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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art90 Abs1Leitsatz
Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal durch Unterlassung der Durchführung einer (volks)öffentlichen Verhandlung im Verfahren vor der Landes-Grundverkehrskommission; Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung wie zB im Fall Ringeisen aufgrund der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte über die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art6 EMRKSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal im Sinne des Art6 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist schuldig, den Beschwerdeführern die mit € 2143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Superädifikat- und Bestandvertrag vom 8. September 1997 hat die Erstbeschwerdeführerin eine Fläche im Ausmaß von 674 m2 aus Grundstück 1201 EZ 92 GB Ellmau der Zweitbeschwerdeführerin zur Errichtung eines landwirtschaftlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäudes als Superädifikat auf unbestimmte Zeit in Bestand gegeben. Es wurde vereinbart, daß die Erstbeschwerdeführerin auf die Dauer von 80 Jahren ab Beginn des Bestandsverhältnisses auf die Ausübung ihres Kündigungsrechtes verzichte.
2. Die Bezirks-Grundverkehrskommission Kufstein hat diesem Rechtserwerb mit Bescheid vom 25. Mai 1998 die grundverkehrsbehördliche Genehmigung erteilt. Der dagegen durch den Landesgrundverkehrsreferenten erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Landes-Grundverkehrskommission beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 10. Februar 1999 Folge gegeben und dem Superädifikat- und Bestandvertrag vom 8. September 1997 die Genehmigung versagt. Diese sei nicht zu erteilen, da der Rechtserwerb den öffentlichen Interessen des §6 Abs1 lita Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 zuwiderlaufe.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Im Fall Eisenstecken gegen Österreich (Urteil vom 3.10.2000, ÖJZ 2001/7) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - von seiner früheren Rechtsprechung abgehend - den österreichischen Vorbehalt zu Art6 EMRK ausdrücklich als ungültig angesehen.
Der Verfassungsgerichtshof sieht sich gehalten, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dessen neuer Bewertung des österreichischen Vorbehalts zu Art6 Abs1 EMRK zu folgen (siehe VfGH 13.12.2001, B227/99).
Die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art6 Abs1 EMRK hat zur Folge, daß in Verwaltungsverfahren, in welchen über den "Kernbereich" von civil rights abgesprochen wird, eine (volks)öffentliche Verhandlung vor einem Tribunal durchzuführen ist. Einschränkungen der Öffentlichkeit dürfen hier nur vorgesehen werden, soweit Art6 EMRK dies zuläßt.
Bei Verfahren betreffend die grundverkehrsbehördliche Genehmigung von Rechtsgeschäften steht außer Zweifel, daß es sich um Verfahren handelt, die civil rights in ihrem Kernbereich berühren (VfGH 13.12.2001, B227/99; zur Feststellung, daß grundverkehrsbehördliche Verfahren civil rights berühren, vgl. auch VfSlg. 11131/1986, 11211/1987, 12074/1989, 13209/1992 und 14109/1995).
2. Angesichts dessen war die belangte Behörde daher verpflichtet, gemäß Art6 Abs1 EMRK eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Für diese hat - abgesehen von den nach Art6 Abs1 EMRK zulässigen Ausnahmen, welche in diesem Fall nicht vorliegen - der Grundsatz der Volksöffentlichkeit zu gelten.
Da es die Landes-Grundverkehrskommission unterlassen hat, eine (volks)öffentliche Verhandlung durchzuführen, liegt eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK vor. Der angefochtene Bescheid war daher allein schon aus diesem Grund wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf eine mündliche Verhandlung vor einem unparteiischen Tribunal aufzuheben, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Verfahrenskosten sind € 327,- an Umsatzsteuer sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG zu entrichtenden Gebühr von € 181,68 enthalten.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Grundverkehrsrecht, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, Verhandlung mündliche, civil rights, ÖffentlichkeitsprinzipEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B549.1999Dokumentnummer
JFT_09979774_99B00549_00