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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Anlaßfallwirkung der Aufhebung von Teilen des §53a ASVG betreffend den pauschalierten Dienstgeberbeitrag für geringfügig Beschäftigte mit E v 07.03.02, G219/01.Spruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den allein bekämpften Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 1962,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid vom 7.3.2000 wurden der beschwerdeführenden Partei von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse - nachdem diese eine Beitragsprüfung durchgeführt hatte - allgemeine Beiträge in Höhe von S 37.399,10, Sonderbeiträge in Höhe von S 1.601,60 sowie Verzugszinsen in Höhe von S 4.300,-- als Mindestbeitragszuschlag nachverrechnet.
2. Dagegen erhob die beschwerdeführende Partei am 18.4.2000 Einspruch an den Landeshauptmann von Oberösterreich.
3. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 19.6.2000 wurde dem Einspruch teilweise Folge gegeben und die Angelegenheit zur Ergänzung der Begründung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Gebietskrankenkasse zurückverwiesen (Spruchpunkt 1); im übrigen - soweit die Gebietskrankenkasse zwei Beschäftigten zuerkannte Zahlungen nicht als Jubiläumsgelder iS des §49 Abs3 Z10 ASVG anerkannt und der beschwerdeführenden Partei für bei ihr geringfügig beschäftigte Dienstnehmer pauschalierte Dienstgeberbeiträge gem. §53a ASVG nachverrechnet hatte - wurde der Einspruch als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt (Spruchpunkt 2). Die von Spruchpunkt 2 erfaßten allgemeinen Beiträge wurden mit S 20.597,60, die Sonderbeiträge mit
S 1.444,80, der Anteil am Beitragszuschlag mit S 2.600,-- beziffert.
4. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gem. Art144 B-VG, in der die Verletzung der beschwerdeführenden Partei in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides - in seinem Spruchpunkt 2 - beantragt wird.
Begründend wird dazu im wesentlichen ausgeführt, die dem bekämpften Bescheid zugrunde gelegte Gesetzesbestimmung des §53a ASVG sei - aus näher dargelegten Gründen - verfassungswidrig. Darüber hinaus sei nicht nachvollziehbar, aus welchen sachlichen Erwägungen Jubiläumsgeschenke erst dann gem. §49 Abs3 Z10 ASVG von der Beitragspflicht ausgenommen seien, wenn das Geschenk nach Ablauf eines Mehrfachen von 10 oder 25 Jahren gewährt werde. Der einschlägigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hafte insoweit eine unsachliche Differenzierung an. Bekämpft wird auch die Auferlegung des Beitragszuschlags, weil dieser als Strafe iS des Art6 Abs1 EMRK anzusehen, die belangte Behörde indes nicht als "Gericht" iS des Art6 Abs1 EMRK zu qualifizieren und auch sonst kein "faires" Verfahren durchgeführt worden sei.
5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet. Auch die dem Verfahren als beteiligte Partei beigezogene Gebietskrankenkasse hat eine schriftliche Äußerung erstattet.
II. 1. Mit Erkenntnis vom 7. März 2002, G219/01, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß §53a ASVG idF der 55. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 138/1998, zum Teil als verfassungswidrig aufgehoben werde.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundeliegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet wurde, sind all jene Fälle gleichzuhalten, die zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986, 11.711/1988).
3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G219/01 begann am 7. März 2002. Die vorliegende Beschwerde war zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig. Nach dem soeben Ausgeführten steht der Fall daher einem Anlaßfall gleich.
4. Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Partei nachteilig war.
Die beschwerdeführende Partei wurde also durch den angefochtenen Bescheid - im bekämpften Umfang - wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985).
Der Bescheid war daher in seinem Spruchpunkt 2 - wegen Untrennbarkeit zur Gänze - aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- enthalten. Ein Ersatz der entrichteten Eingabengebühr war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit des Verfahrens (§110 Abs1 Z2 lita ASVG) nicht zuzusprechen.
6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Anlaßfall, VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1346.2000Dokumentnummer
JFT_09979687_00B01346_00