Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des IA in W, geboren 1977, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Adalbert-Stifter-Straße 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. Oktober 2004, Zl. 252.760/0-VIII/22/04, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein der albanischen Volksgruppe angehörender Staatsbürger von Serbien und Montenegro aus dem Kosovo, reiste am 26. Mai 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl.
Bei der ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 27. Mai 2004 gab er an, aus wirtschaftlicher Not nach Österreich gekommen zu sein. Dies hänge damit zusammen, dass in einem Hotel, in dem er als Koch gearbeitet habe, 1998 die serbische Polizei stationiert gewesen sei. Nach dem Krieg sei das Hotel geschlossen worden, der Beschwerdeführer habe seither keine Arbeit mehr gefunden. Die Albaner ließen ihn nicht mehr arbeiten, weil er im Hotel "unter den Serben" tätig gewesen sei. Er könne auch nicht schwarzarbeiten, weil ihn "die jetzige Jugend" beschuldige, für die Serben gearbeitet zu haben.
Dem Beschwerdeführer wurde mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag abzuweisen, und er hiezu in einer weiteren Einvernahme im Beisein eines Rechtsberaters Stellung nehmen könne.
Bei der zweiten Einvernahme am 14. Juni 2004 gab er an, er sei bei der ersten Einvernahme "so müde" gewesen und habe "nicht alles gesagt". Nach dem Abzug der Serben sei er vorerst weiter im Hotel geblieben, dann aber "von den Albanern hinausgeschmissen und bedroht und verfolgt" worden. Er sei mehrmals geschlagen worden. Im Dezember 2002 sei ihm bei einem derartigen Vorfall die Hand gebrochen worden. Die Albaner hätten von ihm Einzelheiten der Tätigkeiten der Serben während des Krieges erfahren wollen. Zuletzt sei er im Februar 2004 von maskierten Albanern entführt, in einen Wald gebracht, als serbischer Spion beschuldigt und geschlagen worden. Man werfe ihm vor, über die von den Serben begangenen Morde mehr zu wissen, als er sage. Die Vorfälle im Dezember 2002 und im Februar 2004 habe er bei der Polizei in Rahovec gemeldet, wobei zumindest in einem Fall auch eine Niederschrift aufgenommen worden sei. Man habe ihm gesagt, er würde verständigt werden, wenn die Polizei etwas herausfinde, daraus sei aber nichts geworden.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 14. Juni 2004 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003; im Folgenden AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus.
Die Begründung dieses (in der Erstaufnahmestelle ausgefertigten) Bescheides lautete auszugsweise wie folgt:
"Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 27.05.2004 gab
der ASt. ... Folgendes an: ...
Der ASt. machte seine Angaben aus freien Stücken und glaubwürdig. Er hatte permanent die Möglichkeit, weitere Gründe geltend zu machen. Trotz wiederholter Fragen machte der ASt. keine weiteren Fluchtgründe geltend. ...
Nach Vorhalt ... hatte der ASt. ... am 14.06.2004 ... die
Möglichkeit, weitere Tatsachen und Beweismittel anzuführen oder vorzulegen. Dabei brachte der Antragsteller Fluchtgründe vor, die er jedenfalls bereits bei seiner ersten Einvernahme nennen hätte können und müssen und die im vollkommenen Widerspruch zu den bei der ersten Einvernahme vorgebrachten Gründen stehen. Er gab Folgendes an: ...
Im Verfahren brachte der ASt. keine Beweismittel in Vorlage. Den bei der ersten Einvernahme vorgebrachten Angaben kommt erhöhte Glaubwürdigkeit zu. ...
Feststellungen: ... Der Antragsteller hat keine Verfolgung im
Sinne des Asylgesetzes glaubhaft gemacht. ...
Sachverhaltsfeststellungen ur Situation im Kosovo: ...
Beweiswürdigung: ... Das Vorbringen des Antragstellers wurde
von der ho. Behörde als glaubhaft angesehen.
Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten
Sachverhaltes ist von folgender Gesetzeslage auszugehen: ...
Soweit der Antragsteller vorbringt, von Privaten mit dem Tode bedroht zu werden, ist Folgendes auszuführen: Eine derartige Schilderung kann die Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers nicht begründen. ... Übergriffe von privater Seite - gleichgültig in welcher Erscheinungsform diese auftreten - stellen nur dann eine Verfolgung im Sinne der GFK dar, wenn der Staat für jenes Tun wie für eigenes Handeln verantwortlich ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Staat zu Verfolgungshandlungen anregt oder derartige Handlungen unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt. Dies wurde im gegenständlichen Fall vom Antragsteller jedoch nicht vorgebracht ..."
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer u.a. geltend, es sei nicht richtig, dass er keine Beweismittel vorgebracht hätte. Die von ihm behauptete Fraktur der Hand hätte sich leicht überprüfen lassen, zumal in der Erstaufnahmestelle tageweise auch ein Röntgenbus anwesend sei. Eine Hand sei "ein Augenscheinsgegenstand". Es treffe auch nicht zu, dass das Vorbringen bei der zweiten Einvernahme den Angaben bei der Ersteinvernahme widersprochen hätte. Schon das ursprüngliche Vorbringen trage die Annahme der Verfolgung als möglicher Spion der Serben. Ergänzend verwies der Beschwerdeführer in der Berufung darauf, dass er aus Rahovec stamme und einen Mischdialekt aus serbisch und albanisch spreche, der ihm ein Ausweichen in andere Teile des Kosovo erschweren würde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Begründung des angefochtenen Bescheides lautet auszugsweise wie folgt:
"Der Unabhängige Bundesasylsenat hat festgestellt und erwogen:
Hinsichtlich der Beweiswürdigung und der Sachverhaltsfeststellungen wird auf die zutreffenden Darlegungen im erstinstanzlichen Bescheid verwiesen (zur Zulässigkeit dieses Vorgehens VwGH ...).
Rechtlich folgt: ...
Der Berufungswerber hat vorerst trotz wiederholter Fragestellung durch die Erstbehörde außer den ausschließlich wirtschaftlichen Gründen keine weiteren Fluchtgründe ... angeführt, erst im Zuge der zweiten Einvernahme ...
Wirtschaftliche Gründe als solche rechtfertigen ... keineswegs die Gewährung von Asyl (vgl. für viele zuletzt VwGH ...) ...
Dem zweiten Vorbringen ist die Glaubwürdigkeit abzusprechen, da es völlig lebensfremd erscheint, dass jemand 'so müde' ist, sodass er statt der angeblich erlittenen Misshandlungen nur die wirtschaftlichen Gründe ad hoc von sich gibt und sich an die weitaus einprägsamere erlittene Misshandlung und Verfolgung nicht zu erinnern vermag. Wie der VwGH in ständiger Judikatur festhält, kommen die Angaben eines Asylwerbers bei seiner ersten Befragung der Wahrheit am nächsten (VwGH ...). Auffallend ist auch, dass der Berufungswerber in seiner Berufung über die Misshandlungen durch die Albaner nur sehr lapidar in einigen wenigen Sätzen eingeht und sich in weiterer Folge wieder - viel ausführlicher - zur wirtschaftlichen Situation im Kosovo äußert.
Die Berufung zu Spruchteil I. war daher abzuweisen."
Dem hält die Beschwerde mit Recht entgegen, dass eine die Angaben bei der zweiten Einvernahme in tragender Weise als unglaubwürdig ausklammernde Begründung der Abweisung des Asylantrages wegen der in der "Beweiswürdigung" des Bundesasylamtes anderslautenden Begründung des erstinstanzlichen Bescheides eine mündliche Berufungsverhandlung erfordert hätte (vgl. für den hier vorliegenden Fall, dass die Berufungsverhandlung nicht beantragt wurde, das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336, und im Übrigen die im hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, dargestellte ständige Rechtsprechung). Durch die Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 ist in den dafür maßgeblichen Rechtsgrundlagen für Fälle wie den vorliegenden keine Änderung eingetreten, die ein Abgehen von dieser Rechtsprechung nahelegen würde.
Selbst bei Beschränkung auf die Angaben des Beschwerdeführers bei der ersten Einvernahme wären dessen behauptete Fluchtgründe aber nicht "ausschließlich" wirtschaftlich gewesen. Zu erörtern gewesen wäre ausgehend von diesem Vorbringen, ob der Beschwerdeführer wegen der Beschuldigung, "für die Serben gearbeitet" zuhaben, in einer über die allgemein schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse (die belangte Behörde bezeichnet die "Arbeitsplatzchancen" im Kosovo als "nicht befriedigend") hinausgehenden Weise in seiner Existenz bedroht war und ob diese auf politischen Gründen beruhende Benachteiligung die Intensität einer Verfolgung erreichte oder zu erreichen drohte.
Darüber hinaus hat die belangte Behörde an systematisch verfehlter Stelle - nämlich in der Begründung des Ausspruches gemäß § 8 AsylG - auch eine Eventualbegründung für den Fall versucht, dass "die vorgebrachten Verfolgungen durch die Albaner, wie vom Berufungswerber (gemeint: bei der zweiten Einvernahme) vorgebracht, zutreffend sein" sollten. Sie hat dazu - ähnlich wie schon das Bundesasylamt - die Ansicht vertreten, dass "Verfolgungen durch Privatpersonen keine Fluchtgründe im Sinne der GFK darstellen, es sei denn, dass diese Verfolgungshandlungen durch die staatlichen Behörden angeregt oder zumindest gebilligt werden."
Mit diesen Ausführungen hat sich die belangte Behörde - in deren Entscheidung es sonst nicht an Rechtsprechungsnachweisen mangelt - kommentarlos über die ständige gegenteilige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinweggesetzt (vgl. zuletzt etwa die Nachweise in dem hg. Erkenntnis vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0357).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei nur der Vollständigkeit halber anzumerken ist, dass auch die Bestätigung der nicht zielstaatsbezogenen Ausweisung des Beschwerdeführers nicht dem Gesetz entsprach (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Umfang des Begehrens gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 8. Juni 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004010565.X00Im RIS seit
12.07.2006Zuletzt aktualisiert am
15.11.2011