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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §36 Abs3 litB sublita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde der V in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Hofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Helferstorferstraße 4, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 17. September 2004, Zl. LGSW/Abt.3-AlV/1218/56/2004-4441, betreffend Einstellung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufgehoben.
Die belangte Behörde (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 28. April 2004 hat das Arbeitsmarktservice Wien Hietzinger Kai die von der Beschwerdeführerin bezogene Notstandshilfe mangels Notlage ab 1. Juni 2004 eingestellt. Nach der Begründung habe das anrechenbare Einkommen ihres Ehemannes trotz Berücksichtigung der gesetzlichen Freigrenzen den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Notstandshilfe überstiegen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, sie zahle jeweils monatlich für die Wohnung EUR 164,47 und an Kreditraten EUR 71,-- und jedes zweite Monat EUR 97,20 für Strom.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2004 lud die erstinstanzliche Behörde die Beschwerdeführerin für den 30. Juni 2004 zu einer Vorsprache betreffend ihre Berufung. In dem Schreiben heißt es unter anderem wörtlich:
"Bitte bringen Sie diese Ladung und folgende Unterlagen mit:
Invaliditätspensionsbescheid Ihres Gatten und Pensionshöhe 2004;
Nachweise für eventuell bei Ihnen oder Ihrem Gatten vorhandene Erkrankungen;
Vergebührten Kreditvertrag,
Rechnungen (Nachweise) über die Kreditverwendung (Wohnungskauf, Wohnungssanierung, Einrichtung, usw.),
aktuelle Kreditrückzahlungsbelege (Kontoauszüge)."
In der Niederschrift über die Vorsprache der Beschwerdeführerin am 9. Juli 2004 bei der erstinstanzlichen Behörde ist unter anderem festgehalten:
"Weiters gibt Sie (die Beschwerdeführerin) an, dass Sie eine Kreditrückzahlung von monatlich EUR 67,50 leiste. Den Kredit habe Sie aufgenommen, weil Sie vor ca. sieben Jahren aus ihrer Hausbesorgerwohnung musste da ein Garagenumbau durchgeführt wurde. Sie habe sich dann im 15. Bezirk eine Hauptmietwohnung gesucht, für die aufzuwendenden Kosten habe Sie einen Kredit von ca. ATS 70.000,-- aufgenommen, rückzahlbar während zehn Jahre.
(Die Beschwerdeführerin) wird bis spätestens 06.08.2004 (Unterstreichung im Original) folgende Belege per Fax hierher übermitteln:
1.Invaliditätsbescheid des Gatten
2.Aktuelle ärztliche Bestätigung über die Erkrankung des Gatten
3.Vergebührten Kreditvertrag von 1997
4.Rechnungen, Nachweise für die Kreditverwendung (Ablöse, Wohnungseinrichtung, Wohnungssanierung usw.).
Falls geforderte Unterlagen nicht mehr vorhanden sind, wird Sie dies schriftlich mitteilen."
Diese Niederschrift wurde von der Beschwerdeführerin unterzeichnet und ihr - einer Anmerkung auf der Niederschrift folgend - in Kopie übergeben. Der Niederschrift angeheftet sind Auszüge eines Bankkontos der Beschwerdeführerin; auf einem Kontoauszug vom 31. Dezember 2003 ist die Position "Rate Mai" mit EUR 67,50 angegeben.
Der Niederschrift im Verwaltungsakt nachgeordnet findet sich ein undatiertes Schreiben der Beschwerdeführerin, in dem sie mitteilt, dass sie keine Rechnungen gefunden habe und "trotz der verlorenen Rechnungen" um die Gewährung eines Pensionsvorschusses ersuche. Diesem Schreiben beigeheftet ist unter anderem ein Kreditvertrag, der die Beschwerdeführerin als Kreditnehmerin ausweist und bei einem Kreditbetrag von S 70.000,-- ab 15. Jänner 1998 die Rückzahlung von monatlich S 985,-- vorsieht.
In einem Aktenvermerk vom 16. September 2004 wird von einer Mitarbeiterin des Arbeitsmarktservice festgehalten, dass die der Beschwerdeführerin Kredit gebende Bank mitgeteilt habe, dass der genannte Kredit als "Normalverbraucher-Kredit" geführt werde, und Hinweise dafür, dass der Kredit für Aufwendungen für eine Wohnung aufgenommen worden wäre, nicht vorlägen. In einem solchen Fall - heißt es im Aktenvermerk weiter - wären auch die Konditionen günstiger gewesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben.
