TE Vwgh Erkenntnis 2006/3/30 2003/20/0345

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Veröffentlicht am 30.03.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23 Abs3 idF 2002/I/126;
AsylG 1997 §23 Abs3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §3 idF 2002/I/126;
AsylG 1997 §3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §44 Abs3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 idF 2002/I/126;
AsylGNov 2003;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, in der Beschwerdesache des A, vertreten durch Dr. Herbert Grün, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 5, gegen den unabhängigen Bundesasylsenat wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Oktober 2001, Zl. 01 13.336-BAE, wird aufgrund der Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG iVm § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 5. Juni 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 6. Juni 2001 Asyl.

Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 10. Oktober 2001 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei fest.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung, die am 29. Oktober 2001 beim Bundesasylamt einlangte.

In seiner am 20. August 2003 eingelangten Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG brachte der Beschwerdeführer vor, über seine "rechtzeitig im Oktober 2001" erhobene Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Oktober 2001, mit dem sein Asylansuchen "ab(zurück)gewiesen" worden sei, sei bisher nicht entschieden worden, sodass er die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache beantrage.

Nach Einleitung des Vorverfahrens über die Säumnisbeschwerde und vor Ablauf der der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten (und in der Folge bis zum 30. Juni 2004 verlängerten) Frist zur Erlassung des versäumten Bescheides teilte die belangte Behörde mit Schreiben vom 15. Juni 2004 mit, dass der Beschwerdeführer seinen Asylantrag mit Schreiben vom 1. April 2004 zurückgezogen habe. Die belangte Behörde führte aus, die Pflicht zur Entscheidung über die Berufung sei durch die Zurückziehung des Asylantrages weggefallen, und beantragte, die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen und dem Bund den gesetzlichen Kostenersatz zuzusprechen. In einem mit dem Akt der belangten Behörde vorgelegten Schreiben an das Bundesasylamt vertrat die belangte Behörde die Auffassung, die Zurückziehung des Asylantrages gelte aufgrund des gemäß § 44 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 auf den vorliegenden Fall anzuwendenden § 23 Abs. 3 leg. cit. als Zurückziehung der Berufung, sodass der erstinstanzliche Bescheid in Rechtskraft erwachsen sei.

Der Beschwerdeführer bestritt in seiner Äußerung zum Schreiben vom 15. Juni 2004 die erfolgte Zurückziehung des Asylantrages nicht, sprach sich aber gegen die Zurückweisung der Beschwerde aus und beantragte seinerseits den Zuspruch von Kostenersatz.

Auf Grund der - zulässigen - Säumnisbeschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG in der Sache selbst erwogen:

Der Beschwerdeführer hat den Asylantrag im vorliegenden Fall mit Schreiben vom 1. April 2004 - während des auch nach Einbringung der Säumnisbeschwerde noch anhängigen Berufungsverfahrens - zurückgezogen. Asylanträge konnten auf Grundlage des AsylG in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003, jedenfalls zurückgezogen werden. Gegen die grundsätzliche Zulässigkeit und Rechtswirksamkeit der Zurückziehung eines Asylantrages hegte der Verwaltungsgerichtshof, wie er etwa im Erkenntnis vom 29. März 2001, Zlen. 2000/20/0473, 2001/20/0089, ausgesprochen hat, keinen Zweifel.

Mit der AsylG-Novelle 2003 wurde die Zurückziehung von Asylanträgen für unzulässig erklärt. § 23 Abs. 3 AsylG in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 lautet:

"(3) Die Zurückziehung eines Asylantrages ist unzulässig (§ 31 Abs. 2); die Behörde hat jedenfalls über den Asylantrag abzusprechen, es sei denn, das Verfahren wird eingestellt oder der Antrag wird als gegenstandslos abgelegt (§ 40a Abs. 3). Eine Zurückziehung des Asylantrages im Stadium der Berufung gilt als Zurückziehung der Berufung."

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG in der Fassung der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 zu führen. Gemäß § 44 Abs. 3 AsylG sind aber "die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (...) auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden".

