TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/8 2003/01/0135

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Veröffentlicht am 08.06.2006
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

B-VG Art6 Abs3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des S D in H, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 17. Februar 2003, Zl. Ia 370-678/2002, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. Februar 2003 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers - eines im Jahr 1959 geborenen türkischen Staatsangehörigen - auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe seit 15. März 2001 ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich. Er sei seit 25. Juni 1985 mit der türkischen Staatsangehörigen E D verheiratet; aus dieser Ehe würden fünf Kinder stammen. Die Ehegattin und drei Söhne des Beschwerdeführers würden in der Türkei leben; ein Sohn studiere in Deutschland. Für vier seiner Kinder sei der Beschwerdeführer noch sorgepflichtig. Er habe in der Türkei für einen Hausbau monatliche Kreditrückzahlungsverpflichtungen in Höhe von EUR 363,36 (die aushaftende Restschuld betrage rund EUR 15.261,30). Der Auszug der Vorarlberger Gebietskrankenkasse vom 11. März 2002 weise die im Bescheid detailliert dargestellten Versicherungszeiten des Beschwerdeführers auf. Während der im Bescheid festgehaltenen Zeiten sei er an den näher bezeichneten Anschriften mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen; überdies sei er auch (in den festgehaltenen Zeiten) in Lustenau und in Bludenz mit weiteren Wohnsitzen gemeldet gewesen. Er sei wegen seiner Tätigkeit im Baugewerbe wiederholt ab Mitte Dezember für einige Wochen (bis zu drei Monate) zu seinen Verwandten (Familie) in die Türkei gefahren. Nach seiner Rückkehr habe der Beschwerdeführer den Hauptwohnsitz immer wieder an verschiedenen Orten neu angemeldet und zum Teil bei neuen Arbeitgebern zu arbeiten begonnen. Zu den "angeführten Fehlzeiten" sei er weder über die Gebietskrankenkasse versichert gewesen, noch habe er einen Arbeitgeber gehabt. Zuletzt "war der Beschwerdeführer in der Zeit von 11.1.2001 bis 14.3.2001 weder mit Hauptwohnsitz, noch mit weiterem Wohnsitz in Österreich gemeldet und hat sich ausschließlich in der Türkei bei seiner Familie aufgehalten".

Zur Frage der Dauer eines ununterbrochenen Hauptwohnsitzes in Österreich führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe während seiner Türkeiaufenthalte den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nicht in Österreich gehabt; in diesen Zeiten habe er in Österreich weder über eine Arbeitsstelle noch Unterkunft verfügt und sei nicht versichert gewesen. Dafür spreche auch die durch einen Hausbau erfolgte Kapitalbindung in der Türkei, sodass neben seine gesellschaftlichen (insbesondere familiären) auch noch wirtschaftliche Lebensbeziehungen treten würden, denen im "hier interessierenden Zeitraum" in Österreich keine vergleichbaren Lebensbeziehungen gegenüberstünden. Bei seiner Rückkehr nach Österreich habe er eine neue Wohnung bezogen und "zum Teil" bei anderen Dienstgebern zu arbeiten begonnen. Seit 15. März 2001 sei er ohne Unterbrechung in Österreich aufhältig; er habe "H" zum Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gewählt. Erst seit diesem Zeitpunkt sei von einem ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Österreich auszugehen. Damit sei weder die Frist des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG noch jene des § 10 Abs. 4 Z 1 leg. cit. erfüllt, weshalb eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht in Betracht komme.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde ging maßgeblich davon aus, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr von einem Aufenthalt bei seiner Familie in der Türkei in der Zeit von 11. Jänner bis 14. März 2001 seinen Hauptwohnsitz in Österreich neu begründet habe.

In der schriftlichen Stellungnahme vom 28. August 2002 erstattete der Beschwerdeführer (im Verwaltungsverfahren) folgendes Vorbringen:

"Seit 14. August 1989 bin ich ständig in Österreich aufenthaltsberechtigt und wohnhaft. Entgegen der Auffassung der Vorarlberger Landesregierung kam es nie zu einer Unterbrechung. Saisonbedingt - ich war und bin Bauarbeiter - bin ich wiederholt ab Mitte Dezember für einige Wochen (bis zu drei Monaten) zu meinen Verwandten und Freunden in die Türkei zu Besuch gefahren. Ich hatte jedoch niemals die Absicht, in der Türkei zu bleiben. Spätestens zu Beginn der Saison bin ich stets wieder zurückgekehrt. Ich hatte auch die entsprechenden Bewilligungen. Es ist vorgekommen, dass mich Arbeitgeber während meiner Aufenthalte in der Türkei beim Meldeamt abgemeldet haben. Unter den erwähnten Umständen sind daher die vorübergehenden Aufenthaltszeiten im Ausland zu Besuchs- und/oder Urlaubszwecken unerheblich. Ich habe meinen (Haupt)Wohnsitz in Österreich tatsächlich seit 14. August 1989 nie aufgegeben."

In seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, er sei der Auffassung der belangten Behörde über die Unterbrechung seiner Aufenthaltszeiten in der Stellungnahme vom 28. August 2002 entgegengetreten. Er habe seinen Wohnsitz im Bundesgebiet seit 1989 nie aufgegeben. Die Aufenthaltszeiten im Ausland (zu Besuchs- und Urlaubszwecken) seien unerheblich. Nicht berücksichtigt worden sei, dass die Abmeldung für die Zeit 11. Jänner bis 14. März 2001 beim Meldeamt durch eine dritte Person ohne sein Wissen und seinen Willen erfolgt sei. Die dadurch herbeigeführte Verletzung einer Ordnungsvorschrift sei im Staatsbürgerschaftsverleihungsverfahren nicht relevant. Er habe "dadurch" seinen Wohnsitz und den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen (in Österreich) nicht aufgegeben. Nach seiner Rückkehr aus der Türkei habe er wieder in B, X-Straße 97/3, gewohnt. Eine Unterbrechung der Wohnsitzfrist sei durch seinen (branchenüblichen, saisonbedingten) Auslandsaufenthalt nicht eingetreten.

Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an einen Fremden setzt u. a. gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG - in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005 - voraus, dass dieser seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat. Von dieser Voraussetzung kann nach § 10 Abs. 4 Z 1 StbG schon nach einem sechsjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet bei Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes (im Sinne des Abs. 5 leg. cit.) abgesehen werden.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geht der einmal an einem Ort im Inland begründete Hauptwohnsitz nicht durch jeden Auslandsaufenthalt wieder verloren, sofern der Lebensmittelpunkt des Verleihungswerbers auch während dieser Zeit im Bundesgebiet erhalten bleibt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 21. März 2006, Zl. 2004/01/0266, mwN).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis vom 21. März 2006, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgeführt hat, erfordert die Aufrechterhaltung des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet in subjektiver Hinsicht die Beibehaltung der Absicht des Verleihungswerbers, den Lebensmittelpunkt in Österreich zu haben ("animus domiciliandi"). Wird ein solcher Wille aufgegeben, vermag auch das Fortbestehen von Lebensbeziehungen zu Österreich einen Hauptwohnsitz im Inland nicht aufrecht zu erhalten. Umgekehrt reicht der bloße Wille, seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet zu erhalten, oder die Absicht, (irgendwann) nach Österreich zurückzukehren, zur Beibehaltung eines Hauptwohnsitzes nicht aus, wenn objektive Anknüpfungspunkte für einen solchen in Österreich nicht (mehr) gegeben sind. In objektiver Hinsicht setzt das Fortbestehen eines Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet nämlich voraus, dass der Einbürgerungswerber Beziehungen zum Inland aufrecht erhält, die bei einer Gesamtbetrachtung seiner beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände den Schluss rechtfertigen, er habe seinen Lebensmittelpunkt nach wie vor in Österreich.

Ein bedeutsames Kriterium dieser Gesamtbetrachtung ist auch die Aufrechterhaltung einer Wohnmöglichkeit im Inland während der Zeit des Auslandaufenthaltes (vgl. abermals das zitierte hg. Erkenntnis vom 21. März 2006).

Im Beschwerdefall verneinte die belangte Behörde das Vorliegen eines "Hauptwohnsitzes" im Sinne der obgenannten Gesetzesstelle in der Zeit von 11. Jänner bis 14. März 2001 mit der Begründung, der Beschwerdeführer sei während dieser Zeit in Österreich nicht gemeldet gewesen und habe sich in der Türkei aufgehalten. Bei dieser allein auf Meldedaten gestützten Beurteilung blieb jedoch unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer (nach dem Auslandsaufenthalt) an seine "Adresse" (die Unterkunft X-Straße 97/3 in B) zurückkehrte, und dass er auch geltend machte, er sei von dritten Personen (gegen seinen Willen) abgemeldet worden. Allein aus dem Indiz der Meldedaten lässt sich somit nicht ableiten, dass der Beschwerdeführer während der Zeit seines Auslandsaufenthaltes (11. Jänner bis 14. März 2001) keine Wohnmöglichkeit im Inland hatte bzw. aufrechterhielt.

Hinzu kommt, dass der angefochtene Bescheid nicht erkennen lässt, in wieweit die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme am 12. März 2002, er habe auch während seiner saisonbedingten Arbeitslosigkeit "immer wieder" die Zusage gehabt, "wieder arbeiten zu können", in ihre Überlegungen einbezogen hat (vgl. zur Bedeutung des Kriteriums einer auch während des Auslandsaufenthaltes gesicherten beruflichen Stellung für das Fortbestehen des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet bereits das zitierte hg. Erkenntnis vom 21. März 2006 und zuletzt das hg. Erkenntnis vom 9. Mai 2006, Zl. 2003/01/0252).

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 8. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003010135.X00

Im RIS seit

06.07.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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