TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/8 2006/01/0084

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.06.2006
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
MRK Art2;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des GA in W, geboren 1972, vertreten durch Mag. Franz Pranter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Dezember 2005, Zl. 242.657/8-V/13/05, betreffend § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ghana, reiste am 2. September 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag begründete er im Wesentlichen damit, dass er als "Subchief" seines Heimatbezirkes einen Angriff von ca. 200 Personen auf zwei Dörfer des Nachbarbezirks mitorganisiert habe, um "gestohlenes Land" zurückzuerobern. Bei der Auseinandersetzung habe es auf beiden Seiten Tote gegeben. Der örtliche "Regionalsekretär" habe daraufhin die Verhaftung (ua.) des Beschwerdeführers angeordnet, woraufhin er (Beschwerdeführer) die Flucht ergriffen habe.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 22. September 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana gemäß § 8 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Die belangte Behörde wies die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab; die Angaben des Beschwerdeführers seien zwar glaubwürdig, sie ließen jedoch keine asylrechtlich relevante Verfolgung erkennen.

Mit hg. Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2005/01/0281, wurde die gegen den erwähnten Berufungsbescheid erhobene Beschwerde, soweit sie sich gegen die Entscheidung nach § 7 AsylG richtete, als unbegründet abgewiesen. Der Abspruch bezüglich § 8 AsylG wurde dagegen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Dies wurde im genannten Erkenntnis wie folgt begründet:

"... Diesbezüglich hat sich die belangte Behörde ... auf eine Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften sowie von schon zur Vorgängerbestimmung des § 57 FrG entwickelten abstrakten Rechtssätzen beschränkt und lediglich - gleichfalls allgemein - ausgeführt, dass in Ghana keine Situation bestehe, die eine Gefährdung im Sinn der Art. 2 und 3 EMRK indiziere. Inwieweit die im bekämpften Bescheid angeführten Rechtssätze zur Lösung des konkreten Falles beitragen sollen, warum also in Anwendung dieser Rechtssätze die erstinstanzliche, die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ghana feststellende Entscheidung zu bestätigen gewesen sei, wird dagegen nicht einmal ansatzweise dargestellt. Insoweit fehlt es daher an einer nachvollziehbaren Begründung, was die Beschwerde mit dem Hinweis, dass Ghana die Todesstrafe nicht abgeschafft habe, vor dem Hintergrund der für wahr erachteten Behauptungen des Beschwerdeführers zu den fluchtauslösenden Vorgängen im Ergebnis zutreffend aufzeigt."

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die nach dem dargestellten Verfahrensverlauf wieder offene Berufung gegen Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 22. September 2003 - nach Durchführung einer ergänzenden Berufungsverhandlung, in der mit dem Beschwerdeführer Teile von Länderberichten betreffend die Todesstrafe in Ghana erörtert wurden - (neuerlich) gemäß § 8 AsylG ab. Sie stellte fest, dass die Todesstrafe in Ghana in den letzten Jahren nur noch bei Mord verhängt und zuletzt am 17. Juli 1993 vollstreckt worden sei. Daraus ergebe sich, dass die Todesstrafe "de facto" abgeschafft sei. Davon ausgehend habe der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Ghana jedenfalls nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit der Verhängung der Todesstrafe zu rechnen "bzw." drohe ihm de facto jedenfalls nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das Risiko, hingerichtet zu werden. Ebenso wenig sei erweislich gewesen, dass er bei Rückkehr einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerde rügt, dass sich die belangte Behörde nicht mit den Haftbedingungen in Ghana auseinander gesetzt habe, obwohl die von ihr herangezogenen Länderberichte für die Gefängnisse in Ghana unmenschliche Verhältnisse erkennen ließen. Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerde im Recht.

Zunächst ist klarzustellen, dass die Kassation der vorangegangenen Entscheidung nach § 8 AsylG im Vorerkenntnis deswegen erfolgte, weil der damalige Bescheid der belangten Behörde insoweit keine substantielle Begründung enthielt. Das sprang vor dem Hintergrund, dass die ghanaische Rechtsordnung für Kapitalverbrechen nach wie vor die Todesstrafe kennt, angesichts der für wahr gehaltenen Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers (demnach war er für einen mit Tötungen einhergehenden "Angriff" zumindest mitverantwortlich) besonders ins Auge. Im Hinblick darauf wurde dieser Gesichtspunkt, zumal ausdrücklich in der seinerzeitigen Beschwerde angesprochen, im Vorerkenntnis besonders erwähnt. Daraus war freilich nicht abzuleiten, dass sich die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren lediglich mit der Frage der Todesstrafe zu beschäftigen und darüber hinaus Aspekte des Art. 3 EMRK nicht mehr zu behandeln gehabt hätte. Dem Grunde nach hat das die belangte Behörde auch erkannt, hat sie doch im bekämpften Bescheid der Beurteilung die Todesstrafe betreffend den Satz angeschlossen, es sei über diese Frage hinaus nicht erweislich gewesen, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr in sein Heimatland einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Welche Ermittlungen sie zu diesem Schluss haben kommen lassen, lässt sich dem bekämpften Bescheid indes nicht nachvollziehbar entnehmen.

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren unwidersprochen vorgebracht, wegen des von ihm geschilderten Angriffs auf zwei Dörfer des Nachbarbezirks, wobei es auch Tote gegeben habe, Verhaftung zu befürchten. Davon ausgehend hätte die belangte Behörde die die Haftbedingungen in ghanaischen Gefängnissen betreffenden Passagen in den von ihr herangezogenen Länderberichten nicht unbeachtet lassen dürfen. So heißt es etwa in dem Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Ghana vom 5. November 2004, dass die Haftbedingungen für alle Inhaftierten sehr schlecht und mit westeuropäischen Verhältnissen nicht vergleichbar seien. Im Einzelnen wird - auszugsweise - wie folgt ausgeführt:

"Die Gefängnisse mit einer Kapazität von jeweils 50 bis 600 Gefangenen haben unterschiedliche Sicherheitsstandards, z. T. sind sie als Gefängnisfarmen ausgestaltet. Der tägliche Verpflegungssatz für die Gefangenen beträgt z.Zt. 4.000 Cedis (ca. 0,40 Euro), viele Gefangenen werden zusätzlich von Verwandten und Freunden versorgt. Die Verhältnisse im Polizeigewahrsam und im Strafvollzug sind gekennzeichnet durch chronische Überbelegung der Zellen, mangelhafte Ausstattung und unzureichende medizinische Versorgung sowie z.T. rüde Behandlung durch das Aufsichtspersonal.

Seit 1995 führt die CHRAJ regelmäßig Inspektionen der Strafanstalten und Zellen des Polizeigewahrsams durch und veröffentlicht Berichte über die dortigen Zustände. Im Jahr 2003 waren in den diversen Gefängnissen, die über insgesamt

5.200 Haftplätze verfügen, 11.038 Gefangene untergebracht. ... Nach Angaben des 'Ghana Prison Service Annual Report' aus dem Jahr 2003 verfügen nur ca. 30 % der Gefangenen über ein Bett. Die Überfüllung ist Ursache für die schnelle und weite Verbreitung von ansteckenden Krankheiten. So starben im Jahr 2003 114 Gefangene in den Gefängnissen des Landes an verschiedenen Krankheiten. ..."

Diese Textpassage (in dem dem Bescheid gleichfalls zu Grunde gelegten Bericht des British Home Office vom September 2005 findet sich eine ähnliche Beurteilung der Haftbedingungen; dort ist etwa auch von verschiedentlich lebensbedrohenden Verhältnissen die Rede) wirft die Frage auf, ob die Abschiebung einer Person nach Ghana, die dort mit Verhaftung und in der Folge mit einer Gefängnisstrafe zu rechnen hat, gegen Art. 3 EMRK verstößt und damit gemäß § 57 Abs. 1 FrG unzulässig ist (vgl. ähnlich das hg. Erkenntnis vom 9. November 2004, Zl. 2003/01/0465). Da sich die belangte Behörde mit dieser Frage nicht beschäftigt hat, war der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 8. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006010084.X00

Im RIS seit

14.07.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten