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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §58 Abs2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/18/0035 2006/18/0036Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde
1. des R, geboren 1976 (Zl. 2006/18/0034), 2. der L, geboren 1977 (Zl. 2006/18/0035), und 3. der X, geboren 1997 (Zl. 2006/18/0036), alle in Mattighofen, alle vertreten durch Dr. Bernhard Kettl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Clemens-Krauss-Straße 21, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion Oberösterreich jeweils vom 7. September 2005, Zlen. 1. St 246/05, 2. St 247/05 und
3. St 248/05, jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern den Aufwand von EUR 921,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der Sicherheitsdirektion Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 7. September 2005 wurden die Beschwerdeführer gemäß § 33 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.
Die Beschwerdeführer seien am 12. Juli 2001 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist, ohne im Besitz eines für die Einreise erforderlichen Reisepasses und Visums zu sein. Sie hätten Asylanträge gestellt, die gemäß § 7 und § 8 AsylG rechtskräftig abgewiesen worden seien. Der Verwaltungsgerichtshof habe mit Beschluss vom 8. März 2005 (Zlen. 2004/01/0524 und 0536) die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerden abgelehnt.
Die Beschwerdeführer hätten am 3. Mai 2004 die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen (Niederlassungsbewilligungen) beantragt. Diese Anträge seien mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 24. Februar 2005 rechtskräftig abgewiesen worden. Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2005 hätten die Beschwerdeführer ein weiteres Mal Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen gestellt, über die noch nicht entschieden worden sei. Das vorläufige Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführer in Österreich (nach dem Asylgesetz) habe mit dem erwähnten Ablehnungsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. März 2005 geendet. Die Beschwerdeführer würden sich seither rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalten. Ihr Lebensunterhalt sei durch die Berufstätigkeit des Erstbeschwerdeführers (Vater) ausreichend gesichert. Die Zweitbeschwerdeführerin (Mutter) sei schwanger und erwarte für den 28. März 2006 ihr zweites Kind. Die Drittbeschwerdeführerin (Kind) besuche eine österreichische Schule. Die Beschwerdeführer hätten bisher nie Sozialhilfe in Anspruch genommen. Sie seien ausreichend wohnversorgt und unfall-, kranken- und pensionsversichert.
Der mehrmonatige unrechtmäßige Aufenthalt der Beschwerdeführer gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß. Die Ausweisung sei gemäß § 33 Abs. 1 FrG zulässig und gemäß § 37 Abs. 1 FrG zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten. Die Anträge auf Erteilung von humanitären Aufenthaltstiteln könnten daran nichts ändern. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu. Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich kämen, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ebenso, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsbewilligung bzw. nach dem Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht verlassen würden. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache habe auch von der Ermessensbestimmung des § 33 Abs. 1 FrG Gebrauch gemacht werden müssen.
2. Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, sie wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, dass ihre im Jahr 2001 gestellten Asylanträge vom unabhängigen Bundesasylsenat mit den Bescheiden vom 27. Mai 2004 rechtskräftig abgewiesen worden sind. Da sich die Beschwerdeführer nach Ablehnung der Behandlung ihrer dagegen an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerden (Beschluss vom 8. März 2005) rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalten, kann die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 33 Abs. 1 FrG erfüllt sei, nicht als rechtswidrig erkannt werden.
2.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, sie hätten Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen gestellt, über die noch nicht entschieden worden sei. Aus diesem Grund sei eine Ausweisung unzulässig.
2.2. Die Beschwerdeführer haben keine Umstände dargelegt, die die vorliegenden Fälle als besonders berücksichtigungswürdig im Sinn des § 10 Abs. 4 FrG erscheinen ließen. Diese Gesetzesbestimmung stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab. Ein berücksichtigungswürdiger Fall liegt insbesondere dann vor, wenn der Fremde einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG ausgesetzt ist, weiters etwa dann, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch auf Familiennachzug besteht. Auf Grund der rechtskräftigen Abweisung der Asylanträge und der rechtskräftigen Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer in ihr Heimatland steht fest, dass die Beschwerdeführer in ihrer Heimat keiner Gefährdung oder Bedrohung im Sinn von § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG ausgesetzt sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2005/18/0160). Die von den Beschwerdeführern für die Erteilung von humanitären Aufenthaltstiteln als maßgeblich bezeichneten Aspekte der Dauer ihres Aufenthaltes in Österreich, der Integration des Erstbeschwerdeführers auf dem Arbeitsmarkt, der Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin und des Schulbesuchs der Drittbeschwerdeführerin bieten keine ausreichende Grundlage, besonders berücksichtigungswürdige Fälle im genannten Sinn anzunehmen. Die Auffassung der belangten Behörde, die Anträge auf Erteilung von humanitären Aufenthaltstiteln stünden den angefochtenen Bescheiden nicht entgegen, kann nicht als rechtswidrig erkannt werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. Juni 2005, Zl. 2005/18/0125, und vom 8. September 2005, Zl. 2005/18/0512).
