Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des Y in K, vertreten durch Huainigg, Dellacher und Partner, Rechtsanwälte OEG in 9020 Klagenfurt, Dr. Franz Palla Gasse 21, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 29. Jänner 2003, Zl. KUVS-1232/10/2002, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 1. Juli 2002 kam es im Grenzkontrollbereich Loibltunnel zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und Gendarmeriebeamten der Grenzkontrolle. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurde der Beschwerdeführer festgenommen und es wurden ihm Handschellen angelegt. In seiner an den Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten (die belangte Behörde) unter Berufung auf § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG gerichteten Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, dass ihm von einer österreichischen Grenzbeamtin und einem österreichischem Grenzbeamten erlaubt worden sei, im Grenzkontrollbereich auf der österreichischen Seite des Loibltunnels aus Slowenien durch den Tunnel gekommene Verwandte zu treffen, die jedoch keine Absicht gehabt hätten, nach Österreich einzureisen. Dennoch seien die Reisepässe seiner Verwandten von einem dritten Beamten kopiert, mit einem großen Kreuz versehen und mit einem rechteckigen Zurückweisungsstempel versehen worden. Der Beschwerdeführer habe den einschreitenden Beamten vorgehalten, es sei ihm unverständlich, weshalb eine Zurückweisung erfolgt sei. Darauf sei ein Beamter auf den Beschwerdeführer zugekommen und habe gesagt "Ruhe, Ruhe", habe ihn mit der Hand am Hals erfasst und ihn zurückgedrückt, sodass der Beschwerdeführer infolge der Anwendung von Gewalt ruhig gestellt worden sei. Ein dickerer Beamter habe dem Beschwerdeführer befohlen, sich umzudrehen, zur Wand zu stellen und die Hände auf den Rücken zu geben. Danach seien diese mit Handschellen gefesselt worden. Der Beschwerdeführer habe gesagt, er werde diesen Vorfall anzeigen, worauf ihm auf den Rücken geschlagen worden sei. Danach sei der Beschwerdeführer zu Boden gedrückt worden, er habe um Hilfe gerufen, sei aber von dem Beamten in einen Raum gezerrt worden und habe dort sitzen bleiben müssen. Nach einiger Zeit habe der Beschwerdeführer Schmerzen an seinen Handgelenken verspürt, als er dies den Beamten mitgeteilt habe, hätten sie die Handschellen geöffnet. Das Zubodendrücken habe zur Folge gehabt, dass ein behandelter Bandscheibenvorfall beim Beschwerdeführer wieder akut geworden sei, sodass er als Folge des Übergriffes an Rückenschmerzen leide. Die Verletzungen seien im allgemeinen Unfallkrankenhaus Klagenfurt dokumentiert.
Es seien keinerlei Gründe vorgelegen, gegen den Beschwerdeführer durch Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorzugehen, insbesondere sei es nicht notwendig gewesen, ihm Handschellen anzulegen und ihn an seinem Körper zu verletzen, weshalb der Beschwerdeführer beantrage, den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären. Der Beschwerdeführer beantragte - unter Bekanntgabe der Adressen - die Einvernahme von drei in Slowenien wohnhaften Zeugen sowie einer in Klagenfurt wohnhaften Zeugin sowie seine eigene Einvernahme.
Die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt legte der belangten Behörde eine Stellungnahme der Bundesgendarmeriegrenzkontrollstelle Loibltunnel vom 3. September 2002 vor und begehrte Vorlage- und Schriftsatzaufwand.
Die belangte Behörde führte am 4. November 2002 und am 13. Dezember 2002 öffentliche mündliche Verhandlungen durch, in welcher fünf Gendarmeriebeamte sowie ein Facharzt für Orthopädie, welchen der Beschwerdeführer nach dem Vorfall aufgesucht hatte, als Zeugen einvernommen wurden. Die vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen wurden weder geladen noch einvernommen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die an sie gerichtete Beschwerde gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG i. V.m. § 67a Abs. 1 Z. 2 und § 67c AVG als unbegründet ab und stellte fest, dass der Beschwerdeführer wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Beamte des "Bezirksgendarmeriekommandos Klagenfurt, Landesgendarmerie" am 1. Juli 2002 nicht in Rechten verletzt worden sei.
Nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe der Stellungnahme der Bundesgendarmeriegrenzkontrollstelle Loibltunnel traf die belangte Behörde im Wesentlichen folgende Sachverhaltsfeststellungen:
"Da sich keine der nach Österreich eingereisten Personen einer Einreisekontrolle unterzog, verließ der ebenfalls mit der Ausreisekontrolle beschäftigt gewesene Insp. S die Zollkabine und rief dem Beschwerdeführer zu, er möge die Reisepässe der drei soeben eingereisten Personen chinesischer Abstammung sowie den Führerschein des Fahrzeuglenkers aushändigen. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung nach. Insp. S stellte fest, dass die drei eingereisten Personen über einen Aufenthaltstitel für Slowenien, nicht aber über ein für die Einreise nach Österreich erforderliches gültiges 'Schengen-Visum' verfügten. Aus diesem Grund beabsichtigte er, die Zurückweisung dieser Personen zu veranlassen und wollte die Reisedokumente im Zollgebäude kopieren und die entsprechenden Daten aufnehmen. Nach dem Kopiervorgang im Zollamtsgebäude ging Insp. S in Richtung zur Einreisekabine, um die dort aufliegenden Zurückweisungsstempel zu benützen. Dabei folgten ihm sowohl der Beschwerdeführer als auch sein Bruder. Der Beschwerdeführer beabsichtigte mit in die Kabine zu gehen, um den Beamten am Anbringen der Stempel zu hindern. Er schob Insp. S zur Seite und wollte ihm die Reisepässe entreißen. Am Betreten der Kabine wurde er von RI B mit ausgestrecktem Arm gehindert und wurde auch abgemahnt. Als der Beschwerdeführer bemerkte, dass die drei Zurückweisungsstempel angebracht worden waren, wurde er wütend und sprach mit seinem Bruder sehr laut und gestikulierend.
Er schrie: 'Das ist nicht richtig', 'das ist falsch'. Vor der Einreisekabine ereignete sich eine 'Herumstoßerei', im Zuge welcher der Beschwerdeführer RI B am Arm festhielt und u.a. auf Deutsch und Englisch herumschrie und schimpfte. Daraufhin wurde er von RI B aufgefordert, das Schreien einzustellen und ihn auszulassen. Der Beschwerdeführer stand im 'Ausfallsschritt' mit geballten Händen vor RI B und war aggressiv. Unter anderem sagte er: 'Was willst du, ich zeige dich an'. Auch erfasste er Insp. S am Handgelenk. Nachdem sich der Beschwerdeführer kurzfristig beruhigt hatte, wollte Insp. S dem Bruder des Beschwerdeführers die Zurückweisungsgründe erklären. Auch beabsichtigte er, den Bruder des Beschwerdeführers erst bei dessen Fahrzeug die Reisepässe auszuhändigen. Schon zwei Schritte nach Verlassen der Einreisekabine fing der Beschwerdeführer aber wieder zu schreien an und zerrte am rechten Arm von RI B. Daraufhin wurde er abermals abgemahnt, wurde ihm die Verhaftung angedroht und er aufgefordert, das Schreien und den Körperkontakt einzustellen. Da sich der Beschwerdeführer mit geballten Fäusten vor RI B stellte und eine Drohgebärde einnahm, wurde die Festnahme ausgesprochen. Der Beschwerdeführer wehrte sich weiterhin und stellte sein bisheriges Verhalten nicht ein, sondern ging mit geballten Fäusten auf Insp. B zu. Aus diesem Grund wurde er mittels Transportgriffes mit den Schultern an die Wand gedrückt, fixierte RI K den Beschwerdeführer mit einer Hand an der Wand und wurde ihm die Schließspange unter möglichster Schonung seiner Person auf den am Rücken verschränkten Armen angelegt. Insp. B und Insp. W eskortierten den Beschwerdeführer in der Armwinkelsperre zum Dienststellengebäude. ChefInsp. F hob, nachdem der Beschwerdeführer sein aggressives Verhalten eingestellt hatte, die Festnahme auf und entfernte die Handschellen. Der Beschwerdeführer kam weder zu Sturz noch ging er zu Boden. Auch schrie er nicht vor Schmerzen und verwies nicht auf ein Bandscheibenleiden. Er wurde auch nicht auf den Rücken geschlagen.
RI B sprach die Festnahme, weil er sich bedroht fühlte, aus Gründen der Eigensicherung aus und wollte eine Eskalierung der Situation - Widerstand gegen die Staatsgewalt - vermeiden.
Mit dem Beschwerdeführer wurde die Amtshandlung für diesen verständlich in deutscher Sprache geführt."
Die belangte Behörde gab weiter Ausführungen des sachverständigen Zeugen wieder, wonach mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass die Lumboischialgie des Beschwerdeführers vom 2. Juli 2002 nicht durch ein traumatisches Ereignis ausgelöst worden sei.
Zur Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, dass sie im Wesentlichen den Aussagen der einschreitenden Beamten folge. Es ergebe sich kein Hinweis darauf, dass diese den Beschwerdeführer "wahrheitswidrig belasten würden", sowohl im Bericht vom 3. September 2002 als auch bei ihren Zeugenaussagen sei der Vorfall schlüssig und widerspruchsfrei geschildert worden. Auch der von ihnen übereinstimmend geschilderte zeitliche Ablauf des Geschehens sei durchaus logisch. Es widerspreche der Lebenserfahrung, wenn mehrere Beamte eine Abfolge von verschiedenen Amtshandlungen - noch dazu koordiniert - setzten, wenn sich der Beschwerdeführer - wie von ihm im Übrigen weder eindringlich noch über Zeugen behauptet worden sei - höflich und sachlich verhalten hätte. Ein Zusammenhang zwischen dem Anlegen der Schließspangen und dem Eskortieren des Beschwerdeführers in der Armwinkelsperre und dessen auf eine Lumboischialgie zurückzuführenden Schmerzen sei im Hinblick auf die Aussagen des einvernommenen Facharztes für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie zu verneinen.
Da der Beschwerdeführer in den öffentlichen mündlichen Verhandlungen weder den Aussagen der einvernommenen Zeugen widersprochen habe noch den Äußerungen des Facharztes Wesentliches entgegnet habe, bestehe keine Veranlassung, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Die Beamten hätten einen überaus integeren Eindruck erweckt. Aus ihren Aussagen habe sich "keinerlei Hinweis auf irgendeine Art der Gewaltanwendung" ergeben. Vielmehr hätten sie überzeugend das aggressive Verhalten des Beschwerdeführers geschildert und angegeben, die Schließspange unter möglichster Schonung der Person des Beschwerdeführers zur Vermeidung der Eskalation der Situation hinsichtlich eines Widerstandes gegen die Staatsgewalt angelegt zu haben. Das Beschwerdevorbringen sei als reine Schutzbehauptung zu werten.
Die vom Beschwerdeführer namhaft gemachten, in Slowenien wohnhaften Zeugen verfügten über kein "Schengen-Visum", sie seien daher nicht zur Einreise nach Österreich berechtigt. Selbst unter der Annahme, dass die vom Beschwerdeführer namhaft gemachte, in Klagenfurt wohnhafte Zeugin eine ihn begünstigende bzw. sein Vorbringen bestätigende Aussage gemacht hätte, wäre ihre Zeugenaussage nicht geeignet gewesen, die überaus glaubwürdigen Angaben der Meldungsleger in Zweifel zu ziehen. Abgesehen davon habe der Beschwerdeführer nicht ausgeführt, zu welchem Beweisthema er diese Zeugin einvernommen habe wissen wollen und nicht angegeben, ob sie sich bei der Amtshandlung aufgehalten habe.
Der Beschwerdeführer habe durch seine Verhaltensweise - "insbesondere das Schreien und Gestikulieren, Stehen im Ausfallsschritt mit geballten Händen und Ergreifen eines Gendarmeriebeamten am Handgelenk" - den Ablauf des äußeren Zusammenlebens von Menschen in wahrnehmbarer Weise gestört. Die gewöhnlichen Verhältnisse im Einreise- bzw. Ausreisebereich der Grenzkontrollstelle Loibltunnel seien eindeutig in wahrnehmbarer Weise negativ verändert worden und es könne von einer ins Gewicht fallenden Behinderung des Ablaufes der normalen Zollformalitäten gesprochen werden; dies umso mehr, als der übliche Dienstbetrieb im Grenzbereich jedenfalls gestört worden sei. Die öffentliche Ordnung sei nicht nur ungerechtfertigt gestört worden, sondern es habe sich dieser Vorfall auch an einem öffentlichen Ort zugetragen und habe von anderen Personen als den unmittelbar Betroffenen wahrgenommen werden können. Die einschreitenden Beamten hätten dem Beschwerdeführer zweifelsohne bei der Begehung auf frischer Tat betreten und es habe dieser trotz entsprechender Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt bzw. versucht, diese zu wiederholen. Aus diesem Grund sei die Festnahme zutreffend wegen Übertretung des § 81 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes angeordnet worden.
Das Verhalten des Beschwerdeführers sei sowohl in der Sprache als auch in der Bewegung ein die gebotene Ruhe entbehrendes, mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten gewesen. Die Beamten seien somit als im öffentlichen Sicherheitsdienst Stehende berechtigt gewesen, zufolge § 50 Abs. 1 SPG gegen den Beschwerdeführer die Festnahme auszusprechen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem "Recht auf eine menschenwürdige Behandlung" sowie in Verfahrensrechten verletzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die §§ 50, 81 und 82 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991 i.d.F. BGBl. I Nr. 98/2001, lauten auszugsweise:
"Unmittelbare Zwangsgewalt
§ 50. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind, sofern nicht anderes bestimmt ist, ermächtigt, die ihnen von diesem Bundesgesetz oder von einer auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnung eingeräumten Befugnisse mit unmittelbarer Zwangsgewalt durchzusetzen.
(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben anwesenden Betroffenen die Ausübung von unmittelbarer Zwangsgewalt anzudrohen und anzukündigen. Hievon kann in den Fällen der Notwehr oder der Beendigung gefährlicher Angriffe (§ 33) soweit abgesehen werden, als dies für die Verteidigung des angegriffenen Rechtsgutes unerlässlich erscheint.
(3) Für die Anwendung von unmittelbarer Zwangsgewalt gegen Menschen gelten die Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969.
...
...
Strafbestimmungen
Störung der öffentlichen Ordnung
§ 81. (1) Wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro zu bestrafen. An Stelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.
(2) Von der Festnahme eines Menschen, der bei einer Störung der öffentlichen Ordnung auf frischer Tat betreten wurde und der trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht (§ 35 Z 3 VStG), haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes abzusehen, wenn die Fortsetzung oder Wiederholung der Störung durch Anwendung eines oder beider gelinderer Mittel (Abs. 3) verhindert werden kann.
(3) Als gelindere Mittel kommen folgende Maßnahmen der unmittelbaren Befehls- und Zwangsgewalt in Betracht:
1. die Wegweisung des Störers vom öffentlichen Ort;
2. das Sicherstellen von Sachen, die für die
Wiederholung der Störung benötigt werden.
...
Aggressives Verhalten gegenüber Organen der
öffentlichen Aufsicht oder gegenüber Militärwachen
§ 82. (1) Wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält und dadurch eine Amtshandlung behindert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro zu bestrafen. An Stelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.
(2) Eine Bestrafung nach Abs. 1 schließt eine Bestrafung wegen derselben Tat nach § 81 aus."
Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterliegt die Anwendung von Körperkraft im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse denselben grundsätzlichen Einschränkungen wie der im Waffengebrauchsgesetz geregelte Waffengebrauch; sie muss demnach für ihre Rechtmäßigkeit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen und darf nur dann Platz greifen, wenn sie notwendig ist, um Menschen angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen (vgl. § 6 Abs. 1 Waffengebrauchsgesetz) und Maß haltend vor sich geht; es darf jeweils nur das gelindeste Mittel, das zum Erfolg, etwa zur Abwehr eines Angriffes, führt, angewendet werden (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 1992, VfSlg. 13.154, sowie etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2003, Zl. 99/01/0013, m. w.N.). Die gilt auch für das Anlegen von Handfesseln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 96/01/1032).
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil nicht darauf Rücksicht genommen worden sei, dass er die deutsche Sprache, insbesondere jene, die in der Verhandlung gesprochen worden sei, nur sehr schwer verstehen könne. Dies habe infolge der Nichtbeiziehung eines Dolmetschers in der Verhandlung zur Folge gehabt, dass der Beschwerdeführer über den Verlauf der Verhandlung selbst nur von einer anwesenden Bekannten nach der Verhandlung informiert worden sei.
Hinsichtlich der Frage der Beiziehung eines Dolmetsch ist der Beschwerdeführer auf den gemäß § 39a AVG auch auf Dolmetscher anzuwendenden § 52 Abs. 2 AVG zu verweisen, wonach dann, wenn Amtsdolmetscher nicht zur Verfügung stehen, auch andere "geeignete" Personen als Dolmetscher von der Behörde beizuziehen sind. Auf eine Beeidigung kommt es dabei nicht an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. September 2002, Zl. 2001/09/0018). Nach dem unbestrittenen Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. November 2002 ebenso wie jenem vom 13. Dezember 2002 war jeweils eine Freundin des Beschwerdeführers im Verhandlungssaal anwesend, um bei Verständnisschwierigkeiten zu übersetzen. Auch wurde im angeführten Protokoll unbestritten festgehalten, dass sich der - in der Verhandlung von einem Rechtsanwalt vertretene - Beschwerdeführer auf Deutsch verständlich zu machen verstehe. Die Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Mandarin war vom Beschwerdeführer nicht beantragt worden. Bei dieser Sachlage kann nicht gesehen werden, dass die belangte Behörde durch die Unterlassung der Beiziehung eines Amtsdolmetsch für die chinesische Sprache Verfahrensvorschriften verletzt hätte.
Es stellt nach Auffassung des Beschwerdeführers weiters einen Verfahrensmangel dar, dass die von ihm beantragte Einvernahme der von ihm namhaft gemachten Zeugen nicht durchgeführt worden sei und er auch selbst nicht einvernommen worden sei.
Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.
Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat sich die Behörde - zwar ohne an formale Regeln gebunden zu sein, aber unter Wahrung aller Verfahrensgrundsätze (daher ordnungsgemäß und vollständig durchgeführtes Ermittlungsverfahren, Parteiengehör) - Klarheit über den maßgebenden Sachverhalt zu verschaffen. Die freie Beweiswürdigung bezieht sich jedoch nur auf die bereits vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungsverfahrens und lässt es keineswegs zu, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Die freie Beweiswürdigung darf daher erst nach vollständiger Beweiserhebung einsetzen. Eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, den Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) zu beurteilen, ist grundsätzlich unzulässig (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2000/01/0415, m.w.N.).
Mit seinem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil er zutreffend darauf hinweist, dass die von der belangten Behörde herangezogene Begründung für das Unterbleiben jedenfalls der Einvernahme der in Klagenfurt wohnhaften Zeugin nicht tragfähig ist. Die von der belangten Behörde gewonnene Überzeugung, der maßgebliche Sachverhalt sei ausreichend geklärt worden, berechtigte sie nämlich noch nicht, von der Gewinnung weiterer Beweisergebnisse Abstand zu nehmen. Wenn die belangte Behörde meint, auch eine das Vorbringen des Beschwerdeführers bestätigende Aussage dieser Zeugin wäre nicht geeignet gewesen, die überaus glaubwürdigen Angaben der Meldungsleger in Zweifel zu ziehen, so handelt es sich dabei - wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt - um eine antizipative Beweiswürdigung, die nicht toleriert werden kann. Der Hinweis der belangten Behörde, sie hätte sich die Einvernahme dieser Zeugin (erkennbar die mit ihm zur Grenzkontrollstelle gereiste Mutter des Beschwerdeführers) im Hinblick darauf ersparen dürfen, dass der Beschwerdeführer kein ausreichend genaues Beweisthema hinsichtlich der von ihm beantragten Einvernahme der Zeugin genannt hätte, ändert daran nichts, weil diese Umstände aus dem Kontext der bei der belangten Behörde erhobenen Beschwerde des Beschwerdeführers und dem von ihr festgestellten Sachverhalt ausreichend klar ersichtlich sind.
