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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art139;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2002/06/0104 E 25. April 2006Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde des Dr. MA in W, vertreten durch Dr. Friedrich Trappel, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 24a, gegen den Bescheid des Plenums des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 22. Jänner 2002, Zl. VS 176/2002, betreffend Beigebung als Verfahrenshilfeverteidiger nach der StPO (mitbeteiligte Parteien: 1. JS in W, 2. Mag. PD in W, 3. Dr. HD in W, und 4. Dr. LD in W),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Soweit mit dem angefochtenen Bescheid der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen die mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 14. Jänner 2002, Vs 176/2002, erfolgte Bestellung der Mag. PD (der Zweitmitbeteiligten) keine Folge gegeben wurde, wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
In der gegen ihn - neben anderen Angeklagten - wegen § 33 FinStrG und § 146 u.a. StGB vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht geführten Strafsache stellte der Erstmitbeteiligte am 9. Jänner 2002 einen Antrag auf Verfahrenshilfe und führte aus, dass in der gegen ihn geführten Strafsache die Hauptverhandlung zunächst für zwölf Verhandlungstage anberaumt gewesen sei. Im Dezember 2001 sei die Verhandlung zunächst für weitere zwölf Verhandlungstage und danach für weitere zwei Verhandlungstage anberaumt worden. Im Hinblick auf die Erweiterung der Verfahrensdauer sei er nicht mehr in der Lage, die Kosten der Verteidigung aus eigenem zu tragen, weshalb er den Antrag stelle, ihm gemäß § 41 Abs. 2 StPO einen Verfahrenshilfeverteidiger beizugeben, wobei er aus Gründen der Prozessökonomie im Einverständnis mit seinem bisherigen Verteidiger, dem Beschwerdeführer, ersuche, diesen zu seinem Verfahrenshilfeverteidiger zu bestellen.
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. Jänner 2002 wurde auf Grund dieses Antrages dem Erstmitbeteiligten "ein Verteidiger nach § 41 Abs. 2 StPO beigegeben". In diesem Beschluss wird u.a. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bis dato der gewählte Verteidiger gewesen sei und sich bereit erkläre, die Verteidigung zu übernehmen. Die bisherigen Verhandlungstage seien der 12., 14., 19., 21. und 28. November 2001 sowie der 3., 5., 10., 17. und 19. Dezember 2001 gewesen. Die Beigebung gelte für die vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht am 16. und 17. Jänner, am 11., 13., 18., 20., 25. und 27. Februar, am 4., 6., 11., 13., 18. und 20. März 2002 jeweils ab 9.00 Uhr bis ca. 15.30 Uhr stattfindende Hauptverhandlung und das anschließende Rechtsmittelverfahren.
Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 14. Jänner 2002 wurden der Beschwerdeführer, die Zweitmitbeteiligte und der Drittmitbeteiligte auf Grund des Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. Jänner 2002 in der im genannten Beschluss bezeichneten Strafsache zum Verteidiger des Erstmitbeteiligten "im Umfang der Beigebung" bestellt.
Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 15. Jänner 2002 wurde über begründetes Ersuchen der Zweitmitbeteiligten an ihrer Stelle der Viertmitbeteiligte gemeinsam mit dem Beschwerdeführer und dem Drittmitbeteiligten gemäß § 45 Abs. 1 RAO zum Verteidiger des Erstmitbeteiligten im Umfange der Beigebung bestellt.
Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 14. Jänner 2002 Vorstellung, in der er beantragte, die beiden anderen, neben ihm bestellten Verteidiger zu entheben. Er habe den Erstmitbeteiligten bisher als Wahlverteidiger vertreten, da zunächst vom Gericht nur zwölf Verhandlungstage anberaumt gewesen seien. Erst im Laufe des Verfahrens seien bislang 15 weitere Verhandlungstage anberaumt worden und es habe sich während des Verfahrens herausgestellt, dass der Erstmitbeteiligte nicht in der Lage sein würde, die sich mehr als verdoppelnden Kosten der Verteidigung ohne Beeinträchtigung seiner Lebensführung aus eigenem zu tragen. Da der Beschwerdeführer in die Materie eingearbeitet sei, habe er sich entgegenkommenderweise bereit erklärt, die Verteidigung als Verfahrenshilfeverteidiger zu übernehmen, um (auch) Verfahrensverzögerungen hintanzuhalten. Die Bestellung von zwei weiteren Verteidigern sei weder zweckmäßig noch notwendig.
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22. Jänner 2002 wurde der Vorstellung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wurde nach Darstellung des Verfahrensganges wie folgt begründet:
"Gemäß § 45/3 der Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer Wien und deren Ausschuss können bei umfangreichen Vertretungen, insbesondere Hauptverhandlungen von mindestens dreitägiger Dauer in Strafsachen, auch mehrere Rechtsanwälte zur gemeinsamen Vertretung bestellt werden. Dies ist im gegenständlichen Fall erfolgt.
Dem zitierten Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13.1.2002 sind 14 weitere Verhandlungstage jeweils von 9.00 Uhr bis ca. 15.30 Uhr zu entnehmen. Bei einer derart hohen Anzahl von Verhandlungstagen ist es Usance, dass mehrere - im gegenständlichen Fall drei - Rechtsanwälte zur gemeinsamen Vertretung bestellt werden. Es bestehen keine Gründe, von dieser Usance, nämlich die Leistungen in überlangen Verfahren gerecht auf mehrere Anwälte zu verteilen, abzugehen. Der von RA Dr. MA angeführte Grund, der bereits erfolgten Einarbeitung in die Materie, überzeugt nicht. Jeder Verfahrenshelfer ist dazu verpflichtet, sich in die Materie einzuarbeiten.
Der Vorstellung des Vorstellungswerbers war nicht Folge zu geben. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem mit Beschluss vom 19. Juni 2002, B 195/02-12, abgelehnte und dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, mit der seine Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die §§ 41 und 42 der Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl. Nr. 631/1975 i.d.F. BGBl. I Nr. 55/1999, lauten auszugsweise:
"§ 41. (1) In folgenden Fällen bedarf der Beschuldigte (Angeklagte, Betroffene) eines Verteidigers (notwendige Verteidigung):
1. in der Hauptverhandlung vor dem Geschworenen- oder dem Schöffengericht,
...
(2) Ist der Beschuldigte (Angeklagte, Betroffene) außer Stande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die gesamten Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat das Gericht auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten der Beschuldigte nicht oder nur zum Teil (§ 393 Abs. 1a) zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist (Verfahrenshilfeverteidiger). Die Beigebung eines Verteidigers ist in diesem Sinn jedenfalls erforderlich:
1. in den Fällen des Abs. 1,
2. bei schwieriger Sach- oder Rechtslage,
3. zur Erhebung des Einspruchs gegen die Anklageschrift,
4. zur Ausführung angemeldeter Rechtsmittel,
5. für den Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung
über ein Rechtsmittel,
6. wenn der Beschuldigte blind, gehörlos, stumm, auf
andere Weise behindert oder der Gerichtssprache nicht hinreichend kundig und deshalb nicht in der Lage ist, sich selbst zweckentsprechend zu verteidigen.
...
(5) Die Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers gilt, wenn nicht aus besonderen Gründen etwas anderes angeordnet wird, für das gesamte weitere Verfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss sowie für ein allfälliges Verfahren auf Grund einer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde oder eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens.
(6) Die Bestellung eines Verfahrenshilfe- oder Amtsverteidigers erlischt mit dem Einschreiten eines gewählten Verteidigers (§ 44 Abs. 1).
...
§ 42. (1) Hat das Gericht die Beigebung eines Verteidigers beschlossen, so hat es den Ausschuss der nach dem Sitz des Gerichtes zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit der Ausschuss einen Rechtsanwalt zum Verteidiger bestelle. Dabei hat der Ausschuss Wünschen des Beschuldigten (Angeklagten) zur Auswahl der Person dieses Verteidigers im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen."
Die §§ 16, 45 und 46 der Rechtsanwaltsordnung (RAO), RGBl. Nr. 96/1868 i.d.F. BGBl. I Nr. 71/1999, lauten auszugsweise:
"§ 16. (1) Der Rechtsanwalt ist jederzeit berechtigt, sich eine bestimmte Belohnung zu bedingen; er ist jedoch nicht berechtigt, eine ihm anvertraute Streitsache ganz oder theilweise an sich zu lösen.
(2) Der nach den §§ 45 oder 45a bestellte Rechtsanwalt hat die Vertretung oder Verteidigung der Partei nach Maßgabe des Bestellungsbescheides zu übernehmen und mit der gleichen Sorgfalt wie ein frei gewählter Rechtsanwalt zu besorgen. Er hat an die von ihm vertretene oder verteidigte Partei, vorbehaltlich weiter gehender verfahrensrechtlicher Vorschriften, nur so weit einen Entlohnungsanspruch, als ihr der unterlegene Gegner Kosten ersetzt.
(3) Für die Leistungen, für die die nach den §§ 45 oder 45a bestellten Rechtsanwälte zufolge verfahrensrechtlicher Vorschriften sonst keinen Entlohnungsanspruch hätten, haben die in der Liste einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwälte an diese Rechtsanwaltskammer einen Anspruch darauf, dass sie jedem von ihnen aus dem ihr zugewiesenen Betrag der Pauschalvergütung einen gleichen Anteil auf seinen Beitrag zur Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung anrechnet, soweit nicht ein Anspruch auf Vergütung nach Abs. 4 besteht.
(4) In Verfahren, in denen der nach den §§ 45 oder 45a bestellte Rechtsanwalt innerhalb eines Jahres mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig wird, hat er unter den Voraussetzungen des Abs. 3 für alle jährlich darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtanwaltskammer Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Auf diese Vergütung ist dem Rechtsanwalt auf sein Verlangen nach Maßgabe von Vorschusszahlungen nach § 47 Abs. 5 letzter Satz von der Rechtsanwaltskammer ein angemessener Vorschuss zu gewähren. Über die Höhe der Vergütung sowie über die Gewährung des Vorschusses und über dessen Höhe entscheidet der Ausschuss. Ist die Vergütung, die der Rechtsanwalt erhält, geringer als der ihm gewährte Vorschuss, so hat der Rechtsanwalt den betreffenden Betrag dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer zurückzuerstatten.
...
Bestellung von Rechtsanwälten, besonders zur Verfahrenshilfe
§ 45. (1) Hat das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts beschlossen oder schließt die Bewilligung der Verfahrenshilfe eine solche Beigebung ein, so hat die Partei Anspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwalts durch die Rechtsanwaltskammer.
...
(4) Kann der bestellte Rechtsanwalt die Vertretung oder Verteidigung aus einem der im § 10 Abs. 1 erster Satz zweiter Halbsatz oder zweiter Satz angeführten Gründe oder wegen Befangenheit nicht übernehmen oder weiterführen, so ist er auf seinen Antrag, auf Antrag der Partei oder von Amts wegen zu entheben und ein anderer Rechtsanwalt zu bestellen. Im Fall des Todes des bestellten Rechtsanwalts oder des Verlustes seiner Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft ist von Amts wegen ein anderer Rechtsanwalt zu bestellen.
...
§ 46. (1) Die Ausschüsse der Rechtsanwaltskammern haben bei der Bestellung nach festen Regeln vorzugehen; diese haben eine möglichst gleichmäßige Heranziehung und Belastung der der betreffenden Kammer angehörenden Rechtsanwälte unter besonderer Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zu gewährleisten. Diese Regeln sind in den Geschäftsordnungen der Ausschüsse festzulegen.
(2) Die Geschäftsordnungen können jedoch allgemeine Gesichtspunkte festlegen, nach denen Rechtsanwälte aus wichtigen Gründen von der Heranziehung ganz oder teilweise befreit sind. Als wichtige Gründe sind besonders die Ausübung einer mit erheblichem Zeitaufwand verbundenen Tätigkeit im Dienst der Rechtsanwaltschaft oder persönliche Umstände anzusehen, die die Heranziehung als besondere Härte erscheinen ließen."
§ 45 Abs. 3 der Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer Wien und deren Ausschuss vom 21. Mai 1974, i.d.F. vom 18. April 1991, AnwBl 1991, 449ff, lautet:
"(3) Besonders umfangreiche Vertretungen, insbesondere Hauptverhandlungen von mind. dreitägiger Dauer in Strafsachen sind mehrfach anzurechnen, jedoch nur bis zu dem Ausmaß, ab welchem dem RA ein Vergütungsanspruch zusteht (§ 16 Abs. 4 RAO). In solchen Fällen können auch mehrere Rechtsanwälte zur gemeinsamen Vertretung bestellt werden, wobei die alphabetische Reihenfolge einzuhalten ist."
Soweit mit dem angefochtenen Bescheid über die Bestellung der Zweitmitbeteiligten als Verfahrenshelferin für den Erstmitbeteiligten im gegenständlichen Strafverfahren abgesprochen wurde, konnte der Beschwerdeführer durch diesen bereits bei der Erhebung seiner Beschwerde deswegen nicht in Rechten verletzt sein, weil an Stelle der Zweitmitbeteiligten unbestritten der mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 15. Jänner 2002 bestellte Viertmitbeteiligte getreten ist und die Zweitmitbeteiligte mit diesem Bescheid als Verfahrenshelferin enthoben wurde. In diesem Umfang war die Beschwerde daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Im übrigen Umfang, also soweit mit dem angefochtenen Bescheid der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen die Bestellung des Drittmitbeteiligten als Verfahrenshelfer für den Erstmitbeteiligten im bezeichneten Strafverfahren keine Folge gegeben wurde, ist die Beschwerde zulässig und das rechtliche Interesse des Beschwerdeführers an einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides in diesem Umfang trotz der mittlerweile erfolgten rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens im Hinblick auf die Bedeutung der Bestellung zum Verfahrenshelfer für mögliche außerordentliche Rechtsmittel (vgl. § 354 erster Satz StPO) gegeben.
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde die in § 42 Abs. 1 zweiter Satz StPO normierte Berücksichtigung der Wünsche des Erstmitbeteiligten "glatt ignoriert" habe, indem sie darauf mit keinem einzigen Wort eingegangen sei. Stattdessen habe sie sich auf eine nicht weiter konkretisierte Usance berufen, für deren Anwendung es keinerlei gesetzliche Grundlage gebe. Der Beschwerdeführer habe ausdrücklich erklärt, die Verfahrenshilfevertretung des Erstmitbeteiligten übernehmen zu wollen, weil er in die umfangreiche Materie schon eingearbeitet sei. Es widerspreche dem in § 42 Abs. 1 StPO mitgeschütztem Gut der Prozessökonomie, in einem solchen Fall noch weitere Verfahrenshelfer zu bestellen, deren notwendige Einarbeitung in die Materie führe zwangsläufig zu Verzögerungen und damit zu Mehraufwand. Durch die Mitbestellung von zwei weiteren Verfahrenshelfern habe der Beschwerdeführer auch Einbußen der ihm gemäß § 16 Abs. 4 RAO zustehenden angemessenen Vergütung zu erleiden. Die belangte Behörde habe dem Erstmitbeteiligten zwei weitere Verfahrenshilfeverteidiger buchstäblich aufgedrängt und ihn dadurch auch in seinem Recht auf effektive Verteidigung und auf ein faires Verfahren beschnitten. Schließlich regt der Beschwerdeführer auch an, der Verwaltungsgerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 45 Abs. 3 der Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer Wien und deren Ausschuss beantragen.
Bei der Beurteilung der im vorliegenden Fall aufgeworfenen Problematik ist zunächst davon auszugehen, dass in den oben wiedergegebenen Regelungen betreffend die Beigabe und Bestellung eines Verfahrenshilfeverteidigers gemäß § 41 Abs. 2 StPO und § 45 RAO stets von der Beigebung und Bestellung eines Rechtsanwaltes (in der Einzahl) und nicht von mehreren Rechtsanwälten die Rede ist. Aus dem Wortlaut der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen ist daher zu schließen, dass der Gesetzgeber den Regelfall der Beigebung und Bestellung eines und nur eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshilfeverteidiger vor Augen hatte.
Der Beschwerdeführer weist zutreffend darauf hin, dass der wesentliche Zweck der in den anzuwendenden Bestimmungen der StPO und der RAO enthaltenen Regelungen betreffend die Beigebung und Bestellung von Verfahrenshilfeverteidigern darin liegt, dem Grundsatz eines fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 EMRK entsprechend die effektive Wahrnehmung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten im Strafverfahren zu gewährleisten. Diese Bedeutung hat auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27. Februar 1991, VfSlg. 12.638, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. das Urteil vom 9. Oktober 1979 im Fall Airey, EuGRZ 1979, 626 ff, und vom 13. Mai 1980, im Fall Artico, EuGRZ 1980, 662 ff, vgl. auch etwa das Urteil des EGMR vom 15. Februar 2005 im Fall Steel and Morris, Nr. 68416/01, Rdnr. 59 ff) zutreffend hervorgehoben. Darin hat der EGMR in Erinnerung gerufen, dass die EMRK nicht dazu bestimmt ist, theoretische oder illusorische Rechte zu garantieren, sondern vielmehr Rechte gewährt, die konkret sind und Wirksamkeit entfalten. Dies gelte insbesondere für Rechte der Verteidigung im Hinblick auf die herausragende Stellung, die das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren in einer demokratischen Gesellschaft einnehme.
Der Bedeutung der Bedachtnahme auf die Rechte des Beschuldigten und seiner Wünsche bei der Auswahl seines Verteidigers wird vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK und des darin normierten Rechts des Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung seines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist, durch die Regelung des § 42 Abs. 1 zweiter Satz StPO Rechnung getragen, wonach der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer bei der Auswahl des zur Beigebung gewählten Verteidigers Wünschen des Beschuldigten (Angeklagten) zur Auswahl der Person dieses Verteidigers im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen hat. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Erläuterungen der Regierungsvorlage zu dieser Bestimmung, wonach damit eine Verpflichtung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer in das Gesetz aufgenommen werden sollte (924 BlgNR 18. GP, 19).
Der gemäß § 45 RAO als Verfahrenshelfer bestellte Rechtsanwalt hat gemäß § 16 Abs. 2 RAO die Vertretung oder Verteidigung mit der gleichen Sorgfalt wie ein frei gewählter Rechtsanwalt zu besorgen, auch dieser Grundsatz dient einer dem Gleichheitssatz entsprechenden Verwirklichung des Rechts auf ein faires Verfahren für Beschuldigte und Angeklagte, denen gemäß § 41 Abs. 2 StPO ein Verfahrenshelfer beigegeben ist.
