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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des NG in W, geboren 1967, vertreten durch Mag. Willibald Berger, Rechtsanwalt in 4614 Marchtrenk, Linzer Straße 11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Oktober 2005, Zl. 233.054/1- XII/36/02, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Am 3. September 2002 reiste er gemeinsam mit seiner Ehegattin und seinen drei minderjährigen Kindern in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag begründete er vor dem Bundesasylamt damit, dass sein Wohnhaus "im Krieg" zerstört worden sei, weshalb er mit seiner Familie in einem Zelt habe leben müssen; die Situation im Kosovo sei nicht sicher, er (Beschwerdeführer) könne nicht zurück, er wüsste nicht, wie er dort überleben sollte.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach der Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo" gemäß § 8 AsylG zulässig sei.
Der Beschwerdeführer erhob gegen den erstinstanzlichen Bescheid Berufung. In der in der Folge am 10. Oktober 2005 abgehaltenen Berufungsverhandlung legte er zunächst ein handschriftliches Schreiben vor, das von seinem im Kosovo verbliebenen Bruder stamme und in dem (in albanischer Sprache; Übersetzung durch den in der Verhandlung anwesenden Dolmetscher) festgehalten ist, dass der Beschwerdeführer "durch böse Menschen" gefährdet sei. Dem Schreiben angeschlossen waren fünf Lichtbilder, datiert mit 17. und 18. August 2005, die auf Ziegelmauern angebrachte Schmähschriften (in deutscher Übersetzung: "O Naim du Verräter. Verschwinde von hier. Geh weg du Gesindel. Verräter geh weg. Verschwinde Naim.") zeigen.
Hiezu gab der Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung - auszugsweise - Folgendes an (VL = Verhandlungsleiter, BW = Beschwerdeführer):
"BW: ... Die einzige Möglichkeit für mich war eine Tätigkeit als Händler. Wir hatten ein Geschäft. Die Situation wurde damals immer schwieriger und die Präsenz der serbischen Polizei immer größer. Im Jahr 1995 sah ich mich gezwungen, ungewollt mit der serbischen Polizei zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit dauerte ca. 4 bis 5 Monate im Jahre 1995. Aus diesem Grund war ich im gesellschaftlichen und familiären Kreis unerwünscht. Ich stand unter dem Druck der Nachbarn. Da meine Freunde und Bekannten erkannten, dass ich für die Serben gearbeitet habe, habe ich der serbischen Polizei mitgeteilt, die Zusammenarbeit einzustellen. Als Reaktion darauf bekam ich von der serbischen Polizei die Antwort, dass, wenn ich mit ihnen nicht mehr zusammenarbeite, ich getötet werde. Aus diesem Grund verließ ich am 1. August 1995 den Kosovo zusammen mit meiner Familie. Meine Familie wusste damals nicht den Grund, warum ich den Kosovo verlasse. Von 1995 bis 2000 war ich mit meiner Familie in Deutschland. In dieser Zeit war ich mit meinen Verwandten im Kosovo in Kontakt. Meine Verwandten erzählten mir damals, dass sie ständig unter der Bedrohung der serbischen Polizei waren. Aus diesem Grund ersuchte ich meinen Bruder mit der serbischen Polizei zusammenzuarbeiten, damit meine Familie, meine Verwandten nicht mehr von der serbischen Polizei bedroht werden. Seit 1995 bis 1998 war mein Bruder Mitarbeiter der serbischen Polizei.
VL: Wann sind Sie wieder in den Kosovo zurückgekehrt?
BW: Im September 2000.
VL: Haben Sie in Deutschland ein Asylverfahren anhängig gehabt?
BW: Ich hatte ein Asylverfahren anhängig und bekam einen negativen Bescheid. 1995, als ich den Asylantrag stellte, war die Situation im Kosovo extrem gespannt, doch der Europäischen Öffentlichkeit nicht bekannt.
VL: Wieso haben Sie diese Probleme nicht bereits vor dem BAA (Zusammenarbeit mit serbischer Polizei etc.) geschildert?
BW: Ich habe diesen Umstand in Salzburg nicht erwähnt, weil ich Angst hatte. ...
...
VL: Was war während Ihres Aufenthaltes im Kosovo vom
Jahre 2000 bis 2002?
BW: Zwischen 2000 und 2001 ist nicht viel passiert. Es ist nicht viel geschehen. Es war nie so schlimm. Sie wissen aber, dass ich aus Drenica komme, und zwar aus der Ortschaft Lausha und dieses Gebiet vom Krieg schwer betroffen war. Unser Haus wurde zerstört. Der UNHCR hat uns ein Zelt zur Verfügung gestellt und uns wurde weiter versprochen, Hilfe für den Bau eines Hauses zu bekommen. Ich eröffnete dabei ein kleines Geschäft und einige Monate habe ich in diesem Geschäft gearbeitet. Die Leute waren mir gegenüber sehr skeptisch. Im Juni 2001 sind dann vier Personen zu mir gekommen und sie fragten mich nach meinem Namen, ob ich Naim G. bin. Als ich ihnen gesagt habe, dass ich der Naim bin, haben sie gesagt, dass sie Informationen hätten, dass ich und meine Brüder mit dem serbischen Polizeidienst zusammengearbeitet hätte. Ich verneinte dies, aber sie haben gesagt, dass sie Fakten hätten, dass ich zusammen mit meinem Bruder für die Serben gearbeitet hätte. Sie haben weiter gesagt, dass ich mich in drei Wochen bei dem Stab von TMK in Skenderaj melden soll. Ich hatte Angst und bin nicht hingegangen. Ich wurde auch nachher bedroht und gegen Ende 2001, Ende Dezember 2001, sind unbekannte Personen zu uns ins Zelt gekommen. Es war am Abend, ca. 20.00 bzw. 21.00 Uhr. Ich habe diese Unbekannten gehört, dass sie nach mir rufen. Ich habe das Zelt von hinten verlassen und bin davongekommen.
VL: Warum sind Sie dann erst September 2002 ausgereist?
BW: In dieser Nacht blieb ich bis in der Früh im Wald. Als ich in das Zelt zurückkam, habe ich gesehen, dass diese Personen meine Frau brutal geschlagen haben. Die Kinder waren schockiert. Meine Frau sagte mir, wir sollen so schnell wie möglich den Kosovo verlassen.
VL: Warum sind Sie dann erst im September 2002 abgereist?
BW: Zuerst dachte ich, ich werde einen anderen Standort wählen, damit ich meine Spuren verwische. Ich habe in Peje einige Monate verbracht. Ich hatte eine Mietwohnung dort, aber wir waren die Gefangenen in unserer Wohnung. Die Kinder gingen nicht ein Mal zur Schule. Meine Frau ist ausgegangen, um einzukaufen. Sie hat sich aber auch versteckt. Sie hat ein Tuch auf dem Kopf getragen und eines Tages hat meine Frau am Markt die beiden Männer gesehen, die sie geschlagen haben.
...
VL: Leben noch Verwandte von Ihnen im Kosovo?
BW: Ich habe meine Eltern. Ich habe meinen Bruder in Deutschland, er hat Asyl bekommen. Ich habe leider kein Asyl in Deutschland bekommen. Ich musste unterschreiben, dass ich freiwillig in den Kosovo zurückkehre. Mein Bruder hat damals Asyl bekommen.
VL: Wer hat Ihnen das Schreiben aus dem Kosovo geschickt?
BW: Ein weiterer Bruder, der noch im Kosovo lebt.
...
VL: In welcher Weise haben Sie mit der serbischen Polizei
zusammengearbeitet?
BW: Ich habe ihnen alle Informationen, die sie wollten weitergeleitet. Ich war in einem Dorf wohnhaft, wo viele Aktivitäten gegen die Serben stattgefunden haben. Das war auch sozusagen das wichtigste Zentrum der Aufständischen damals.
VL: Warum sollte man gerade jetzt das Haus mit diesen Parolen beschmiert haben, wo Sie doch schon 3 Jahre nicht mehr im Kosovo aufhältig sind?
BW: Es gab immer wieder Bedrohungen gegen meine Familie, auch wenn ich nicht dort war."
Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Außerdem stellte sie gemäß § 8 Abs. 1 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien und Montenegro, ehemalige Provinz Kosovo, zulässig sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde, zu der der Beschwerdeführer eine Stellungnahme abgab - erwogen:
Die belangte Behörde ging davon aus, dass das erst in der mündlichen Berufungsverhandlung erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers nicht den Tatsachen entspreche. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt eine Bedrohung wegen einer seinerzeitigen Zusammenarbeit mit den serbischen Behörden mit keinem Wort erwähnt habe, wofür er keine plausible Erklärung habe geben können. Außerdem seien seine Angaben über seine Zusammenarbeit mit der serbischen Polizei äußerst unbestimmt geblieben. Was das in der Verhandlung vorgelegte Schreiben samt Lichtbildern anlange, so scheine es sich - aus näher dargestellten Gründen - um "Gefälligkeitsbestätigungen" zu handeln.
Die beweiswürdigenden Überlegungen der belangten Behörde sind in zweierlei Hinsicht unvollständig. Zum einen gehen sie stillschweigend darüber hinweg, dass die nach dem Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung einvernommene Ehegattin des Beschwerdeführers, die ihrerseits einen Erstreckungsantrag nach §§ 10, 11 AsylG gestellt hat, die Angaben des Beschwerdeführers bestätigte. Sie brachte vor - nachdem sie ersucht hatte, dass der Beschwerdeführer und ihre Kinder den Verhandlungssaal verlassen -, sie sei "damals" im Zelt geschlagen und "von diesen Personen brutal total misshandelt" worden, weshalb sie nunmehr traumatisiert sei. Die belangte Behörde beschäftigte sich zwar mit den zum Nachweis der behaupteten Traumatisierung vorgelegten Bestätigungen, denen sie keine maßgebliche Beweiskraft zuerkannte; warum ungeachtet dessen den Angaben der Ehegattin des Beschwerdeführers kein Glauben zu schenken sei, wurde indes nicht begründet.
Zum anderen hätte sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seinen Bruder in Deutschland beschäftigen müssen. Diesem wurde - so die Behauptungen des Beschwerdeführers - wegen seiner Zusammenarbeit mit den serbischen Behörden Asyl gewährt. Sollte dies zutreffen, so wäre die Verfolgungsbehauptung des Beschwerdeführers in einem wesentlichen Punkt bestätigt, was bei einer Gesamtwürdigung seines Vorbringens nicht außer Acht gelassen werden könnte.
Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid mit Verfahrensmängeln behaftet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer für die von ihm verzeichnete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG die Verfahrenshilfe bewilligt worden war und weil neben dem pauschalierten Ersatz für den Schriftsatzaufwand eine gesonderte Vergütung an Umsatzsteuer nach dem VwGG nicht in Betracht kommt.
Wien, am 29. Juni 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2006010013.X00Im RIS seit
10.08.2006