Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §101;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 2. Februar 2005, Zl. SV(SanR)-411227/1-2005-Bb/May, betreffend Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG (mitbeteiligte Partei: G in L, vertreten durch Dr. Christian Slana, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 25/Quergasse 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Konsumentenschutz und Generationen) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt vom 22. März 2000 wurde die Erkrankung, die sich der Mitbeteiligte als Student zugezogen hat, gemäß § 177 Abs. 1 ASVG Anlage 1 Nr. 38 als Berufskrankheit anerkannt. Als Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles wurde gemäß § 174 Z. 2 ASVG der 6. August 1984 festgestellt, als Bemessungsgrundlage gemäß § 182 ASVG der Betrag von S 204.368,--. Dem Mitbeteiligten wurde eine Versehrtenrente als Dauerrente samt Zusatzrente und Kinderzuschuss in näher festgelegtem Ausmaß zuerkannt.
Mit Schreiben vom 25. Februar 2004 stellte der Mitbeteiligte an die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt den Antrag, in Bezug auf den Bescheid vom 22. März 2000 den gesetzlichen Zustand gemäß § 101 ASVG dahingehend herzustellen, dass der Eintritt des Versicherungsfalles gemäß § 174 Z. 2 ASVG mit 1. Februar 1999, in eventu mit 26. Jänner 1998 festgestellt werde. Unter einem beantragte der Mitbeteiligte, dass in Abänderung des Bescheides vom 22. März 2000 die Versicherungsleistungen auf Basis der gemäß § 182 ASVG per 1. September 1999, in eventu per 26. Jänner 1998 neu festzustellenden Bemessungsgrundlage abgerechnet und ausbezahlt werden. Begründend führte der Mitbeteiligte aus, die im Bescheid getroffene Feststellung des Eintrittes des Versicherungsfalles mit 6. August 1984 beruhe auf einem wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt. Der Mitbeteiligte habe in den Jahren 1973 und 1974 als Student insgesamt 15 mal die Plasmapheresestelle S. zum Zweck des Plasmaspendens besucht, wobei er sich eine Hepatitis-C-Infektion zugezogen habe. Aus einem Gutachten des Dr. M. ergebe sich, dass das Hepatitis-C-Virus erstmals 1990/1991 habe identifiziert werden können, während bis zu diesem Zeitpunkt von einer Hepatitis-Non-A-Non-B-Infektion gesprochen worden sei. Beim Mitbeteiligten seien erstmals 1984 erhöhte Leberwerte festgestellt worden, doch erst am 26. Jänner 1998 habe eine Leberbiopsie eine chronische Hepatitis sowie eine Fibrose des Lebergewebes ergeben, woraufhin erstmals eine kausale Therapie eingeleitet worden sei. Für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung sei die diagnoseabhängige Behandlung maßgeblich. Eine kausale Therapie sei erst nach dem 26. Jänner 1998 eingeleitet worden, wobei seitens der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt im Bescheid vom 22. März 2000 eine relevante Minderung der Erwerbsfähigkeit erstmals mit 1. Februar 1999 angenommen worden sei. Der Eintritt des Versicherungsfalles wäre daher erst mit 1. Februar 1999, in eventu frühestens mit 26. Jänner 1998, festzustellen gewesen.
