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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
BBG 1990 §42;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Köhler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des P, vertreten durch Ing. Mag. Wilhelm Deutschmann, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 47, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 5. Mai 2003, Zl. SV(SanR)- 420 723/8-2003-Hai, betreffend zusätzliche Eintragung in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Darstellung des Sachverhaltes auf das Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, verwiesen.
Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich (belangte Behörde) vom 11. Juli 2001 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Nach den Entscheidungsgründen habe die Behörde, um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt sei und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirke. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liege, bedürfe es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt würden. Nur dadurch werde die Behörde in die Lage versetzt zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar sei. Diesen Anforderungen genügten die von der belangten Behörde eingeholten Gutachten nicht. Darin werde im gegebenen Zusammenhang bloß ausgeführt, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei (dem Beschwerdeführer) noch zumutbar, das Zurücklegen kurzer Wegstrecken sei möglich. Eine Gutachtenergänzung enthalte zu der hier interessierenden Frage keine konkreten Ausführungen, sondern lediglich die abschließende Bemerkung, dass sich bezüglich der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel keine Änderung zur bisherigen Beurteilung ergebe. Dass beim Beschwerdeführer trotz dauernder Gesundheitsschädigung die Möglichkeit der Zurücklegung kurzer Wegstrecken bestehe, reiche nicht aus, um bereits von der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausgehen zu können. Es wäre in diesem Zusammenhang vor allem auch zu prüfen gewesen, wie sich die beim Beschwerdeführer gegebene dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirke. Die von der belangten Behörde zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogenen Gutachten der ärztlichen Sachverständigen stellten nach dem Gesagten keine ausreichende Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar.
Mit (Ersatz-)Bescheid vom 5. Mai 2003 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundessozialamtes Oberösterreich vom 18. Juni 2001, mit welchem gemäß § 42 und § 45 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990 (BBG), dessen Antrag auf Eintragung des Zusatzvermerkes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in den Behindertenpass abgewiesen worden sei, keine Folge gegeben und der Bescheid des Bundessozialamtes "aus seinen zutreffenden Gründen" bestätigt.
Nach der Begründung habe die belangte Behörde eine neuerliche ärztliche Untersuchung des Beschwerdeführers veranlasst. In dem neu vorliegenden ärztlichen Sachverständigen-Gutachten von Dr. P. sei nunmehr Folgendes festgestellt worden:
"Bei Herrn (Beschwerdeführer) liegt aufgrund der Gesundheitsschädigungen:
1.
höhergradige WS-Veränderungen - Pos.Nr. 1991 - 60 %
2.
Einschränkung li. Schultergelenk, Zustand Bizepssehnenruptur re. - Pos.Nr. 418 - 40 %
3. Polyneuropathie, Narkolepsie, Neurasthenie - sgm. Pos.Nr. 585 - 20 %
4.
Hypertonie, Leukenzophalopathie - Pos.Nr. 323 - 20 %
5.
Zustand nach Hörsturz - Pos.Nr. 643, K1,Z.1 - 10 %
6.
Zustand nach Thrombose - Pos.Nr. 710 - 10 %
ein Gesamtgrad der Behinderung von 80 % vor.
Das Gangbild ist sicher, hinkend nach links, linker Fuß wird unvollständig von der Unterlage gehoben. Zehenspitzenstand und Fersenstand ist li. abgeschwächt. Es wird ein Gehstock links verwendet. Stiegensteigen ist erschwert möglich. Anhalten an Handläufen mit beiden Händen ist möglich,
Alle Bewegungen der HWS beidseits zu 1/3 eingeschränkt.
BWS-LWS: Bewegungen allseits mittelgradig schmerzhaft. Seitenbeugen: 10-0-20, Rumpfdrehen: 25-0-25, Reklination 20 Grad . Der Fingerkuppenbodenabstand beträgt 50 cm.
Lasegue: bds. negativ.
Schober: 10/14 cm. PSR und ASR seitengleich gut auslösbar.
Sensibilität: Hypästhesie bds. Unterschenkel und Vorfuss; Trophik:
Unterschenkel- u.Vorfußödem li; trägt Stützstrumpf.
Grobe Kraft: li. Zehen- und Fersenheber abgeschwächt. Fußpulse sind beidseits gut tastbar.
In den Hüftgelenken und Kniegelenken besteht keine
Funktionseinschränkung.
Schultergelenke:
li. Aduktion/Adduktion 100-0-20, Anteversion/Retroversion 90-0-25 AR/IR 50-0-40, Schürzen- u. Nackengriff nicht möglich. re: geringe Schwäche Bizeps, Gelenk frei beweglich.
Handgelenke und Finger: Faust- und Schlüsselgriff beidseits möglich. Grobe Kraft o.B., Sensibilität o.B.
Der Untersuchte ist aufgrund mehrerer Bandscheibenvorfälle und Polyneuropathie, sowie neurologischer Defizite in seinem Bewegungsumfang eingeschränkt. Er benützt einen Gehstock links, Stiegensteigen ist möglich, ebenso das Anhalten mit beiden Händen an Handläufen. Es können mittlere Gehstrecken zurückgelegt werden. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist unter Berücksichtigung der oben angeführten Leiden ordnungsgemäß möglich und zumutbar."
Das Ergebnis des nunmehr neu vorliegenden ärztlichen Ermittlungsverfahrens - so heißt es in der Begründung weiter - sei dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit gegeben worden, dazu Stellung zu nehmen bzw. neue Beweismittel vorzulegen. Mit Schreiben vom 23. April 2003 habe der Beschwerdeführer mitgeteilt, dass ihm das Gutachten unrichtig, unschlüssig, ja geradezu absurd erscheine. Auf Grund der vorliegenden Gesundheitsschädigungen, der Benützung eines Gehstockes, seiner Körpergröße und seinem Körpergewicht sei es ihm nicht möglich, in ein öffentliches Verkehrsmittel ein- oder auszusteigen. Auf Grund seiner Polyneuropathie sei es schon zu verschiedenen Stürzen mit Hautabschürfungen gekommen. Der Sachverständige benütze wohl nie ein öffentliches Verkehrsmittel, sonst hätte er wissen müssen, dass man sich beim Einsteigen "hinaufziehen" müsse.
Zu diesem Vorbringen werde seitens der belangten Behörde bemerkt, dass der untersuchende Arzt auf alle Umstände, die für die beantragte Zusatzeintragung relevant seien, entsprechend eingegangen und diese Entscheidung von ihm auch entsprechend begründet worden sei. Auf Grund des vorliegenden Zustandsbildes sei er nach genauer Überprüfung zur Ansicht gelangt, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der gegebenen Einschränkungen zumutbar sei. Vom Beschwerdeführer seien in seiner Stellungnahme keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht worden, die bei Erstellung des ärztlichen Gutachtens nicht bekannt gewesen seien bzw. eine Änderung des ärztlichen Sachverständigen-Gutachtens rechtfertigen würden. Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes sehe die belangte Behörde keine Veranlassung, an der Richtigkeit des vorliegenden ärztlichen Ermittlungsverfahrens Zweifel zu hegen. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Dem auf das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Dr. P. gestützten angefochtenen Bescheid ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer ("erschwert") Stiegen zu steigen und sich an Handläufen anzuhalten in der Lage ist. Die belangte Behörde konnte jedoch auf der Grundlage dieses Gutachtens die entscheidenden Feststellungen nicht treffen, nämlich, ob dem Beschwerdeführer angesichts der gegebenen körperlichen Einschränkungen die Überwindung von Höhenunterschieden, wie sie beim Einsteigen in öffentliche Verkehrsmittel unter den dabei herrschenden Bedingungen im Allgemeinen zu bewältigen sind, in der dabei gebotenen Raschheit und Sicherheit - wenigstens im erforderlichen Mindestausmaß - ebenso möglich ist wie das einigermaßen sichere Anhalten an Haltestangen oder -griffen während der Fahrt.
Wie sich die erhobenen Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln konkret auswirken, ist somit neuerlich nicht in nachvollziehbarer Weise dargestellt worden; es fehlen nämlich Darlegungen, wie sich jene Einschränkungen, die dem Beschwerdeführer das Stiegensteigen "erschweren", sich bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel konkret auswirken. Die Feststellungen, dass Stiegensteigen ("erschwert") möglich sei, ebenso das Anhalten mit beiden Händen an Handläufen, sowie der Umstand, dass der Beschwerdeführer mittlere Gehstrecken zurückzulegen vermag, stellen im vorliegenden Fall daher keine ausreichende Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 29. Juni 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2003100126.X00Im RIS seit
10.08.2006