TE Vwgh Erkenntnis 2006/5/9 2005/01/0141

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Veröffentlicht am 09.05.2006
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Index

E3R E19103000;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32003R0343 Dublin-II;
AsylG 1997 §5;
AsylG 1997 §5a;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. April 2005, Zl. 257.122/0- VII/20/05, betreffend Behebung eines Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG in einer Angelegenheit des Asylgesetzes 1997 (mitbeteiligte Partei: YI in W, geboren 1976, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste gemäß seinen Angaben am 26. November 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag schriftlich Asyl. Am 7. Dezember 2004 entsprach er der an ihn ergangenen Aufforderung, sich binnen drei Wochen in einer der Erstaufnahmestellen des Bundesasylamtes persönlich einzufinden.

     Bei seiner ersten Einvernahme am 14. Dezember 2004 wurde der

Mitbeteiligte ua. damit konfrontiert, dass er gemäß einem "Eurodac-

Treffer" bereits am 12. November 2004 in der Slowakei einen

Asylantrag gestellt habe. Hierauf erwiderte er, "die Slowaken"

hätten gesagt, "dass Türken kein Asyl brauchen. ... Sie haben uns

gesagt, dass die Türkei ein europäischer Staat ist. Asylanträge

keinen Sinn haben. ... Man hat mir gesagt, dass kein Türke kein

Asyl benötigt und alle abgeschoben werden".

Im Hinblick auf den erwähnten "Eurodac-Treffer" richtete das Bundesasylamt - nach der Aktenlage am 15. Dezember 2004 - ein Wiederaufnahmegesuch an die Slowakei. Diese erklärte sich mit Note vom 27. Dezember 2004, beim Bundesasylamt eingelangt noch am selben Tag, bereit, gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO) die Überstellung des Mitbeteiligten zur Prüfung seines Asylantrages zu akzeptieren. Im Hinblick darauf wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten mit am 13. Jänner zugestelltem Bescheid vom 5. Jänner 2005 gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG; hier und im Folgenden stets idF der AsylG-Novelle 2003) als unzulässig zurück, stellte fest, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO die Slowakei zuständig sei und wies den Mitbeteiligten gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei aus. Es bestehe kein Anlass, "die Sicherheit der Slowakei" in Zweifel zu ziehen. Wenn der Mitbeteiligte vorgebe, er laufe Gefahr, von der Slowakei in die Türkei abgeschoben zu werden, so würde es sich hiebei - im Folgenden das Bundesasylamt wörtlich - "nach vorhergehender Prüfung des Asylantrages ... von Seiten der slowakischen Behörden lediglich um eine behördliche Maßnahme zur Durchsetzung rechtsstaatlich legitimierter Zwecke handeln". Ein im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer vom Mitbeteiligten bescheinigter außergewöhnliche Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Fall einer Überstellung in die Slowakei ernstlich möglich erscheinen ließen, seien im Verfahren nicht hervorgekommen.

Der Mitbeteiligte erhob Berufung. Darin brachte er vor, dass bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die 20-tägige Frist des § 24a Abs. 8 AsylG bereits abgelaufen gewesen sei. Außerdem machte er - insbesondere unter Verweis auf einen englischsprachigen Zeitungsartikel vom 13. September 2004, in dem der Direktor der slowakischen Migrationsbehörde etwa mit folgender Aussage zitiert wird: "I understand that UNHCR's view is different from (MU) (= Migration office) but we have to protect the interests of Slovak inhabitants." - geltend, das Bundesasylamt hätte sich mit seinem Vorbringen, Türken bekämen in der Slowakei kein Asyl, vor dem Hintergrund des Art. 3 EMRK auseinander setzen und vom Selbsteintrittsrecht Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde in Erledigung dieser Berufung aus, dass der erstinstanzliche Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen werde. Das begründete sie zusammengefasst damit, dass die Erstbehörde jegliche Ermittlungen zu dem in Frage stehenden Problemkreis (ungeprüfte "Kettenabschiebung" des Mitbeteiligten durch die Slowakei) unterlassen habe.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Der Asylantrag des Mitbeteiligten wurde am 7. Dezember 2004 eingebracht (siehe § 24 Abs. 2 AsylG), die Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides erfolgte am 13. Jänner 2005. Die mit der Slowakei gepflogenen Konsultationen begannen am 15. Dezember 2004 und endeten mit Einlangen der positiven Antwort der slowakischen Behörden am 27. Dezember 2004. Im Hinblick darauf trifft es zu, wie vom Mitbeteiligten schon in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid geltend gemacht, dass bei Erlassung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides die 20-tägige Entscheidungsfrist des § 24a Abs. 8 AsylG bereits abgelaufen war (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005, Zl. 2005/20/0038, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Die belangte Behörde hätte daher gemäß § 32a Abs. 1 AsylG der Berufung des Mitbeteiligten stattgeben und seinen Asylantrag zur Durchführung des materiellen Asylverfahrens an die Behörde erster Instanz zurückverweisen müssen. Die demgegenüber erfolgte Kassation des erstinstanzlichen Bescheides nach § 66 Abs. 2 AVG in Verbindung mit dem Auftrag, das Bundesasylamt habe zur Klärung der Frage, ob eine Entscheidung nach §§ 5, 5a AsylG vorgenommen werden dürfe, weitere Ermittlungen vorzunehmen, widerspricht dem Gesetz.