Werden nun bei Verfahrenshilfen von überlanger Dauer mehrere Rechtsanwälte gleichzeitig zur Vermeidung einer überdurchschnittlichen Belastung eines einzelnen Rechtsanwaltes zum Verfahrenshelfer bestellt, so kann eine solche Vorgangsweise die Erfüllung jener Verpflichtungen, die jedem einzelnen Rechtsanwalt in Vertretung der Partei obliegen, beeinträchtigen oder mit dieser nicht vereinbar sein, wenn mehrere zur Verteidigung befugte und verpflichtete Rechtsanwälte Schwierigkeiten mit der Koordination und der Aufteilung ihrer Aufgaben haben (vgl. die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 27. Februar 1991, VfSlg. 12.638). Die gleichzeitige Bestellung von mehreren Rechtsanwälten als Verfahrenshilfeverteidiger entbinden jeden einzelnen gemäß § 45 RAO bestellten Rechtsanwalt nämlich nicht von seiner ihm gemäß § 16 Abs. 2 RAO obliegenden Verpflichtung, die Vertretung oder Verteidigung der Partei mit der gleichen Sorgfalt wie ein frei gewählter Rechtsanwalt zu besorgen.
Die gleichzeitige Mitbestellung eines oder mehrerer Rechtsanwälte zusätzlich zu einem vom Beschuldigten oder Angeklagten gemäß § 42 Abs. 1 zweiter Satz StPO namhaft gemachten Rechtsanwalt wird bei dieser Sachlage daher nur dann dem Gesetz entsprechen, wenn dies zur Gewährleistung einer effektiven Vertretung und Verteidigung des Verfahrensbeholfenen erforderlich oder zweckmäßig ist und eine Beeinträchtigung der Gewährleistung einer effektiven Vertretung und Verteidigung vor dem Hintergrund des Art. 6 EMRK ausgeschlossen werden kann.
Die in § 46 RAO zum Ausdruck gebrachte Zielsetzung einer möglichst gleichmäßigen Heranziehung und Belastung als Verfahrenshelfer aller einer Rechtsanwaltskammer angehörenden Rechtsanwälte kann zwar durchaus grundsätzlich auch durch die Bestellung mehrerer Rechtsanwälte für einen Beschuldigten bzw. Angeklagten im Fall besonders umfangreicher Vertretungen zum Tragen kommen. Dies wird jedoch nur dann und nur so weit Platz greifen dürfen, als dies zur Gewährleistung einer effektiven Vertretung und Verteidigung des Verfahrensbeholfenen erforderlich oder zweckmäßig ist und eine Beeinträchtigung der Gewährleistung einer effektiven Vertretung und Verteidigung vor dem Hintergrund des Art. 6 EMRK ausgeschlossen werden kann.
Versteht man die Vorschrift des § 45 Abs. 3 zweiter Satz der Geschäftsordnung für die Rechtsanwaltskammer Wien und deren Ausschuss dahingehend, dass eine Bestellung mehrerer Rechtsanwälte zur gemeinsamen Vertretung in jenen Fällen erfolgen kann, in denen dies im Hinblick auf das oben Gesagte zulässig erscheint, kann sie durchaus auf gesetzeskonforme Weise ausgelegt und angewendet werden, und es besteht für den Verwaltungsgerichtshof kein Anlass, ein diesbezügliches Verordnungsprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof auszulösen.
Der angefochtene Bescheid war jedoch, weil sich die belangte Behörde hinsichtlich der vom Beschwerdeführer bekämpften Bestellung weiterer Rechtsanwälte als Verfahrenshilfeverteidiger bloß auf eine im Bereich der Rechtsanwaltskammer Wien übliche Gepflogenheit berief und nicht damit auseinander setzte, ob und inwiefern die Bestellung von weiteren Rechtsanwälten neben dem vom Erstmitbeteiligten gemäß § 42 Abs. 1 zweiter Satz StPO gewünschtem Beschwerdeführer zur Gewährleistung einer effektiven Vertretung und Verteidigung des Verfahrensbeholfenen erforderlich oder zweckmäßig war und eine Beeinträchtigung der Gewährleistung einer effektiven Vertretung und Verteidigung vor dem Hintergrund des Art. 6 EMRK ausgeschlossen werden konnte, mit Rechtswidrigkeit belastet. Die belangte Behörde hat die Rechtslage verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid im dargestellten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 25. April 2006
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2002060100.X00Im RIS seit
19.05.2006