3.1. Die Beschwerde hält den angefochtenen Bescheid - der Sache nach unter dem Gesichtspunkt des § 37 Abs. 1 FrG - für inhaltlich rechtswidrig. Die berufliche Integration des Erstbeschwerdeführers sei weit fortgeschritten. Er arbeite seit nunmehr über vier Jahren bei einer Geflügelfirma. Die Zweitbeschwerdeführerin sei zum zweitenmal schwanger und werde Ende März 2006 ihr zweites Kind zur Welt bringen. Die Drittbeschwerdeführerin besuche mittlerweile die Volksschule. Alle Beschwerdeführer seien der deutschen Sprache mächtig und in Österreich sozial integriert. Außerdem seien sie wohnversorgt. Sie seien dem österreichischen Steuerzahler niemals zur Last gefallen. Es seien weder Sozialhilfe noch sonstige soziale Unterstützungen wie beispielsweise Kindergeld in Anspruch genommen worden. Die Beschwerdeführer seien kranken-, unfall- und pensionsversichert. Sie seien nicht negativ in Erscheinung getreten. Ihr Lebensmittelpunkt befinde sich ausschließlich in Österreich. Sie hätten keine Bezugspunkte und auch keinerlei sonstige familiäre Wurzeln in ihrem Heimatland. Eine Ausweisung der Beschwerdeführer würde deren Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zuwiderlaufen. Gerade die Familie der Beschwerdeführer sei ein positives Beispiel für eine geglückte Integrationspolitik.
3.2. Die belangte Behörde hat in Anbetracht der Dauer des inländischen Aufenthaltes der Beschwerdeführer seit Juli 2001, der erlaubten Beschäftigung des Erstbeschwerdeführers seit 18. Juni 2002 und des Schulbesuchs der Drittbeschwerdeführerin sowie aus der daraus ableitbaren Integration zutreffend einen relevanten Eingriff im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG angenommen. Dem steht ihr unrechtmäßiger Aufenthalt in Österreich in der Dauer von etwa sechs Monaten seit dem Abschluss ihrer Asylverfahren durch den genannten Ablehnungsbeschluss vom 8. März 2005 gegenüber, der das öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. März 2004, Zl. 2004/18/0027, mwN), erheblich beeinträchtigt. Es kann nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde bei der Abwägung dieser Interessen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die persönlichen Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich gegenüber den genannten öffentlichen Interessen in den Hintergrund treten.
4.1. Mit ihrem Vorbringen, die belangte Behörde hätte - im Hinblick auf das Gewicht ihrer persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich - zu ihren Gunsten Ermessen üben müssen, zeigen die Beschwerdeführer hingegen einen relevanten Verfahrensmangel auf.
4.2. Der vorliegend maßgebliche § 33 Abs. 1 FrG lautet:
"Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0175, ausgeführt hat, räumt diese Bestimmung insofern Ermessen ein, als sie die Behörde ermächtigt, von der Erlassung einer Ausweisung trotz Vorliegens der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des nicht rechtmäßigen Aufenthaltes abzusehen. Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. Sie hat hiebei in Erwägung zu ziehen, ob und wenn ja welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung gegen die Erlassung einer Ausweisung sprechen und sich hiebei insbesondere von den Vorschriften des FrG leiten zu lassen. Es könnten etwa - anders als bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Ausweisung nach § 37 Abs. 1 FrG - öffentliche Interessen zugunsten eines Fremden berücksichtigt werden und bei entsprechendem Gewicht eine Abstandnahme von der Ausweisung im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen. Aber auch persönliche, schon im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit einer Ausweisung nach § 37 Abs. 1 FrG zu berücksichtigende Interessen sind bei der Handhabung des Ermessens nach § 33 Abs. 1 FrG dann zu beachten, wenn dies erforderlich ist, um den besonderen im Einzelfall gegebenen Umständen gerecht zu werden.
4.3. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid zur Frage des Ermessens lediglich festgehalten, dass "vor dem Hintergrund dieser Tatsache" (nämlich, dass die Ausweisung nach § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten sei) "auch von der Ermessensbestimmung des § 33 Abs. 1 FrG Gebrauch gemacht werden" müsse. Diese Ausführungen stellen nach dem oben Gesagten keine ausreichende Begründung der Ermessensentscheidung dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1998, Zl. 98/18/0252). Die Beschwerdeführer haben - unvorgreiflich des Ergebnisses der behördlichen Ermessensübung - die Relevanz dieses Verfahrensmangels aufgezeigt, indem sie - wenngleich inhaltlich unter Heranziehen der bereits für die Beurteilung nach § 37 Abs. 1 FrG bedeutsamen Umstände - ausführlich darlegten, aus welchen Gründen die belangte Behörde zu ihren Gunsten Ermessen zu üben gehabt hätte.
4.4. Bezüglich ihrer Ermessensentscheidung hätte die Behörde den hiefür maßgeblichen Sachverhalt unter Wahrung des Parteiengehörs (§ 45 AVG) festzustellen und in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen gehabt, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz erforderlich ist. (Vgl. zum Ganzen eingehend den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490.)
Der bloße Hinweis auf das bzw. das jeder weiteren Begründung entbehrende Anknüpfen an der Ergebnis der Abwägung nach § 37 Abs. 1 FrG wird dem erforderlichen Aufzeigen maßgebender Umstände und Erwägungen nicht gerecht.
5. Da es die belangte Behörde unterlassen hat, eine den Beschwerdeführern die Verfolgung ihrer subjektiven Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof einerseits und dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Bescheide andererseits ermöglichende Begründung für ihre Ermessensentscheidung im Sinn der vorstehenden Ausführungen zu geben, leiden die angefochtenen Bescheide an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Sie waren deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
6. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
7. Der Zuspruch von Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 18. Mai 2006
Schlagworte
Begründung von Ermessensentscheidungen Ermessen Ermessen VwRallg8 Verfahrensbestimmungen ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006180034.X00Im RIS seit
19.06.2006