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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit eines Fahrverbots am Paß Thurn für schwere Lastkraftfahrzeuge; keine Verletzung von Anhörungsrechten bei der Verordnungserlassung angesichts der Notwendigkeit einer raschen Reaktion auf den Unfall im Tauerntunnel; Erforderlichkeit des Fahrverbots angesichts der Baustellen-Situation und des steigenden LKW-Verkehrs; keine sachliche Rechtfertigung zweier Ausnahmebestimmungen zugunsten von Fahrzeugen mit Standort Kitzbühel und Lienz; Aufhebung lediglich der Ausnahmebestimmungen und nicht des ebenfalls präjudiziellen GrundtatbestandesSpruch
I. 1. §2 lite und §2 litf der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 10. Juni 1999, Z4a-1100/1, kundgemacht im Boten für Tirol Nr. 666/1999, mit der auf der B 161 Paß Thurn Bundesstraße ein Fahrverbot für LKW mit höchstzulässigem Gesamtgewicht über 7,5 t erlassen wurde, waren gesetzwidrig.
2. Im übrigen war die Verordnung nicht gesetzwidrig.
II. Die Tiroler Landesregierung ist zur Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zwei zu B699/00 und B1689/00 protokollierte Beschwerden gemäß Art144 B-VG anhängig, die sich gegen Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (UVS) richten, mit denen die Beschwerdeführer bestraft wurden, weil sie entgegen dem mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 19. Juni 1999 (Bote für Tirol Nr. 666/1999) für die B 161 Paß Thurn Bundesstraße verfügten LKW-Fahrverbot mit Lastkraftwagen über 7,5 t höchstzulässigem Gesamtgewicht auf der vom Fahrverbot betroffenen Strecke gefahren sind.
1.2. Aus Anlaß dieser Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof am 20. Juni 2001 gemäß Art139 Abs1 B-VG beschlossen, die Verfahren zu unterbrechen und die Gesetzmäßigkeit der im Spruch erwähnten Verordnung von Amts wegen zu überprüfen.
1.3. Die erwähnte Verordnung hat folgenden Wortlaut:
"V E R O R D N U N G
der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel, mit der auf der
B 161 Passthurn Bundesstraße ein Fahrverbot für LKW über 7,5 t
höchstzulässigem Gesamtgewicht erlassen wird
Auf Grund der durch die Sperre des Tauerntunnels gegebenen Notsituation wird zur Aufrechterhaltung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, sowie zur Fernhaltung von Gefahren und Belästigungen durch Lärm, Geruch und Schadstoffe gemäß §43 Abs1 litb Z1 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159, in der geltenden Fassung, in Verbindung mit §94b leg. cit., verordnet:
§1 Auf der B 161 Passthurn Bundesstraße ist von der Landesgrenze Straßenkilometer 10,000 (Gemeindegebiet Jochberg) bis Straßenkilometer 36,000 (Gemeindegebiet St. Johann i. T.) das Fahren mit Lastkraftfahrzeugen mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t verboten.
§2 Vom Fahrverbot ausgenommen sind:
a) Fahrten mit Fahrzeugen des Straßendienstes;
b) Fahrten mit Fahrzeugen des Bundesheeres, die zur Aufrechterhaltung des militärischen Dienstbetriebes unumgänglich sind;
c) Fahrten zum Zweck des Abschleppdienstes, der Pannenhilfe, des Einsatzes in Katastrophenfällen und unaufschiebbarer Reparaturen an Kühl- und Energieversorgungsanlagen;
d) Fahrten, die zur ausschließlichen Beförderung von Milch, Schlacht- oder Stechvieh, leicht verderblichen Lebensmitteln und periodischen Druckwerken dienen;
e) Fahrten mit Fahrzeugen, die in den Bezirken Kitzbühel und Lienz ihren dauernden Standort haben;
f) Fahrten, die ausschließlich dem Zweck der Be- und Entladung von Fahrzeugen in den Gemeinden der in lite genannten Bezirke dienen;
§3 Rechtsvorschriften, mit denen weitergehende Fahrverbote angeordnet werden, bleiben unberührt.