Mit Bescheid der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt vom 21. Juli 2004 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes hinsichtlich des Bescheides vom 22. März 2000 bzw. Feststellung des Eintrittes des Versicherungsfalles mit 1. Februar 1999 oder 26. Jänner 1998 anstelle des festgesetzten Eintrittes des Versicherungsfalles mit 6. August 1984 gemäß § 101 ASVG zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dem Bescheid vom 22. März 2000 sei hinsichtlich des Eintrittes des Versicherungsfalles mit 6. August 1984 weder ein wesentlicher Irrtum noch ein offensichtliches Versehen zu Grunde gelegen. Nach fachärztlicher Beurteilung sei die erstmals 1984 nachgewiesene Transaminasenerhöhung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Hepatitis-C zuzuordnen. Somit habe die Minderung der Erwerbsfähigkeit bereits zu diesem Zeitpunkt ein entschädigungspflichtiges Ausmaß erreicht, weshalb der Eintritt des Versicherungsfalles mit 6. August 1984 festzustellen gewesen sei.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde dem dagegen erhobenen Einspruch des Mitbeteiligten insoweit Folge, "als in Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 21.7.2004 gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) entschieden wird, dass der gesetzliche Zustand insoweit wieder herzustellen ist, als der Eintritt des Versicherungsfalles mit 11.12.1997 festgestellt wird". Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt lasse sowohl das Günstigkeitsprinzip des § 174 Z. 2 ASVG als auch die auf Grund der Krankheit notwendige Krankenbehandlung (§ 120 Abs. 1 Z. 1 ASVG) außer Betracht. So stütze sie sich auf "vorläufige" Krankheitsberichte vom 1. bis 3. August 1984 und die weitere Durchuntersuchung vom 6. bis 7. August 1984, wobei als Diagnose eine Fettleber-Pankreasfibrose "(mit Fragezeichen!)" gestellt worden sei. Wenn im Jahr 1984 auch das Hepatitis-C-Virus als solches noch nicht namentlich bekannt gewesen sei, so hätte zumindest in der Diagnose Non-A und Non-B-Hepatitis stehen müssen. Diese Bezeichnungen seien jedoch "zu diesem Zeitpunkt" ebenfalls nicht zu finden. Von einem verlässlichen Nachweis könne daher nicht gesprochen werden. Weiter sei am 7. Februar 1992 eine chronische Hepatitis-C diagnostiziert und bezüglich der Anti-Hepatitis-C-Viren ein positives Ergebnis befundet worden. Als Basistherapie sei jedoch ein Medikament gegen Gelenksbeschwerden verschrieben worden, wobei dieses Mittel sogar eine negative Auswirkung auf Hepatitis-C haben könne. Eine Behandlung gegen Hepatitis-C sei nicht ersichtlich, sodass der Versicherungsfall auch mit diesem Datum nicht anzunehmen sei. Der erste verlässliche Nachweis sei am 11. Dezember 1997 durch das Labor R. erbracht worden. Am 26. Jänner 1998 sei eine Leberbiopsie erfolgt, wobei sich nach dem histologischen Befund eine chronische Hepatitis mit geringen Aktivitätszeichen und mit charakteristischen Veränderungen einer Hepatitis-C sowie eine Fibrose des Lebergewebes ergeben hätten und im Anschluss daran auch die Behandlung mit Interferon und Ribavirin erfolgt sei. Kausal dafür (für die neuerliche Untersuchung und Behandlung) sei aber bereits der verlässliche Nachweis von Hepatitis-C im Labor R. gewesen. Da somit ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt gegeben gewesen sei, sei spruchgemäß der gesetzliche Zustand herzustellen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Mitbeteiligte hat sich nur hinsichtlich des Antrages der beschwerdeführenden Partei auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung am verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ergibt sich nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens gemäß § 101 ASVG der gesetzliche Zustand herzustellen.
Die Bemessungsgrundlage für eine Versehrtenrente ist grundsätzlich die Summe der allgemeinen Beitragsgrundlagen im letzten Kalenderjahr vor dem Eintritt des Versicherungsfalles (§§ 179 und 205 ASVG). Der Versicherungsfall gilt gemäß § 174 Z. 2 ASVG bei Berufskrankheiten mit dem Beginn der Krankheit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, mit dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit als eingetreten. Der Beginn der Krankheit ist gemäß § 120 Abs. 1 Z. 1 ASVG der Beginn des regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes, der die Krankenbehandlung notwendig macht.
Auf Grund des Bescheides der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt vom 22. März 2000 steht rechtskräftig fest, dass die Hepatitis C des Mitbeteiligten als Berufskrankheit gilt (und nicht etwa als Folge eines festgestellten Arbeitsunfalls im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 2 ASVG). Daher sind für die Berechnung der Rente die für Berufskrankheiten geltenden Bestimmungen maßgebend (§ 176 Abs. 2 ASVG).
Mit seinem Antrag vom 25. Februar 2004 begehrte der Mitbeteiligte eine Änderung des Bescheides vom 22. März 2000, der eine Leistungssache zum Gegenstand hatte. § 101 ASVG ist somit im gegenständlichen Zusammenhang anwendbar.
