TE Vfgh Beschluss 2002/3/7 WI-4/01

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.03.2002
beobachten
merken

Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art141 Abs1 lita
B-VG Art141 Abs1 litb
GeschäftsO der Bezirksvertretungen. ABl der Stadt Wien 26/1985 und 16/1987 §1
VfGG §67 Abs2
Wr GemeindewahlO 1996 §95
Wr GemeindewahlO 1996 §99
Wr Stadtverfassung §8
Wr Stadtverfassung §61b

Leitsatz

Zulässigkeit der von Mitgliedern der Bezirksvertretung eingebrachten Anfechtung der Wahl des Bezirksvorstehers (und seines Stellvertreters) für den 4. Wiener Gemeindebezirk; keine Stattgabe dieser Wahlanfechtung; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestellung des Bezirksvorstehers in Form der sogenannten Fraktionswahl; keine Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens hinsichtlich der Abstimmung über eingereichte Wahlvorschläge; Zurückweisung der Anfechtung der Wahl des Vorsitzenden der Bezirksvertretung (und seines Stellvertreters) mangels Zuständigkeit des VfGH

Spruch

Die Wahlanfechtung wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1.1. Bei den Wiener Bezirksvertretungswahlen 2001 erreichten im 23. Wiener Gemeindebezirk:

       - SPÖ        28 Mandate

       - FPÖ        10 Mandate

       - ÖVP         9 Mandate

       - Grüne       6 Mandate

       - LIF         1 Mandat

       - KPÖ         0 Mandate.

Somit gehören zehn der insgesamt 54 Mitglieder der Bezirksvertretung (Bezirksräte) des 23. Wiener Gemeindebezirkes der anfechtenden Partei an; nämlich Roland Dietrich, Markus Freilinger, Gabriele Jell, Wolfgang Jung, Johann Kaupa, Brigitte Leeb, Helmut Mähnert, Helmut Partl, Ing. Paul Schmitt und Viktor Weiss.

1.1.2. Am 3.5.2001, 18.00 Uhr, fand die konstituierende Sitzung der neugewählten Bezirksvertretung für den 23. Wiener Gemeindebezirk statt, zu der die Bezirksräte unter Anschluss einer Tagesordnung eingeladen worden waren. Die Tagesordnung enthielt ua. die Punkte 4.: Wahl des Bezirksvorstehers und 6.: Wahl der Bezirksvorsteher-Stellvertreter.

Im Rahmen dieser konstituierenden Sitzung wurden demgemäß ua. der Bezirksvorsteher und zwei Stellvertreter gewählt (Punkte 4. und 6. der Tagesordnung). Für die Wahl eines (zweiten) Stellvertreters des Bezirksvorstehers ging am 30.4.2001 im Büro des Bezirksvorstehers ein von der "Fraktion der FPÖ - Liesing" erstatteter Wahlvorschlag lautend auf Gabriele Jell ein, der von allen (zehn) der FPÖ angehörigen Mitgliedern der Bezirksvertretung unterschrieben ist. Des Weiteren ergibt sich aus den Wahlakten, dass fünf der FPÖ angehörige Mitglieder der Bezirksvertretung (Leeb, Kaupa, Freilinger, Schmitt, Partl) mit einer im Büro des Bezirksvorstehers am 3.5.2001 um

16.45 Uhr eingegangenen, eigenhändig unterfertigten Erklärung ihre Zustimmung zum zuvor genannten Wahlvorschlag zurückgezogen hatten. Mit dem selben Datum als im Büro des Bezirksvorstehers als eingelangt vermerkt erstattete die "Fraktion der Freiheitlichen Partei Österreichs (F.P.Ö)" für die Wahl des (zweiten) Stellvertreters des Bezirksvorstehers einen auf Johann Kaupa lautenden Wahlvorschlag, der von den selben (fünf) Mitgliedern der Bezirksvertretung unterschrieben ist, die mit der zuvor genannten Eingabe ihre Zustimmungsunterschriften zu dem auf Gabriele Jell lautenden Wahlvorschlag zurückgezogen hatten. Beide Wahlvorschläge wurden mittels eines Formulars eingebracht, auf dem u.a. folgender Text vorgedruckt ist:

"Bemerkungen: Der Wahlvorschlag ist von der anspruchsberechtigten Partei dem Vorsitzenden der Bezirksvertretung in der Sitzung, auf deren Tagesordnung die Wahl steht, zu überreichen. Der Wahlvorschlag muss von mindestens der Hälfte der der betreffenden Partei angehörigen Mitglieder der Bezirksvertretung unterschrieben sein."

Die weiteren Vorgänge anlässlich der Wahl des (zweiten) Stellvertreters des Bezirksvorstehers werden im Protokoll über die konstituierende Sitzung der Bezirksvertretung (vom 3.5.2001) wie folgt beschrieben:

"Da nunmehr 2 Wahlvorschläge mit je

5 Unterstützungserklärungen vorliegen, erteilt die Vorsitzende Herrn OSR Dr. Sokop das Wort.

Herr OSR Dr. Sokop weist darauf hin, dass laut Wiener Stadtverfassung von jeder Fraktion nur ein Kandidat nominiert werden kann. Sollte keine gültige Nominierung zustande kommen, sieht die Wiener Stadtverfassung die Wahl des Bezirksvorsteher-Stellvertreters mit Stimmenmehrheit aus dem Kreis aller BezirksrätInnen vor.

Um der FPÖ die Möglichkeit einer Einigung zu geben, wird die Sitzung mehrmals unterbrochen.

Da sich die Bezirksräte der FPÖ auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen können, werden von den einzelnen Fraktionen BR Gerald Bischof (SPÖ), BR Josef Lohmann (ÖVP) und BR Helga Widder (GAL) für die Wahl zum Bezirksvorsteher-Stellvertreter vorgeschlagen.

Von der FPÖ verlassen darauf 5 Bezirksräte vorzeitig die Sitzung.

Frau BV-Stv. Stoisic bringt die Wahlvorschläge zur Abstimmung und bittet die Mitglieder der Bezirksvertretung um Vornahme der Wahl mittels Stimmzettel.

Von 45 gültig abgegebenen Stimmen entfallen auf BR Gerald Bischof 28 Stimmen, auf BR Josef Lohmann 10 Stimmen und auf BR Helga Widder 7 Stimmen.

Damit ist Herr Bezirksrat Gerald Bischof mehrstimmig zum Bezirksvorsteher-Stellvertreter gewählt."

1.2.1. In ihrer an den Verfassungsgerichtshof gerichteten und auf Art141 B-VG gestützten Eingabe beantragt die "Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) als Wählergruppe bei der Wahl des Bezirksvorstehers sowie der zwei Stellvertreter des Bezirksvorstehers für den 23. Wiener Gemeindebezirk", "das Verfahren zur Wahl des zweiten Bezirksvorsteher-Stellvertreters für den 23. Wiener Gemeindebezirk vom 3.5.2001 ab der Zulassung von Wahlvorschlägen anderer Wählergruppen als der (anfechtenden Partei) sowie die Wahl des Gerald Bischof zum zweiten Bezirksvorsteher-Stellvertreter für nichtig" zu erklären und als rechtswidrig aufzuheben.

1.2.2. Die Wiener Stadtwahlbehörde reichte - unter Vorlage der Wahlakten - eine Gegenschrift beim Verfassungsgerichtshof ein, in der sie beantragt, der Wahlanfechtung keine Folge zu geben.

2.1. Die anfechtende Partei verweist zur Frage ihrer Legitimation zur Anfechtung der Wahl des (zweiten) Stellvertreters des Bezirksvorstehers auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 11.875/1988 (betreffend eine auf Art141 B-VG gestützte Anfechtung der Wahl der Bezirksvorsteher der Landeshauptstadt Graz).

Die in VfSlg. 11.875/1988 u.a. entwickelte Auffassung, dass zur Wahlanfechtung die "kandidierenden Wählergruppen (Parteien)" (§67 Abs2 zweiter Satz VfGG) berechtigt seien, lässt sich indes auf den hier vorliegenden Fall nicht übertragen. Der Bezirksvorsteher (Stellvertreter) in Wien wird nämlich - anders als in Graz (s. dazu im Folgenden) - (auf Vorschlag der stärksten wahlwerbenden Partei) von der Bezirksvertretung gewählt (s. §61b Abs1 Wiener Stadtverfassung). Insofern liegt es aber näher, hinsichtlich der Legitimation zur Anfechtung dieser Wahl die die Wahl des Gemeindevorstandes durch den Gemeinderat betreffende Bestimmung des §67 Abs2 erster Satz VfGG analog anzuwenden. Somit kommt die Befugnis zur Anfechtung der Wahl eines Bezirksvorstehers (Stellvertreters) einem Zehntel (mindestens aber zwei) der Mitglieder der Bezirksvertretung zu. Dieser Auffassung steht das erwähnte Erkenntnis VfSlg. 11.875/1988, das für die Bezirksvorsteherwahl in Graz von der Anfechtungslegitimation der kandidierenden Wählergruppen iSd §67 Abs2 zweiter Satz VfGG ausgeht, nicht entgegen, weil der Bezirksvorsteher in Graz nach der diesem Erkenntnis zu Grunde liegenden Gemeindewahlordnung Graz 1986 (Stmk. LGBl. 91; §1 Abs1 und 2) - anders als die Bezirksvorsteher in Wien nicht von der Bezirksvertretung sondern - unmittelbar von den Wahlberechtigten im jeweiligen (Gemeinde-)Bezirk gewählt wird (s. auch das Erkenntnis des VfGH vom heutigen Tag WI-5,6/01).

2.2. Die von der genannten Wählergruppe eingebrachte Wahlanfechtung war folglich - mangels Legitimation - zurückzuweisen, ohne dass der Verfassungsgerichtshof darauf eingehen musste, ob die sonstigen Prozessvoraussetzungen zutreffen.

3. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

Bundeshauptstadt Wien, Bezirksvertretungen, Grundprinzipien der Verfassung, demokratisches Grundprinzip, VfGH / Legitimation, VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:WI4.2001

Dokumentnummer

JFT_09979693_01W00I04_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten