TE Vwgh Erkenntnis 2006/5/23 2003/11/0077

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Veröffentlicht am 23.05.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §73 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des R in L, vertreten durch Dr. Josef Lechner und Dr. Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in 4400 Steyr, Grünmarkt 8, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 17. Februar 2003, Zl. VerkR-393.087/3-2002-Vie/Hu, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Vorstellungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land vom 6. April 1998 wurde die Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers für die Dauer von vier Monaten, gerechnet ab der Zustellung des Mandatsbescheides am 29. November 1996, gemäß den §§ 66 und 74 Abs. 1 KFG 1967 vorübergehend entzogen. Gleichzeitig wurde gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, dass dem Beschwerdeführer für die Dauer von vier Monaten, gerechnet ab dem 29. November 1996, keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

In der Begründung verwies die Erstbehörde darauf, dass der Beschwerdeführer am 19. Oktober 1996 um ca. 6.55 Uhr auf einer näher genannten Bundesstraße ein Kraftfahrzeug gelenkt und dabei ein Verhalten im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 gesetzt habe, das zu einem Verkehrsunfall mit einer die Straße überquerenden 15-jährigen Schülerin geführt habe, die dabei schwer verletzt worden sei. In der Vorstellung habe der Beschwerdeführer das ihm vorgeworfene besonders rücksichtslose Verhalten bestritten und ausgeführt, dass die gegenständliche Bundesstraße, auf der er zunächst mit 100 km/h unterwegs gewesen sei, geradlinig und weithin übersichtlich sei und eine Fahrbahnbreite von zumindest 7 m aufweise. Im Unfallbereich habe der Beschwerdeführer nach seinen Angaben auf Grund des Gegenverkehrs abgeblendet und seine Ausgangsgeschwindigkeit verringert, wobei er zunächst nicht habe wahrnehmen können, dass mehrere Kinder hinter dem ihm entgegenkommenden Pkw von links kommend über die Straße gelaufen seien. Als sich die Kinder aus dem Sichtschatten des entgegenkommenden Fahrzeuges bewegt hätten, seien sie bereits im Bereich der Fahrbahnmitte gewesen. Der Beschwerdeführer habe daher nach seinen Angaben das Kraftfahrzeug nach links verrissen, um eine Frontalkollision mit den Kindern zu vermeiden, habe dabei eine Schülerin am rechten Bein gestreift und sei dann von der Fahrbahn abgekommen und in einem angrenzenden Garten zum Stillstand gekommen. In der am Unfallstag aufgenommenen Niederschrift habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er erst nach dem Verkehrsunfall eine Vollbremsung eingeleitet hätte.

In Anbetracht der Verwendung von Abblendlicht und der dabei gegebenen Sichtweite hätte der Beschwerdeführer, so die Erstbehörde in der Begründung ihres Bescheides weiter, eine Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h nicht überschreiten dürfen. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten sei der Beschwerdeführer aber mit einer Geschwindigkeit von zumindest 88 km/h gefahren. Berücksichtige man weiters die örtlichen Gegebenheiten - Siedlungshäuser und eine Haltestelle (die nach den Feststellungen der Erstbehörde eine "längere" Gehstrecke vom Unfallbereich entfernt lag) - und den Umstand, dass der Beschwerdeführer als Ortskundiger habe wissen müssen, dass dieser Bereich zum Unfallzeitpunkt von Kindern auf dem Weg zur nächsten Haltestelle gequert werde, so stelle eine Fahrgeschwindigkeit von 88 km/h bei Verwendung von Abblendlicht an dieser Stelle eine besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber Fußgängern dar. Dies gelte umso mehr, weil der Beschwerdeführer beim Ansichtigwerden der Fußgänger "nicht einmal ... den Versuch einer Abwehrhandlung" unternommen habe, zumal er die Fahrgeschwindigkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht reduziert habe. Dass der Beschwerdeführer "schuldhaft" gehandelt habe, sei auch im gerichtlichen Verfahren bestätigt worden (nach dem Verwaltungsakt, S. 40, wurde der Beschwerdeführer zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt).

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. Februar 2003 keine Folge. In der Begründung verwies sie auf die Ausführungen der Erstbehörde im Bescheid vom 6. April 1998 und auf das eingeholte Ergänzungsgutachten, das die Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers von 88 km/h im Unfallzeitpunkt bestätigt habe. Davon ausgehend vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers nicht bloß geringfügig erhöht und sein Verhalten daher "von besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber Fußgängern geprägt" gewesen sei. Es liege daher nach Ansicht der belangten Behörde eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 vor. Die Verwerflichkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers sei "hoch zu veranschlagen", habe sich doch durch den Unfall vom 19. Oktober 1996 bestätigt, dass solche Verhaltensweisen geeignet seien, die körperliche Integrität der Verkehrsteilnehmer zu gefährden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 41 Abs. 1 FSG war das gegenständliche, bei Inkrafttreten des FSG anhängige Entziehungsverfahren nach den Bestimmungen des KFG 1967 zu Ende zu führen. Zur Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers war die belangte Behörde gemäß § 41 Abs. 1a iVm § 43 Abs. 11 FSG sachlich zuständig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2006, Zl. 2003/11/0025, mwN).

In der Beschwerde bekämpft der Beschwerdeführer die Rechtsansicht, er habe durch sein Verhalten eine Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 verwirklicht und verweist darauf, dass er, nachdem er die die Fahrbahn querenden Fußgänger wahrgenommen habe, ein Ausweichmanöver auf die linke Fahrbahnseite durchgeführt habe, um einen Frontalzusammenstoß zu verhindern. Die belangte Behörde sei daher zu Unrecht davon ausgegangen, der Beschwerdeführer habe nichts unternommen, um eine Kollision zu verhindern. Auch habe er entgegen den Annahmen der belangten Behörde die "Verhältnisse vor Ort" nicht gekannt und nicht damit rechnen müssen, dass Fußgänger an der Unfallstelle die Straße queren. Im Übrigen stelle nicht jeder Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung einen schweren Verstoß gegen Verkehrsvorschriften dar, der zur Entziehung der Lenkerberechtigung führe.

Die Beschwerde ist begründet.

Die Bestimmungen des KFG 1967 idF der Novelle BGBl. I

Nr. 103/1997 lauten auszugsweise:

"§ 66 Verkehrszuverlässigkeit

(1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 2) und ihrer Wertung (Abs. 3) angenommen werden muss, dass sie auf Grund ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen der in Betracht kommenden Gruppe

a) die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

b) sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand

...

f) als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung der maßgebenden Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten u. dgl., auf Schutzwegen oder das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen.

...

(3) Für die Wertung der im Abs. 1 angeführten Tatsachen sind bei strafbaren Handlungen ihre Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend;

...

§ 73. Entziehung der Lenkerberechtigung

(1) Besitzern einer Lenkerberechtigung, die nicht mehr im Sinne des § 66 verkehrszuverlässig, nicht mehr geistig oder körperlich geeignet oder nicht mehr fachlich befähigt sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken, ist die Lenkerberechtigung entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit ganz oder nur hinsichtlich bestimmter Gruppen zu entziehen oder durch Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit einzuschränken; ...

(2) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welche Zeit keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. Diese Zeit ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen und darf bei Personen, die nicht verkehrszuverlässig sind, unbeschadet des Abs. 3 nicht kürzer als drei Monate sein. ...

§ 74. Vorübergehende Entziehung

der Lenkerberechtigung und Androhung der Entziehung

(1) Die Lenkerberechtigung ist vorübergehend zu entziehen, wenn ihr Besitzer nicht mehr im Sinne des § 66 verkehrszuverlässig, nicht mehr geistig oder körperlich geeignet oder nicht mehr fachlich befähigt ist, ein Kraftfahrzeug zu lenken, und anzunehmen ist, dass nach Ablauf von nicht mehr als 18 Monaten die Gründe für die Entziehung nicht mehr gegeben sind. Hiebei finden die Bestimmungen des § 73 sinngemäß Anwendung.

(2) .."

Als Verhalten, durch das der Beschwerdeführer eine Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 verwirklicht habe, beurteilte die belangte Behörde, indem sie auf die Begründung des Erstbescheides verwies, einerseits den Umstand, dass der Beschwerdeführer am frühen Morgen des 19. Oktober 1996 ein Kraftfahrzeug mit Abblendlicht mit einer Geschwindigkeit von 88 km/h auf einer Bundesstraße in der Umgebung von Siedlungshäusern und einer Haltestelle gelenkt hat. Andererseits habe der Beschwerdeführer ein besonders rücksichtsloses Verhalten im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 gegenüber Fußgängern deshalb an den Tag gelegt, weil er, als er diese auf der Fahrbahn wahrgenommen habe, "nicht einmal ... den Versuch einer Abwehrhandlung" gesetzt habe, zumal er eine Vollbremsung erst nach dem Unfall eingeleitet habe.

Mit dem zweitgenannten Argument übergeht die belangte Behörde, wie der Beschwerdeführer zutreffend einwendet, dass er in der Vorstellung vorgebracht hat, er habe die vom linken Fahrbahnrand kommenden Schüler erst bemerkt, als diese hinter dem ihm entgegenkommenden Fahrzeug aus dessen Sichtschatten getreten seien. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich die Schüler bereits in der Fahrbahnmitte befunden und seien weiter in Richtung des gegenüberliegenden Fahrbahnrandes gelaufen, weshalb der Beschwerdeführer, um nicht frontal gegen die Kinder zu stoßen, seinen Pkw nach links verrissen habe. Diese Behauptungen wurden im angefochtenen Bescheid nicht widerlegt. Die belangte Behörde durfte daher vor dem Hintergrund des vom Beschwerdeführer dargestellten Ausweichmanövers nicht davon ausgehen, dieser habe keine Maßnahmen zur Verhinderung des Unfalls gesetzt und deshalb besonders rücksichtslos gegen Verkehrsvorschriften verstoßen.

Aber auch die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe das Kraftfahrzeug mit 88 km/h gelenkt und durch das Überschreiten der bei Verwendung des Abblendlichts erlaubten Höchstgeschwindigkeit ein Verhalten gesetzt, das geeignet sei, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, vermag den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen. Es kann dahingestellt bleiben, ob, was die Beschwerde bestreitet, die festgestellte Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers auf einem schlüssigen Gutachten beruht. Der Gesetzgeber hat nämlich im zweiten Satz des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 demonstrativ aufgezählt, welches Verhalten geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse im Sinne dieser Bestimmung herbeizuführen. Das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit ist nur dann als ein solches Verhalten anzusehen, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung erstens erheblich war und zweitens an einem besonders gefährlichen Ort - der Gesetzgeber nennt in diesem Zusammenhang Schulen, Kindergärten, Schutzwege u.dgl. - erfolgte.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ist der Beschwerdeführer mit seinem Kraftfahrzeug auf einer Bundesstraße mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren, weil diese bei Dämmerung und Verwendung von Abblendlicht im Freiland zumindest 88 km/h betrug. Dass sich in der Nähe der Unfallstelle Siedlungshäuser befinden (auf dem im Akt, Seite 11, erliegenden Foto ist angrenzend an die Bundesstraße neben Wiesen auch ein Einfamilienhaus zu sehen) reicht jedenfalls für eine Subsumtion des Verhaltens des Beschwerdeführers unter § 66 Abs. 2 lit. f KFG nicht aus. Dasselbe gilt für die im Erstbescheid genannte Haltestelle schon deshalb, weil diese nach den Feststellungen im Erstbescheid eine "längere Strecke" vom Unfallort entfernt liegt.

Schließlich lässt sich die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe im Sinn des § 66 Abs. 2 lit. f KFG besonders rücksichtslos gehandelt oder besonders gefährliche Verhältnisse herbeigeführt, auch nicht damit begründen, dass dem Beschwerdeführer im gerichtlichen Verfahren ein "schuldhaftes" Verhalten nachgewiesen wurde oder dass sein Verhalten einen Verkehrsunfall zur Folge hatte (vgl. zum letztgenannten Umstand die bei Grundtner, Das Kraftfahrgesetz 1967, 5. Auflage, unter E 84 zu § 66 Abs. 2 KFG zitierte Judikatur).

Da die belangte Behörde nach dem Gesagten das Verhalten des Beschwerdeführers unzutreffend als bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 KFG 1967 beurteilt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die begehrte Umsatzsteuer bereits in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung enthalten ist.

Wien, am 23. Mai 2006

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003110077.X00

Im RIS seit

26.06.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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