§4 Diese Verordnung ist gemäß §44 der StVO 1960 durch die ordnungsgemäße Anbringung der entsprechenden Straßenverkehrszeichen nach §53 Z. 7a der StVO 1960 mit Zusatztafel nach §54 Abs1 StVO 1960 - 'Ausgenommen Berechtigte laut Bote für Tirol Nr. 666/1999' kundzumachen und tritt mit der Errichtung der vorgeschriebenen Zeichen in Kraft.
(...)
Kitzbühel, 10. Juni 1999
Der Bezirkshauptmann:"
2.1. Seine Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung begründete der Verfassungsgerichtshof zum einen damit, daß das der Verordnungserlassung vorangegangene Anhörungs- und Ermittlungsverfahren nicht den Anforderungen des §94f StVO 1960 entsprochen habe. Angesichts der kurz bemessenen Zeitspanne zwischen der an die anzuhörenden Interessenvertretungen und Gemeinden ergangenen Aufforderung zur Stellungnahme und der Erlassung der Verordnung bezweifelte der Verfassungsgerichtshof, ob das Anhörungs- und Ermittlungsverfahren den Erfordernissen des §94f StVO 1960 entsprach und ob es eine Bedachtnahme auf die Verkehrsbeziehungen und Verkehrserfordernisse ermöglicht hat. Er überließ es der näheren Klärung im Verordnungsprüfungsverfahren, ob die Behörde bei Erlassung der Verordnung - etwa aufgrund der besonderen Umstände in Folge des Brandes im Tauerntunnel (am 29. Mai 1999) und der darauf folgenden Sperre des Tauerntunnels - vom Vorliegen einer "Gefahr im Verzuge" im Sinne des §94f Abs1 StVO 1960 ausgehen konnte, das es gerechtfertigt hätte, von der Durchführung eines Anhörungs- und Ermittlungsverfahrens Abstand zu nehmen.
2.2. Angesichts der aus dem Verordnungsakt ersichtlichen Entstehungsgeschichte der Verordnung (die Verkehrsbeschränkung wurde erlassen, nachdem der Tauerntunnel infolge eines Brandes gesperrt werden mußte und die Bezirkshauptmannschaft Zell am See die bis dahin bestehenden LKW-Fahrverbote am Paß Thurn, aufgehoben hatte, um einen "Ausweichverkehr" zu ermöglichen) äußerte der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß zum anderen Bedenken dahingehend, ob die Verkehrsbeschränkung "erforderlich" im Sinne des §43 StVO 1960 war, und ob die Paß Thurn Bundesstraße spezifische Eigenschaften aufweist, die eine derartige Verkehrsbeschränkung erforderlich scheinen lassen, oder ob dadurch lediglich eine Verschiebung des LKW-(Ausweich-)Verkehrs auf andere - gleichartige - Straßenzüge bewirkt wurde.
2.3. Schließlich bezogen sich die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes auf den Inhalt der in Prüfung gezogenen Verordnung. Diese Bedenken begründete er wie folgt:
"... Der Verfassungsgerichtshof ist (...) vorläufig der Ansicht, daß die Verordnung aufgrund ihrer Ausnahmebestimmungen für Lastkraftwagen mit Standorten in den Bezirken Kitzbühel oder Lienz, im Lichte des verfassungsgesetzlichen Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art7 Abs1 B-VG gesetzwidrig gewesen sein dürfte.
a) Die Fahrten jener Lastkraftwagen, deren Standort in den Bezirken Lienz oder Kitzbühel liegt, waren vom Fahrverbot generell ausgenommen, während Fahrten von Lastkraftwagen, deren Standort beispielsweise im Bezirk Zell am See (z.B. in Mittersill) liegt, davon nicht ausgenommen waren, sondern insofern schlechter gestellt waren, als sie erst den umständlicheren Weg über ein Verwaltungsverfahren zur Erlangung einer Ausnahmegenehmigung beschreiten hätten müssen, um die Strecke befahren zu dürfen. Hiefür ist vorläufig keine sachliche Rechtfertigung erkennbar.
Dieses Bedenken dürfte - so nimmt der Verfassungsgerichtshof vorläufig an - auch nicht dadurch entkräftet sein, daß - wie einem 'Für die Landesregierung' gefertigten Schreiben an den Bezirkshauptmann zu entnehmen ist - 'der Landeshauptmann (...) bezüglich der Erteilung von Ausnahmebewilligungen vom verordneten Fahrverbot für LKW über 7,5t auf der B 161 den Auftrag erteilt (hat), 'die Umgebung Mittersill (Oberpinzgau), das heißt also das Gebiet westlich von Mittersill und ein Teil der Strecke zwischen Mittersill und Zell am See (...) zu definieren und den dort zugelassenen Lastkraftwagen für 3 Monate die Möglichkeit zu bieten, eine Ausnahmegenehmigung für das betreffende Fahrverbot zu erhalten''.
Die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen dürfte einer generellen Ausnahme, wie sie im Hinblick auf die Bezirke Lienz und Kitzbühel schon aufgrund des Verordnungstextes vorgesehen war, keineswegs gleichzustellen sein und dürfte nicht geeignet sein, eine allfällige Gleichheitswidrigkeit des Verordnungsinhaltes zu sanieren.
b) Schließlich scheinen im vorliegenden Fall auch die bereits im Erkenntnis VfSlg. 13482/1993 hinsichtlich 'standortbezogener' Ausnahmen von Fahrverboten geäußerten gleichheitsrechtlichen Bedenken zuzutreffen. Im erwähnten Erkenntnis hatte sich der Verfassungsgerichtshof ebenfalls mit einem sektoralen Fahrverbot für LKW mit über 7,5 t höchstzulässigem Gesamtgewicht zu befassen. Die mit diesem Erkenntnis aufgehobene Verordnung hatte ein Fahrverbot für bestimmte LKW auf der Drautal-, der Mölltal- und der Großglockner Straße verfügt. Gleichzeitig sah sie Ausnahmen für Anrainer- und Zustellverkehr vor, sowie für Fahrten mit Lastkraftfahrzeugen, 'die in den Bezirken Spittal an der Drau, Lienz und Hermagor ihren Standort haben'. Diese - zusätzlich zum Anrainer- und Zustellverkehr normierten - 'standortbezogenen' Ausnahmen sah der Verfassungsgerichtshof als mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar an, weil sie 'eine durch nichts zu rechtfertigende Diskriminierung jener Frächter (bewirkten), die in anderen Teilen des Bundesgebietes ihren Standort haben'. Er hat weiters ausgeführt, daß es zwar zweifellos von der Sache her gerechtfertigt sei, daß der Anrainer- und Zustellverkehr in den vom Fahrverbot betroffenen Bezirken ausgenommen wird; zusätzlich aber auch Lastkraftfahrzeuge mit Standort in bestimmten Bezirken von der Geltung der Fahrverbotsverordnung auszunehmen, bedeutet, daß diese die Strecke auch für den Transitverkehr benützen dürfen, während dies Fahrzeugen mit einem anderen Standort verwehrt ist (vgl. auch VfSlg. 13892/1994 und 15643/1999).
c) Unbeschadet der bisher angeführten Bedenken scheint die Verordnung aus einer weiteren gleichheitsrechtlichen Erwägung nicht im Einklang mit ihrer gesetzlichen Grundlage zu stehen. Die in der Verordnung vorgesehenen Ausnahmen vom Fahrverbot gehen offenbar von dem Gedanken aus, daß jene LKW-Lenker, die die B 161 Paß Thurn Bundesstraße als Transitroute bei großräumig angelegten Fahrten verwenden, den durch das Fahrverbot bedingten Umweg verhältnismäßig leichter in Kauf nehmen können, als solche Fahrer, die aus der unmittelbaren Umgebung kommen und die Straße zum Nahverkehr benützen. Für letztere würde ein Umweg offenbar einen unverhältnismäßigen Nachteil darstellen. Selbst wenn dieser Gedanke eine Rechtfertigung für die 'standortbezogenen' Ausnahmen vom Fahrverbot bilden könnte, scheint nicht verständlich, warum Fahrten mit jenen LKW, deren Standort sich im Bezirk Zell am See - somit viel näher an dem betroffenen Straßenteil - befindet, als ein LKW mit Standort im Bezirk Lienz, nicht in gleicher Weise von der Ausnahme begünstigt werden. Auch für diese Ungleichheit dürfte keine in den tatsächlichen Verhältnissen liegende sachliche Rechtfertigung gegeben sein."
3.1. Die Tiroler Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie ausführte, daß
"durch die Sperre des Tauerntunnels und die Empfehlung der Salzburger Landesregierung, die Paß Thurn Bundesstraße bzw. die Felbertauernstraße als Ausweichrouten zu verwenden, unter gleichzeitiger Aufhebung sämtlicher LKW-Beschränkungen auf den auf Salzburger Gebiet liegenden Zulaufstrecken ohne Ermittlungsverfahren, tatsächlich eine Notsituation entstanden ist, die ein rasches Handeln der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel erforderte, um ein Überrollen der im Bereich der B 161 auf Tiroler Gebiet liegenden Gemeinden vor allem durch LKW und eine weitere Zunahme der ohnehin starken Belastung der Bevölkerung an dieser Route hintanzuhalten und die Durchführung einer bereits im Raum stehenden Straßenblockade durch aufgebrachte Bürger zu verhindern. Es bestand somit Gefahr im Verzug, was von der Natur der Sache her nicht die Durchführung langer, ausführlicher Ermittlungsverfahren zuläßt. Das Vorliegen von Gefahr im Verzug hätte sogar ein Absehen von der Anhörung nach §94f StVO 1960 gerechtfertigt. Dennoch erfolgte eine Anhörung, allerdings mit entsprechend kurzen Fristen".
3.2. Die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel erstattete eine Äußerung, in der sie zur Frage der Erforderlichkeit der in Prüfung gezogenen Verkehrsbeschränkung folgendes Vorbringen erstattete:
"Am 29. Mai 1999 passierte im Tauerntunnel in Salzburg der folgenschwere Verkehrsunfall, worauf in der Folge durch die entstandenen Brandschäden am Tunnel eine zumindest 3-Monatige Sperre verfügt wurde.
Die Bezirkshauptmannschaft Zell am See hob daraufhin - ohne vorherige Information der betroffenen Bezirkshauptmannschaften Kitzbühel und Lienz sämtliche Verkehrsbeschränkungen für den Schwerverkehr im Raum Pinzgau - für die Dauer der Tauernsperre auf.
Bis zu diesem Zeitpunkt bestand auf der Paß Thurn Bundesstraße B 161 ein Fahrverbot von Mittersill, Straßenkilometer 0,000 bis Paß Thurn, Straßenkilometer 10,000 (Landesgrenze Salzburg/Tirol). (...)
Weiters wurde seitens der Bezirkshauptmannschaft Zell am See ein Umleitungsschild für den Schwerverkehr Richtung Paß Thurn in Mittersill aufgestellt.
(...)
Auf der B 161 Paß Thurn Bundesstraße (wurde) zu diesem Zeitpunkt an 3 Baustellen gearbeitet und mußte aufgrund der Zunahme des Verkehrs eine Baustelle eingestellt werden.
Durch die Aufhebung der Verkehrsbeschränkungen für den Schwerverkehr im Bezirk Zell am See kam es zu einem Ansteigen des Verkehrs auf der B 161 Paß Thurn Bundesstraße - nicht nur des Schwerverkehrs, sondern in der Folge auch des PKW-Verkehrs. Es bestand für den Transitverkehr sehr wohl die Möglichkeit, die höherrangige B 311 Pinzgauer Bundesstraße, wie auch die B 312 (nunmehr B 178) Loferer Bundesstraße als Ausweichroute zu verwenden, da die B 161 Paß Thurn Bundesstraße aufgrund ihrer baulichen Ausgestaltung nicht für den Transitverkehr geeignet war und ist (kurvenreiche Strecke, Ortsdurchfahrten, Fahrbahnbreite in Jochberg 6,00 m, Verkehrsinseln, Kreisverkehr, Steigungen und dergleichen).
Bedingt durch den bevorstehenden Ferienbeginn war schon ein vermehrtes Verkehrsaufkommen prognostiziert worden und wäre es ohne die verfügte Sperre ohne Zweifel zu einem Verkehrschaos mit kilometerlangen Staus auf dieser Straße gekommen. Dies ist deshalb von Bedeutung, da es in den vergangenen Jahren durch den Urlauberverkehr schon des öfteren zu Staus im Großraum Kitzbühel gekommen war und mit einem dramatischen Ansteigen des Fahrzeugverkehrs (PKW und LKW) aufgrund der Tauernsperre gekommen ist.
Auch die Tennis-Veranstaltung 'Generali-Open' im Juli 1999 bedingte bereits eine Vermehrung des Verkehrs, da das Veranstaltungsgelände direkt an der B 161 Paß Thurn Bundesstraße liegt und ein großes Zuschauerinteresse (ca. 80.000 Zuschauer in 8 Tagen) zu verzeichnen war.
Der Gleichheitsgrundsatz erscheint nach Ansicht der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel unter Hinweis auf die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes vom 20.06.1995, B166/94 (und andere) (= VfSlg. 14169/1995, Anm.) ebenfalls nicht beeinträchtigt zu sein
...".
Der Äußerung ist das Ergebnis einer Verkehrszählung beigelegt, aus der sich ergibt, daß der Verkehr mit LKW-ähnlichen Fahzeugen (LKW, Busse, PKW mit Anhänger uä.) 1999 im Vergleich zum Vorjahr bei Mittersill um 24,1 % und im Felbertauerntunnel um 25 % angestiegen ist.
3.3. Aus einem Aktenvermerk im Verordnungsakt ergibt sich, daß der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel am 2. Juni 1999 von der Gendarmerie ein Ansteigen des LKW-Verkehrs auf der Paß-Thurn Bundesstraße gemeldet wurde. Weiters wird darin das Bestehen von mehreren Baustellen auf der B 161 Paß Thurn Bundesstraße festgestellt.
3.4. Der Beschwerdeführer in dem zu B1689/00 protokollierten Verfahren hat eine Stellungnahme abgegeben, in der er sich den vom Verfassungsgerichtshof erhobenen Bedenken anschließt und im wesentlichen die Position vertritt, daß zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung keine "Gefahr im Verzuge" im Sinne des §94f StVO 1960 bestanden habe, und daß die Verkehrsbeschränkung gesetzlich nicht gedeckt gewesen sei.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Da die Beschwerdeführer der zu B699/00 und B1689/00 protokollierten - zulässigen - Beschwerden gemäß Art144 B-VG wegen Übertretung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 10. Juni 1999, Z4a-1100/1, bestraft wurden, und dabei im Bescheid der belangten Behörde sowohl der Grundtatbestand (§1 der Verordnung) als auch die Ausnahmen (als negative Tatbestandsmerkmale) angewendet wurden, ist die genannte Verordnung in jenen Beschwerdefällen präjudiziell. Weil weiters auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 Abs1 B-VG zulässig.
2.1. Zu den in Punkt I.2.1. wiedergegebenen Bedenken:
Gemäß §94f StVO 1960 hat die Bezirksverwaltungsbehörde vor Erlassung eines Verkehrsverbotes - außer bei Gefahr im Verzuge - ein Anhörungsverfahren durchzuführen, in dem ua. die betroffene Gemeinde und gegebenenfalls die örtlich zuständige Bundespolizeibehörde sowie die gesetzlichen Interessenvertretungen von Berufsgruppen, deren Interessen durch die Verordnung berührt werden, anzuhören sind.
Wie sich aus den Äußerungen der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel im Verordnungsprüfungsverfahren und aus dem Verordnungsakt ergibt, wurde die in Prüfung gezogene Verordnung erlassen, um den Auswirkungen der durch den Brand im Tauerntunnel am 29. Mai 1999 bedingten Sperre der A 10 Tauernautobahn zu begegnen. Vor dem Unfall im Tauerntunnel bestand auf der B 161 Paß Thurn Bundesstraße ein (von der Bezirkshauptmannschaft Zell am See erlassenes) Fahrverbot für LKW über 7,5 t höchstzulässigem Gesamtgewicht. Unmittelbar nach dem Unfall im Tauerntunnel wurden von der Bezirkshauptmannschaft Zell am See die LKW-Fahrverbote auf mehreren Straßenstrecken (darunter auch am Paß Thurn) aufgehoben, um dem LKW-Verkehr, der aufgrund der Sperre des Tauerntunnels die A 10 Tauernautobahn nicht mehr benützen konnte, das Ausweichen zu ermöglichen.
Diese Umstände ließen nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes die Annahme der verordnungserlassenden Behörde zu, daß der Verkehr mit LKW auf den betroffenen Strecken (hier der Paß Thurn Bundesstraße) innerhalb kurzer Zeit von einem relativ geringen Ausmaß (aufgrund des zuvor bestehenden Fahrverbotes waren LKW-Fahrten am Paß Thurn nur in Ausnahmefällen möglich) auf ein hohes Ausmaß anwachsen könne. Diese Annahme findet ihre Bestätigung in den von der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vorgelegten Ergebnissen einer Verkehrszählung, wonach im Jahr 1999 der durchschnittliche tägliche Verkehr mit "LKW-ähnlichen" Fahrzeugen auf der Bundesstraße B 161 in Mittersill einen Spitzenwert von 592 erreichte (das bedeutete einen Zuwachs von 24,1 % im Vergleich zum Vorjahr), während dieser Wert in den Jahren 1996, 1997, 1998 und 2000 zwischen 438 und 491 lag.
Der Verfassungsgerichtshof erblickt unter diesen Begleitumständen - ergab sich doch aus dem Unfall im Tauerntunnel die Notwendigkeit, binnen kurzer Zeit auf eine plötzliche und unvorhergesehene Änderung der Verkehrsverhältnisse zu reagieren - in der Vorgangsweise der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel keinen Verstoß gegen die Anhörungsvorschrift des §94f StVO 1960, zumal die verordnungserlassende Behörde nach dieser Bestimmung bei Gefahr im Verzuge von einem Anhörungsverfahren ganz absehen kann.
Damit hat sich das im Einleitungsbeschluß vorläufig geäußerte Bedenken, die gesamte Verordnung sei gesetzwidrig, weil das Ermittlungsverfahren mangelhaft durchgeführt worden sei, als unzutreffend herausgestellt.
2.2. Auch die im Einleitungsbeschluß vorläufig dahingehend geäußerten Zweifel, ob die betroffene Straße im Hinblick auf die zu vermeidenden Gefahren oder Belästigungen Besonderheiten im Vergleich zu jenen Eigenschaften aufweist, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen (oben Pkt. I.2.2.), haben sich im Verordnungsprüfungsverfahren zerstreut.
2.3. Wie sich nämlich im Verfahren ergeben hat, bestanden zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung auf der B 161 am Paß Thurn Baustellen. Die Annahme, daß der betroffene Straßenteil zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung gerade beim LKW-Verkehr einem besonderen Anstieg im Verkehrsaufkommen ausgesetzt sein würde, erscheint aus der Überlegung gerechtfertigt, daß das bis zu diesem Zeitpunkt (unter anderem) am Paß Thurn bestehende LKW-Fahrverbot von der Bezirkshauptmannschaft Zell am See aufgehoben wurde. Das im Verfahren vorgelegte Zahlenmaterial belegt zudem einen Anstieg des (LKW-)Verkehrsaufkommens auf der B 161. Dies - in Kombination mit der aufgrund der Baustellen im Bereich der B 161 bestehenden besonderen Verkehrssituation - läßt die in Prüfung gezogene Beschränkung des LKW-Verkehrs über den Paß Thurn als erforderlich im Sinne des §43 Abs1 StVO 1960 erscheinen.
2.3.1. Hingegen erweisen sich die im Einleitungsbeschluß angestellten gleichheitsrechtlichen Erwägungen (wiedergegeben oben unter Punkt I.2.3.) als zutreffend.
Die Verordnung enthält ua. folgende Ausnahmetatbestände:
"e) Fahrten mit Fahrzeugen, die in den Bezirken Kitzbühel und Lienz ihren dauernden Standort haben;
f) Fahrten, die ausschließlich dem Zweck der Be- und Entladung von Fahrzeugen in den Gemeinden der in lite genannten Bezirke dienen;"
Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 13482/1993 ausgesprochen, daß es zwar von der Sache her zweifellos gerechtfertigt sein kann, den "Anrainer- und Zustellverkehr" in den von einem Fahrverbot betroffenen Bereichen auszunehmen. Zusätzlich aber davon Lastkraftfahrzeuge mit Standort in diesen Bereichen auszunehmen und gleichzeitig andere Lastkraftfahrzeuge mit anderen Standorten nicht, sei sachlich nicht zu rechtfertigen. Diese Ansicht hat er in VfSlg. 13892/1994 und in VfSlg. 15643/1999 bestätigt.
Die gleiche Überlegung gilt aber für die vorliegende Verordnung: Es ist keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennbar, zusätzlich zur Ausnahme für das Be- und Entladen von Fahrzeugen in bestimmten - vom Fahrverbot betroffenen - Gebieten von der Geltung der Fahrverbotsverordnung auch jene Fahrzeuge auszunehmen, die ihren Standort in bestimmten Gebieten, nämlich in den Bezirken Kitzbühel und Lienz, haben (§2 lite der Verordnung). Dies läuft nämlich darauf hinaus, daß jene Fahrzeuge die betroffene Strecke für den Transitverkehr benützen dürfen, der Lastkraftwagen mit einem anderen Standort (zB. Mittersill) verwehrt ist (vgl. VfSlg. 13482/1993).
Das von der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel ins Treffen geführte Erkenntnis VfSlg. 14169/1995 steht dem nicht entgegen. Die den Gegenstand jenes Erkenntnisses bildende Verordnung sah nämlich - wie der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich hervorhob - gerade keine lediglich an einen bestimmten Standort geknüpfte Ausnahmebestimmungen vor, sondern standortunabhängige Ausnahmen für das "Be- und Entladen".
In Bezug auf diese standortunabhängigen Ausnahmen sprach der Verfassungsgerichtshof jedoch folgendes aus (siehe Pkt. III.3.4. des zitierten Erkentnisses):
"Diese vom Standpunkt des Gleichheitssatzes aus betrachtet zulässige, weil sachlich gerechtfertigte, ja mit Rücksicht auf die 'Verkehrsbeziehungen und ... Verkehrserfordernisse' gemäß §43 Abs2 StVO 1960 unter Umständen sogar gebotene Ausnahme des Ziel- und Quellverkehrs im - weiteren - Bereich der B 312 Loferer Straße vom dort geltenden sektoralen Fahrverbot bedeutet daher gerade keinen 'Gebietsschutz' für bestimmte Frächter."
Die in lite) der Verordnung enthaltene Ausnahme erweist sich daher im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes als gesetzwidrig.
2.3.2. Die genannten Ausnahmebestimmungen (§2 lite und §2 litf) erweisen sich aber auch aus einem weiteren Grund als im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz stehend. Mit diesen Ausnahmeregelungen wird nämlich eine in sich unsachlich differenzierende Regelung vorgenommen. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Einleitungsbeschluß unter Punkt II.2.3.c) dargelegten Auffassung: Es ist - insbesondere bei der gebotenen "Bedachtnahme auf die Verkehrsbeziehungen" (§43 Abs2 letzer Satz StVO 1960) - keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich, daß mit den Ausnahmebestimmungen in lite der Verordnung die Fahrten von LKW im politischen Bezirk Kitzbühel - der dem Fahrverbot geographisch am nächsten liegt - begünstigt werden, sowie zusätzlich auch jene aus dem (entfernter gelegenen) Bezirk Lienz, wohingegen jene aus dem Bezirk Zell am See, - obwohl dieser dem Fahrverbotsbereich näher liegt als das Gebiet des Bezirks Lienz, davon nicht begünstigt werden.