Die Einvernahme des Beschwerdeführers selbst zu dem zu beurteilenden Sachverhalt hätte im Lichte der §§ 46 und 51 AVG ebenfalls nicht unterbleiben dürfen, zumal die belangte Behörde ihre Beweiswürdigung insbesondere darauf gestützt hat, dass der Beschwerdeführer in den öffentlichen mündlichen Verhandlungen den Aussagen der einvernommenen Zeugen nicht widersprochen hat.
Auch im Hinblick auf die anderen vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen hätte die belangte Behörde den Versuch machen müssen, sie zur öffentlichen mündlichen Verhandlung zu laden oder zumindest mit ihnen auf sonstige geeignete Weise in Kontakt zu treten, um zumindest eine schriftliche Aussage von ihnen zu erwirken (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. November 2004, Zl. 2001/09/0130, m.w.N., hinsichtlich eines ähnlichen Falles in einem Verwaltungsstrafverfahren).
Eine Unklarheit der Feststellungen des angefochtenen Bescheides liegt im Übrigen darin, dass die belangte Behörde einerseits durchaus die Anwendung von Polizeigriffen gegen den Beschwerdeführer sowie die Anlegung von Handfesseln feststellt, anderseits aber ausführt, aus den Aussagen der Beamten habe sich "keinerlei Hinweis auf irgend eine Art der Gewaltanwendung" ergeben.
Der angefochtene Bescheid leidet aber auch in anderer Hinsicht in einer maßgeblichen Frage an Rechtswidrigkeit. Die belangte Behörde hat sich nämlich zwar mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Festnahme des Beschwerdeführers zulässig war und ist insoferne angesichts des von ihr festgestellten Verharrens des Beschwerdeführers in der Begehung von Verwaltungsübertretungen der §§ 81 und 82 SPG zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Festnahme erfolgen durfte.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zu beachten haben, dass der unabhängige Verwaltungssenat bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der mit einer Beschwerde gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG angefochtenen Maßnahme zum einen nicht auf die vom Beschwerdeführer allenfalls als verletzt bezeichneten einfachgesetzlich oder verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte oder auf die vorgebrachten Gründe beschränkt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 99/01/0067). Zum anderen bilden die zur Umsetzung einer ausgesprochenen Verhaftung gesetzten Maßnahmen mit dieser eine Einheit, was zu dem Ergebnis führt, dass im Fall einer von vorneherein rechtswidrigen Maßnahme auch alle nachfolgenden Akte zur Durchsetzung derselben (etwa auch das Anlegen von Handfesseln) rechtswidrig sein müssen (vgl. das gerade angeführte Erkenntnis sowie das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0388).
Im vorliegenden Fall war daher das Anlegen von Handfesseln nur dann rechtmäßig, wenn sowohl die Festnahme, zu deren Durchsetzung dies erfolgte, zulässig war, als auch, wenn die Fesselung zur Durchsetzung der Festnahme oder sonst zu einem legitimen Zweck verhältnismäßig, also notwendig und maßhaltend im Sinne des gelindesten Mittels gewesen ist. Insoferne wird die belangte Behörde ins Einzelne gehende nähere Feststellungen über den Geschehensablauf zu treffen haben.
Die belangte Behörde hat dies verkannt und den angefochtenen Bescheid daher mit Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 29. Mai 2006
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel ZeugenbeweisBeweismittel ZeugenBeeidigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003090040.X00Im RIS seit
06.07.2006Zuletzt aktualisiert am
18.05.2017