TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/22 2006/21/0034

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Veröffentlicht am 22.06.2006
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §57 Abs1;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des K, vertreten durch Mag. Franz Paul, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Josefstädter Straße 34/18, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 29. September 2005, Zl. Fr 1015/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Dieser Maßnahme legte sie zu Grunde, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. März 2005 nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 erster Fall Suchtmittelgesetz zu einer (teilbedingten) Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt nachgesehen, verurteilt worden sei. Er habe von September 2004 bis Jänner 2005 in drei bis vier Fällen eine nicht mehr feststellbare Menge Kokain dem Michael M verkauft und in der Zeit von Anfang 2004 bis Jänner 2005 wiederholt Suchtgift, nämlich Cannabisharz, für den Eigenkonsum erworben und besessen.

Der Beschwerdeführer sei am 15. Dezember 2003 illegal nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag eingebracht. Dieser sei gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG abgewiesen und es sei gemäß § 8 leg. cit. festgestellt worden, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG sei gegen ihn eine Ausweisung erlassen worden. Das Verfahren über die gegen den Asylbescheid erhobene Berufung sei beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig. In einer ihm eingeräumten Stellungnahme zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes habe er angegeben, dass er sein Heimatland aus politischen Gründen hätte verlassen müssen und es würde ihm bei einer Abschiebung nach Nigeria der Tod drohen.

Wegen der hohen Begleitkriminalität und der großen Wiederholungsgefahr sowie der Sozialschädlichkeit von Suchtgiftdelikten sei das Fehlverhalten des Beschwerdeführers außerordentlich gravierend und gefährde massiv die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Daher sei das Aufenthaltsverbot nach § 36 Abs. 1 FrG jedenfalls gerechtfertigt.

Weiters sei es zur Erreichung der Ziele des Art. 8 Abs. 2 EMRK dringend geboten. Der Beschwerdeführer habe die Straftaten in einem Zeitraum begangen, in dem er in die Bundesbetreuung aufgenommen gewesen sei, woraus eine besondere Missachtung der Rechtsordnung des Aufnahmestaates abzuleiten sei. Die Fremdenbehörde habe die Frage des Aufenthaltsverbotes ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu beurteilen und auch "eine bedingt nachgesehene Strafe" könne ein Aufenthaltsverbot rechtfertigen.

Der Behörde seien keine familiären und privaten Bindungen des Beschwerdeführers zu in Österreich lebenden Personen bekannt und der Beschwerdeführer könne wegen des erst ca. neunmonatigen Aufenthaltes im Bundesgebiet vor Verwirklichung des maßgebenden Sachverhaltes auch nicht als integriert betrachtet werden. Da keine maßgeblichen Umstände für den Beschwerdeführer in positiver Weise zu berücksichtigen seien, stehe weder die "Kannbestimmung" des § 36 Abs. 1 FrG noch die Abwägung nach § 37 FrG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes entgegen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten samt einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2005, Zl. 2005/21/0044).

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Feststellung über die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers, weshalb die belangte Behörde zu Recht die Verwirklichung des Tatbestandes des § 36 Abs. 2 Z 1 (zweiter Fall) FrG annehmen durfte. Angesichts der Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität (vgl. für viele das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2005/21/0044 sowie etwa das hg. Erkenntnis vom 9. Juni 2005, Zl. 2002/21/0098) durfte sie auch eine Prognose nach § 36 Abs. 1 FrG zu Lasten des Beschwerdeführers treffen. Daran kann die (bloße) Beschwerdebehauptung, dass der Beschwerdeführer "nunmehr clean" sei, nichts ändern; im Übrigen handelt es sich, weil ein entsprechendes Vorbringen im Verwaltungsverfahren nicht erstattet wurde, um eine unzulässige Neuerung (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG).

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, sie habe nicht festgestellt, welche konkreten Auswirkungen das verhängte Aufenthaltsverbot auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers hätte und die belangte Behörde habe trotz des Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers keine Interessenabwägung vorgenommen.

Auch dieses Vorbringen vermag die Beschwerde nicht zum Erfolg zu führen. In der Stellungnahme zum Verfahrenshilfeantrag behauptete zwar der Beschwerdeführer, dass er verheiratet sei und ein wenige Wochen altes Kind habe. In den Verwaltungsakten findet sich jedoch kein Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich verheiratet sei. Im Gegenteil wird auch noch in der Fremdeninformation vom 12. Oktober 2005 der Familienstand des Beschwerdeführers als ledig bezeichnet. Weder in der Stellungnahme zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vom 11. April 2005 noch in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid wurden im Inland bestehende Bindungen aufgezeigt. In der Beschwerde wird zwar vorgebracht, in welchen Fällen nach § 48 FrG ein Aufenthaltsverbot zulässig sei; es fehlen aber jegliche Behauptungen zu einem in Österreich bestehenden Familienleben und aus welchen Umständen dem Beschwerdeführer die Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen nach den §§ 47ff FrG zukäme.

In Ermangelung eines entsprechenden Vorbringens fehlt somit der oben wiedergegebenen Mängelrüge die Relevanz; entgegen der Beschwerdebehauptung hat die belangte Behörde eine Interessenabwägung durchgeführt.

Deren Ergebnis ist auf Basis der Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde nicht zu beanstanden. Wegen des Fehlens von Anhaltspunkten für familiäre Bindungen im Inland und der Kürze des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich durfte die belangte Behörde angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität das Aufenthaltsverbot sowohl nach § 37 Abs. 1 FrG als dringend geboten als auch nach § 37 Abs. 2 FrG als zulässig werten.

Daran vermag der Beschwerdehinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Juli 1995 im Fall "Nasri gegen Frankreich" nichts zu ändern; die Beschwerde verweist selbst darauf, dass es sich bei diesem Fremden um eine Person handelte, die bereits mit 5 Jahren (im Jahr 1960) nach Frankreich gezogen (und im Übrigen, worauf der EGMR besonderes Augenmerk gelegt hat, behindert) ist. Dieser Fall ist mit dem vorliegenden somit nicht vergleichbar.

Der behaupteten Bedrohung in seinem Heimatland kommt im Aufenthaltsverbotsverfahren keine Relevanz zu; ob der Beschwerdeführer asylrelevant verfolgt wird oder iSd § 57 Abs. 1 FrG gefährdet wäre, wurde bzw. wird im Asylverfahren einschließlich eines Ausspruches nach § 8 Abs. 1 AsylG geprüft.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Ein Fall des § 125 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG liegt nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006210034.X00

Im RIS seit

21.07.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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