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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des E, geboren 1977, vertreten durch Dr. Stefan Eigl, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Lederergasse 33b, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 28. Februar 2006, Zl. St 344/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 28. Februar 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 iVm den §§ 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
In der Bescheidbegründung wird im Rahmen des Punktes "Sachverhalt" unter Wiedergabe von im erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 28. November 2005 getroffenen Feststellungen Folgendes ausgeführt:
Der Beschwerdeführer sei am 23. September 2001 auf unbekannte Weise unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist und habe in der Folge einen Asylantrag gestellt. Derzeit sei er im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG.
Am 28. September 2005 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht Linz wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, wovon ein Teil von sechs Monaten unbedingt und ein Teil von achtzehn Monaten bedingt unter einer Probezeit von drei Jahren verhängt worden sei, rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung liege zu Grunde, dass er am 17. April 2005 in Linz dem O. dadurch, dass er diesem im Zug einer vom Beschwerdeführer begonnenen tätlichen Auseinandersetzung mit einem Messer (Klingenlänge ca. 8,5 cm) einen Stich gegen den linken Oberkörper versetzt habe, eine an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB), nämlich eine Stichverletzung am Brustkorb links mit begleitender Läsion der Lunge und daraus resultierendem Hämatopneumothorax und einer Fraktur der linken
4. Rippe, absichtlich zugefügt habe, wobei die Tat eine länger als 24 Tage andauernde Gesundheitsschädigung zur Folge gehabt habe.
In seinem Schreiben vom 2. November 2005 habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass ein Aufenthaltsverbot im Sinn des § 37 FrG nicht zulässig wäre. Er wäre seit vier Jahren in Österreich aufhältig und als Asylwerber zum Aufenthalt berechtigt. Er wohnte mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder in Linz unter einem Dach. Seine Schwester wäre bereits seit acht Jahren hier und mittlerweile österreichische Staatsbürgerin. Alle Familienmitglieder stünden in einem sehr engen persönlichen Verhältnis zueinander. Der Beschwerdeführer wäre im Besitz einer Arbeitserlaubnis des AMS, welche jedoch auf Grund seiner Inhaftierung ihre Gültigkeit verloren hätte. Sein Vater erhielte eine Pension, seine Mutter wäre mittels einer Arbeitserlaubnis des AMS erwerbstätig, und sein jüngerer Bruder hätte eine Lehrstelle. Mit Ausnahme der genannten strafgerichtlichen Verurteilung hätte sich der Beschwerdeführer in Österreich nichts zuschulden kommen lassen. Zu dieser Verurteilung wäre es lediglich aus einer "gefühlsmäßigen Erregung" auf Grund einer gegen ihn gerichteten persönlichen Provokation bzw. Kränkung gekommen. Eine Verletzung der Familienehre wäre in seinem Kulturkreis nämlich eine schwerwiegende Angelegenheit. Im Nachhinein würde er den Vorfall natürlich sehr bedauern.
In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten ausgereicht hätte, um ihn von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Auch wäre zu beachten, dass der Tat unmittelbar eine außerordentlich massive Provokation des Verletzten vorangegangen wäre, die auch einen Österreicher voraussichtlich in Schwierigkeiten bringen würde. Er hätte bedauerlicherweise ein "Werkzeug" (Messer) verwendet und damit zugestochen, was jedoch ein "emotioneller Ausrutscher" wäre. Ferner habe er auf den inländischen Aufenthalt seiner gesamten Familie hingewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde nach Hinweis auf die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen weiter aus, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt und die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Sinn des § 66 Abs. 1 leg. cit. dringend erforderlich sei, weil der Beschwerdeführer ein Verbrechen unter Verwendung eines Messers begangen habe. In einem zivilisierten Staat gebe es andere Problemlösungsmechanismen als die brutale Verwendung von Waffen oder ähnlichen (gefährlichen) Gegenständen. Gerade die Tatsache, dass er bei seinem Verbrechen ein Messer verwendet habe, sei ihm besonders schwer anzulasten. Derartige Situationen wiesen ein eminentes Sicherheitsrisiko auf, und es liege oftmals nicht mehr in der Hand (im Willen) des Täters, die Situation zu steuern. Dass derartige Situationen schwer zu gewichten seien, bedürfe keiner näheren Erläuterung. Aus den obgenannten Gründen sei von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG Gebrauch zu machen gewesen, weil eine Abstandnahme (von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes) die öffentliche Ordnung zu schwer beeinträchtigt hätte.
Der Beschwerdeführer halte sich erst seit dem 23. September 2001, also erst seit ca. vier Jahren, in Österreich auf. Die Dauer dieses Aufenthaltes könne jedoch noch keine größere Integration bewirken. Die Erstbehörde habe bereits darauf hingewiesen, dass die Arbeitserlaubnis (des Beschwerdeführers) auf Grund seiner Inhaftierung seine Gültigkeit verloren hätte. Im Bundesgebiet sei auch seine Familie (seine Eltern und Geschwister) aufhältig.
Unter Abwägung aller genannten Tatsachen und im Hinblick auf die für seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative "Zukunftsprognose" wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation, sodass das Aufenthaltsverbot auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG zulässig sei.