Auch der bloße Umstand, daß bestimmte Fahrzeuge ihren dauernden Standort außerhalb des Bundeslandes Tirol haben, bietet per se keine sachliche Rechtfertigung dafür, Fahrten mit diesen Fahrzeugen nicht in gleicher Weise vom Anwendungsbereich des Fahrverbotes auszunehmen, wie Fahrten mit Fahrzeugen mit Standort in Tirol (hier: im Gebiet der Bezirke Lienz und Kitzbühel).
Die Ausnahme in lite erweist sich daher auch unter diesem Aspekt als gesetzwidrig.
Die aufgezeigte Gleichheitswidrigkeit ist aber auch auf die Ausnahme in §2 litf sinngemäß übertragbar. Aufgrund der in litf enthaltenen Verweisung auf lite wird nämlich auch das Be- und Entladen im Bezirk Zell am See gegenüber dem Be- und Entladen im Bezirk Lienz unsachlich benachteiligt, obwohl der Bezirk Zell am See - im Gegensatz zum Bezirk Lienz - in örtlicher Nähe zu der vom Fahrverbot erfaßten Strecke liegt. Zugleich ist damit eine unsachliche Differenzierung zwischen dem Be- und Entladen im Bezirk Zell am See und im Bezirk Kitzbühel gegeben, weil diese beiden Bezirke von einem LKW-Fahrverbot am Paß Thurn in gleichem Maße betroffen sind, zumal die betroffene Straßenstrecke (als Verbindungsstraße) an der Grenze zwischen diesen zwei Bezirken liegt.
Der Verfassungsgerichtshof geht bei Bestimmung des Umfangs einer als verfassungswidrig (gesetzwidrig) aufzuhebenden Rechtsvorschrift stets vom Grundgedanken aus, daß ein Normprüfungsverfahren dazu führen soll, eine festgestellte Verfassungswidrigkeit (Gesetzwidrigkeit) zu beseitigen, daß aber der nach Aufhebung verbleibende Teil des Gesetzes (der Verordnung) möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist, daß also keine oder möglichst wenige Regelungen aufgehoben werden sollen, gegen die sich die Bedenken nicht richten (VfSlg. 8461/1978 mwH).
Die Vorschriften der litf und lite stehen in einem untrennbaren Zusammenhang (litf erhält erst aufgrund der Verweisung auf lite einen Sinn). Der Sitz der Gesetzwidrigkeit ist daher in den beiden Ausnahmebestimmungen der lite und f zu erblicken, nicht aber im - ebenfalls präjudiziellen - Grundtatbestand, weil die Beseitigung der Ausnahmebestimmungen, verglichen mit einer Beseitigung des Grundtatbestandes, den zur Herbeiführung eines gesetzmäßigen Zustandes verhältnismäßig geringeren - zur Rechtsbereinigung notwendigen - Eingriff in die vom Verordnungsgeber geschaffene Rechtslage darstellt.
Da die in Prüfung gezogene Verordnung nicht mehr in Kraft ist, weil sie mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 17. August 1999, Z4a-110/2, mit Wirksamkeit vom 30. August 1999 aufgehoben wurde, hat sich der Verfassungsgerichtshof auf den Ausspruch zu beschränken, daß die Verordnung in diesen Punkten gesetzwidrig war.
Es war daher hinsichtlich lite und litf mit der Feststellung der Gesetzwidrigkeit vorzugehen, im übrigen aber festzustellen, daß die in Prüfung gezogene Verordnung nicht gesetzwidrig war.
Die Verpflichtung zur Kundmachung dieser Feststellung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.
Dies konnte vom Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
Schlagworte
Verordnung, Ausnahmeregelung - Regel, Straßenpolizei, Fahrverbot, Verordnungserlassung, Anhörungsrecht, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:V69.2001Dokumentnummer
JFT_09979698_01V00069_00