In der Begründung stellte sie den Gang des Verwaltungsverfahrens dar und traf folgende Feststellungen:
"Ihr letzter Antrag datiert vom 10.09.2003 ... und in Folge wurde ab 16.09.2003 ein Pensionsvorschuss auf Basis von Notstandshilfe in der Höhe von EUR 8,19 täglich gewährt.
Ihrem Gatten wurde mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt Wien vom 20.04.2004 eine Invaliditätspension ab 01.12.2003 zuerkannt. Er hat bis 30.04.2004 einen Pensionsvorschuss des Arbeitsmarktservice erhalten. Sie haben die Zuerkennung der Invaliditätspension an Ihren Gatten dem Arbeitsmarktservice nicht gemeldet.
Als Berechnungsgrundlage für das auf Ihren Notstandshilfeanspruch für Juni 2004 anzurechnende Einkommen Ihres Ehegatten ... ist dessen Pensionseinkommen aus dem Vormonat heranzuziehen. Ihr Gatte erhielt im Mai 2004 eine Invaliditätspension von EUR 795,81 netto. Von diesem Einkommen ist zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts Ihres Ehegatten grundsätzlich ein Betrag von EUR 441,-- freizulassen. Ein Freigrenzenerhöhungsgrund aufgrund der Diabetes Erkrankung Ihres Gatten ist gegeben und beträgt dieser EUR 73,--. Die laufende Kreditrückzahlung konnte nicht berücksichtigt werden, da Sie nach Ihren eigenen Angaben keine Rechnungen vorlegen können, dass der im Jahr 1997 aufgenommene Normalverbraucherkredit für die Anschaffung oder Sanierung einer Wohnung bzw. für die Anschaffung von Einrichtung verwendet worden ist. Unterhaltspflichten, sonstige Freigrenzen oder Freigrenzenerhöhungsgründe konnten nicht festgestellt werden.
Ihr täglicher Notstandshilfeanspruch (Pensionsvorschuss)
würde ohne Anrechnung EUR 8,19 betragen.
...
... Ihr Anspruch auf Notstandshilfe ab 01.06.2004 (wurde) wie
folgt berechnet:
Das monatlich Nettoeinkommen Ihres Ehegatten aus dem Monat
Mai 2004
EUR 795,81
abzüglich Freigrenze für Ihren Ehegatten
EUR 441,--
abzüglich Freigrenzenerhöhung (Erkrankung Gatte)
EUR 73,--
anrechenbares monatliches Einkommen
EUR 281,81
EUR 282,-- (kaufmännisch gerundet)
tägliche Anrechnung (EUR 282,-- x 12 Monate/ 366 Tage)
EUR 9,24
Ihr theoretischer tägl. Notstandshilfeanspruch ohne Anrechnung
EUR 8,19
Der Anrechnungsbetrag übersteigt somit die Ihnen an sich gebührende Notstandshilfe und Notlage ist ab 01.06.2004 nicht gegeben und der Bezug nach § 24 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz einzustellen.
Die Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden, monatlichen Lebenshaltungskosten bei der Gebührlichkeit von Notstandshilfe ist nach den relevanten gesetzlichen Bestimmungen nicht vorgesehen."
Im Anschluss daran stellte die belangte Behörde die von Ihr angewendeten Rechtsvorschriften dar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zum Beschwerdevorbringen, dem Verwaltungsverfahren wäre ein Dolmetscher beizuziehen gewesen, weil die Beschwerdeführerin der deutschen Sprache nicht mächtig sei, ist Folgendes auszuführen:
Ist eine Partei der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig, ist erforderlichenfalls ein Dolmetscher beizuziehen (§ 39a AVG). Ein Verstoß gegen § 39a AVG bewirkt einen Verfahrensmangel, der nur dann zur Aufhebung des Bescheides führt, wenn er relevant im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG ist (vgl. das Erkenntnis vom 7. September 2005, Zl. 2002/08/0193). Aus den Verwaltungsakten ergibt sich nicht, dass die Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren oder in der Berufung darauf hingewiesen hätte, dass ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichten. Es sind somit keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage ist, sich ausreichend verständlich zu machen. Damit sind aber die Voraussetzungen des § 39a AVG nicht gegeben und liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor.
Die materielle Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Gemäß § 33 Abs. 2 AlVG ist Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe unter anderem, dass sich der Arbeitslose in Notlage befindet.
Gemäß § 2 Abs. 1 der auf Grund des § 36 Abs. 1 AlVG erlassenen Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973, liegt Notlage vor, wenn das Einkommen des (der) Arbeitslosen und das seines Ehepartners (Lebensgefährten bzw. seiner Lebensgefährtin) zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des (der) Arbeitslosen nicht ausreicht.
§ 6 NH-VO (in der hier anzuwendenden Fassung der Verordnung BGBl. II Nr. 490/2001) lautet:
"§ 6. (1) Bei Heranziehung des Einkommens des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) des (der) Arbeitslosen für die Beurteilung der Notlage ist wie folgt vorzugehen: Von dem Einkommen ist ein Betrag freizulassen, der zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) und der allenfalls von ihm zu versorgenden Familienmitglieder bestimmt ist (Freigrenze). Der die Freigrenze übersteigende Teil des Einkommens ist auf die Notstandshilfe anzurechnen.
(2) Die Freigrenze beträgt pro Monat EUR 430 für den das Einkommen beziehenden Ehepartner (Lebensgefährten bzw. die Lebensgefährtin) und die Hälfte dieses Betrages für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner (Lebensgefährte bzw. die Lebensgefährtin) auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt."
Eine Erhöhung des - im Sinne des § 36 Abs. 3 lit. B sublit. a AlVG in § 6 Abs. 2 bis 4 Notstandshilfeverordnung jeweils nach der Größe der Familie bemessenen - Freibetrages kann nach § 36 Abs. 5 AlVG in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. Krankheit, Schwangerschaft, Niederkunft, Todesfall, Hausstandsgründung und dgl., im Rahmen der vom Arbeitsmarktservice festgelegten, in der Wiener Zeitung kundgemachten (und bei Pfeil/Dirschmied, AlVG, 3. Auflage, 487 ff, wiedergegebenen), Richtlinien zur Freigrenzenerhöhung erfolgen.
Die belangte Behörde hat die Raten für die Rückzahlung des im Jahre 1997 aufgenommenen Kredites beim Einkommen des Ehemannes der Beschwerdeführerin nicht freigrenzenerhöhend berücksichtigt, weil sie nicht von der von der Beschwerdeführerin behaupteten Verwendung des Kreditbetrages zur Wohnraumbeschaffung ausgegangen ist.
Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerdeführerin - erkennbar -
die Beweiswürdigung der belangten Behörde hinsichtlich der Feststellung, der "Normalverbraucherkredit" sei nicht "für die Anschaffung oder Sanierung einer Wohnung bzw. für die Anschaffung von Einrichtung verwendet worden".
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. November 1992, Zl. 92/08/0071) nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung hat nur zur Folge, dass - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen.
Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde als unschlüssig: Allein aus dem Umstand nämlich, dass die Beschwerdeführerin keine Rechnungen vorlegen konnte - und nur damit begründet die belangte Behörde ihre Einschätzung -, kann nicht geschlossen werden, dass der Kreditbetrag nicht im Zusammenhang mit der Anschaffung und Sanierung einer Wohnung verwendet wurde. Es ist nicht unplausibel, wenn die Beschwerdeführerin ausführt, nach mehreren Jahren keine Rechnungen mehr zu finden, zumal sie nicht unbedingt damit rechnen musste, dass diese in einem Beweisverfahren von Relevanz sein werden. Weshalb die Angaben der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Kreditverwendung unglaubwürdig sein sollen, lässt die belangte Behörde offen. Es ist vor allem unverständlich, aus welchen Gründen die Behörde die (die Beweislast tragende) Beschwerdeführerin nicht zur Namhaftmachung anderer Beweismittel, wie zum Beispiel von Zeugen, aufgefordert hat. Die belangte Behörde hat dadurch Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Ein Ersatz für die Gebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG war nicht aufzuerlegen, weil der Beschwerdeführerin auch in diesem Umfang Verfahrenshilfe bewilligt wurde.
Wien, am 28. Juni 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005080021.X00Im RIS seit
10.08.2006Zuletzt aktualisiert am
17.09.2013