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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des M H in A, geboren 1977, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Jänner 2004, Zl. 239.552/0-IV/44/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Er reiste am 8. September 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 10. September 2002 die Gewährung von Asyl. Seinen Asylantrag begründete er (bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30. Juni 2003) im Wesentlichen damit, er habe nach seiner Rückkehr aus Deutschland in den Kosovo (im Jahr 2000) "viele Probleme mit den Serben bekommen". Seine Wohnung im serbischen Teil von Mitrovica habe er verloren. Bei seiner aus 14 Personen bestehenden Familie (in Shipol), die nur über ein kleines Haus verfüge, könne er nicht wohnen. Einige Zeit habe er bei seiner Freundin, einer Serbin, gelebt; diese sei einmal in die Stadt gegangen aber nicht mehr zurückgekehrt. Was mit ihr (der serbischen Freundin) geschehen sei, wisse er nicht. Er fühle sich "von den Serben" bedroht. Er sei telefonisch bedroht worden. Sie (die Serben) hätten bei seinem Vater angerufen und damit gedroht, es werde ihm (dem Beschwerdeführer) das gleiche passieren wie seiner Freundin. Es gebe überall Hass, auch auf Seiten der Albaner, weil er "mit einer Serbin zusammen war". Einmal sei es geschehen, da "wollte mich ein Auto überfahren, ich weiß aber nicht, ob das Albaner oder Serben waren, es waren unbekannte Personen".
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 21. Jänner 2004 wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die unter internationaler Verwaltung stehende vormalige autonome Provinz Kosovo (Serbien-Montenegro) zulässig sei.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung in sachverhaltsmäßiger Hinsicht zu Grunde, der Beschwerdeführer sei im Jahr 2000 aus Deutschland, wo er sich während des Kosovo-Konfliktes aufgehalten habe, freiwillig in seine Heimat zurückgekehrt und habe im nördlichen Teil von Mitrovica ein Lebensmittelgeschäft eröffnet; dieses Geschäft sei im Februar 2001 von unbekannten Tätern ausgeraubt worden. Im Juni 2001 habe er das Geschäft "mangels Geschäftsgang" geschlossen, die Waren in den südlichen Teil von Mitrovica gebracht und in diesem Stadtteil im Jänner 2002 wieder ein Lebensmittelgeschäft eröffnet. Bis Juni 2002 habe er gemeinsam mit seiner Freundin serbischer Abstammung im nördlichen Teil von Mitrovica gelebt; die Freundin sei im Juni 2002 "aus ihm unbekannten Gründen verschwunden". Daraufhin sei es zu Drohanrufen "von unbekannter Seite" gegen ihn gekommen, die an seine Familie gerichtet worden seien; die Urheber dieser Anrufe habe die Polizei nicht ausforschen können. Nach Einschätzung des Beschwerdeführers seien diese Drohungen von der Familie seiner Freundin ausgegangen. Er sei auch von Albanern auf der Straße dahingehend angesprochen worden, "dass er Serbe sei"; darüber hinausgehende Ereignisse habe es nicht gegeben. Dass im Jahr 2001 versucht worden sei, den Beschwerdeführer durch Anfahren mit einem Auto zu töten, werde nicht als erwiesen festgestellt. Es werde auch nicht festgestellt, dass er im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland wegen seiner Beziehung zu der serbischen Freundin "am Leben gefährdet werde".
Die belangte Behörde traf des Weiteren Feststellungen zur Lage im Kosovo und in Kosovska-Mitrovica und gab dabei auch einen Überblick über die allgemeine Sicherheitslage, das Justizwesen, die Unterkünfte, die Versorgungslage und die Gesundheitsversorgung/Fürsorgewesen. Nicht festgestellt werde, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung (Zurückweisung, Zurückschiebung) in den Kosovo in seinem Recht auf Leben gefährdet sei, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.
Im Rahmen ihrer Erwägungen zur Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, die Angaben des Beschwerdeführers über die Ereignisse, die seiner Ausreise vorangegangen seien, würden als glaubhaft angesehen, hingegen sei die daraus (von ihm) abgeleitete Bedrohungssituation nicht glaubhaft. Es sei davon auszugehen, dass das vom Beschwerdeführer empfundene Gefühl der Unsicherheit, das er auf die bei seinen Familienangehörigen eingelangten telefonischen Drohungen zurückgeführt habe, "abgesehen von diesen Drohungen keinerlei weiteren manifesten Anlass zugrunde hat". Hinsichtlich der (vom Beschwerdeführer) vermuteten Gefährdung von Seiten der in Belgrad aufhältigen Familie der serbischen Freundin sei davon auszugehen, dass diese Privatpersonen den Beschwerdeführer in seiner Heimat nicht wirksam bedrohen oder gefährden könnten. Die Vorwürfe von Albanern auf der Straße ("er sei ein Serbe") seien unterhalb der Schwelle eines als asylrelevante Verfolgung zu betrachtenden Nachteils. Die Befürchtung betreffend den Vorfall mit einem Auto sei aus den (im angefochtenen Bescheid) näher dargelegten Erwägungen als völlig unwahrscheinlich bzw. nicht als ein Angriff gegen den Beschwerdeführer anzusehen.