Wäre auf die im Berufungsstadium mit Schreiben vom 1. April 2004 vorgenommene Zurückziehung des Asylantrages bereits die dargestellte Regelung des § 23 Abs. 3 AsylG anzuwenden und würde die Antragsrückziehung demnach als Rücknahme der Berufung gelten, so wäre die belangte Behörde mit ihrer Auffassung im Recht, dass der Säumnisbeschwerde wegen des Fehlens einer aufrechten Berufung der Boden entzogen worden sei.

Eine Anwendung des § 23 Abs. 3 AsylG auf den vorliegenden Fall kommt jedoch nicht in Betracht. Die Übergangsbestimmung des § 44 Abs. 3 AsylG kann nicht dahin verstanden werden, dass § 23 Abs. 3 leg. cit. auf die Zurückziehung eines (vor dem 1. Mai 2004 gestellten) Asylantrages auch dann anzuwenden wäre, wenn die Zurückziehung schon vor dem Inkrafttreten der AsylG-Novelle 2003 vorgenommen wurde. Für die Beurteilung der Zulässigkeit von Verfahrenshandlungen hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es grundsätzlich darauf ankommt, wann der verfahrensrechtlich maßgebliche Sachverhalt stattgefunden hat (vgl. das Erkenntnis vom 24. Februar 2005, Zl. 2004/07/0018, mwN). § 44 Abs. 3 AsylG trifft keine von diesem Grundsatz abweichende Regelung. Diese Übergangsbestimmung ist vielmehr so zu verstehen, dass die im § 23 Abs. 3 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 normierte Unzulässigkeit der Zurückziehung des Asylantrages und die im Zusammenhang damit getroffene Regelung, dass eine solche Antragsrückziehung im Stadium der Berufung als Zurückziehung der Berufung gelte, für jene Asylanträge maßgeblich ist, die bis zum 30. April 2004 gestellt und nach diesem Zeitpunkt zurückgezogen wurden. Somit kann die Zurückziehung eines Asylantrages nur dann als Berufungszurückziehung gelten, wenn sie nach dem 30. April 2004 erklärt wurde.

Durch das Inkrafttreten der AsylG-Novelle 2003 hat sich die für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebliche Rechtslage daher nicht verändert. Auch das Inkrafttreten des AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, am 1. Jänner 2006 hat auf den vorliegenden Fall keinen Einfluss, weil gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 unter Berücksichtigung der Übergangsvorschriften des § 44 AsylG 1997 zu Ende zu führen sind.

Es ist daher nun auf Grundlage des AsylG in der vor der Novelle 2003 geltenden Fassung zu prüfen, wie die Berufungsbehörde im Falle der Zurückziehung des Asylantrages im Stadium des Berufungsverfahrens vorzugehen hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem schon zitierten Erkenntnis vom 29. März 2001, Zlen. 2000/20/0473, 2001/20/0089, ausgeführt hat, wird durch die Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages der Bescheid der Behörde erster Instanz nicht beseitigt, sondern dies hat zur Folge, dass für die Erlassung eines antragsbedürftigen Verwaltungsaktes eine Voraussetzung fehlt, sodass der erlassene Bescheid nicht mehr Gegenstand der Rechtsordnung sein darf. Für die Berufungsbehörde besteht - worauf der Beschwerdeführer zutreffend hingewiesen hat - die Pflicht, über die Berufung zu entscheiden, und zwar in der Form, dass sie das Fehlen des Asylantrages im Zeitpunkt der Erlassung ihrer Erledigung aufzugreifen und den angefochtenen (erstinstanzlichen) Bescheid, dem durch die Antragsrückziehung die Grundlage entzogen wurde, aufzuheben (ersatzlos zu beheben) hat (vgl. dazu nochmals das Erkenntnis vom 29. März 2001).

Der infolge der vorliegenden Säumnisbeschwerde zur Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers zuständige Verwaltungsgerichtshof hat somit aufgrund der (zulässigen) Zurückziehung des Asylantrages im Berufungsstadium den mit Berufung bekämpften Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 42 Abs. 4 zweiter Satz VwGG iVm § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. März 2006

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Inhalt der Berufungsentscheidung KassationMaßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseVoraussetzungen des Berufungsrechtes Berufungsrecht und Präklusion (AVG §42 Abs1)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003200345.X00

Im RIS seit

12.05.2006

Zuletzt aktualisiert am

27.06.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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