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E2D Assoziierung Türkei;Norm
61989CJ0192 Sevince VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 23. April 2004, Zl. LGSW/Abt.3-AlV/1218/56/2004-3224, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Dezember 2003 auf Gewährung von Arbeitslosengeld gemäß § 7 Abs. 3 Z. 2 und 3 AlVG mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt abgewiesen.
In der Begründung gab die belangte Behörde die einschlägige Rechtslage wieder und führte aus, der Beschwerdeführer - ein türkischer Staatsangehöriger - habe seine arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungen ohne Beschäftigungsbewilligung oder sonstige Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) ausgeübt. Ein Befreiungsschein mit einer Gültigkeitsdauer vom 8. April 1992 bis zum 7. April 1997 sei auf Grund der Nichtigerklärung der Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin mit Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 30. November 1995 widerrufen worden. Ein danach gestellter Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sowie ein Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines seien abgewiesen worden; weitere Anträge seien nicht gestellt worden. Der Beschwerdeführer verfüge somit seit dem Widerruf des Befreiungsscheines mit Bescheid vom 30. November 1995 weder über einen Befreiungsschein noch über eine Arbeitserlaubnis; es sei ihm auch keine Beschäftigungsbewilligung für den jeweiligen Arbeitgeber erteilt worden. Der Beschwerdeführer verfüge auch über kein "entsprechendes Aufenthaltsrecht", weshalb seine Beschäftigungen illegal gewesen seien. Die Fremdenbehörde könne gemäß § 34 Abs. 3 Z. 2 Fremdengesetz (FrG) einen Fremden ausweisen, wenn dieser während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Da der Beschwerdeführer während des letzten Jahres keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, könne ihn die Fremdenbehörde ausweisen. In diesem Fall dürfe ein Ausländer auch keine Beschäftigung aufnehmen. Der Beschwerdeführer verfüge derzeit über keine Niederlassungsbewilligung. Da der Beschwerdeführer derzeit keine erlaubte Beschäftigung aufnehmen könne, stehe er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, weshalb die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht vorlägen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer, die Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung in Österreich sei ihm keineswegs verwehrt. Er sei auf Grund des Assoziationsabkommens mit der Türkei berechtigt, in Österreich zu arbeiten. Er habe Jahrzehnte hindurch Versicherungsbeiträge einbezahlt; nunmehr sei der Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit eingetreten, weshalb er zum Bezug von Arbeitslosengeld berechtigt sei. Der angefochtene Bescheid diskriminiere den Beschwerdeführer unzulässig als Ausländer. Ein Österreicher würde in einer vergleichbaren Situation Arbeitslosengeld erhalten. Es widerspreche dem Grundsatz der Arbeitslosenversicherung, Personen als Beitragszahler in die Risikogemeinschaft der potenziell Arbeitslosen aufzunehmen, wenn im Versicherungsfall der Bezug von Versicherungsleistungen von vornherein ausgeschlossen sei. Solange fremdenpolizeilich keine Maßnahmen im Sinne einer Ausweisung gesetzt würden, die faktisch dazu führten, dass eine Verfügbarkeit für den österreichischen Arbeitsmarkt nicht gegeben sei, habe der Beschwerdeführer Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Mit der Beschwerde legte der Beschwerdeführer einen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. Februar 2004 vor, mit dem gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 FrG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde. Dieser Bescheid enthält in seinem Spruch ferner das Gebot, dass der Beschwerdeführer nach Eintritt der Durchsetzbarkeit des Bescheides unverzüglich aus dem Bundesgebiet auszureisen habe. Nach der Begründung dieses Bescheides habe der Beschwerdeführer am 4. Oktober 2001 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt. Für die Zeit vom 22. Februar 2002 bis zum 5. Mai 2003 habe er einen Aufenthaltstitel erhalten. Am 28. März 2003 sei die Behörde darüber informiert worden, dass die der Niederlassungsbewilligung zu Grunde liegende arbeitsrechtliche Bewilligung des Beschwerdeführers eine Fälschung gewesen sei. Zudem habe sich der Beschwerdeführer durch eine Scheinehe eine arbeitsrechtliche Erlaubnis erschlichen und es erreicht, trotz rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes im Bundesgebiet zu verweilen. Er habe somit gegenüber einer österreichischen Behörde bzw. einem Organ dieser Behörde unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck sowie die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht, um sich die Einreise in das Bundesgebiet und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu verschaffen. Dies rechtfertige die Annahme, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden könnte.
Nach den Behauptungen in der vorliegenden Beschwerde hat der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Berufung erhoben.
Die für den Zeitpunkt der Antragstellung am 3. Dezember 2003 und danach maßgebende Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Nach § 7 Abs. 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaft erfüllt und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.
Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist (§ 7Abs. 2 leg. cit.).
Gemäß § 7 Abs. 3 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 71/2003 kann und darf eine Person eine Beschäftigung aufnehmen,
"1. die sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbarenversicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält,
2. die aufenthaltsrechtlich berechtigt ist, eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben, und
3. die nicht den Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z. 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG), BGBl. I Nr. 75, unter Berücksichtigung des § 34 Abs. 4 FrG erfüllt."
Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation sieht Folgendes vor:
"Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
-
nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
-
nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
-
nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis."
Die Ordnungsmäßigkeit einer während eines bestimmten Zeitraums ausgeübten Beschäftigung ist anhand der Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates zu prüfen, die die Voraussetzungen regeln, unter denen der türkische Staatsangehörige in das nationale Hoheitsgebiet gelangt ist und dort eine Beschäftigung ausübt (vgl. das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 6. Juni 1995 in der Rechtssache "Bozkurt", C-434/93).
Die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung im Sinne von
Artikel 6 Absatz 1 setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats voraus (vgl. das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 20. September 1990 in der Rechtssache "Sevince", C-192/89). In dieser Rechtssache hat der Gerichtshof ausgeführt, dass sich ein türkischer Arbeitnehmer während des Zeitraums, in dem seine Klage gegen eine Entscheidung, durch die ihm eine Aufenthaltserlaubnis verweigert wurde, aufschiebende Wirkung hatte und in dem ihm bis zum Ausgang des Rechtsstreits der vorläufige Aufenthalt und die Ausübung einer Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat gestattet wurden, nicht in einer gesicherten und nicht nur vorläufigen Position auf dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats befunden hat.
Im Urteil vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache "Kus", C- 237/91, hat der EuGH entschieden, dass ein türkischer Arbeitnehmer diese Voraussetzung ebenfalls nicht erfüllt, wenn ihm ein Aufenthaltsrecht nur aufgrund einer nationalen Regelung eingeräumt wurde, nach der der Aufenthalt während des Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmeland erlaubt ist, da der Betroffene das Recht, sich bis zu einer endgültigen Entscheidung über sein Aufenthaltsrecht in dem betreffenden Staat aufzuhalten und dort zu arbeiten, nur vorläufig erhalten hatte.
Eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen setzt demnach das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechtes voraus (vgl. das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 26. November 1998 in der Rechtssache "Birden", C-1/97). Beschäftigungszeiten können nicht als ordnungsgemäß angesehen werden, solange nicht endgültig feststeht, dass dem Arbeitnehmer während dieses Zeitraums das Aufenthaltsrecht von Rechts wegen zustand (vgl. das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache "Kol", C-285/95).
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften verlangt also eine rechtlich stabile Stellung des Arbeitnehmers in aufenthaltsrechtlicher und beschäftigungsrechtlicher Hinsicht, die nur dann gegeben ist, wenn der Aufenthalt sowie die Beschäftigung des türkischen Staatsangehörigen während des in Frage stehenden Zeitraumes nicht streitig gemacht werden können (vgl. Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei (Aufenthalt und Beschäftigung von türkischen Staatsangehörigen in Österreich), 2005, S 60f).
Der Beschwerdeführer kann sich daher nur dann auf die ihm durch Artikel 6 Absatz 1 verliehenen Rechte berufen, wenn seine aufenthaltsrechtliche und seine beschäftigungsrechtliche Stellung als ordnungsgemäß im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden können.
Nach den vom Beschwerdeführer nicht bekämpften Feststellungen des angefochtenen Bescheides hat er "zwar arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungszeiten nachgewiesen, die Beschäftigungen ... aber ohne Beschäftigungsbewilligung oder sonstige Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AusBG) ausgeübt." Im Gefolge der Nichtigerklärung einer Scheinehe wurde über den Beschwerdeführer überdies ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren verhängt.
Vor diesem Hintergrund kann im Lichte der zitierten Rechtsprechung des EuGH - auch im Hinblick auf das über den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot - keine Rede davon sein, dass er eine gesicherte Position auf dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt inne hat. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der belangten Behörde seit dem Widerrufsbescheid vom 30. November 1995 weder über einen Befreiungsschein noch über eine Arbeitserlaubnis verfügte, konnte er sich zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Arbeitslosengeld am 3. Dezember 2003 nicht (mehr) darauf berufen, dem regulären Arbeitsmarkt anzugehören. Er kann sich daher nicht auf die in Artikel 6 Absatz 1 vorgesehenen Rechte berufen.
Sind die für den Beschwerdeführer im Vergleich zu den für andere Fremde geltenden beschäftigungs- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen günstigeren Normen des Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 auf ihn nicht anzuwenden, unterliegt der Beschwerdeführer der für andere Fremde geltenden Rechtslage.
Gemäß § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 71/2003 kann und darf eine Person eine Beschäftigung aufnehmen, die aufenthaltsrechtlich berechtigt ist, eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben. Über eine solche Aufenthaltsberechtigung verfügt der Beschwerdeführer nicht.
Der Verfassungsgerichtshof hat diese Bestimmung in der hier anwendbaren (von der ab 1. Mai 2004 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 28/2004 unverändert gebliebenen) Fassung auf Antrag des Verwaltungsgerichtshofes geprüft und hat in seinem den Antrag abweisenden Erkenntnis vom 1. Oktober 2005, G 61/05, ausgeführt, dass es dem Staat einerseits unbenommen sei, den Aufenthalt im Staatsgebiet aus sachlichen Gründen auch bloß zu anderen Zwecken als zur Aufnahme und Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung zuzulassen, und dass andererseits eine Arbeitslosenversicherung so gestaltet sein darf, dass sie nur bei Fehlen eines zumutbaren Arbeitsplatzes greift. Die zur Prüfung gestellte Bestimmung trage nur dem Umstand Rechnung, dass nicht jeder, der sich (auch erlaubter Weise) in Österreich aufhalte, hier eine Arbeit aufzunehmen oder auszuüben berechtigt sei. Sie sei daher nicht verfassungswidrig (vgl. auch das in der Folge ergangene hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2006, Zl. 2005/08/0211).
Die belangte Behörde hat daher zutreffend das Vorliegen der Verfügbarkeit des Beschwerdeführers verneint, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 26. April 2006
Gerichtsentscheidung
EuGH 61989J0192 Sevince VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004080103.X00Im RIS seit
31.05.2006Zuletzt aktualisiert am
15.11.2011