Die Dauer des von der Erstbehörde verhängten Aufenthaltsverbotes sei nicht als rechtswidrig zu erkennen, zumal nach Ablauf dieser Zeit erwartet werden könne, dass der Beschwerdeführer sich an die im Bundesgebiet geltenden Normen halten werde. Die Dauer von zehn Jahren sei notwendig, um abschätzen zu können, ob die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, weggefallen sein würden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt (Z. 1) die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder (Z. 2) anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht (u.a.) zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist.
1.2. Auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde zur (rechtskräftigen) Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht Linz begegnet die - unbekämpfte - Beurteilung, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. verwirklicht sei, keinem Einwand.
1.3. Nach diesen Feststellungen hat der Beschwerdeführer am 17. April 2005 in Linz einen anderen dadurch absichtlich am Körper schwer verletzt, dass er diesem während einer vom Beschwerdeführer begonnenen tätlichen Auseinandersetzung mit einem Messer einen Stich gegen den linken Oberkörper versetzte, wodurch dieser eine Läsion der Lunge mit daraus resultierendem Hämatopneumothorax und eine Rippenfraktur erlitt, wobei die Tat eine länger als 24 Tage andauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatte.
Im Hinblick auf dieses massive Fehlverhalten begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass in Anbetracht der schweren Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung gemäß § 60 Abs. 1 leg. cit. vorzugehen gewesen sei, somit die in dieser Gesetzesbestimmung umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken. Ob die Straftat vom Beschwerdeführer, wie von der Beschwerde vorgebracht wird, aus emotionellen Gründen oder "zur Lösung eines Problems" verübt wurde, ist hiebei nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung, weil die sich aus diesem strafbaren Verhalten ergebende Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers die in § 60 Abs. 1 FPG angeführten Schutzgüter (jedenfalls) erheblich beeinträchtigt. Da die Fremdenpolizeibehörden ihre Beurteilung unabhängig von den die Strafbemessung und die bedingte Strafsatznachsicht begründenden Erwägungen des Gerichtes und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu treffen haben (vgl. aus der zum Fremdengesetz 1997 ergangenen ständigen hg. Judikatur, der wegen der insoweit unveränderten Rechtslage auch im vorliegenden Zusammenhang maßgebliche Bedeutung zukommt, etwa das Erkenntnis vom 30. November 2005, Zl. 2003/18/0316, mwN), ist auch der Beschwerdehinweis darauf, dass das Landesgericht Linz den Vollzug eines Teils der über den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe aus general- und spezialpräventiven Gründen für nicht erforderlich erachtet hat, nicht zielführend.
2. Bei der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG hat die belangte Behörde die Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit 23. September 2001 und seine Bindungen zu seiner hier lebenden Familie (Eltern und Geschwister) berücksichtigt. Wenn sie dennoch angesichts des massiven Gewaltdelikts des Beschwerdeführers die Erlassung des Aufenthaltsverbotes als (zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen) dringend geboten und somit im Licht des § 66 Abs. 1 FPG als zulässig erachtet hat, so ist dies in Ansehung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Rechte anderer nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Unter Zugrundelegung dieses großen öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde nach § 66 Abs. 2 leg. cit. vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Die aus der rund viereinhalbjährigen Dauer seines inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers ist in ihrem Stellenwert dadurch relativiert, dass sich sein Aufenthalt (lediglich) auf eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 gründet. Seine Integration hat in der für sie wesentlichen sozialen Komponente weiters durch die von ihm begangene massive Straftat eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren. Von daher gesehen hat die belangte Behörde zutreffend - auch unter Berücksichtigung des von der Beschwerde behaupteten Umstandes, dass der Beschwerdeführer in der Arbeitswelt integriert sei - den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes (jedenfalls) kein geringeres Gewicht beigemessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation und die seiner Angehörigen.
3. Schließlich begegnet der angefochtene Bescheid auch in Ansehung der darin festgesetzten Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes keinen Bedenken.
Gemäß § 63 Abs. 1 FPG kann ein Aufenthaltsverbot (oder ein Rückkehrverbot) in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z. 1, 5 und 12 bis 14 unbefristet und sonst für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Dieses ist - unter Bedachtnahme auf § 63 Abs. 1 leg. cit. - für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird (vgl. aus der zum Fremdengesetz 1997 ergangenen ständigen hg. Judikatur, der auch im vorliegenden Zusammenhang wegen der insoweit unveränderten Rechtslage maßgebliche Bedeutung zukommt, etwa das Erkenntnis vom 15. November 2005, Zl. 2005/18/0602, mwN).
Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie angesichts der vom Beschwerdeführer verübten Straftat die Auffassung vertrat, dass der Zeitpunkt des Wegfalls des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der von ihm ausgehenden Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen, nicht vor Ablauf von zehn Jahren angenommen werden könne, und es zeigt die Beschwerde keine Umstände auf, die diese Annahme als unrichtig erscheinen ließen.
4. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 18. Mai 2006
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006180103.X00Im RIS seit
21.06.2006Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009