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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über eine Rechtsanwältin wegen Verletzung des Verbots der Doppelvertretung; ausreichende Konkretisierung des erhobenen Vorwurfes im EinleitungsbeschlußSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsanwältin in Klagenfurt.
Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten (in der Folge: Disziplinarrat) hat in einem die Beschwerdeführerin betreffenden Verfahren am 14. September 1999, Z D 20/99-12, folgenden Einleitungsbeschluß gefaßt:
"Es besteht Grund zur disziplinären Behandlung der (es folgt der Name der Beschwerdeführerin), wegen Berufspflichtenverletzung und wegen Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes, weil sie
a)
Mag. W KC in verschiedenen Rechtscausen vertreten und beraten,
b)
mit Mag. W KC auch über deren Eheprobleme gesprochen und sie auch in Bezug auf eine Scheidung beraten und informiert,
c)
einen Schenkungsvertrag zwischen Mag. W KC und deren Ehegatten Dr. C K verfasst, und
d)
nunmehr die Vertretung des Dr. C K im Scheidungsverfahren 1 C51/99z gegen Mag. W KC vor dem Bezirksgericht Klagenfurt übernommen habe.
Es ist hierüber eine mündliche Verhandlung anzuordnen."
2. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates vom 29. März 2000 wurde die Beschwerdeführerin mit folgendem Spruch verurteilt:
"(Die Beschwerdeführerin) ist schuldig, sie hat im Scheidungsverfahren 1 C51/99z BG Klagenfurt, Mag. W KC gegen Dr. C K, die Vertretung des Dr. C K übernommen, obwohl sie
a) Mag. W KC zuvor in verschiedenen Rechtssachen, insbesondere bei den Bemühungen um einen außergerichtlichen Tatausgleich im Strafverfahren 29 U 240/98h des BG Klagenfurt gegen Dr. C K wegen §83 Abs1 StGB, welches Verfahren Thema im Scheidungsprozess 1 C51/99z BG Klagenfurt war, beraten hat,
b) Im Juli 1998 Verträge zwischen Mag. W KC und Dr. C K in ihrer Kanzlei verfassen ließ, in denen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute K erheblich waren und deren Ziel es war, die Aufrechterhaltung der Ehe der Ehegatten K zu sichern;
sie hat dadurch die Bestimmung des §10 Abs1 RAO verletzt;
sie hat sich dadurch der Verletzung von Berufspflichten und eines die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigenden Verhaltens schuldig gemacht;
sie wird hiefür nach §16 Abs1 Z2 DSt 1990 zur Disziplinarstrafe der Geldbuße von S 20.000,-- (zwanzigtausend Schilling) und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt."
3. Mit Erkenntnis vom 18. Dezember 2000, Z16 Bkd 12/00 gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge und verpflichtete sie auch zum Ersatz der Kosten des Rechtsmittelverfahrens.
4. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG) sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG, in der Beschwerde irrtümlich mit Art6 EMRK bezeichnet) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
5. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie ihren Bescheid verteidigt, den Ausführungen in der Beschwerde entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Die Beschwerde enthält gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus Anlaß dieses Beschwerdefalls nicht entstanden.
1.2. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Bedeutung des Einleitungsbeschlusses im Disziplinarverfahren der Rechtsanwälte wird in der Beschwerde der Vorwurf erhoben, daß der Schuldspruch des Disziplinarrates vom Inhalt des Einleitungsbeschlusses abweiche, woraus eine Verletzung im verfassungsgesetzlichen Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter resultiere.
Dies wird damit begründet, daß der Schuldspruch unter Punkt
a) die Wortfolge "vor allem die Bemühungen um einen außergerichtlichen Tatausgleich im Strafverfahren 29 U 240/98h des BG Klagenfurt gegen Dr. C K wegen §83 Abs1 StGB" beinhalte. Die Vertretung des Herrn Dr. C K sei jedoch nicht vom Einleitungsbeschluß umfaßt. Das genannte Strafverfahren werde im Einleitungsbeschluß gar nicht erwähnt, dort sei vielmehr nur von der "Vertretung und Beratung der Mag. W KC in verschiedenen Rechtscausen, Beratung und Information in Bezug auf Eheprobleme und Scheidung, sowie die Verfassung eines Schenkungsvertrages und der nunmehrigen Vertretung von Herrn Dr. C K im Scheidungsverfahren vor dem Bezirksgericht Klagenfurt" die Rede. Der Disziplinarrat sowie die OBDK hätten sich strikt an die im Einleitungsbeschluß angeführten klar umrissenen Tatvorwürfe halten müssen und nicht den Einleitungsbeschluß durch erweiterte Feststellungen allfälliger Bemühungen der Antragstellerin für einen außergerichtlichen Tatausgleich im Verfahren 29 U 240/98h des BG Klagenfurt gegen Herrn Dr. C K "erweitern" und diese Feststellungen im Schuldspruch verwerten dürfen. Aus diesem Vorbringen leitet die Beschwerdeführerin auch eine Verletzung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ab.
1.3. Diesen Beschwerdeausführungen hält die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift entgegen, daß die Aufnahme der Anschuldigungspunkte in den Einleitungsbeschluß nicht zwingend geboten sei und daß nur die rechtzeitige Information des Beschuldigten über die ihm konkret zur Last gelegten Disziplinarverfehlungen entscheidend sei. Eine formlose Erweiterung der Anschuldigungspunkte sei möglich, wesentlich sei nur, daß diese Vorwürfe Gegenstand der Verhandlung waren und sich der Beschuldigte im Disziplinarverfahren dazu äußere. Im Fall der Beschwerdeführerin sei diesen Erfordernissen entsprochen, weil vor dem Disziplinarrat am 24. Jänner 2000, am 22. Februar 2000 und am 29. März 2000 eine mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Im übrigen habe die Beschwerdeführerin bereits im Schriftsatz vom 5. Mai 1999 auf den dem Strafverfahren 29 U 240/98h zugrunde liegenden Vorfall repliziert. Der in der Beschwerde erhobene Vorwurf, wonach die belangte Behörde den Einleitungsbeschluß durch erweiterte Feststellungen hinsichtlich allfälliger Bemühungen der Antragstellerin für einen außergerichtlichen Tatausgleich im Verfahren 29 U 240/98h des BG Klagenfurt gegen Dr. C K erweitert und diese Feststellungen im Schuldspruch rechtswidrig verwertet habe, sei daher aktenwidrig.
1.4. Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem dann verletzt, wenn die Behörde eine Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Sache in Anspruch nimmt, die ihr nicht zusteht (vgl. VfSlg. 8176/1977, 9696/1983 und 13419/1993). Der Gerichtshof hat für den Bereich des Disziplinarverfahrens der Rechtsanwälte klargestellt, daß - mit Rücksicht auf die allgemein gehaltene Fassung des §2 (nunmehr §1) des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (DSt 1990) - nur die im Einleitungsbeschluß konkret umschriebene Tat Gegenstand eines Disziplinarverfahrens sein kann (vgl. VfSlg. 5523/1967). Spricht die Behörde über Anschuldigungen ab, die nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses waren, so wird eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die der Behörde nicht zukommt. Läge ein solcher Fall vor, so wäre die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Dem Einleitungsbeschluß kommt im Interesse der Rechtsverteidigung kraft Gesetzes die Aufgabe zu, über das zur Last gelegte Verhalten Klarheit zu verschaffen (vgl. VfSlg. 5523/1967).
1.5. Die Beschwerdeführerin ist nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden:
Der Beschwerdeführerin ist zwar darin beizupflichten, daß der Spruch des Erkenntnisses des Disziplinarrates und der Text des Einleitungsbeschlusses im Wortlaut nicht ident sind. Für die - im Lichte der oben dargestellten Rechtsprechung - maßgebliche Frage, ob die Tatsachen, über die das verurteilende Disziplinarerkenntnis letztlich abspricht, der Sache nach im Einleitungsbeschluß bereits zur Anschuldigung erhoben wurden, ist mit diesem Hinweis auf die unterschiedlichen Wendungen jedoch nichts gewonnen.
Im vorliegenden Fall wurden zwar erst im Disziplinarerkenntnis (aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens) die Geschäftszahlen jener "Rechtscausen" näher bezeichnet, in denen die Beschwerdeführerin unter anderem zunächst auf der Seite - und im Interesse - der Frau Mag. W KC beratend und vertretend tätig war. Dem Einleitungsbeschluß konnte die Beschwerdeführerin aber bereits mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß Gegenstand des Vorwurfes die Vernachlässigung ihrer besonderen Pflichten bei der Übernahme einer Beratungstätigkeit (bzw. eines Mandates) zuerst FÜR eine Klientin, dann aber GEGEN diese Klientin war (vgl. die Punkte a. - "verschiedene Rechtscausen" - bis
c. einerseits und den Punkt d. des Einleitungsbeschlusses, "nunmehr ... gegen Mag. W KC", anderseits). Der Disziplinarbehörde oblag es im Zuge des Disziplinarverfahrens zu ermitteln, ob der im Einleitungsbeschluß erhobene Vorwurf zutrifft und im Disziplinarerkenntnis zu konkretisieren, inwiefern zutreffendenfalls Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt wurden (vgl. VfSlg. 13762/1994). Es kann aber keine Rede davon sein, daß der erhobene Vorwurf im Einleitungsbeschluß nicht hinreichend konkretisiert war oder daß im Disziplinarerkenntnis über Anschuldigungen abgesprochen wurde, die von der im Einleitungsbeschluß erhobenen Anschuldigung abweichen.
1.6. Es fand auch keine Verletzung der Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz statt.
Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Nichts von alldem ist in der Beschwerde vorgebracht worden oder sonst im Verfahren hervorgekommen.
2. Ob aber der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 8309/1978, 13762/1994, 15794/2000).
3. Die Beschwerdeführerin wurde somit weder in einem der in der Beschwerde vorgetragenen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte, noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, daß dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, DisziplinarrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B345.2001Dokumentnummer
JFT_09979774_01B00345_00