TE Vfgh Erkenntnis 2002/3/13 B49/01 ua

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Veröffentlicht am 13.03.2002
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Index

21 Handels- und Wertpapierrecht
21/06 Wertpapierrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
WertpapieraufsichtsG

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch einen Bescheid der Bundes-Wertpapieraufsicht wegen Bescheiderlassung durch eine qualitativ andersartige, aufgrund der bereinigten Rechtslage nach Aufhebung von Bestimmungen des Wertpapieraufsichtsgesetzes betreffend die eigene Rechtspersönlichkeit dieser Einrichtung nicht mehr zuständige Behörde

Spruch

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Bescheide in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit jeweils € 2.143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die zu B49/01 protokollierte Beschwerde richtet sich gegen einen Bescheid der "Bundes-Wertpapieraufsicht" (im folgenden: BWA), mit dem dem nunmehrigen Beschwerdeführer die Erteilung einer (eingeschränkten) Konzession für Wertpapierdienstleistungen versagt wird.

Die zu B1324/01 protokollierte Beschwerde richtet sich gegen einen Bescheid der BWA, mit dem der nunmehr beschwerdeführenden Gesellschaft ein Kostenersatz für die bei ihr durchgeführte Prüfung gemäß §24 Abs2 Wertpapieraufsichtsgesetz (im folgenden: WAG) vorgeschrieben wird.

Die zu B1616/01 bis B1618/01 sowie B1625/01 und B1627/01 protokollierten Beschwerden richten sich gegen Bescheide der BWA, mit denen den nunmehr beschwerdeführenden Parteien gemäß §7 WAG der auf sie entfallende Anteil an den Gesamtkosten der BWA vorgeschrieben wird.

In den Beschwerden wird die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt.

2. Die BWA hat in allen hg. Verfahren die Verwaltungsakten vorgelegt und jeweils eine Gegenschrift erstattet (außer zu B49/01, wo sie darauf verzichtet hat), in denen sie jeweils beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat beschlossen, die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden (§§187, 404 ZPO iVm §35 VfGG).

4. Aus Anlaß einer anderen Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 15. Juni 2001, B1695/99-12, ein Verfahren zur Prüfung der die Ausgliederung der BWA anscheinend bewirkenden Bestimmungen des WAG ein. Er nahm dabei vorläufig an, daß der BWA einerseits iSd Erkenntnisses VfSlg. 14.473/1996 nicht "bloß vereinzelte Aufgaben" übertragen worden seien und daß andererseits die Leitungs- und Organisationsverantwortung des Bundesministers für Finanzen als eines obersten Organs nicht ausreichend gesichert erscheint.

5. Mit seinem Erkenntnis vom 12. Dezember 2001, G269/01 ua., hob der Verfassungsgerichtshof jene der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des WAG als verfassungswidrig auf, durch die die BWA als selbständige Einrichtung des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit konstituiert wurde.

II. Die Beschwerden sind zulässig und im Ergebnis auch begründet:

1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung von Gesetzesbestimmungen auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannten Normen bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätten.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

Die mündliche Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren fand am 6. Dezember 2001 um 10.30 Uhr statt. Die vorliegenden Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof jeweils vor diesem Zeitpunkt eingelangt, waren also zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung schon anhängig; die ihnen zugrundeliegenden Fälle sind somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

2. In §1 Abs1 WAG wurde mit dem zitierten Erkenntnis vom 12. Dezember 2001 jene Wortfolge aufgehoben, die der BWA eigene Rechtspersönlichkeit verlieh. Weiters wurden jene in Prüfung stehenden Bestimmungen aufgehoben, die mit der Einrichtung als eigener Rechtsträger notwendig verbunden waren. Durch die Aufhebung dieser Bestimmungen hat die bescheiderlassende Behörde ihre Stellung als eigener Rechtsträger verloren; nach der bereinigten Rechtslage ist sie als eine dem Bundesminister für Finanzen unterstellte Sonderbehörde zu qualifizieren. Damit hat sich die Qualität des rechtlichen Bestandes der bescheiderlassenden Behörde wesentlich verändert. Gegen ihre im Verwaltungsverfahren erlassenen Bescheide ist jedoch auch nach der bereinigten Rechtslage ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig, da der Gehalt des dies anordnenden §28 Abs2 WAG durch das Erkenntnis im Gesetzesprüfungsverfahren keine Änderung erfahren hat (vgl. VfGH 28.2.2002, B1695/99-14).

Die Beschwerden sind daher auch auf der Basis der bereinigten Rechtslage zulässig.

Sie sind auch begründet:

Die bekämpften Bescheide wurden von einer qualitativ andersartigen (nämlich als selbständiger Rechtsträger agierenden) Behörde erlassen, die als solche nach der bereinigten Rechtslage für die Erlassung der angefochtenen Bescheide offenkundig nicht zuständig ist. Da das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt wird, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt, verletzen die angefochtenen Bescheide die beschwerdeführenden Parteien in diesem Recht.

Die Bescheide sind daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist jeweils eine Eingabegebühr in der Höhe von € 181,68 und jeweils Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- enthalten.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, Bankwesen, Wertpapierrecht, Verwaltungsorganisation, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B49.2001

Dokumentnummer

JFT_09979687_01B00049_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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