrist zu dem Zeitpunkt zustandekommt, zu dem der Bieter die schriftliche Verständigung von der Annahme seines Angebotes erhält.

Gemäß §41 Abs2 BVergG ist der Bieter während der Zuschlagsfrist an sein Angebot gebunden. Diese Bestimmung enthält eine Klarstellung dahingehend, dass ein Bieter während der Zuschlagsfrist sein Angebot weder verändern noch zurückziehen darf (EBRV 1993).

Die Antragstellerin hat daher kein Interesse am Abschluss jenes Vertrages, der nach den Bestimmungen des BVergG das Ergebnis des Vergabeverfahrens sein kann, an dem sie sich beteiligt hat. Es fehlt ihr daher gemäß §115 Abs1 BVergG die Antragslegitimation, weshalb ihre Anträge zurückzuweisen waren.

Die Frage, ob tatsächlich ein Kalkulationsirrtum vorliegt, kann vom Bundesvergabeamt nicht entschieden werden. Eine Irrtumsanfechtung oder -anpassung kann die Antragstellerin nur vor den ordentlichen Gerichten geltend machen."

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf eine faires Verfahren iSd Art6 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

3. Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Durch die Zurückweisung ihrer Anträge erachtet sich die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt:

"Das Bundesvergabeamt hätte bei der Prüfung seiner Zuständigkeit und bei der Interpretation des §115 Abs1 Bundesvergabegesetz auch auf die Rechtsmittelrichtlinie 89/665 EWG des Rates vom 21.12.1989 achten müssen.

In Artikel 1 Abs1 dieser Richtlinie heißt es, daß sich die Mitgliedsstaaten verpflichten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörde wirksam und vor allem möglichst rasch nachgeprüft werden können. In Artikel 1 Abs3 heißt es, daß die Mitgliedsstaaten sicherstellen, daß das Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedsstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jedem zur Verfügung steht, der Interesse an einem bestimmten öffentlichen Liefer- oder Bauauftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht. Nach der Rechtsmittelrichtlinie kommt es also nicht darauf an, ob im Nachprüfungsverfahren ein Interesse behauptet wird. Es reicht aus, daß der Antragsteller ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hatte. Dieses Interesse kommt bereits dadurch zum Ausdruck, daß sich die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall am Ausschreibungsverfahren beteiligt und ein Angebot gelegt hat.

Das Bundesvergabeamt hätte §115 Abs1 BVergG daher europarechtskonform extensiv auslegen müssen. Es kommt nach der Rechtsmittelrichtlinie nicht auf subtile Abgrenzungen hinsichtlich eines behaupteten Interesse(s) an einem Vertragsabschluß an, sondern soll ganz allgemein das Nachprüfungsverfahren allen offen stehen, die angeboten haben oder anbieten hätten wollen. Die unrichtige Auslegung des §115 Abs1 Bundesvergabegesetz durch das Bundesvergabeamt ist so schwerwiegend, daß es als willkürlich bezeichnet werden muß. Der Beschwerdeführerin wurde in gesetzwidriger Weise jeder Rechtsschutz versagt.

Artikel 1 Abs3 der Rechtsmittelrichtlinie ist darüberhinaus unmittelbar anwendbar. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist so weit konkretisiert und bestimmt, daß das Bundesvergabeamt sogar eine allenfalls entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechtes außer acht lassen hätte müssen. §115 Abs1 BVergG würde nämlich, so wie ihn das Bundesvergabeamt ausgelegt hat, das Bundesvergabeamt an der Erfüllung der Verpflichtung zur Nachprüfung von Entscheidungen im Vergabeverfahren hindern, wobei diese Verpflichtung als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung unmittelbar zu erfüllen ist, auch wenn im nationalen Recht keine Grundlage für das Tätigwerden des Bundesvergabeamtes im vorliegenden Fall enthalten wäre. Das Bundesvergabeamt hat diese Zuständigkeit nicht wahrgenommen, wodurch die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weiters in ihrem Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, sowie auf ein gesetzmäßiges und faires Verfahren vor einem Gericht im Sinne des Artikel 6 MRK verletzt wurde.

Das Bundesvergabeamt hätte daher die Anträge der Beschwerdeführerin nicht zurückweisen dürfen, sondern hätte in der Sache selbst entscheiden müssen.