In rechtlicher Hinsicht gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung drohe; seine subjektiven Befürchtungen würden in der Realität keine Entsprechung finden, er sei nicht der von ihm beschriebenen Gefährdungslage ausgesetzt. Im Rahmen ihrer Eventualbegründung (wenn man die Befürchtungen des Beschwerdeführers als realistisch ansehen würde) legte die belangte Behörde dar, die behauptete Bedrohung würde zwar asylrelevante Intensität erreichen und sie wäre wegen der "zumindest unterstellten Beeinträchtigung von Interessen der serbischen respektive der albanischen Bevölkerungsgruppe durch die Beziehung zu einer Frau serbischer Abstammung" auch auf Konventionsgründe zurückzuführen, es bestünden aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Sicherheitskräfte im Kosovo nicht willens oder nicht in der Lage seien, eine derartige Verfolgung zu unterbinden, zumal nach den Angaben des Beschwerdeführers auf Grund der Erstattung einer polizeilichen Anzeige zum einen Ermittlungen zur Ausforschung der Urheber der gegen die Familie des Beschwerdeführers gerichteten Drohung eingeleitet und zum anderen gegen den Beschwerdeführer auch in weiterer Folge keine Angriffe gesetzt worden seien.
Der Asylantrag sei daher abzuweisen. Der Beschwerdeführer sei ein offensichtlich gesunder und arbeitsfähiger Mann im Alter von 26 Jahren, der im Falle seiner Rückkehr in seine Heimat Wiederaufnahme in seinem Familienverband finden könnte; er wäre in der Lage, seine Grundbedürfnisse (auf Grund der gegebenen Grundversorgung für die albanische Mehrheitsbevölkerung und durch Gelegenheitsarbeiten) zu decken. Seine Familie verfüge über ein Haus mit vier Zimmern; die Unterkunftssituation sei daher für den Beschwerdeführer gesichert. Die Gewährung von Abschiebungsschutz komme daher nicht in Betracht.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde geht bei der Verneinung einer dem Beschwerdeführer drohenden asylrelevanten Verfolgung davon aus, dass seine Angaben über die seiner Ausreise vorangegangenen Ereignisse glaubhaft seien, sie meint aber, seine subjektive Furcht (sein empfundenes Gefühl der Unsicherheit) sei nicht ausreichend, um auch objektiv begründete Furcht vor künftiger Verfolgung auszulösen.
Die belangte Behörde hat allerdings nicht näher dargelegt, wie sie zu dieser Einschätzung gelangte. Zwar ist ihr einzuräumen, dass der vom Beschwerdeführer geschilderte Vorfall mit dem Auto nicht zwingend als ein "Attentat" anzusehen ist, die Beurteilung der belangten Behörde, die als glaubhaft angesehenen (telefonischen) Drohungen gegen den Beschwerdeführer - nach seiner Darstellung sei angekündigt worden, er würde "das selbe Schicksal wie dieses Mädchen erleben" bzw. habe er angenommen, dass er "wegen des Mädchens serbischer Abstammung durch deren Familie bedroht worden sei" - würden keinen begründeten Anlass für Befürchtungen darstellen, wäre hingegen schon im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere die Situation in Kosovska-Mitrovica (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2003/01/0088), näher zu begründen gewesen. Da eine solche Begründung aber fehlt bzw. die belangte Behörde sich auch mit dem Umfang des für den Beschwerdeführer auf Grund seines Zusammenlebens mit der serbischen Lebensgefährtin gegebenen spezifischen Bedrohungsszenarios nicht ausreichend auseinandergesetzt hat, ist der bekämpfte Bescheid mit einem Verfahrensmangel behaftet.
Die in der Eventualbegründung zu Grunde gelegte Annahme, der Beschwerdeführer könne vor der geltend gemachten Privatverfolgung ausreichenden Schutz bei den kosovarischen Behörden finden, erweist sich als nicht hinreichend begründet (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2006, Zl. 2005/01/0104).
Diese Verfahrensmängel sind wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei ihrer Vermeidung zu einer anderen Beurteilung der dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgung bzw. zu einem anderen Ergebnis bei der Entscheidung über den Asylantrag gelangt wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 9. Mai 2006
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004010052.X00Im RIS seit
14.06.2006