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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2003/01/0523 2003/01/0524 2003/01/0525Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerden 1. des BJ, geboren 1973, 2. der MJ, geboren 1978, 3. der JJ, geboren 1996, und 4. der JJ, geboren 1997, alle in S, der Erstbeschwerdeführer vertreten durch Dr. Peter S. Borowan, Rechtsanwalt in 9800 Spittal/Drau, Tiroler Straße 8, die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien vertreten durch Mag. Hannes Gabriel, Rechtsanwalt in 9871 Seeboden, Hauptstraße 84, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. Mai 2003, Zl. 237.382/0-VI/18/03, vom 23. Mai 2003, Zl. 237.384/0-VI/18/03, und vom 4. Juni 2003, Zl. 237.384/1-VI/18/03 und Zl. 237.384/2- VI/18/03, jeweils betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat jeder der beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführenden Parteien, eine der albanischen Volksgruppe angehörende Familie aus Mazedonien, reisten im Juli 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragten - die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin - Asyl.
Am 30. April 2003 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt einvernommen. Sie gaben an, Mitglieder der mazedonischen UCK wären vor der Ausreise der Familie wiederholt zu deren Haus in Cegrane gekommen, hätten dort nach dem - jeweils abwesenden - Erstbeschwerdeführer gefragt und das Haus durchsucht. Der Grund dafür sei darin gelegen, dass der Erstbeschwerdeführer während der vorangegangenen Auseinandersetzungen nicht für die UCK gekämpft und diese auch nicht finanziell unterstützt habe.
Das Bundesasylamt wies mit zwei Bescheiden vom 9. Mai 2003 (betreffend einerseits den Erstbeschwerdeführer und andererseits die Zweitbeschwerdeführerin und die beiden Kinder) jeweils den Asylantrag bzw. die Asylanträge gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien nach Mazedonien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es schenkte den Aussagen keinen Glauben.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien gegen diese Bescheide des Bundesasylamtes gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab.
Dagegen richten sich die vorliegenden, zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat - wogegen sich die Beschwerden jeweils u.a. wenden - von der in den Berufungen beantragten Berufungsverhandlung abgesehen und weder den Erstbeschwerdeführer noch die Zweitbeschwerdeführerin ergänzend einvernommen. In den weitgehend gleichlautend begründeten Bescheiden wird dazu ausgeführt, die Berufungen hätten "im Wesentlichen einzig" aus einem Textblock bestanden, der durch Austausch des jeweiligen Herkunftslandes "praktisch auf sämtliche Asylwerber aus aller Herren Länder anwendbar wäre".
Darüber hinaus weist die belangte Behörde darauf hin, die Berufungen bezögen sich jeweils an einer Stelle auf "Schutz außerhalb von Nigeria".
Dem zuletzt erwähnten Umstand kommt keine sachliche Bedeutung zu. Es handelt sich klar erkennbar um ein bloßes Versehen, zumal in den jeweils vorangehenden Sätzen von Flucht aus Mazedonien, Verfolgung durch die UCK und mangelndem Schutz durch die staatlichen Stellen in Mazedonien die Rede ist.
Die Darstellung, die Berufungen hätten "im Wesentlichen einzig" aus einem allgemein gehaltenen Textblock bestanden, der sich auf Asylwerber "aus aller Herren Länder" anwenden lasse, ist insofern aktenwidrig, als der Feststellung des Bundesasylamtes, die UCK sei aufgelöst, in den Berufungen jeweils entgegen gehalten wurde, es heiße zwar, die UCK sei aufgelöst und entwaffnet, sie existiere aber zum Teil immer noch im Untergrund.
Diesem behaupteten, für die geltend gemachte Verfolgungsgefahr nicht unwesentlichen Umstand hatten die Bescheide des Bundesasylamtes an keiner Stelle Rechnung getragen. Den erstinstanzlichen Bescheiden zufolge "erklärte" der Anführer der UCK diese "auf einer Pressekonferenz ... als aufgelöst", und die Rebellen hätten danach "wie vorgesehen 3.300 Waffen" abgegeben. Darüber hinausgehende Feststellungen darüber, ob die UCK tatsächlich nicht mehr existiere oder, wie von den beschwerdeführenden Parteien behauptet, noch Aktivitäten setze, insbesondere darüber, ob Fälle von Bedrohungen ethnischer Albaner durch Reste der UCK wegen mangelnder Unterstützung der UCK bekannt seien, enthielten die erstinstanzlichen Bescheide nicht.
Das Unterbleiben der beantragten Berufungsverhandlung wäre davon abgesehen - mangels einer die Glaubwürdigkeit unterstellenden, tragfähigen Eventualbegründung der angefochtenen Bescheide - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nur dann nicht rechtswidrig gewesen, wenn die Verneinung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in den erstinstanzlichen Bescheiden schlüssig begründet gewesen wäre.
Die belangte Behörde hat in dieser Hinsicht zunächst ausgeführt, das Bundesasylamt habe die Aussagen als "vage, nicht plausibel nachvollziehbar, allgemein gehalten, durch keinerlei Beweismittel gestützt und somit als nicht glaubhaft" gewertet und sei "aus näher dargelegten Gründen" zum Ergebnis gekommen, dass dem behaupteten Sachverhalt "kein Glauben geschenkt werden könne". Daran anknüpfend führte die belangte Behörde jeweils aus, die Berufung zeige "nun nicht auf, was konkret an der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes" bzw. an den "vom Bundesasylamt herausgearbeiteten Begründungen" nicht richtig sei. Die belangte Behörde sehe daher "keinen Grund, von der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes abzugehen" und erhebe "damit den Inhalt des angefochtenen Bescheides auch zum Inhalt des Berufungsbescheides".
Dem steht - abgesehen vom schon erwähnten Fehlen von Feststellungen über die Berichtslage betreffend Vorfälle der behaupteten Art, und von den Berufungsbehauptungen über den teilweisen Weiterbestand der UCK im Untergrund - entgegen, dass die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes den Mangel aufweist, den die belangte Behörde den Berufungen vorwirft. Die Würdigung der Aussagen durch das Bundesasylamt (jeweils auf Seite 16 des erstinstanzlichen Bescheides) besteht aus allgemein gehaltenen Textbausteinen, die an keiner Stelle auf das konkrete Vorbringen eingehen und überhaupt nur insofern fallbezogen sind, als jeweils an einer Stelle die Furcht vor "unbekannten Personen" und im letzten Satz das Wort "Mazedonien" vorkommt (vgl. zu derartigen Beweiswürdigungen schon das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2003, Zl. 2002/01/0594, und die Folgejudikatur dazu).
Das Bundesasylamt hat im Besonderen davon abgesehen, die Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin einander gegenüberzustellen und die Beweiswürdigung auf die - der Zweitbeschwerdeführerin bei deren Vernehmung zum Teil vorgehaltenen - Abweichungen zwischen diesen Angaben zu stützen. Die Behauptung der belangten Behörde in den die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien betreffenden Bescheiden, das Bundesasylamt habe solche Abweichungen "zutreffend erkannt", ist daher - sofern sie sich auf die von der belangten Behörde übernommenen Begründungen der erstinstanzlichen Bescheide beziehen soll - aktenwidrig.
Bei dieser Sachlage war es der belangten Behörde nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwehrt, die Berufungsabweisungen ihrerseits - in den dem Verweis auf die Begründungen der erstinstanzlichen Bescheide "einzig zur Klarstellung" nachfolgenden Textpassagen - erstmals auf Abweichungen zwischen den Angaben zu stützen, ohne sich von der persönlichen Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Parteien in der Berufungsverhandlung einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen (vgl. u.a. zum Gesichtspunkt der Verhandlungspflicht bei Ergänzungsbedürftigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung etwa die zusammenfassende Judikaturdarstellung in dem hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533). Nur der Vollständigkeit halber ist daher inhaltlich anzumerken, dass die Vorhalte des Bundesasylamtes bei der Einvernahme der Zweitbeschwerdeführerin und die Ergänzungen der erstinstanzlichen Beweiswürdigung durch die belangte Behörde jeweils auf der Annahme beruhen, mit den vom Erstbeschwerdeführer beschriebenen Beitrittsaufforderungen ihm gegenüber seien zugleich die späteren Besuche Unbekannter in seiner Abwesenheit gemeint, was aus der Niederschrift selbst nicht zweifelsfrei hervorgeht.
Es kann - ohne Vorwegnahme der Beweiswürdigung - nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Durchführung der beantragten, aber rechtswidrig unterlassenen Berufungsverhandlung zu einer anderen Einschätzung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin gelangt wäre und dies im Ergebnis zu anderen Bescheiden geführt hätte.
Die angefochtenen Bescheide waren aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Ausmaß der Begehren gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 8. Juni 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003010506.X00Im RIS seit
02.08.2006