Nach dem Kenntnisstand der Beschwerdeführerin gibt es bisher keine Entscheidungen zu §115 BVergG in einem vergleichbaren Fall. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ist im vorliegenden Fall zur Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage unbedingt erforderlich. Es geht nämlich um die grundsätzliche Frage des Rechtsschutzes der Bieter nach dem Bundesvergabegesetz. Dieser Rechtsschutz soll vom Bundesvergabeamt nicht verweigert werden können, indem das Bundesvergabeamt durch Interpretation zu dem Ergebnis gelangt, ein Antragsteller hätte in Wahrheit gar kein Interesse am Abschluß des Vertrages. Ob den Anträgen auf Nichtigerklärung bestimmter Entscheidungen der vergebenden Stelle letztendlich Folge gegeben wird, oder ob diese abgewiesen werden, ist natürlich eine andere Frage. Hier kommt es zunächst nur darauf an, daß alle Bieter einen Anspruch auf eine inhaltliche Entscheidung des Bundesvergabeamtes haben. Diesbezüglich handelt es sich nicht nur um einen Einzelfall, sondern um eine grundsätzliche Entscheidung.

Der Verfassungsgerichtshof hatte in seinem Erkenntnis vom 10.6.1999 einen das Wiener Landesvergabegesetz betreffenden Fall zu entscheiden. Auch dort wurden Anträge auf Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens zurückgewiesen. Der Verfassungsgerichtshof hat in dieser Entscheidung ausgesprochen, daß die beschwerdeführende Gesellschaft durch die dort angefochtenen Bescheide in ihrem durch

Artikel 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal und auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde. In diesem Verfahren ging es allerdings vor allem darum, ob berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit der Mitglieder des Vergabekontrollsenates Wien bestanden. Daneben ging es darum, ob der Vergabekontrollsenat verpflichtet gewesen wäre, eine Frage der Auslegung des Artikel 2 Abs1 iVm Artikel 2 Abs6 der Rechtsmittelrichtlinie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Auch im vorliegenden Fall hat das Bundesvergabeamt als eine im Sinne des EGV als Gericht zu qualifizierende Verwaltungsbehörde entgegen der Anordnung des Artikel 234 EGV eine vorlagepflichtige Frage der Interpretation des Gemeinschaftsrechtes dem Europäischen Gerichtshof nicht zur Vorabentscheidung vorgelegt. Es ist nämlich auch eine Frage der Auslegung der Rechtsmittelrichtlinie, 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989, ob im Fall der Beschwerdeführerin die Antragslegitimation hinsichtlich der Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor Zuschlagserteilung vorliegt. Vorlagepflichtig wäre allenfalls sowohl die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des Artikel 1 Abs3 gewesen, wie auch dessen Auslegung, soferne man sich nicht ohnedies der oben dargestellten Rechtsansicht anschließt, daß die Auslegung keinerlei Zweifel zuläßt und zu dem Ergebnis führen würde, daß die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Einleitung eines Nachprüfungsverfahren(s) vor dem Bundesvergabeamt im vorliegenden Fall jedenfalls aktiv legitimiert war.

Wenn aber die Auslegung des Artikel 1 Abs3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge zweifelhaft ist, so hätte das Bundesvergabeamt die Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen müssen.

Nicht nur eine grobe, sondern jede Verletzung der Vorlagepflicht verletzt das verfassungsge(setz)lich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (VfGH vom 11.12.1995, B2300/95)."

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992).

Ebenso verletzt der Bescheid einer Verwaltungsbehörde nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 14.390/1995, 14.889/1997, 15.507/1999) unter anderem dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, wenn die bescheiderlassende Behörde als Gericht iSd Art234 Abs3 EG eingerichtet ist und es verabsäumt, eine entscheidungsrelevante Frage der Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

3. Das BVA hat die Nachprüfungsanträge der beschwerdeführenden Gesellschaft aus dem Grunde mangelnden Interesses am Abschluß eines dem Anwendungsbereich des BVergG unterliegenden Vertrages auf Grundlage ihres Anbotes gemäß §115 Abs1 BVergG zurückgewiesen. Aus ihrem Antragsvorbringen ergebe sich, daß sie ein Interesse am Abschluß des gegenständlichen Bauvertrages nur unter gleichzeitiger Anpassung der Angebotssumme an den "hypothetischen Parteiwillen" habe.

Bereits in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2001, B405/99, hat der Verfassungsgerichtshof festgehalten, daß ein Nachprüfungsverfahren der Durchsetzung subjektiver Interessen am Abschluß eines Vertrages und daraus resultierender Teilnahmerechte eines Bieters bzw. eines Bewerbers am Vergabeverfahren dienen soll.

§115 Abs1 BVergG ist zwar im Hinblick auf die Anforderungen aus der grundgelegten Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG im Sinne eines weiten Rechtsschutzauftrags zu interpretieren: Einem Bewerber/Bieter soll die Möglichkeit eingeräumt werden, ihn im Vergabeverfahren diskriminierende Entscheidungen des Auftraggebers überprüfen und gegebenenfalls für nichtig erklären zu lassen. Das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ist aber kein Instrument, ein selbst gelegtes - und gemäß §41 Abs2 BVergG ab Anbotsöffnung verbindliches - Angebot berichtigen zu lassen. Die von der beschwerdeführenden Gesellschaft gestellten - unter Pkt. I.1. wiedergegebenen - Nachprüfungsanträge zielen offensichtlich darauf ab, den Auftraggeber zu verpflichten, im Wege einer vertieften Anbotsprüfung ihr eigenes Anbot auf das Vorliegen eines Unterpreises zu prüfen. Die Konsequenz einer dabei festgestellten Unterpreisigkeit des Anbots könnte aber gemäß §52 Abs1 Z3 BVergG nur das Ausscheiden des (betreffenden) Anbots sein. Daß die beschwerdeführende Gesellschaft für den Fall, daß ihr die Anpassung ihres Anbots vom Auftraggeber nicht ermöglicht wird, auf das Ausscheiden desselben abzielt, erhellt auch aus ihrem Begehren, "... die Entscheidung der vergebenden Stelle, unser Anbot trotz der Tatsache, daß bei der Kalkulation die Hebegeräte zur Gänze und/oder weitere Personal- und Gerätekosten vergessen wurden, ... nicht auzuscheiden, für nichtig (zu) erklären".

Der Annahme des BVA, daß aus einer solchen Antragstellung auf ein fehlendes Interesse der beschwerdeführenden Gesellschaft am Vertragabschluß - und sohin auf eine mangelnde Antragslegitimation im Sinne des §115 Abs1 BVergG - zu schließen sei, ist nicht entgegenzutreten:

Wohl dürfte der beschwerdeführenden Gesellschaft ein grundsätzliches - abstraktes - Interesse am Abschluß eines Vertrages nicht abzusprechen sein (wovon schon ihre Teilnahme am Vergabeverfahren durch Legung eines Anbots zeugt). Angesichts der von ihr gestellten Nachprüfungsanträge ist aber der Schluß der belangten Behörde gerechtfertigt, daß dieses Interesse konkret nicht auf Basis ihres gelegten, sondern bloß eines ihrem "hypothetischen Parteiwillen" angepaßten Anbots besteht. Nun steht es zwar einem Bieter frei, während der Angebotsfrist ein gelegtes Anbot durch zusätzliche, rechtsgültig unterfertigte Erklärung zu ändern, zu ergänzen oder von demselben zurückzutreten (§42 Abs6 BVergG); daß die beschwerdeführende Gesellschaft von der Möglichkeit der Änderung des Anbots bis zu diesem Zeitpunkt Gebrauch gemacht hätte, wurde aber in keiner Weise dargetan. Ab Anbotseröffnung ist der Bieter hingegen an sein zu diesem Zeitpunkt vorliegendes Anbot gebunden (§41 Abs2 BVergG). Nach Anbotsöffnung erfolgte Preisanpassungen sind aber nicht nur unzulässig, sie würden auch in Widerspruch zu den dem Vergaberecht immanenten Grundsätzen (insb. der Gleichbehandlung von Bietern) stehen. Zuschlagsrelevant kann also schon aus diesen Gründen nur das von der beschwerdeführenden Gesellschaft gelegte - nicht aber ein ihrem "hypothetischen Parteiwillen" "angepaßtes" - Anbot sein. Irrtümer bei der Legung eines Anbots können nach Abschluß des Leistungsvertrags - wie das BVA zu Recht anmerkt - nur mehr vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden. Wenn das BVA angesichts dieser gesetzlichen Ausgangslage den Schluß zieht, daß die beschwerdeführende Gesellschaft am Zustandekommen des Vertrages unter den durch ihr Anbot festgelegten - und wie gezeigt allein maßgeblichen - Konditionen kein rechtliches Interesse haben kann und es ihr insofern an der gemäß §115 Abs1 BVergG erforderlichen Antragslegitimation mangelt, kann ihm jedenfalls aus Sicht der geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nicht entgegengetreten werden.

Insbesondere ist dem BVA auch nicht die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter mangels Einholung einer Vorabentscheidung gemäß Art234 EG vorzuwerfen:

Den von der beschwerdeführenden Gesellschaft angezogenen Bestimmungen der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG läßt sich kein Hinweis darauf entnehmen, daß Bietern Rechtsschutz gegen ein selbst gelegtes Anbot gewährt oder diesen gar die Möglichkeit eingeräumt werden muß, sich vor dem Zuschlag - und damit vor dem Vertragsabschluß - schützen zu lassen. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist daher auch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wegen Nichtvorlage entscheidungserheblicher Fragen der Interpretation von Gemeinschaftsrecht an den EuGH nicht verletzt worden.

Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, daß die beschwerdeführende Gesellschaft in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder in ihren Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen verletzt wurde, war die Beschwerde abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

EU-Recht, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B357.2000

Dokumentnummer

JFT_09979775_00B00357_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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