Die Entscheidung, ob der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, ist eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 2004, Zl. 2001/08/0030, mwN). Demgemäß hat sich aber der mit Einspruch angerufene Landeshauptmann auf die Frage der Zulässigkeit der Herstellung des gesetzlichen Zustandes zu beschränken und dem Sozialversicherungsträger gegebenenfalls die Herstellung, d.h. die Erlassung eines neuen Leistungsbescheides, aufzutragen. Ein den Auftrag zur Herstellung des gesetzlichen Zustandes aussprechender Bescheid der Einspruchsbehörde beseitigt den abzuändernden Leistungsbescheid (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 98/08/0002).
Im Verfahren nach § 101 ASVG ist somit nur bindend auszusprechen, dass ein Irrtum oder ein Versehen vorliegt und dass sich dieser Irrtum oder dieses Versehen zum Nachteil des Versicherten ausgewirkt hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 17. November 1999, Zl. 99/08/0110, ausgesprochen hat, ist dann, wenn sich der Irrtum nur auf die Leistungshöhe ausgewirkt hat, zwar auf Grund der positiven Entscheidung nach § 101 ASVG bindend ausgesprochen, dass die seinerzeitige Leistung zu niedrig gewesen ist. In welchem Umfang eine Erhöhung aber einzutreten hat, bleibt dem neuen Leistungsbescheid vorbehalten.
Im vorliegenden Fall hat die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt mit dem Bescheid vom 21. Juli 2004 den Antrag des Mitbeteiligten auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG zwar dem Wortlaut des Spruches des Bescheides nach "zurückgewiesen", der Sache nach aber das Vorliegen der Voraussetzungen des § 101 ASVG (Gegebensein eines beachtlichen Irrtums) verneint, den Antrag also in Wahrheit abgewiesen.
Die belangte Behörde hat nach dem Spruch des in Beschwerde gezogenen Bescheides dem vom Mitbeteiligten erhobenen Einspruch Folge gegeben und entschieden, dass der gesetzliche Zustand insoweit wieder herzustellen ist, als der Eintritt des Versicherungsfalles mit 11. Dezember 1997 festgestellt wird. Damit hat die belangte Behörde, der nur in Verwaltungssachen eine Kompetenz eingeräumt ist (vgl. § 412 Abs. 1 ASVG), aber ihre Zuständigkeit überschritten. Wie sich aus der oben dargestellten Rechtslage und auch aus dem Bescheid der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt vom 22. März 2000 ergibt, stellt der Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles nämlich bereits ein Teilmoment der Hauptfrage dar, die im Leistungsverfahren im Zusammenhang mit der Bemessung der Versehrtenrente zu entscheiden ist (vgl. dazu z.B. die hg. Erkenntnisse vom 7. August 2002, Zl. 99/08/0096, und vom 16. Mai 1995, Zl. 94/08/0295). Da die Feststellung des Eintrittes des Versicherungsfalles mit 11. Dezember 1997 im Bescheidspruch erfolgt ist, ist diese Feststellung - anders als wenn Derartiges nur in der Begründung ausgeführt worden wäre (vgl. dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 17. November 1999) - für die beschwerdeführende Unfallversicherungsanstalt bindend. Die belangte Behörde hat somit aber der beschwerdeführenden Unfallversicherungsanstalt nicht nur aufgetragen, einen neuen Leistungsbescheid zu erlassen, sondern bereits selbst wesentliche Kriterien der Leistungsbemessung festgestellt. Der Bescheidspruch erweist sich auch als untrennbar, weil darin ausdrücklich ausgesprochen wird, dass der gesetzliche Zustand "insoweit" wieder herzustellen ist, als der Eintritt des Versicherungsfalles mit 11. Dezember 1997 festgestellt wird.
Die belangte Behörde hat über eine Leistungssache entschieden, wozu sie nicht zuständig war. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.
Bemerkt wird, dass sich die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren insbesondere auch mit dem Zeitpunkt des Beginnes der Erkrankung bzw. des Beginnes einer rentenpflichtigen Minderung der Erwerbsfähigkeit auseinander zu setzen haben wird um nachvollziehbar zur Feststellung zu gelangen, dass dem Mitbeteiligten eine höhere Leistung gebührt.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 29. März 2006
Schlagworte
Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005080034.X00Im RIS seit
02.05.2006