TE Vwgh Erkenntnis 2006/4/25 2006/19/0236

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Veröffentlicht am 25.04.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §15;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde des I in S, geboren 1975, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrplatz 17, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Oktober 2003, Zl. 230.000/0-VII/43/02, betreffend §§ 7 und 15 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Spruch

1. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 1. (Abweisung der Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

2. den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides richtet, als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren insoweit eingestellt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste am 23. Oktober 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 9. November 2001 begründete er seinen Asylantrag im Wesentlichen damit, er sei 1975 geboren, habe im Alter von sieben Jahren seine Eltern bei einem Bombenangriff auf Kabul verloren und sei 1985 als eines von 4000 afghanischen Waisenkindern in die damaligen Sowjetrepubliken gebracht worden. Er habe in Dushanbe, Wolgograd und Rostow am Don Schulen besucht und ein College abgeschlossen. 1995 habe er in Russland einen Asylantrag gestellt, der abgewiesen worden sei. Er sei in die Ukraine gezogen, wo er mangels Aussicht auf Erfolg keinen Asylantrag gestellt habe. Dort habe er bis zu seiner Reise nach Österreich gelebt. Der Beschwerdeführer sei zwar Moslem, wisse aber nichts über den Islam und könne "nicht einmal beten". Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan würde man ihn als Kommunisten abstempeln und inhaftieren. In einem in russischer Sprache verfassten Schreiben an das Bundesasylamt vom 10. April 2002 brachte der Beschwerdeführer zusätzlich vor, ein Teil der in den achtziger Jahren in die Sowjetrepubliken überstellten Waisen sei 1992, als in Afghanistan die Mudjaheddin an die Macht gekommen seien, in ihre Heimat zurückgebracht worden. Sie seien dort als Verräter, Söhne Lenins oder rote Pioniere bezeichnet, bekämpft und auch getötet worden. Die russische Regierung habe daraufhin die übrigen afghanischen Waisen, darunter auch den Beschwerdeführer, nicht rücküberstellt.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht zulässig sei. Das Bundesasylamt legte seinen Feststellungen das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde und traf allgemeine Feststellungen zum "Islamischen Staat Afghanistan", zur wirtschaftlichen Lage und zur Menschenrechtssituation, die sich auf - nicht aktenkundiges - Berichtsmaterial aus den Jahren 1997 bis 2002 stützten. Da jedoch nicht festgestellt werden könne, dass "rückkehrende moslemische Waisenkinder", die über den Islam keinerlei Kenntnis hätten, "aus diesem Grunde" Repressalien der vom Beschwerdeführer genannten Art "durch die Übergangsregierung" ausgesetzt wären, habe dieser nichts vorgebracht, "was unter einem der Tatbestände der Genfer Flüchtlingskonvention subsumierbar wäre".

Mit Bescheid vom 9. September 2002 erteilte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung "auf 1 Jahr" unter sieben näher bezeichneten Bedingungen, darunter die rechtskräftige Abweisung des Asylantrags.

Mit Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Juni 2002 hinsichtlich der Abweisung des Asylantrags erhobene Berufung - ohne Durchführung der beantragten Berufungsverhandlung -

gemäß § 7 AsylG ab.

Mit Spruchpunkt 2. wies sie die gegen den zu § 15 AsylG ergangenen Bescheid des Bundesasylamtes vom "24." (richtig: 9.) September 2002 erhobene Berufung ab.

Zum ersten Spruchpunkt verwies die belangte Behörde auf die allgemeinen Feststellungen des Bundesasylamtes zu Afghanistan und führte aus, aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens könne nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr "Gefahr drohen würde, als Kommunist und Nichtmoslem angesehen zu werden". Auch auf die erstinstanzliche Beweiswürdigung wurde verwiesen, jedoch weiter ausgeführt, die Sowjetunion sei "seit über zehn Jahren in Nachfolgerepubliken zerfallen, die mit einer Ausnahme nicht von Kommunisten regiert" würden. Dies dürfte auch den staatlichen Stellen und der Bevölkerung in Afghanistan bekannt sein, weshalb nicht nachvollzogen werden könne, dass dem Beschwerdeführer "von irgendeiner Seite zur Last gelegt werden könnte, dass er Kommunist wäre". Weiters könne nicht festgestellt werden, dass aus dem Ausland zurückkehrende Afghanen "heute einer Religionsprüfung unterzogen würden", weshalb nicht erkannt werden könne, "wie man in Afghanistan zum Schluss kommen könnte, dass der Asylwerber nicht Moslem sei". In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers, es könne ihm im Fall seiner Rückkehr zur Last gelegt werden, Kommunist und Nichtmoslem zu sein, treffe nicht zu, weshalb dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung drohe. Von der Durchführung einer Berufungsverhandlung habe abgesehen werden können, da das Bundesasylamt "den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ausreichend ermittelt und die Beweise schlüssig gewürdigt" habe.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Zu Spruchpunkt 1.:

Der Beschwerdeführer macht als Verfahrensmangel geltend, die belangte Behörde habe keine mündliche Berufungsverhandlung abgehalten und keine nachvollziehbaren Sachverhaltsfeststellungen zur geltend gemachten Verfolgungsgefahr getroffen. Damit ist der Beschwerdeführer im Recht:

1.1. Die Einschätzung der belangten Behörde, das Bundesasylamt habe den Sachverhalt ausreichend ermittelt und die Beweise schlüssig gewürdigt, weshalb sich die Durchführung einer Berufungsverhandlung erübrigt habe, erweist sich als unzutreffend. Das Bundesasylamt hat zu Afghanistan lediglich allgemeine, in keinem Bezug zum Vorbringen des Beschwerdeführers stehende Feststellungen getroffen und ist ohne erkennbare weitere Erhebungen oder beweiswürdigende Argumente zur konkreten Situation des Personenkreises, dem der Beschwerdeführer (unbestritten) angehört, zu dem Ergebnis gelangt, es könne nicht festgestellt werden, dass "rückkehrende moslemische Waisenkinder", die über den Islam keine Kenntnis hätten, "aus diesem Grunde" durch die Übergangsregierung Repressalien der vom Beschwerdeführer genannten Art ausgesetzt wären. Abgesehen davon, dass diese Sichtweise eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers von nichtstaatlicher Seite außer Acht lässt, wird das Vorbringen, der Beschwerdeführer würde als Kommunist abgestempelt und es drohe ihm auch deshalb die Inhaftierung, im erstinstanzlichen Bescheid überhaupt nicht behandelt, weshalb sich die Beurteilung des Sachverhalts als unvollständig erweist. Auch hat es das Bundesasylamt verabsäumt, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Schreiben vom 10. April 2002 auseinander zu setzen, wonach ein Teil der in den achtziger Jahren in die Sowjetrepubliken überstellten Waisen nach ihrer Rückverbringung in Afghanistan verfolgt worden sei. Bereits diese Behauptung hätte jedoch Anlass sein müssen, sich nicht mit allgemeinen Feststellungen zur Lage in Afghanistan zu begnügen, sondern Ermittlungen zur aktuellen Situation von rückkehrenden, in der Sowjetunion aufgewachsenen afghanischen Waisen anzustellen.

1.2. Schon angesichts der aufgezeigten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens wäre die belangte Behörde zur Durchführung der beantragten Berufungsverhandlung verpflichtet gewesen, weil von einem geklärten Sachverhalt im Sinn des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG nicht ausgegangen werden konnte. Darüber hinaus wäre die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung aber auch erforderlich gewesen, weil sich die belangte Behörde durch die erstinstanzlichen Verfahrens- und Begründungsmängel offensichtlich veranlasst sah, eine Ergänzung der Beweiswürdigung und des entscheidungsrelevanten Sachverhalts vorzunehmen (vgl. zum Mangel der Voraussetzungen eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhalts und damit zur Verhandlungspflicht grundsätzlich das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, und zuletzt das hg. Erkenntnis vom 2. März 2006, Zl. 2003/20/0317, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Schließlich ist mangels Bezugnahme auf Quellenmaterial nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde zu der Einschätzung gelangte, es dürfte auch den staatlichen Stellen und der Bevölkerung in Afghanistan bekannt sein, dass die Sowjetunion "seit über zehn Jahren in Nachfolgerepubliken zerfallen" sei, "die mit einer Ausnahme nicht von Kommunisten regiert" würden, weshalb nicht nachvollzogen werden könne, dass dem Beschwerdeführer "von irgendeiner Seite zur Last gelegt werden könnte, dass er Kommunist wäre". Gleiches gilt für die Aussage, es könne nicht festgestellt werden, dass aus dem Ausland zurückkehrende Afghanen "heute einer Religionsprüfung unterzogen würden", weshalb nicht erkannt werden könne, "wie man in Afghanistan zum Schluss kommen könnte, dass der Asylwerber nicht Moslem sei". Insoweit liegt ein Begründungsmangel vor, weil die betreffende Beurteilung nur auf Basis nachvollziehbarer Feststellungen auf ihre Richtigkeit überprüft werden könnte (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 12. April 2005, Zl. 2003/01/0056, und vom 14. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0432). Diese Feststellungen hätten ein Ermittlungsverfahren und damit im Hinblick auf die (zitierte) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ebenfalls die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung erfordert.

1.3. Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

2. Zu Spruchpunkt 2.:

Mit Schreiben vom 5. April 2006 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass ihm mit am 6. November 2003 zugestelltem Bescheid des Bundesasylamts eine befristete Aufenthaltsberechtigung ohne Bedingungen erteilt und diese mittlerweile bis Oktober 2007 verlängert worden sei. Er sei somit im Hinblick auf den zweiten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides klaglos gestellt.

Zwar liegt im vorliegenden Fall keine formelle Klaglosstellung vor, doch hat der Beschwerdeführer mit seiner Bekanntgabe dargetan, dass für ihn an einer Entscheidung über die Beschwerde, soweit sie sich auf Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides bezieht, kein Interesse mehr besteht. Die Beschwerde war daher - soweit sie sich gegen diesen Spruchpunkt wandte - in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren war insoweit einzustellen.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das auf den doppelten Schriftsatzaufwand gerichtete Begehren findet jedoch - da der angefochtene Bescheid insgesamt nur ein Verwaltungsakt ist - in den genannten Kostenvorschriften keine Deckung.

Wien, am 25. April 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190236.X00

Im RIS seit

25.05.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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