2. Die eben aufgezeigte Rechtswidrigkeit (Missachtung der Frist des § 24a Abs. 8 AsylG) wird in der vorliegenden Amtsbeschwerde nicht angeschnitten. In dieser wird im Kern die Auffassung vertreten, das Vorbringen des Mitbeteiligten sei nicht geeignet gewesen, die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auszulösen. Dieser Ansicht kann freilich nicht beigetreten werden. Dabei ist davon auszugehen, dass die Asylbehörden - wenn sie auch nicht nachzuprüfen haben, ob der in Betracht kommende "Dublinstaat" generell sicher ist - sowohl nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes als auch nach jener des Verwaltungsgerichtshofes trotz Anwendung der Dublin II-VO verpflichtet sind zu untersuchen, ob im konkreten Einzelfall das Risiko einer "Kettenabschiebung" in ein Land besteht, in dem der Asylwerber dem Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK ausgesetzt ist (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 2005, B 336/05, einerseits sowie die hg. Erkenntnisse vom 31. Mai 2005, Zl. 2005/20/0095, vom 30. Juni 2005, Zl. 2005/20/0082, vom 26. Juli 2005, Zl. 2005/20/0224, und jüngst vom 25. April 2006, Zl. 2006/19/0673, andererseits). Ein derartiges Risiko hat der Mitbeteiligte jedenfalls behauptet: Die ihm gegenüber seiner Darstellung nach abgegebene Äußerung "der Slowaken", Türken bräuchten kein Asyl und es würden alle Türken abgeschoben werden (siehe dazu im Detail seine eingangs dargestellten Angaben bei seiner Einvernahme vom 14. Dezember 2004), rechtfertigte nämlich - so sie als wahr unterstellt und den maßgeblichen slowakischen Asylbehörden zugerechnet wird - durchaus die Befürchtung, Türken würden ohne ernsthafte Prüfung entgegenstehender Gefahren in ihren Herkunftsstaat abgeschoben werden und ließ jedenfalls nicht den vom Bundesasylamt gezogenen Schluss zu, bei Abschiebungen von Türken aus der Slowakei in die Türkei würde es sich, nach vorhergehender Prüfung des Asylantrages, lediglich um eine behördliche Maßnahme zur Durchsetzung rechtsstaatlich legitimierter Zwecke handeln. Ausgehend davon kann der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden, wenn sie ausführte, es müsse "der konkrete Einzelfall" geprüft werden und es bedürfe dabei einer Auseinandersetzung mit dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers, wohingegen die Erstbehörde - wie die Berufung zu Recht rüge - jegliche Ermittlungen zu dem in Frage stehenden Problemkreis unterlassen habe.

Den Überlegungen in der Beschwerde, ein Vorbringen wie das vorliegende könne einer Überstellung nach der Dublin II-VO nicht entgegenstehen, ist über das bisher Gesagte hinaus entgegenzuhalten, dass der bekämpfte Bescheid die Frage einer Überstellung in die Slowakei bzw. einer zwingenden Ausübung des Selbsteintrittsrechtes durch Österreich noch offen gelassen und lediglich die Vornahme weiterer Erhebungen angeordnet hat (schon von daher stehen die eben angestellten Überlegungen mit den Ausführungen im zuvor genannten, ebenfalls die Slowakei betreffenden Erkenntnis vom 25. April 2006 - das zudem einen deutlich später ergangenen Bescheid betrifft - nicht in Widerspruch). Dieser Erhebungen bedarf es lediglich aus den zu oben 1. dargestellten Gründen nicht, weshalb der bekämpfte Bescheid ungeachtet des eben Ausgeführten gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war. Wien, am 9. Mai 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005010141.X00

Im RIS seit

19.06.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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