TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/22 2006/19/0053

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2006
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde des B, geboren 1982, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. April 2003, Zl. 222.141/0-VIII/22/01, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Ukraine, reiste im November 2000 - noch minderjährig - in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme am 24. Jänner 2001 gab er an, im Zusammenhang mit Nachstellungen, die sich auf geschäftliche Tätigkeiten seines Vaters und seines (nunmehr in Österreich lebenden) Onkels bezogen hätten und in die die Miliz verwickelt gewesen sei, im Sommer 1999 in einem Park schwer misshandelt und ein Jahr später entführt und mehrere Tage lang in einem Keller gefangen gehalten worden zu sein. Danach habe er sich bis zur Ausreise bei den Großeltern versteckt gehalten. Er sei während dieser Zeit von der Miliz gesucht worden.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 6. April 2001 den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine aber gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig. Es erachtete das Vorbringen als glaubwürdig, meinte aber, dass die zugrunde gelegte Bedrohung nicht dem Staat "zugerechnet" werden könne und auch nicht auf einem der Verfolgungsgründe der FlKonv beruhe.

Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung des Asylantrages verhandelte die belangte Behörde zunächst am 11. Februar 2002. Der inzwischen volljährig gewordene Beschwerdeführer wurde in dieser Verhandlung ausführlich vernommen, begann aber schließlich zu weinen und war gesundheitlich nicht mehr in der Lage, weitere Angaben zu machen. In der fortgesetzten Verhandlung am 10. April 2002 vernahm die belangte Behörde einen medizinischen Sachverständigen über die Folgen der von ihm diagnostizierten Traumatisierung und mehrfachen Retraumatisierung des Beschwerdeführers. Im Anschluss daran befragte sie den Onkel des Beschwerdeführers als Zeugen zu den geltend gemachten Fluchtgründen.

Mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2002 teilte die Vertreterin des Beschwerdeführers mit, dieser werde frühestens in eineinhalb Jahren wieder vernehmungsfähig sein. Außerdem wurde in diesem Schriftsatz ausgeführt, dem Vater des Beschwerdeführers sei "zwischenzeitig die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt" worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Sie ging davon aus, dass sowohl die Angaben des Beschwerdeführers als auch diejenigen seines als Zeugen vernommenen Onkels glaubwürdig seien, verneinte aber - auch unter dem im Berufungsverfahren ausdrücklich geltend gemachten Gesichtspunkt der "Sippenhaftung" - einen Zusammenhang der geltend gemachten Bedrohung mit einem Konventionsgrund. Ein solcher sei "auch beim Onkel und beim Vater ... nicht feststellbar".

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde ist auf die Bekanntgabe, dem Vater des Beschwerdeführers - der sich im Zeitpunkt der Zeugenvernehmung seines Bruders, des Onkels des Beschwerdeführers, nach dessen Angaben in der Ukraine versteckt hielt - sei "zwischenzeitig die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt" worden, in der Begründung ihrer Entscheidung nicht eingegangen. Die Beschwerde rügt dies, enthält trotz wiederholter Bezugnahmen auf dieses Thema aber kein über die erwähnte Bekanntgabe hinausgehendes Vorbringen insbesondere darüber, wo und durch wen diese Zuerkennung erfolgt sei.

Dies kann jedoch auf sich beruhen, weil auch die von der belangten Behörde als glaubwürdig eingestuften Angaben des Beschwerdeführers und seines Onkels in der Berufungsverhandlung Hinweise auf eine Verfolgung zumindest des Vaters des Beschwerdeführers aus politischen Gründen enthielten, deren mögliche Relevanz für die Beurteilung der Bedrohung des Beschwerdeführers die belangte Behörde verkannt hat, da diese Vorbringensteile in ihren Erwägungen nicht vorkommen. Sowohl nach der Aussage des Beschwerdeführers als auch nach der seines Onkels hat sich der Vater des Beschwerdeführers nämlich nicht nur geweigert, sich zur Aufgabe von Geschäftsfilialen zwingen zu lassen oder Schmiergelder zu zahlen, sondern sich auch mit anderen Geschäftsleuten in einem "freien Unternehmerverband" zusammengeschlossen, um derartige Praktiken zu bekämpfen. Nach der Aussage des Onkels des Beschwerdeführers hat der Vater des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang auch Kontakt zu einer politischen Partei aufgenommen. Zur zweiten Verhaftung des Vaters des Beschwerdeführers, die zu dessen Verurteilung führte, gab der Onkel des Beschwerdeführers an, man habe seinen Bruder daran hindern wollen, zur Zeit der Lokalwahlen in der Stadt zu sein bzw. daran teilzunehmen. In Verbindung mit der Aussage des Beschwerdeführers, er selbst sei zuletzt - obwohl noch minderjährig - von der Miliz gesucht worden, damit Druck auf seinen Onkel ausgeübt werden könne, und den übrigen Sachverhaltselementen, die sich auf eine Involvierung staatlicher Organe beziehen, fehlt es nach den Maßstäben der hg. Erkenntnisse vom 13. November 2001, Zl. 2000/01/0098, und vom 30. September 2004, Zl. 2002/20/0293, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, daher nicht an Hinweisen darauf, dass die behaupteten Nachstellungen ungeachtet ihrer kriminellen Ziele auch eine Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung waren.

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb, weil die belangte Behörde dies nicht berücksichtigt hat, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190053.X00

Im RIS seit

01.08.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten