TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/22 2006/19/0382

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Veröffentlicht am 22.06.2006
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. B. Trefil, über die Beschwerde des M in W, geboren 1979, vertreten durch Dr. Michele Grogger-Endlicher, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Brahmsplatz 7/7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Mai 2003, Zl. 236.750/0-VIII/23/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Kopf des angefochtenen Bescheides als staatenlos bezeichnete Beschwerdeführer, der nach Ansicht der belangten Behörde offenbar russischer Staatsbürger ist, reiste aus Deutschland kommend im September 2002 erstmals in das Bundesgebiet ein und beantragte - nach einem weiterem Aufenthalt in Deutschland und Zurückschiebung von dort nach Österreich - im November 2002 Asyl.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 11. März 2003 gab er an, 1979 in Estland geboren und staatenlos zu sein. Sein Vater sei Deutscher gewesen, habe sich bald nach der Geburt des Beschwerdeführers von dessen Mutter scheiden lassen und sei nach Deutschland zurückgekehrt. Der Beschwerdeführer habe daraufhin mit seiner Mutter in Usbekistan gelebt, bis er nach dem Unfalltod seiner Mutter 1992 oder 1994 zusammen mit seinem älteren Bruder nach Moskau gekommen sei. Dort habe er noch zwei Jahre lang die Schule besucht. Auf Grund der "Nationalitätenprobleme" in Moskau, denen der Beschwerdeführer und sein Bruder teils wegen der Herkunft aus Usbekistan, teils wegen des deutschen bzw. auch als jüdisch deutbaren Familiennamens ausgesetzt gewesen seien, hätten er und sein Bruder sich dann entschlossen, nach Deutschland zu gehen. Die letzten sieben Jahre vor der Einreise nach Österreich habe der Beschwerdeführer illegal in Deutschland gelebt. Er könne nicht nach Russland oder in einen (anderen) Nachfolgestaat der UdSSR zurück, weil er dort völlig entwurzelt sei und weiterhin dieselben Probleme haben würde, die seinen Bruder und ihn zur Ausreise veranlasst hätten.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 11. April 2003 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach der Russischen Föderation" gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Es ging einleitend davon aus, Identität und Nationalität des Beschwerdeführers stünden "in Ermangelung irgendwelcher Identitätsdokumente nicht fest", gelangte nach Feststellungen über die Verhältnisse in der Russischen Föderation und das dort geltende Staatsbürgerschaftsrecht aber zu der Überzeugung, "zunächst einmal" sei der Behauptung des Beschwerdeführers, staatenlos zu sein, "entgegenzutreten". Nach den getroffenen Feststellungen über das russische Staatsbürgerschaftsrecht träfen auf den Beschwerdeführer "alle Voraussetzungen für den Besitz der russischen Staatsbürgerschaft zu; Sie sind somit jedenfalls als russischer Staatsangehöriger anzusprechen".

Die Angaben des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen seien "nicht asylrelevant". Es sei zwar "vorstellbar", dass die schwierige wirtschaftliche Situation "verbunden mit einem fallweise vorhandenen Machtvakuum" zu "Belästigungen" des Beschwerdeführers geführt hätten, die "mit ethnischen Vorbehalten kaschiert" würden. "Anhand" der Aussagen des Beschwerdeführers seien "diese Belästigungen jedoch als geringwertig zu bezeichnen". Außerdem würden sie nicht "von oben her gesteuert oder gar gefördert", sondern sie entstünden "von 'unten'. Derartige Belästigungen oder von Misstrauen geprägte Aussagen können in jedem anderen Land mit demokratischer Gesellschaftsstruktur geschehen, ohne dass dies als eine gezielte asylrelevante Verfolgungshandlung gewertet werden könnte". Darüber hinaus habe sich der Beschwerdeführer sieben Jahre lang in Deutschland aufgehalten. Das bedeute, "dass Ihre Fluchtgründe nicht nur als überholt und nicht mehr in zeitlichem Zusammenhang zum nunmehrigen Asylantrag zu bringen sind, sondern Sie jahrelang die Möglichkeit gehabt hätten Ihren Aufenthaltsstatus abklären zu lassen".

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen nur vor, die "geforderten Dokumente" aus Russland seien noch nicht eingelangt und er werde außerdem noch weitere relevante Informationen über seine Familie besorgen und vorlegen.

Mit dem angefochtenen, ohne mündliche Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Begründung des angefochtenen Bescheides besteht aus allgemein gehaltenen Textbausteinen, mit denen sowohl hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung als auch hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen wird.

In der Beschwerde wird vor allem geltend gemacht, die Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers sei ungeklärt geblieben. Inwieweit das Verfahren in dieser Hinsicht - trotz der Nichtvorlage zweckdienlicher Urkunden durch den Beschwerdeführer - mangelhaft geblieben ist und ob ein anderer Staat als Russland ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers als dessen Herkunftsstaat (bei Staatenlosigkeit: als Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes vor der Flucht) konkret in Frage käme, bedarf jedoch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keiner Klärung, weil die Abweisung des Asylantrages mit der von der belangten Behörde übernommenen Begründung des Bundesasylamtes jedenfalls rechtswidrig ist.

Der Beschwerdeführer hat angegeben, sein Bruder und er seien in Moskau nicht nur Unmutsäußerungen aus Kreisen der Bevölkerung, sondern Nachstellungen seitens der Miliz ausgesetzt gewesen, die unter Hinweis auf die Herkunft aus Usbekistan Geld verlangt und den Beschwerdeführer und seinen Bruder oft geschlagen hätte. Einmal sei auf den (noch minderjährigen) Beschwerdeführer auch ein Polizeihund gehetzt worden, wovon beim Beschwerdeführer noch Spuren zu sehen seien. Die Polizei habe den Beschwerdeführer und dessen Bruder "mehr oder minder gezielt" aufgefordert, die Stadt zu verlassen, sie hätten jeden Tag Angst haben müssen.

Diesem Vorbringen werden die Betrachtungen des Bundesasylamtes zur schwierigen wirtschaftlichen Lage und daraus resultierenden "Belästigungen", die jedoch von "unten" entstünden, von vornherein nicht gerecht. Angesichts des behaupteten Umstandes, dass u.a. ein Polizeihund auf den minderjährigen Beschwerdeführer gehetzt worden sei, was bleibende Spuren hinterlassen habe, kann im Besonderen aber der - von der belangten Behörde übernommenen - Einschätzung, die behaupteten "Belästigungen" seien "jedoch als geringwertig zu bezeichnen" und Vergleichbares geschehe auch "in jedem anderen Land mit demokratischer Gesellschaftsstruktur", nicht beigepflichtet werden.

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Umfang des Begehrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190382.X00

Im RIS seit

28.07.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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