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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der F, geboren 1981, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. Juli 2005, Zl. SD 885/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 27. Juli 2005 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 7 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Die Beschwerdeführerin sei mit einem von 22. November 2003 bis 12. Dezember 2003 gültigen Visum C nach Österreich eingereist und sei seit 9. Dezember 2003 ohne Unterbrechung im Bundesgebiet gemeldet. Ihr Aufenthalt in Österreich sei jedenfalls unrechtmäßig.
Mit Schreiben der Erstbehörde vom 28. Februar 2005 sei die Beschwerdeführerin aufgefordert worden, unter anderem genau darzulegen, aus welchen Quellen sie ihre Unterhaltsmittel beziehe und in welchem Umfang sie solche Mittel seit ihrer Einreise bezogen habe. In der dazu ergangenen Stellungnahme habe sich die Beschwerdeführerin darauf berufen, von ihren Geschwistern und Eltern unterhalten zu werden und ausreichend kranken- und sozialversichert zu sein.
Solcherart sei die Erstbehörde zu Recht zum Ergebnis gekommen, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 7 FrG verwirklicht sei. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes habe der Fremde die ihm zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel aus eigenem darzulegen. Bei Finanzierung des Unterhalts durch Dritte sei der Nachweis eines durchsetzbaren Rechtsanspruches zu erbringen und darzulegen, dass der Verpflichtete auf Grund seiner Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnisse sowie seiner sonstigen finanziellen Verpflichtungen zur Unterhaltsgewährung in der Lage sei. Selbst bei Bestehen eines Unterhaltsanspruches der Beschwerdeführerin gegen ihre Eltern (nach türkischem Recht) wäre es der Beschwerdeführerin sohin oblegen, die finanzielle Leistungsfähigkeit ihrer Familienangehörigen im obgenannten Sinn darzulegen.
Davon könne im gegenständlichen Fall jedoch keine Rede sein. Wenn die Beschwerdeführerin auf einen mündlichen Vertrag zwischen ihr und "ihrer Familie" verweise und behaupte, die Behörde wüsste genau, dass sie über monatlich etwa EUR 1.000,-- an Unterhaltsmitteln verfügen würde, so reiche dies keinesfalls für den Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel aus.
Die Beschwerdeführerin sei ledig und für ein Kind sorgepflichtig. Familiäre Bindungen im Bundesgebiet bestünden zu den Eltern und drei Geschwistern. Zwei Brüder seien österreichische Staatsangehörige; die Schwester und der Vater seien rechtmäßig in Österreich niedergelassen; der Mutter sei zunächst eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen und im Anschluss ein Aufenthaltstitel zum Zweck der Familiengemeinschaft erteilt worden. Der Vater des Kindes der Beschwerdeführerin besitze ein Aufenthaltsrecht als begünstigter Drittstaatsangehöriger auf Grund seiner Ehe mit einer Österreicherin. Das Aufenthaltsverbot sei daher mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden, dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten. Der unrechtmäßige Aufenthalt mittelloser Fremder bewirke eine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens. Dazu komme die Gefahr, die Beschwerdeführerin könne sich die erforderlichen Unterhaltsmittel durch unrechtmäßiges Verhalten zu finanzieren trachten. Das Aufenthaltsverbot sei daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.
Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei zunächst zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin auf keine maßgebliche, aus der Dauer ihres Aufenthalts ableitbare Integration verweisen könne, sei ihr Aufenthalt doch fast zur Gänze unrechtmäßig. Sie sei unter den gegebenen Umständen rechtens nicht in der Lage, den Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Die familiären Bindungen seien zwar zweifellos besonders gewichtig, würden aber dadurch relativiert, dass die Beschwerdeführerin volljährig sei und mit ihren Familienangehörigen nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Nach der zuletzt vorgelegten Stellungnahme sei die Beschwerdeführerin in Deutschland aufhältig. Unüberwindliche Hindernisse, die einer gemeinsamen Ausreise der Beschwerdeführerin mit ihrem Kind entgegenstünden, seien nicht erkennbar. Diesen zwar erheblichen, insgesamt jedoch deutlich relativierten persönlichen Interessen stehe das große öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenlage gelange die Behörde zur Ansicht, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen eine der in den Z. 1 und 2 umschriebenen Annahmen gerechtfertigt ist.
Gemäß Abs. 2 des § 36 leg. cit. hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder (Z. 7) den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag, es sei denn, er wäre rechtmäßig zur Arbeitsaufnahme eingereist und innerhalb des letzten Jahres im Inland mehr als sechs Monate einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel nachzuweisen, dass er nicht bloß über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt und entsprechend zu belegen, dass sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gesichert erscheint, wobei Unterstützungsleistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht, zur Dartuung ausreichender Unterhaltsmittel nicht geeignet sind. (Vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2001, Zl. 2001/18/0175.)
2. Nach der Aktenlage hat die Erstbehörde die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 28. Februar 2005 aufgefordert, genau zu schildern, "aus welchen Quellen Sie Ihre Unterhaltsmittel beziehen und in welchem Umfang Sie solche seit dem Zeitpunkt ihrer Einreise bezogen haben".
Die Beschwerdeführerin hat darauf geantwortet, dass sie von ihren Eltern und Geschwistern Unterhalt bezöge. Sie hat ihre Eltern und die drei Geschwister namentlich genannt und ausgeführt, dass zwei Brüder bereits österreichische Staatsbürger seien und dem Vater die österreichische Staatsbürgerschaft demnächst verliehen werden solle. Im Akt erliegt eine von der Beschwerdeführerin anlässlich einer Anregung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 10 Abs. 4 FrG im Dezember 2003 vorgelegte Gehaltsbestätigung ihres Vaters.
Die Erstbehörde hat ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin die Unterhaltsleistung durch Eltern und Geschwister nicht dokumentiert habe. In der Berufung hat die Beschwerdeführerin dazu vorgebracht, die Personen (ihre Eltern und Geschwister), die ihr vertraglich Unterhaltsleistungen zugesichert hätten, ordnungsgemäß benannt zu haben. Verträge betreffend Unterhaltsgewährung könnten nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich abgeschlossen werden. Sie könne jederzeit nachweisen, von ihren Eltern und Geschwistern - auf vertraglicher Basis - Unterhaltsleistungen zu erhalten. Bisher sei eine entsprechender Nachweis von ihr nicht verlangt worden.
Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin daraufhin mit Schreiben vom 1. Juli 2005 u.a. den Auftrag erteilt, binnen zwei Wochen Namen, Geburtsdatum und Wohnanschrift ihrer Geschwister bekannt zu geben und das Aufenthaltsrecht ihres Vaters und ihrer Geschwister zu belegen. Diesem Auftrag ist die Beschwerdeführerin nach Ausweis der Aktenlage am 15. Juli 2005 durch Erstattung eines entsprechenden Vorbringens und Vorlage eines umfangreichen Konvoluts von Urkunden nachgekommen.
3. Die Beschwerdeführerin hat sich somit vor der Erstbehörde auf Unterhaltsgewährungen durch ihre namentlich genannten Eltern und Geschwister berufen. In der Berufung hat sie ausgeführt, dass vertragliche Unterhaltsverpflichtungen dieser Personen bestünden, welche jederzeit nachgewiesen werden könnten. Die belangte Behörde hat sie daraufhin aufgefordert, bestimmte Daten über den Vater und die Geschwister bekannt zu geben und das Aufenthaltsrecht dieser Personen nachzuweisen.
Bei diesem Sachverhalt konnte die Beschwerdeführerin annehmen, dass sie ihrer Mitwirkungsverpflichtung durch Beantwortung der gestellten Fragen und Vorlage der geforderten Nachweise ausreichend nachgekommen sei.
In einem Fall wie dem vorliegenden hätten Zweifel am Bestehen der Unterhaltsverpflichtung und der Leistungsfähigkeit der unterhaltsgewährenden Personen die belangte Behörde daher veranlassen müssen, die Beschwerdeführerin nicht nur zum Nachweis der Aufenthaltsberechtigung ihrer Eltern und Geschwister, sondern auch zum - in der Berufung angebotenen - Nachweis von deren Unterhaltsverpflichtung und Leistungsfähigkeit aufzufordern. Das Unterbleiben einer entsprechenden Aufforderung stellt daher vorliegend einen Verfahrensmangel dar.
4. Da die belangte Behörde bei Vermeiden dieses Mangels zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 13. Juni 2006
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht Verfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht ManuduktionspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005180582.X00Im RIS seit
06.07.2006